Rückweisung der Gesuche der Nagra
Mit ihrem Bericht über die in Etappe 3 des Sachplans Geologische Tiefenlager weiter zu berücksichtigenden Lagerstandorte, reichte die Nagra auch einen Plan für die weiter führenden Untersuchungen in dieser Etappe ein (Nagra 2014[1]). Darauf folgten, im Sommer 2016, die Einreichung der Gesuche für Sondierbohrungen in den Standortgebieten Jura Ost (Bözberg) und Zürich Nord-Ost (Weinland)[2]. Nach reiflicher Analyse der Situation kommen wir zum Schluss, dass dieses Vorgehen wie auch die geplanten Untersuchungen keine Antwort auf die heute bekannten Problemen an den besagten Standorten geben werden. Die durch die Nagra geplanten Untersuchungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie die bekannten Fragen umgehen (z.B. keine Bohrung durch den Permokarbon-Trog; Bohrungen nur in „sicherer Entfernung“ von den geplanten Lagerstandorten), statt sie zu klären. Sie werden daher das Projekt der Entsorgung der radioaktiven Abfälle seinem Ziel nicht näher bringen, sondern einzig zu weiteren Zeitverlusten führen, wie dies am gegenwärtig laufenden Auswahlverfahren wieder einmal exemplarisch aufgezeigt werden kann. Dieser Schluss trifft auch für den kürzlich durch „Ensi-Wunsch“ wieder eingebrachten Standort „Lägern Nord“ zu.
Aufgrund dieses Befundes erachten wir es als unumgänglich, dass sowohl das Untersuchungsprogramm , als auch die Sondiergesuche der Nagra an ihren Absender zurückgesandt werden mit der Aufforderung, endlich ein umfassendes, wissenschaftlich kohärentes Untersuchungsprogramm vorzulegen, dass alle offenen wissenschaftlichen Fragen beantwortet, insbesondere die sicherheitstechnisch relevanten Fragen zum „Permo-Karbon-Trog“, zur quartären Eintiefungsgeschichte und der Rinnenbildung und den damit zusammenhängenden Fragen der Neotektonik. Gleichzeitig soll aber ein problemgerechtes und zielgerichtetes Vorgehen initiiert werden, welches der Durchsetzung des Kernenergie Gesetzes gerecht wird.
Forderung für ein problemgerechtes, zielgerichtetes Vorgehen
In Etappe 3 des Sachplans Geologische Tiefenlagerung werden die Standorte (oder der Standort) für die Lager aller Abfallkategorien festgelegt und das Rahmenbewilligungsgesuch vorbereitet. Mit folgender Vorgehensweise soll gesichert werden, dass aus dieser Prozedur ein umsetzbares, sicheres Lagerprojekt entsteht, welches nicht nur formalen, juristischen und administrativen, sondern auch wissenschaftlichen und technischen Anforderungen genügt. Wir schlagen folgendes Vorgehen vor:
Alle Standortregionen:
Festlegung einer verbindlichen Prozedur mit eindeutigen Ausschlusskriterien. Diese fixieren die Bedingungen, unter denen ein Standort in die Endauswahl mitgenommen, bzw. von dieser ausgeschlossen wird (sog. „Killerkriterien“). Diese Kriterien sind später nicht „verhandelbar“.
Zürcher Weinland:
Zu lösende prioritäre Probleme:
Im Verlauf der Eiszeiten wurden im Zürcher Weinland z.T. um 600 m Fels weg erodiert. Mit ähnlichen Beträgen ist in kommenden Vereisungen zu rechnen. Konsequenterweise muss ein Geologisches Tiefenlager mindestens etwa 800 m unter die Geländeoberfläche zu liegen kommen (Nagra-Projekt: um 600 m). Dies bringt folgende Fragen:
- Ein entsprechender Lagerstandort liegt weiter im Süden, als die heute untersuchte Region um Benken und Marthalen. Kommt er wieder auf einen Permokarbon Trog zu liegen? Welche Risiken bzgl. tektonischer Instabilität und Ressourcenkonflikt ergeben sich daraus?
- Wie sind Untertageanlagen zu dimensionieren um den Ansprüchen auf Stabilität zu genügen? Welche Anpassungen der Abfallgebinde (Rekonditionierung) u.a. Konsequenzen für den Lagerbetrieb?
Vorgehensweise:
- Festlegung von möglichen Standorten mit einer Lagerzone im Wirtsgestein auf mindestens 800 m Tiefe unter der Geländeoberfläche. Falls notwendig: Ausdehnung der 3D-Seismik.
- Abtiefung von Sondierbohrungen bis in den kristallinen Sockel. Ausrüstung mit Überwachungsinstallationen. Die Bohrungen haben am Standort selbst zu erfolgen; sie können bei Bedarf in einer späteren Phase verfüllt und verschlossen werden.
- Klärung der Geometrie der eiszeitlichen Rinnen, Verfeinerung der neotektonischen Modelle.
- Bei Nicht-Eignung eines oder mehrerer Standorte (Killerkriterien): Aufgabe der Standorte.
- Bei Eignung eines oder mehrerer Standorte: Vortrieb eines Vertikalschachtes und Installation eines Felslabors auf der vorgesehenen Lagertiefe. Beginn der Erst-Überprüfung des Standortes im Testmodus.
Jura Ost (Bözberg) und Lägern Nord
Zu lösende prioritäre Probleme:
Die beiden Standortgebiete weisen in zwei Bereichen ähnliche Probleme auf:
- Beide Standorte liegen über dem Permokarbon-Trog, mit dem Risiko grösserer Ressourcenkonflikte (Kohlenwasserstoffe, Geothermie, andere)? Sie müssen unter Berücksichtigung der oben definierten Killerkriterien untersucht werden.
- Beide Standorte liegen in der sogenannten „Vorfaltenzone“, im Norden der Überschiebung des Faltenjuras auf den Tafeljura, mit grösserer tektonischer Deformation und Wasser durchlässigen Strukturen, als im undeformierten Tafeljura und dem Weinland. Diese Strukturen sind am Lagerstandort selbst zu erkunden.
Vorgehensweise:
- Festlegung möglicher Standorte mit Hilfe der 3D-Seismik.
- Abtiefung von Sondierbohrungen, durch den Opalinuston und den Permokarbon-Trog hindurch, bis in den kristallinen Sockel. Ausrüstung mit Überwachungsinstallationen.
- Überprüfung des Wirtgesteins auf mögliche Abscherungshorizonte.
- Bei Nicht-Eignung eines oder mehrerer Standorte (Killerkriterien): Aufgabe der Standorte.
- Bei Eignung eines oder mehrerer Standorte: Vortrieb eines Vertikalschachtes und Installation eines Felslabors auf der vorgesehenen Lagertiefe. Beginn der Erst-Überprüfung des Standortes im Testmodus.
Dieses Vorgehen zeichnet sich durch verschiedene Unterschiede zum Untersuchungsplan der Nagra ab. Es erlaubt insbesondere:
- Die offenen Fragen und die damit verbundenen Risiken zu beurteilen.
- Die Machbarkeit der Lageranlagen an möglichen Standorten selbst zu beurteilen und die Anlagen entsprechend den Befunden zu dimensionieren.
- Das Rahmenbewilligungsgesuch auf Fakten abzustützen.
- Eine erhebliche Zeiteinsparung.
Organisatorische Aspekte und „Plan B“
Es ist nicht anzunehmen, dass die Nagra auf dieses Vorgehen eingehen wird. Im Falle einer Ablehnung, kann der Plan durch ein Dekret des Bundesrates durchgesetzt werden, allenfalls unter Anwendung von Art. 33 des Kernenergiegesetzes.
Nukleare Entsorgung hat sich bisher nicht als eine Disziplin der exakten Wissenschaften herausgestellt. Sie befindet sich an der Grenze dessen, was sich der menschliche Geist vorstellen kann. Sicherheit über die Qualität eines Projektes erhält man im Verlauf seiner Realisierung und des Langzeitbetriebs. Ein Misserfolg kann jederzeit gleich „um die Ecke“ liegen. Unter diesen Umständen scheinen drei Massnahmen fundamental:
- Es muss endlich eine Sicherheits- und Fehlerkultur im Entsorgungsprogramm installiert werden, die diesen Namen verdient und welche die offenen Fragen thematisiert und die entsprechenden Massnahmen zu deren Klärung analysiert.
- Das Projekt ist laufenden Risikoanalysen zu unterwerfen, welche die Risiken zur Realisierung vor und während dem Betrieb verfolgt und bei Bedarf frühzeitige Massnahmen ermöglicht. Dazu gehören auch Risikoanalysen über die verschiedenen Betriebszustände wie auch einer Forschungs- und Entwicklungsplanung, die diesen Namen verdient.
- „Plan B“: Und was, wenn keiner der Standorte den Kriterien entspricht? Ein sogenannter „Plan B“ muss daher parallel zum Hauptprojekt verfolgt werden. Wie wir in früheren Beiträgen zeigten, ist die Schweiz nicht das einzige Land, welches um eine „dauernde und sichere Entsorgung“ ringt. Es wäre daher angezeigt, Initiative zu ergreifen und sich mit unsern Nachbarn zusammen zu setzen, im Bestreben, zumindest Mitteleuropa um eine akzeptable Lösung zu vereinen.
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