KNS-Stellungnahme Etappe 2 Sachplan geologische Tiefenlager
Einleitung
Im Konzeptteil des Sachplans geologische Tiefenlager ist festgelegt, dass die Eidgenössische Kommission für nukleare Sicherheit (KNS) in den drei Etappen des Verfahrens zur Standortwahl für geologische Tiefenlager für radioaktive Abfälle zu den jeweiligen Gutachten des Eidgenössischen nuklearen Sicherheitsinspektorats (ENSI) Stellung nimmt. Das Gutachten der KNS zur Etappe 2 wurde am 26. Juni 2017 publiziert.[1]
Das Vorgehen der KNS bei der Ausarbeitung ihres Gutachtens zeichnet sich dadurch aus (siehe Kästchen 1 am Ende dieses Blogs), dass sich die Kommission nicht nur an geschriebenen Unterlagen von Nagra und ENSI orientierte, sondern der Nagra Zusatzfragen stellte und diese mit der Entsorgerorganisation diskutierte. Die Kommission diskutierte ausserdem den Entwurf des ENSI-Gutachtens mit Vertretern der Sicherheitsinspektorats. Das Resultat dieser Arbeiten stellt nun die KNS in einem 50-seitigen Bericht vor.
Nach eingehendem Studium kommen wir zum Schluss, dass der Bericht der KNS wichtige kritische Punkte im laufenden Entsorgungsverfahren herauskristallisiert. Er formuliert eine Anzahl von Nachforderungen an die Nagra, welche über die Forderungen des ENSI hinausgehen. Wir möchten diesen Punkten hier nochmals ein Podium offerieren. Eine breitere und vertiefte Diskussion und eine sorgfältige Behandlung dieser Punkte ist aus unserer Sicht zwingend erforderlich.Die Aufzählung erfolgt ohne Kommentare von Seiten der Blog-Autoren; wir werden in späteren Beiträgen auf einzelne Aspekte zurückkommen. Die Autoren sind verantwortlich für die Auswahl der zitierten Texte.
In ihrer Stellungnahme unterstreicht die KNS jeweils zuerst die Punkte in welchen sie dem ENSI zustimmt. Wir beschränken uns hier in der Regel auf die weiterführenden Aussagen der KNS.
Abkürzungen: siehe am Ende des Blogs.
Analyse der KNS
(Nummerierung und Titel gemäss Bericht der KNS)
3.1 Methodik für die Auswahl von mindestens zwei Standortgebieten in Etappe 2 SGT
„Nach Einschätzung der KNS ist im Hinblick auf die Rahmenbewilligungsgesuche für das HAA- und für das SMA-Lager offen, ob ein Vergleich der Standortgebiete gemäss dem aktuellen, bei der Standorteinengung in Etappe 2 SGT angewendeten Vorgehen zu einem belastbaren, nachvollziehbaren und eindeutigen Ergebnis in Etappe 3 SGT führen wird. Vor diesem Hintergrund und hinsichtlich einer transparenten Standortbestimmung empfiehlt die KNS, dass frühzeitig, d. h. vor Beginn von Etappe 3 SGT, die Methodik des Standortvergleichs präzisiert bzw. konkretisiert wird sowie die erforderlichen Vorgaben festgelegt werden.“
3.2 Lagerkonzept
. . . . „Positiv ist aus Sicht der KNS der neue mögliche Kavernentyp K04a für SMA- bzw. LMA-Lagerkammern zu bewerten, der aufgrund seines kreisrunden Querschnitts geringerer Grösse bei Annahme von schonendem Ausbruch und raschem Einbau der Ausbruchsicherung vergleichsweise geringe Gebirgsdeformationen nach sich ziehen sollte.“
„In welcher Form die abgebrannten Brennelemente nach der verlängerten Zwischenlager in entsprechende Endlagerbehälter transferiert werden (können), und welche Anforderungen sich daraus an die Endlagerbehälter ergeben, kann in der aktuellen Projektphase noch nicht verlässlich abgeschätzt werden. Aus diesem Grund könnten auch kleiner dimensionierte Behälter als die aktuell von der Nagra vorgesehenen eine plausible Variante darstellen, was Auswirkungen auf den Platzbedarf haben kann.
– Auch wenn die Festlegung der zu verwendenden Materialien für die HAA-Lagerbehälter erst in einer späteren Projektphase, wenn die Konkretisierung der Lagerauslegung weiter fortgeschritten ist, erfolgen wird, sollten aus Sicht der KNS die materialtechnischen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten im Hinblick auf sicherheitstechnisch vorteilhafte HAA-Lagerbehälter zielgerichtet fortgeführt werden. Entsprechende von der Nagra in ihrem aktuellen Forschungs- und Entwicklungsprogramm [NTB 16-02] vorgesehene Arbeiten sind grundsätzlich zu begrüssen; es sollten aber technologische Fortschritte auch bei von der Nagra nicht favorisierten Materialvarianten wie beispielsweise bei keramischen Werkstoffen weiter verfolgt werden.
– Die KNS unterstützt die Empfehlung des ENSI, in Etappe 3 SGT die Auswirkungen einer zementbasierten Verfüllung der HAA-Lagerstollen für Bau, Betrieb und Langzeitsicherheit vertieft zu untersuchen. Im Hinblick auf eine Minimierung der Gasbildung könnte eine zementbasierte Verfüllung der Lagerstollen für abgebrannte Brennelemente (BE) wegen der zu erwartenden kleinen Korrosionsrate für Stahl und der fehlenden bzw. sehr geringen mikrobiellen Aktivität allenfalls eine interessante Alternative zur Bentonitverfüllung darstellen. Um dies abschliessend beurteilen zu können, sind aber noch weitere Untersuchungen notwendig.
– Die KNS nimmt befriedigt zur Kenntnis, dass die Nagra nach Prüfung zum Schluss kommt, dass eine Erschliessung eines Tiefenlagers sowohl über einen Schacht als auch über eine Rampe oder Kombinationen von beiden sicher erfolgen kann (Bau- und Betriebsphase) und keine negative Auswirkungen auf die Langzeitsicherheit damit verbunden sind. Diese Einschätzung wird vom ENSI geteilt. Die KNS bewertet damit ihre Empfehlung zur Abklärung von Erschliessungsvarianten mit Vertikalschächten [KNS 23/247] als stufengerecht umgesetzt.
– Die Empfehlungen des ENSI zur verstärkten Berücksichtigung der Aspekte „Unabhängige Fluchtwege zur Oberfläche“, „Bautechnik in Bereichen mit sich ändernden Querschnitten“ und „Einsatz von Tunnelbohrmaschinen in Blindstollen“ können von der KNS unterstützt werden. So erachtet die KNS insbesondere die mit dem Einsatz einer Tunnelbohrmaschine verbundene Logistik, die sich aus dem Auffahren der HAA-Lagerstollen mit einer Länge von mehreren 100 m bis zu 1‘000 m ergibt, vor dem Hintergrund eines möglichst gebirgsschonenden Ausbruchs als herausfordernd.“
3.3 Abgrenzung optimierter Lagerperimeter und deren Bewertung
„Bezüglich der Beurteilung der von der Nagra ausgewiesenen optimierten Lagerperimeter durch das ENSI ist Folgendes anzumerken:
– Indikator 6 „Regionale tektonische Elemente: a) Abstand zu regionalen Störungszonen, b) zu meidende tektonische Zonen“
Die KNS teilt die Einschätzung des ENSI, dass die von der Nagra ausgewiesene zu meidende tektonische Zonen im Norden des Standortgebiets Nördlich Lägern gemäss heutiger Datenlage eine mögliche, jedoch keine zwingende Abgrenzung darstellt. Auch wenn aufgrund der jetzt vorliegenden Daten die zu meidende tektonische Zone nicht exakt abgegrenzt und der Grad der tektonischen Zergliederung nicht belastbar belegt werden können, gibt es nach Einschätzung der KNS Hinweise, die für eine stärkere Tektonisierung im nördlichen Bereich des Standortgebiets Nördlich Lägern sprechen. Die KNS teilt die Einschätzung des ENSI, dass mit vertieften Untersuchungen in Nördlich Lägern im Rahmen von Etappe 3 SGT (3D-Seismik, Tiefbohrungen) die Annahmen der Nagra bezüglich der Ausdehnung und der Tektonisierung der zu meidenden tektonischen Zonen überprüft und allenfalls bestätigt bzw. präzisiert werden können.“
„Indikator 8 „Platzangebot untertags“
. . . .
Die KNS anerkennt das Bestreben der Nagra, standortspezifische Gegebenheiten bei der Festlegung des Platzbedarfs zu berücksichtigen und letztlich zu standortspezifischen Angaben des Platzbedarfs zu kommen. Wie das ENSI hat aber auch die KNS Vorbehalte bezüglich des von der Nagra gewählten Ansatzes zur Festlegung des standortspezifischen Platzbedarfs. Die Annahmen, welche die Nagra bei der Abschätzung des Platzbedarfs pro Lagerperimeter bzw. Standortgebiet getroffen hat [NAB 14-99], sind teilweise nicht nachvollziehbar. Dies gilt insbesondere für die Herleitung der Werte des von der Nagra verwendeten Parameters „Anzahl anordnungsbestimmende geologische Elemente“. Aus Sicht der KNS ist die zur Verfügung stehende Datengrundlage in den Standortgebieten noch nicht ausreichend, um bezüglich des Auftretens von anordnungsbestimmenden Elementen in den Lagerperimetern belastbare Aussagen treffen zu können.
In diesem Zusammenhang stellt die KNS fest, dass hinsichtlich Datengrundlage und Sach- und Kenntnisstand Diskrepanzen bestehen können zwischen den Anforderungen für den Nachweis der grundsätzlichen technischen Machbarkeit in Etappe 2 SGT und den Anforderungen für die Ableitung standortspezifischer Merkmale und eindeutiger Nachteile. Bei der Bewertung der Standorteinengung ist dies zu berücksichtigen.“
„Qualitative Bewertung der optimierten Lagerbereiche: . . .
Hinsichtlich des Kriteriums „Nutzungskonflikte“ und bezugnehmend auf eine frühere Empfehlung der KNS zur Berücksichtigung von Nutzungskonflikten im Standortauswahlprozess [KNS 23/219] stellt die Kommission fest, dass das ENSI und seine Experten die Angaben der Nagra zu möglichen zukünftigen Nutzungskonflikten [NTB 14-02-vii] analysiert und bewertet haben [ENSI 33/454]. Die KNS ist der Ansicht, dass im Zusammenhang mit dem Nordschweizer Permokarbontrog der Frage zukünftiger Nutzungskonflikte in den von der Nagra für Etappe 3 vorgeschlagenen Standortgebieten in der Nordschweiz von Relevanz ist. Aus Sicht der KNS ist es folglich sicherheitsgerichtet, dass mögliche Auswirkungen einer potentiellen Rohstoffförderung sowie geothermaler Nutzungen, insbesondere auch des „hydraulic fracturing“, in Etappe 3 SGT genauer zu untersuchen sind, wie dies die Experten des ENSI empfehlen. Auch wenn heute eine Exploration und Nutzung von Rohstoffen im Bereich der möglichen geologischen Standortgebiete oftmals nicht wirtschaftlich bzw. nicht sinnvoll wäre, kann aus Sicht der KNS nicht belastbar abgeschätzt werden, wie sich die Bedeutung einzelner Rohstoffe und deren materielle Bewertung in Zukunft entwickeln werden. Aus Sicht der KNS ist daher der Vorrang des Schutzes eines geologischen Tiefenlagers vor Interessen der Rohstofferkundung und -nutzung langfristig sicherzustellen. In diesem Zusammenhang weist die KNS darauf hin, dass aus ihrer Sicht eine bessere Kenntnis der räumlichen Ausdehnung und des Aufbaus der Füllung des Nordschweizer Permokarbontrogs im weiteren Verlauf des Verfahrens angestrebt werden sollte.“
„Hinsichtlich der in der Umgebung der möglichen geologischen Standortgebiete in der Nordschweiz bestehenden Mineral- und Thermalwasservorkommen hält die KNS fest, dass die von der Nagra entwickelten hydrogeologischen Lokalmodelle die Herkunft und die Fliesswege der Mineral- und Thermalwässer noch nicht in einem hinreichenden Detaillierungsgrad abbilden bzw. erklären können. Zur Bewertung zukünftiger Auswirkungen der untertätigen Lagerteile und deren Erschliessung auf bestehende Mineral- und Thermalwasservorkommen sowie möglicher Einflüsse geänderter bzw. neuer Nutzungen von Mineral- und Thermalwasservorkommen auf ein geologisches Tiefenlager sollte aus Sicht der KNS im weiteren Verlauf des Verfahrens eine detailliertere modelltechnische Lösung angestrebt werden, welche bereits vorliegende und neu gewonnene Daten integriert und entsprechende belastbare Aussagen ermöglicht.
3.4 Sicherheitstechnischer Vergleich der geologischen Standortgebiete und vergleichende
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3.4.3 Entscheidrelevantes Merkmal „Langzeitstabilität der geologischen Barriere“
„ . . . Indikator 28 „Erosion im Betrachtungszeitraum“: . . . Aus Sicht der KNS bleibt aber die zukünftige Entwicklung der Erosion grundsätzlich noch mit grossen Ungewissheiten behaftet, insbesondere im Betrachtungszeitraum von 1 Million Jahre für das HAA-Lager. Hinsichtlich der wirksamen Erosionsbasis und des zukünftigen Erosionspotenzials werden dabei auch die Entwicklung des Oberrheingrabens und der mögliche Verlauf der Hebung des Südschwarzwaldes eine wichtige Rolle für die Nord(west)schweiz spielen. Nach Einschätzung der KNS wurde vor allem der Aspekt der Hebung des Südschwarzwalds in den bisherigen Überlegungen der Nagra zu wenig berücksichtigt. Bei weiteren Untersuchungen zur zukünftigen Entwicklung der Erosion sollte die mögliche Bedeutung der Hebung des Südschwarzwalds gegenüber dem Jura-Gebirge sachgerecht in die Überlegungen mit einbezogen werden. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass die Tiefenerosion infolge verstärkter lokaler oder regionaler extensiver bruchtektonischer Beanspruchung vermutlich ein deutlich grösseres Gefährdungspotential hinsichtlich der Langzeitsicherheit eines geologischen Tiefenlagers darstellt als der flächenhafte Abtrag in den Standortgebieten.
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„Indikator 3 „Tiefenlage unter lokaler Erosionsbasis im Hinblick auf die Bildung neuer Rinnen“: Das Potenzial zur Bildung neuer Rinnen ist aus Sicht der KNS abhängig unter anderem von der Ausdehnung der nächsten Eiszeit, von der Dynamik und der räumlichen Verteilung der dabei auftretenden Schmelzwässer sowie von den Eigenschaften des Untergrunds bezüglich Erosionsverhalten. In diesem Zusammenhang teilt die KNS die Einschätzung des ENSI, dass bezüglich der Erosionsresistenz der Malmkalke in den Standortgebieten Jura Ost und Zürich Nordost noch Ungewissheiten bestehen. Deren Einfluss auf die glaziale Tiefenerosion ist in Etappe 3 SGT zu bewerten bzw. die Ungewissheit durch weitere Untersuchungen zu reduzieren.“
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„Indikator 4 „Tiefenlage unter Fels im Hinblick auf glaziale Tiefenerosion“: Der minimal notwendigen Tiefenlage unter Fels als Schutz vor erosiven Prozessen kommt nach Einschätzung der KNS grundsätzlich eine grosse Bedeutung zu. Eine belastbare Prognose zukünftiger Vereisungen im nördlichen Alpenvorland im Zeitraum von 1 Million Jahre (Betrachtungszeitraum für ein HAA-Lager) ist nicht möglich. Basierend auf der Entwicklung während der letzten 1 Million Jahre erscheint es aber plausibel, die Bedeutung der glazialen Erosion im Standortgebiet Zürich Nordost am höchsten und in Jura Ost am geringsten einzuschätzen. Die grössere Tiefenlage der Lagerebene im Standortgebiet Nördlich Lägern bietet zwar grundsätzlich den besten Schutz vor erosiven Prozessen; das Standortgebiet selber ist bezüglich der Erosion aber zweigeteilt: Der östliche Teil von Nördlich Lägern, in welchem auch die massgebenden Lagerperimeter für die Einengung platziert sind, ist bezüglich Erosion eher mit dem Standortgebiet Zürich Nordost vergleichbar und deutlich weniger günstig als der westliche Teil von Nördlich Lägern zu bewerten [Hantke 1967]. Das untere Glattal und seine geologische Umgebung, also der östlicher Teil des Standortgebiets Nördlich Lägern, können flussgeschichtlich als sensitives Gebiet bezeichnet werden. Auffallend ist, dass vergleichsweise grosse Flussstrecken im anstehenden Fels liegen. Dieser Umstand, der nach Einschätzung der KNS im Zusammenhang mit den dortigen geologisch-tektonischen Strukturen steht, sollte im weiteren Verlauf des Standortauswahlverfahrens vertieft untersucht werden. Von Interesse ist dabei auch, wieso in diesem Bereich die Lägernstruktur in östlicher Richtung abrupt endet.
Zwar ist die belastbare Prognose zukünftiger Vereisungen im nördlichen Alpenvorland in der nächsten 1 Million Jahre nicht möglich; da aufgrund des radioaktiven Zerfalls das Gefährdungspotenzial der eingelagerten hochaktiven Abfälle aber mit der Zeit abnimmt, relativiert sich diese Ungewissheit bezüglich der sicherheitstechnischen Bedeutung der glazialen Tiefenerosion.“
„Indikator 31 „Verhalten des Wirtgesteins bezüglich Gas“: . . . Ergänzend merkt die KNS an, dass im weiteren Prozess der Standortauswahl und der Lagerkonkretisierung robuste Ansätze zur Lösung der Problematik der Gasentwicklung in einem geologischen Tiefenlager evaluiert werden sollten.“
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3.4.5 Entscheidrelevantes Merkmal „Bautechnische Machbarkeit eines Tiefenlagers unter Berücksichtigung der vorgeschlagenen Standortareale“
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„Die Einschätzung der Nagra, dass die grosse Tiefenlage insbesondere der HAA-Lagerebene im Opalinuston im Standortgebiet Nördlich Lägern eine erhebliche bautechnische Herausforderung darstellt, wird von der KNS geteilt.“
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„Die tektonische Überprägung und die vergleichsweise grosse Tiefenlage der Lagerperimeter sprechen nach Einschätzung der KNS dafür, dass in Nördlich Lägern bei der weiteren Konkretisierung der Lagerauslegung, konkret der Anordnung der Lagerstollen und Endlagerbehälter in diesen, von einer begrenzten Flexibilität auszugehen ist. Aus diesem Grund sieht die KNS bezüglich des Platzangebots untertags im Standortgebiet Nördlich Lägern eine Schwäche insbesondere gegenüber den anderen möglichen HAA-Standortgebieten.“
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3.4.6 Vergleichende Gesamtbewertung der geologischen Standortgebiete
„Die Feststellung, dass sich bei den drei HAA-Standortgebieten aufgrund der vorliegenden Daten keine belastbaren eindeutigen Nachteile ableiten lassen und somit keines der HAA-Standortgebiete zurückgestellt werden kann, ist aus Sicht der KNS nachvollziehbar. Für die KNS bestehen beim HAA-Standortgebiet Nördlich Lägern Schwächen hinsichtlich des Platzangebots untertags und der Tiefenlage im Hinblick auf die bautechnische Machbarkeit. Aufgrund der bestehenden Datenlage und der damit verbundenen Ungewissheiten kann daraus aber kein eindeutiger Nachteil belastbar abgeleitet werden.“
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4 Zusammenfassung und Empfehlungen
4.1 Zusammenfassende Beurteilung
. . . .
„Die KNS begrüsst die Fokussierung auf das Wirtgestein Opalinuston bei den SMA-Standortgebieten und unterstützt die Zurückstellung der Standortgebiete Jura-Südfuss, Südranden und Wellenberg. Hinsichtlich einer möglichen Differenzierung zwischen den Standortgebieten Jura Ost, Nördlich Lägern und Zürich Nordost für ein HAA-Lager wie auch ein SMA-Lager teilt die KNS die Einschätzung des ENSI, dass die vorhandene Datenbasis und der Kenntnisstand nicht ausreichen, um belastbare Aussagen zu eindeutigen Nachteilen abzuleiten. Somit kann keines dieser Standortgebiete – auch nicht Nördlich Lägern – zum jetzigen Zeitpunkt zurückgestellt werden. Die Ergebnisse der erdwissenschaftlichen Untersuchungen (insbesondere 3D-Reflexionsseismik und Tiefbohrungen) in Etappe 3 SGT können nach Einschätzung der KNS dazu beitragen, die von der Nagra getroffenen Annahmen zu prüfen, belastbare Aussagen zu eindeutigen Nachteile zu erhalten und bestehende Ungewissheiten zu reduzieren. Die KNS empfiehlt daher, in Etappe 3 SGT die geologischen Standortgebiete Jura Ost, Nördlich Lägern und Zürich Nordost (jeweils für ein HAA- und ein SMA-Lager) weiter zu untersuchen.
Falls sich die Aussagen der Nagra zu den aus ihrer Sicht bestehenden eindeutigen Nachteilen des Standortgebiets Nördlich Lägern durch die Ergebnisse der 3D-Reflexionsseismik und der Tiefbohrungen bestätigen lassen, ist es aus Sicht der KNS im Hinblick auf eine zielführende Abwicklung der Etappe 3 SGT sachdienlich, die weiteren Arbeiten zur Untersuchung dieses Standortgebiets bereits in einer frühen Phase von Etappe 3 einzustellen.“
„Bezugnehmend auf die Leitfragen, die von der KNS in ihrer Stellungnahme zur Notwendigkeit ergänzender geologischer Untersuchungen in Etappe 2 SGT [KNS 23/247] festgehalten worden waren (siehe Abschnitt 2.1), kommt die KNS zu folgenden Einschätzungen:
– Sind geringdurchlässige homogene Wirtgesteinskörper von ausreichender Mächtigkeit und lateraler Ausdehnung vorhanden?
Die KNS ist der Ansicht, dass mit dem Opalinuston in der Nordschweiz ein geringdurchlässiges und vergleichsweise homogenes Wirtgestein vorliegt, das aufgrund seiner Eigenschaften die erforderliche Barrierenfunktion effektiv erfüllen kann. Die Kommission teilt die Einschätzung von Nagra und ENSI, dass in Standortgebieten mit weiteren möglichen Wirtgesteinen diese gegenüber dem Opalinuston eindeutige Nachteile aufweisen. Bezüglich der Mächtigkeit des Opalinustons in den in Etappe 1 SGT vorgeschlagenen Standortgebieten stellt die KNS fest, dass diese aufgrund der bisher vorliegenden, vergleichsweise kleinen Datenbasis noch mit Ungewissheiten behaftet ist.
– Liegen diese Wirtgesteinskörper in geeigneter Tiefe?
Die vorliegenden Erkenntnisse zeigen nach Einschätzung der KNS, dass der Opalinuston als bevorzugtes Wirtgestein in den Standortgebieten in der Nordschweiz in einer Tiefe vorliegt, die grundsätzlich als geeignet für die geologische Tiefenlagerung radioaktiver Abfälle bezeichnet werden kann. Bei der Bewertung sind die noch bestehenden Ungewissheiten bezüglich der Tiefenlage ebenso wie die standortspezifischen Anforderungen bezüglich minimaler Tiefenlage (Schutz vor erosiven Prozessen) und maximaler Tiefenlage (bautechnische Machbarkeit) zu berücksichtigen.
– Gibt es unmittelbar angrenzend an diese Wirtgesteinskörper Aquifere?
Nach aktuellem Wissensstand gibt es unmittelbar angrenzend an den Opalinuston in den Standortgebieten in der Nordschweiz keine im Hinblick auf mögliche grossräumige Transportpfade relevanten Aquifere. Aus Sicht der KNS sollte aber im weiteren Verfahren auch untersucht werden, ob allenfalls kleinräumigere Grundwasserfliesssysteme im Bereich der Rahmengesteine von sicherheitstechnischer Bedeutung sein könnten.
– Besteht eine Gefährdung der Langzeitsicherheit durch Neotektonik oder Erosion?
Die KNS stellt fest, dass insbesondere bezüglich der Bedeutung erosiver Prozesse für die Langzeitsicherheit geologischer Tiefenlager in der Nordschweiz nach wie vor Ungewissheiten bestehen. Die Lagerperimeter in den Standortgebieten in der Nordschweiz können aber auch unter Berücksichtigung dieser Ungewissheiten als vergleichsweise günstig hinsichtlich einer Gefährdung durch erosive Prozesse in den relevanten Zeiträumen betrachtet werden.
4.2 Empfehlungen und weitere Hinweise der KNS
„Als Ergebnis ihrer Beurteilung gibt die KNS folgende Empfehlungen ab:
Empfehlung 1: Anders als in den geologischen Standortgebieten Jura-Südfuss, Südranden und Wellenberg sind belastbare Aussagen zu möglichen eindeutigen Nachteilen in den geologischen Standortgebieten Jura Ost, Nördlich Lägern und Zürich Nordost (jeweils für ein HAA- und ein SMA-Lager) auf Basis der vorliegenden Daten und Erkenntnisse nicht möglich; keines der drei letztgenannten Standortgebiete kann daher zum jetzigen Zeitpunkt zurückgestellt werden. Da die Ergebnisse der erdwissenschaftlichen Untersuchungen in Etappe 3 SGT dazu beitragen können, die standortspezifische Datengrundlage zu verbessern und belastbare Aussagen zu all-fälligen eindeutigen Nachteilen zu erhalten, empfiehlt die KNS, die drei geologischen Standortgebiete Jura Ost, Nördlich Lägern und Zürich Nordost (jeweils für ein HAA- und ein SMA-Lager) in Etappe 3 SGT weiter zu untersuchen.
Empfehlung 2: Falls sich die Aussagen der Nagra zu den aus ihrer Sicht bestehenden eindeutigen Nachteilen des Standortgebiets Nördlich Lägern durch die Ergebnisse der 3D-Reflexionsseismik und der Tiefbohrungen bestätigen lassen, empfiehlt die KNS im Hinblick auf eine zielführende Abwicklung der Etappe 3 SGT, die weiteren Arbeiten zur Untersuchung dieses Standortgebiets bereits in einer frühen Phase von Etappe 3 einzustellen.
Empfehlung 3 Nach Einschätzung der KNS ist im Hinblick auf die Rahmenbewilligungsgesuche für das HAA- und für das SMA-Lager offen, ob ein Vergleich der Standortgebiete gemäss dem aktuellen, bei der Standorteinengung in Etappe 2 SGT angewendeten Vorgehen zu einem belastbaren, nachvollziehbaren und eindeutigen Ergebnis in Etappe 3 SGT führen wird. Vor diesem Hintergrund und hinsichtlich einer transparenten Standortbestimmung empfiehlt die KNS, dass frühzeitig, d. h. vor Beginn von Etappe 3 SGT, die Methodik des Standortvergleichs präzisiert bzw. konkretisiert wird sowie die erforderlichen Vorgaben festgelegt werden.“
„Die KNS gibt zusätzlich folgende Hinweise für Etappe 3 des Sachplanverfahrens geologische Tiefenlager:
– Im Hinblick auf die weitere Konkretisierung der Lagerprojekte bleibt die Forschung und Entwicklung im Bereich möglicher Behältermaterialien für HAA und bei der Konditionierung von SMA ein wichtiges Thema. Entsprechende Arbeiten der Nagra sollten zielgerichtet fortgeführt bzw. intensiviert werden.
– Im weiteren Prozess der Standortauswahl und der Lagerkonkretisierung sollten robuste Ansätze zur Lösung der Problematik der Gasentwicklung in einem geologischen Tiefenlager evaluiert werden. Dies können Massnahmen zur Reduktion der Gasbildung ebenso wie Massnahmen zum kontrollierten Abführen der im Tiefenlager gebildeten Gase sein, wobei aus Sicht der KNS die Vermeidung bzw. Reduktion der Gasbildung Priorität hat. Wichtig ist der Nachweis der Funktionalität der geplanten Massnahmen, insbesondere im Fall von technischen Massnahmen zum Abführen von Gas aus einem Tiefenlager.
– Das Prozessverständnis zur Selbstabdichtung im Opalinuston sollte anhand vertiefter Untersuchungen in Etappe 3 SGT verbessert werden. Zu betrachten sind dabei insbesondere die Zeitskalen, auf denen die relevanten Prozesse ablaufen, sowie für das HAA-Lager die Auswirkungen der Wärmefreisetzung aus den abgebrannten Brennelementen auf diese Prozesse. Die Thematik des Selbstabdichtungsvermögens ist auch für den angestrebten satten Kontakt zwischen Versiegelungsmaterial und Gebirge im Bereich der von der Nagra geplanten Zwischensiegel in den HAA-Lagerstollen von Relevanz.
– Die von der Nagra entwickelten hydrogeologischen Lokalmodelle können nach Ansicht der KNS die Herkunft und die Fliesswege der Mineral- und Thermalwässer im Bereich der geologischen Standortgebiete noch nicht in einem hinreichenden Detaillierungsgrad erklären bzw. abbilden. Im Zusammenhang mit der Nutzung und dem Schutz von Mineral- und Thermalwasservorkommen sollten daher im weiteren Verlauf des Sachplanverfahrens detailliertere hydrogeologische Modelle angestrebt werden, die bereits vorliegende und neu gewonnene Daten integrieren.
– Bezüglich der Variante eines Kombilagers ist davon auszugehen, dass diese im weiteren Verfahrensablauf sicherheitstechnisch im Vergleich zu zwei getrennten Lagern für HAA und SMA zu beurteilen sein wird. Die hierfür erforderlichen Grundlagen hinsichtlich Lagerkonzeption bzw. -auslegung sollten unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Anforderungen der Abfalltypen im Zuge von Etappe 3 SGT erarbeitet werden.
– Aus Sicht der KNS ist der Vorrang des Schutzes eines geologischen Tiefenlagers vor Interessen der Rohstofferkundung und -nutzung langfristig sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund sollte im weiteren Verlauf des Standortauswahlverfahrens eine bessere Kenntnis der räumlichen Ausdehnung und des Aufbaus der Füllung des Nordschweizer Permokarbontrogs angestrebt werden.“
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Kästchen 1: Vorgehensweise der KNS bei der Ausarbeitung ihres Gutachtens
„Die KNS prüft bei ihrer Beurteilung des Gutachtens des ENSI, ob die Argumentation des ENSI nachvollziehbar ist, ob das ENSI in seinem Gutachten alle nach Meinung der KNS wichtigen Punkte anspricht und ob das Verfahren gemäss Etappe 2 SGT von Nagra und ENSI eingehalten worden ist.
Bei der Bewertung des Einengungsschritts orientiert sich die KNS auch an den folgenden Leitfragen für Etappe 2 SGT, welche von der Kommission 2011 in ihrer „Stellungnahme zur Notwendigkeit ergänzender geologischer Untersuchungen in Etappe 2 SGT“ festgelegt worden waren [KNS 23/247]:
– Sind geringdurchlässige homogene Wirtgesteinskörper von ausreichender Mächtigkeit und lateraler Ausdehnung vorhanden?
– Liegen diese Wirtgesteinskörper in geeigneter Tiefe?
– Gibt es unmittelbar angrenzend an diese Wirtgesteinskörper Aquifere?
- Besteht eine Gefährdung der Langzeitsicherheit durch Neotektonik oder Erosion?
Von der KNS wurden schon in ihren bisherigen Stellungnahmen im Rahmen des SGT Empfehlungen im Hinblick auf die weitere Durchführung des Verfahrens abgegeben. Wo angezeigt wird sie bei ihrer Beurteilung auf diese Empfehlungen Bezug nehmen.
Im Zuge der Analyse der Berichterstattung der Nagra zum Einengungsvorschlag hielt die KNS Fragen hierzu zuhanden der Nagra fest. Die Antworten der Nagra auf diese Fragen wurden der Kommission zwischen Februar und September 2016 von Vertretungen der Nagra fortlaufend im Rahmen von KNS-Sitzungen vorgestellt.
Da den Ergebnissen der 2D-reflexionsseismischen Messungen, welche im Auftrag der Nagra im Winter 2011/2012 durchgeführt wurden, aus Sicht der KNS für die Standorteinengung eine wichtige Bedeutung zukommt, liess die KNS Fragen zu den Ergebnissen der Messungen und deren Interpretation durch einen externen Experten für Seismik beantworten.
Die KNS erhielt einen Entwurf des sicherheitstechnischen Gutachtens des ENSI zum Vorschlag der Nagra für die Standorteinengung Ende 2016; der „Final Draft“ des ENSI-Gutachtens wurde der KNS am 5. April 2017 zugestellt. Eine Delegation der KNS tauschte sich mit einer Vertretung des ENSI über dessen Gutachten in einer Fachsitzung am 1. Mai 2017 aus.“
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