Stellungnahme Teil 2
(Teil 1: siehe Blog vom 31. Dezember 2017)
Download:Vernehmlassung Etappe 2 Sachplan V3
Kommentar zur Frage der Erschliessung der Lager durch Stollen oder Schächte: Bezüglich der Erschliessung der Lager steht das Projekt der NAGRA weit hinter den Erwartungen zurück. Die KNS schrieb hierzu im Juni 2011: [1]„Bei der Erschliessung der Untertagebauten betrachtet die NAGRA neu auch Varianten, bei welchen die Erschliessung ausschliesslich mit Vertikalschächten erfolgt. Die KNS erwartet bei diesen Varianten Vorteile gegenüber solchen mit Rampen. So kann bei einem Schacht eine vorgängige Erkundung zuverlässig und ohne grossen Aufwand mit einer Bohrung erfolgen. Auch die Abdichtung von wasserführenden Zonen ist bei einem Schacht weniger anspruchsvoll als bei einer Rampe.“
Der dichte Verschluss von Untertagebauwerken ist eine Herausforderung bezüglich der hydraulischen Langzeitisolierung eines Tiefenlagers. Heute liegen keine experimentell validierten Erfahrungen für dauerhafte Verschlüsse von Bergwerken in hunderten bis 1000 m Tiefe vor. Schon gar nicht in Tongesteinen. Es ist notwendig, Schwachstellenanalysen von Rampen und Schächten zu erarbeiten, um die Erschliessungsvarianten für den Opalinuston risikomässig überhaupt vergleichen zu können. Diese Arbeiten wurden vom ENSI bisher – wenn überhaupt – nicht im gewünschten Ausmass verlangt. Der im Auftrag des ENSI angefertigte Fachbericht „Ergänzende Sicherheitsbetrachtungen für die Zugangswerke“ von Basler+Hoffmann [2]zum Beispiel, gibt genau auf diese Fragen keine Antworten. Das ENSI hat keine Möglichkeit, von den Entsorgungspflichtigen entsprechende Konzepte mittels Verfügung zu verlangen. Auf diesen konkreten Missstand, dass die Aufsichtsbehörden die Entsorgungspflichtigen nicht via Verfügung dazu verpflichten können, solch offensichtliche konzeptionelle Schwachstellen zu beheben, dürfte eines der fundamentalen Probleme im Organisationsmodell des Schweizer Entsorgungsprogramms sein.
Ein besonders wichtiger Aspekt der Lagererschliessung betrifft die Frage der Fluchtwege bei Unfällen (Feuer, Explosion) im Lager. Die Frage unabhängiger Fluchtwege kann erst im Rahmen einer Gesamtkonzeption eines Tiefenlagers angegangen werden. Diese liegt heute nicht vor.
Zum Szenario Brand: Untertagebrände werden in der Regel massiv unterschätzt, wie das Beispiel des Brandes vom September 2002 in der Untertagedeponie Stocamine (Elsass, Frankreich) in eindrücklicher Weise zeigt. Allerdings waren dort keine Detektionsmassnahmen im Lagerbereich installiert (z.B. Rauchmelder) und die Interventions-Massnahmen kamen erst, als sich der Rauch in das angrenzende Kalirevier ausbreitete. Brände in Untertagedeponien für chemo-toxische Abfälle (z.B. UTD Herfa-Neurode), welche ausschliesslich mit Schächten erschlossen sind, sind bekannt. Sie konnten rechtzeitig gelöscht werden, weil entsprechende Überwachungs- und Interventionsdispositive installiert und funktionsfähig waren. Das Argument des Fluchtwegs via Rampe, das von NAGRA und ENSI vertreten wird, ist deshalb nicht stichhaltig. Auch dieser Aspekt ist einer unter vielen nicht gelösten Punkten der Lagerplanung.
Zu den Lagerkonzepten ist vor allem eines festzustellen: die Konzeption von 100 bis 1000 m langen Lagerstollen („Stumpen-Stollen“) ist allein schon aus dem Blickwinkel der Rückholbarkeit von eingelagerten Kanistern eine Fehlkonzeption. Der Ausbruch solcher Stollen ist nicht nur herausfordernd, wie dies die KNS feststellt. Seine Machbarkeit muss erst überhaupt von der Logistik her nachgewiesen werden. Das Management des Ausbruchs solcher Gesteinsmengen, die Problematik der Feinstaubentwicklung (auch auf die Funktionsfähigkeit von elektronischen Geräten und Installationen), die parallele Führung von Einlagerungsbetrieb und Bauphasen (nach Konzept der NAGRA) usw. müssten möglichst rasch bearbeitet werden. Dazu schrieb die KNS in ihrer Stellungnahme von 2011:
„Empfehlung 5: Lagerkonzepte
Die Lagerkonzepte sollen noch in Etappe 2 einer grundsätzlichen Überprüfung unterzogen und die entsprechenden Forschungsprojekte mit hoher Priorität bearbeitet werden. In die Überprüfung soll das gesamte Spektrum von machbaren Konzepten einbezogen werden, die dem EKRA-Konzept genügen. Die Ergebnisse dieser Überprüfung sollen den im Sachplanverfahren involvierten Fachgremien des Bundes und der Kantone zur Beurteilung unterbreitet werden.“
Empfehlungen: Die Frage der Erschliessung der Lager durch Stollen und/oder Schächte ist unter besonderer Berücksichtigung der Sicherheit und möglicher Störfälle in allen Bau- und Betriebsphasen objektiv zu prüfen. Dabei darf die heute durch die NAGRA bevorzugte Erschliessung durch Stollen (sogenannte „Rampe“) nicht willkürlich bevorzugt werden.
Abgrenzung optimierter Lagerperimeter und deren Bewertung
Kommentar zur Frage der Abgrenzung optimierter Lagerperimeter und deren Bewertung: Die Beurteilung der Frage der Lagerperimeter spielt vor allem beim Standort „Nördlich Lägern“ eine gewisse Rolle. Hier befürchtet die NAGRA, dass nicht genügend Raum für ein Lager zur Verfügung steht. Sie belegt dies aber nur sehr oberflächlich.
Die KNS weist in ihrer Stellungnahme auf ein Modell der NAGRA hin, das diese seit dem Jahr 2008 verwendet. Es handelt sich um eine schematische Figur, die einen Untergrund mit Lagerkammern und tektonischen Störungen abbildet. In diesem tektonisch beanspruchten Raum beabsichtigt die NAGRA ihr Lager zwischen den Störungszonen puzzleartig anzuordnen – und dies, ohne den Untergrund vorher untersucht und abgetastet zu haben! Die KNS weist mit der Formulierung, “die Datengrundlage“ sei „in den Standortgebieten noch nicht ausreichend, um bezüglich des Auftretens von anordnungsbestimmenden Elementen in den Lagerperimetern belastbare Aussagen treffen zu können“ genau auf diesen Punkt hin. Was die KNS hingegen nicht macht, ist ein solches Modell grundsätzlich zu hinterfragen. Es zeigt sich nämlich an diesen Überlegungen, dass sich die NAGRA sehr wohl bewusst ist, dass der Untergrund um und im Lagerbereich zerklüftet und sogar wasserführend sein könnte. Sie beabsichtigt die Lagerkammern so anzuordnen, dass sie mit Hilfe des Sicherheitsnachweises – also mit Modellen – einen Standort als geeignet gesundrechnen kann. Dieses Vorgehen erklärt auch, warum sich NAGRA und Behörden weigern, Ausschlusskriterien zu definieren. Sie fürchten auf wasserführende Störungszonen zu stossen, welche zur Aufgabe der Standorte führen müssten. Ein ergebnisoffenes Vorgehen müsste genau dies gewährleisten, was es aber nicht tut. Das Modell eines durch tektonische Störungen durchzogenen Standortgebietes sollte einer grundsätzlichen wissenschaftlichen Debatte unterzogen werden.
Empfehlung: Wir empfehlen, vor der weiteren Erkundung von möglichen Standorten für geologische Tiefenlager klare und verbindliche Ausschlusskriterien zu definieren. Dies gilt sowohl für die seitliche Abgrenzung, als auch für die minimale und maximale Lagertiefe.
Nutzungskonflikte
Kommentare zur Frage der Ressourcen- und Nutzungskonflikte: Die NAGRA behandelt die Frage der Ressourcen- und Nutzungskonflikte in sehr oberflächlicher Weise. Dabei konzentriert sie sich im Wesentlichen auf Ressourcen welche sich in höheren geologischen Niveaus als das Wirtgestein befinden. Die KNS bietet hierzu eine recht triftige Analyse: „Hinsichtlich des Kriteriums „Nutzungskonflikte“ und bezugnehmend auf eine frühere Empfehlung der KNS zur Berücksichtigung von Nutzungskonflikten im Standortauswahlprozess [KNS 23/219] stellt die Kommission fest, dass das ENSI und seine Experten die Angaben der NAGRA zu möglichen zukünftigen Nutzungskonflikten [NTB 14-02-vii] analysiert und bewertet haben [ENSI 33/454]. Die KNS ist der Ansicht, dass im Zusammenhang mit dem Nordschweizer Permokarbontrog der Frage zukünftiger Nutzungskonflikte in den von der NAGRA für Etappe 3 vorgeschlagenen Standortgebieten in der Nordschweiz von Relevanz ist. Aus Sicht der KNS ist es folglich sicherheitsgerichtet, dass mögliche Auswirkungen einer potentiellen Rohstoffförderung sowie geothermaler Nutzungen, insbesondere auch „hydraulic fracturing“, in Etappe 3 SGT genauer zu untersuchen sind, wie dies die Experten des ENSI empfehlen. Auch wenn heute eine Exploration und Nutzung von Rohstoffen im Bereich der möglichen geologischen Standortgebiete oftmals nicht wirtschaftlich bzw. nicht sinnvoll wäre, kann aus Sicht der KNS nicht belastbar abgeschätzt werden, wie sich die Bedeutung einzelner Rohstoffe und deren materielle Bewertung in Zukunft entwickeln werden. Aus Sicht der KNS ist daher der Vorrang des Schutzes eines geologischen Tiefenlagers vor Interessen der Rohstofferkundung und -nutzung langfristig sicherzustellen. In diesem Zusammenhang weist die KNS darauf hin, dass aus ihrer Sicht eine bessere Kenntnis der räumlichen Ausdehnung und des Aufbaus der Füllung des Nordschweizer Permokarbontrogs im weiteren Verlauf des Verfahrens angestrebt werden sollte.“
„Hinsichtlich der in der Umgebung der möglichen geologischen Standortgebiete in der Nordschweiz bestehenden Mineral- und Thermalwasservorkommen hält die KNS fest, dass die von der NAGRA entwickelten hydrogeologischen Lokalmodelle die Herkunft und die Fliesswege der Mineral- und Thermalwässer noch nicht in einem hinreichenden Detaillierungsgrad abbilden bzw. erklären können. Zur Bewertung zukünftiger Auswirkungen der untertägigen Lagerteile und deren Erschliessung auf bestehende Mineral- und Thermalwasservorkommen sowie möglicher Einflüsse geänderter bzw. neuer Nutzungen von Mineral- und Thermalwasservorkommen auf ein geologisches Tiefenlager sollte aus Sicht der KNS im weiteren Verlauf des Verfahrens eine detailliertere modelltechnische Lösung angestrebt werden, welche bereits vorliegende und neu gewonnene Daten integriert und entsprechende belastbare Aussagen ermöglicht.“
Empfehlung: In Sinne der obigen Aussagen empfehlen wir dringlich, den Permokarbontrog im Untergrund der Nordost-Schweiz gründlich (u.a. mit seismischen Methoden und Tiefbohrungen durch die ganze Sedimentfüllung hindurch) zu untersuchen und das Ressourcenpotential definitiv abzuklären. Am meisten betroffen sind durch diesen Trog die Standorte „Jura Ost“ und „Nördlich Lägern“.
Sicherheitstechnischer Vergleich der geologischen Standortgebiete; Entscheid-relevantes Merkmal „Langzeitstabilität der geologischen Barriere“
Kommentar zur Frage der Beschränkung der Langzeitstabilität der Barrieren durch Tiefenerosion durch Gletscher: An allen drei in der Etappe 2 identifizierten Standorten können Gletscher in künftigen Eiszeiten Tiefenerosion verursachen. Besonders gefährdet ist der Standort „Zürich Nordost“, welcher im Bereich tiefer glazialer Rinnen liegt. Sowohl die NAGRA, als auch die HSK und die beiden Fachkommissionen KNS und AG SiKa/KES gehen davon aus, dass solche Tiefenerosion in der Regel bereits bestehenden Talsystemen und geologischen Schwächezonen folgen würde. Dies ist allgemein betrachtet plausibel, wurde aber als „Regel“ in der Vergangenheit durch die Gletscher nicht immer beachtet. Äusserste Vorsicht ist daher geboten.
Der lange Kommentar der KNS zur Beurteilung der in Zukunft möglicherweise zu erwartenden Erosion zeigt das Unbehagen der Experten. Die Kommission wagt es allerdings nicht, die wichtigste Frage zu stellen: Darf man in einem Gebiet, welches in derartigem Mass durch Vereisungen, aber auch durch tektonische Veränderungen betroffen sein kann, darf man hier überhaupt an die Lagerung radioaktiver Abfälle denken? Und zur Erinnerung: In Zentral- und Westeuropa existieren sehr wohl geologisch weniger bedrohte Gebiete als der Nordosten der Schweiz.
Empfehlung: Der einzig mögliche Schutz gegen Gletschererosion ist die Überdeckung des Lagers mit möglichst mächtigen Gesteinsschichten. Auch das Meiden von bereits stark eingetieften Talachsen kann nützlich sein, bietet aber keinen absoluten Schutz. Im Zweifelsfalle müssen Gebiete welche durch neue Vereisungen betroffen sein können gemieden werden. Ein derartiger Entscheid würde allerdings die geologische Tiefenlagerung in der Schweiz vermutlich ausschliessen. Eine weitere Erforschung der Gletschererosion kann sicher empfohlen werden. Ob auswertbare Resultate zu erwartet werden können, ist allerdings nicht sicher.
[1] [3] KNS (2011): Sachplan geologische Tiefenlager, Stellungnahme zur Notwendigkeit ergänzender geologischer Untersuchungen in Etappe 2, KNS 23/247, Juni 2011, S. 20-22
[2] Basler&Hoffmann AG (2015): Ergänzende Sicherheitsbetrachtungen für Zugangsbauwerke, Expertenbericht im Rahmen der beurteilung des Vorschlags von mindestens zwei geologischen Standortgebieten pro Lagertyp, Etappe 2, Sachplan geologische Tiefenlager, September 2015
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