Foto: Lagerkaverne in der Deponie für chemische Abfälle in StocaMine (nach dem Feuer im September 2002)
www.francetvinfo.fr , 15/01/2018 | 12:56
Entsorgungsprojekt für radioaktive Abfälle in Bure: Die Behörde für nukleare Sicherheit meldet „Vorbehalte“ an
„Das Signal ist noch nicht auf Grün. Das Cigeo-Projekt zur Entsorgung radioaktiver Abfälle in Bure (Maas) „hat insgesamt eine zufriedenstellende technische Reife erreicht“. Die Behörde für nukleare Sicherheit (ASN) „hat jedoch Vorbehalte zu einem wichtigen Thema: dem von Bitumenabfällen“. Dies kündigt der Vorsitzende des nuklearen Gendarmen, Pierre-Franck Chevet, in einem Interview in Le Monde, Montag, 15. Januar an.
Leicht brennbarer Abfall
Dieser Abfall, der ungefähr 18% aller von Cigéo gelagerten Abfälle ausmachen wird, ist hochentzündlich. „In diesem Punkt muss die Andra [Nationale Agentur für die Entsorgung radioaktiver Abfälle] ihre Kopie überprüfen“, warnt der Chef der ASN. „Wenn dieses Thema nicht zufriedenstellend behandelt wird, wird die Lagerung dieses Abfalls durch die ASN nicht genehmigt.“
Das IRSN (Institut für Strahlenschutz und nukleare Sicherheit), der technische Arm der ASN, hatte das Problem angesprochen und Andra, die das Projekt leitet, gebeten, zwei Möglichkeiten zu untersuchen, um Abhilfe zu schaffen. Entweder die Möglichkeit einer Vorbehandlung dieser Abfälle zu prüfen, um ihre Entflammbarkeit vor der Entsorgung zu neutralisieren, oder das Lagerkonzept zu überprüfen. In ihrer endgültigen Stellungnahme fordert ASN, dass die erste Lösung bevorzugt, die zweite jedoch untersucht wird.“
Kommentar der Blog-Autoren
Das Projekt „Cigéo“ für die nukleare Entsorgung in Frankreich (Standort Bure) stellten wir in unseren Blog-Beiträgen vom 3. November 2015[1] und 18. Juli 2016[2] vor. Nun äussert sich also die nukleare Sicherheitsbehörde ASN zur Frage der Abfallkonditionierung und will de facto die Konditionierung von Abfällen mit Bitumen verbieten. Wir haben die Frage letztmals am 15. Mai 2015 unter dem Titel „Abfallkonditionierung: die beste, nicht die nächstbeste Lösung“ abgehandelt.[3] Anlass hierzu war die Publikation einer AGNEB – ENSI Studie zu eben dieser Frage, wobei es nicht nur um die Einbettung der Abfälle in Bitumen, sondern auch (oder vor allem) um organische Abfälle selbst ging.[4] Wir zitierten dabei die Studie wie folgt:
„Die AGNEB-ENSI Studie erkennt die Problematik der Organika und analysiert daher die möglichen Behandlungsarten von organischen Stoffen im radioaktiven Abfall, damit dieser möglichst vollständig mineralisiert wird, also seinen Gehalt an organischem Kohlenstoff möglichst verliert. Hierzu schreiben die Autoren des Berichtes: „Das Verbrennungsverfahren ist zwar am besten erforscht, aber für die hoch mit Aktivität beladenen Harze ungeeignet. Im Ergebnis stellt damit die endotherme, anaerobe Pyrolyse eine geeignete Methode dar, um höher radioaktive Materialien zu mineralisieren. Damit zeigen die Betrachtungen aus Sicht der Entsorgungspflichtigen, dass das Pyrolyseverfahren bei der Frage der Technologie, welche hoch mit Radioaktivität beladene IAH ( = Ionen Austauchharze) aus schweizerischen KKW zuverlässig mineralisieren könnten, im Vergleich mit anderen Methoden (beispielsweise Plasma- oder Verbrennungsverfahren) das Verfahren der Wahl ist.“
Und:“ Diesem Ergebnis kann man ohne Zögern beipflichten. Dann stellt sich allerdings die Frage, was folgende Projektempfehlung der Arbeitsgruppe bezweckt: „Eine erweiterte Nutzung der bestehenden Plasmaanlage (ZWILAG) zur Eliminierung bzw. Mineralisierung von organischen Stoffen ist zu prüfen“. Besser wäre wohl folgende Formulierung: „Die Arbeitsgruppe schlägt vor, für hoch mit Radioaktivität beladene Abfälle mit hohem Gehalt an organischen Stoffen die beste heute weltweit verfügbare technische Lösung einzuführen und damit alle, auch die bereits konditionierten Abfälle zu behandeln“.
Der Warnschuss der ASN betrifft alle Abfälle, welche in Bitumen konditioniert sind. Dabei geht es der französischen Sicherheitsbehörde in erster Linie um die Brandgefahr, ein Aspekt auf den sie wohl auch aufmerksam wurden, nachdem die unterirdische Chemiedeponie von StocaMine im Elsass im September 2002 durch einen, auf menschliche Fehler zurückgehenden Brand lahmgelegt und definitiv ausser Betrieb gesetzt wurde[5]: kein Wunder, denn der heutige Chef der ASN war damals Chef der elsässischen Umweltbehörde DRIRE. Der ebenfalls auf menschliche Fehler zurückgehende Fahrzeugbrand im amerikanischen Endlager WIPP (Waste Isolation Pilot Plant, New Mexico), für transuranische Abfälle im Februar 2014[6] hat die Bedeutung einer umfassenden Sicherheitskultur gegenüber Brandfällen in tiefen Bergwerken bestätigt. Auch dieser Brand dürfte der Aufmerksamkeit der ASN nicht entgangen sein. Damit stellt der Brandschutz, neben der Frage der Gasbildung, einen weiteren berechtigten Grund dafür dar, weshalb organische Stoffe in einem geologischen Tiefenlager nichts zu suchen haben! Die französische ASN hat die Zulassungsliste für ein geologisches Tiefenlager in Bure entsprechend angepasst: die Einlagerung von mit Bitumen verfestigte radioaktive Abfälle wird nicht genehmigt. Punkt! Man darf sich füglich fragen, wann das ENSI sich endlich einer solchen Massnahme anschliesst und die bituminösen und organischen Abfälle ebenfalls auf die rote Liste setzt.
Zum Vergleich: In deutschen Untertagedeponien – wie etwa der UTD Herfa-Neurode – gilt schon seit Jahrzehnten das Verbot der Einlagerung reaktiver und organischer Abfälle (Figur 1). Es ist schon „erstaunlich“ (ist es das wirklich?), dass die Schweizer Sicherheitsbehörde nicht schon längstens in dieser Art und Weise nachgezogen hat.
Figur 1: Ein Auszug aus den Positiv- und Negativlisten für UTDs chemo-toxischer Abfälle in Deutschland
Einmal mehr zeigt sich am Beispiel der „Bitumen-Abfälle“ wie die für die nukleare Sicherheit zuständigen Behörden in der Schweiz auf fachliche Kritik reagieren: Nämlich gar nicht, wenn ihnen diese nicht passt. Wir werden im Rahmen weiterer Blog-Beiträge zur Sicherheits- und Fehlerkultur diese Fragen wieder aufgreifen und die Mechanismen der Abwehrhaltungen vertieft untersuchen.
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