Titelbild:Schematische Gestaltung eines geologischen Tiefenlagers mit Testlager, Hauptlager und Pilotlager (EKRA 2000).
Im ersten Teil ihres Berichtes schlug die durch Bundesrat Leuenberger einberufene Expertengruppe Entsorgungskonzepte für radioaktive Abfälle (EKRA) Anfang des Jahres 2000 vor, geologische Tiefenlager für radioaktive Abfälle in drei unterschiedliche Lagerabschnitte zu gliedern (Titelbild):
- Testlager (später auch Testbereich genannt), in welchem die Eignung des Lagerstandortes in einem Felslabor untersucht wird
- Hauptlager, wo der Grossteil der Abfälle eingelagert und für eine kurze Zeit überwacht wird. Sodann wird dieses Lager geschlossen.
- Pilotlager, in welchem ein repräsentativer Satz von Abfällen eingelagert und für einen noch offenen Zeitraum überwacht wird.
Mit dieser Lageranlage sollte namentlich der gesellschaftlichen Forderung nach einer Lagerüberwachung Rechnung getragen werden. Bei Bedarf sollte Diese Überwachung sollte dazu dienen, den ggf. akuten Bedarf für eine Rückholung der Abfälle, rechtzeitig zu indizieren.
Die Expertengruppe umschrieb den allgemeinen Zweck des Pilotlagers wie folgt (op. cito. S. 40-41): Dabei handelt es sich um eine Anlage, in welcher Überwachung und Kontrolle im Rahmen der KGL (kontrolliertes geologisches Langzeitlager) durchgeführt werden können, ohne dass das Hauptlager im Hinblick auf eine spätere Überführung in ein GEL (geologisches Endlager) beeinträchtigt wird. Im Gegensatz zum Testlager ist das Pilotlagerräumlich vom Hauptlager getrennt und kann über einen längeren Zeitraum betrieben werden. . . .
In einem zweiten Bericht ging die Expertengruppe EKRA (2002) insbesondere auf institutionelle und organisatorische Aspekte der Entsorgung ein.
Das durch die EKRA beschriebene Konzept ging im Jahr 2003 als «Geologisches Tiefenlager» ins neue Kernenergiegesetz und im Jahr 2004 in die Kernenergieverordnung ein. Die Umsetzung wird durch die Richtlinie ENSI-G03 geregelt.
Mit Datum vom 24.05.2021 publiziert nun das ENSI als Aktennotiz ENSI-33/809 den «Schlussbericht zum AGNEB-Projekt «Auslegung und Inventar des Pilotlagers». https://www.ensi.ch/de/dokumente/schlussbericht-zum-agneb-projekt-auslegung-und-inventar-des-pilotlagers/
Der Bericht wurde mit folgendem Auftrag erstellt: «Ziel des Projekts «Auslegung und Inventar des Pilotlagers» war es, einen systematischen Überblick zu vermitteln, welche Prozesse in einem geologischen Tiefenlager ablaufen können und ob diese während der Beobachtungsphase überwachbar sind. Anhand der ablaufenden Prozesse im geologischen Tiefenlager wurden mögliche Konzepte zur Auslegung und zum Inventar des Pilotlagers diskutiert. Das Projekt sollte Grunderkenntnisse zum Bau und zur Überwachung (Monitoring) eines Pilotlagers erarbeiten. Grundlage der Diskussion im Projekt bildete der berücksichtigte Stand von Wissenschaft und Technik. Das Projekt beinhaltete eine Bestandsaufnahme. Ausserdem sollte es aufzeigen, ob Handlungsbedarf für weitere Anforderungen an ein Pilotlager eines geologischen Tiefenlagers besteht, um diesen in der Neuausgabe der Richtlinie ENSI-G03 zu berücksichtigen. Der Bericht dient nicht dazu, konkrete Handlungsanweisungen abzuleiten, sondern grundsätzliche Themen und Gesichtspunkte zu beleuchten.»
Mit diesem Bericht wird das Konzept des Pilotlagers erstmals seit der Publikation der EKRA-Berichte in den Jahren 2000 und 2002 vertieft betrachtet, diskutiert und präzisiert. Das Inventar der dereinst im Pilotlager einzulagernden Abfälle wird angesprochen, aber noch nicht festgelegt. Ganz allgemein betrachtet folgt der Bericht den Empfehlungen der EKRA und unterstreicht die Wichtigkeit dieses Überwachungslagers. Sowohl Entsorger als auch Behörden erhalten damit nützliche Vorgaben für die Planung und Ausführung des Projektes und den dereinstigen Betrieb des Pilotlagers. Zu gewissen Aspekten bleibt allerdings aus unserer Sicht Klärungsbedarf:
- Trennung von Hauptlager und Testbereich vom Pilotlager: Der Bericht des ENSI folgt dem Vorschlag der Nagra, das Pilotlager auf demselben Niveau wie Hauptlager und Testbereich, mit direkten Stollenverbindungen zu diesen anzulegen. Dies steht in klarem Widerspruch zum Vorschlag der EKRA, welche das Pilotlager mit einem eigenen Zugang, klar vom Hauptlager und dem Testbereich platziert. Dank dieser Trennung soll die Integrität der beiden Lagerbereiche bei einem eventuellen Störfall (Überflutung, radioaktive Verseuchung) verhindert werden. Der Bericht des ENSI muss in diesem Sinne korrigiert werden.
- Betreiberorganisation: In Anlehnung an die Kernenergieverordnung übernimmt das ENSI die Vorgabe, dass das Pilotlager dereinst durch die Entsorgerorganisation (die NAGRA) gebaut und betrieben wird. Die entspricht nicht den Vorstellungen der EKRA, welche die Lagerüberwachung als langfristige öffentliche Aufgabe ansah. Diese Frage verdient eine vertiefte Betrachtung und Debatte, unter Berücksichtigung der langfristigen öffentlichen Interessen, namentlich bezüglich der Erhaltung der Fachkompetenzen, der Stabilität und Verlässlichkeit der Institutionen und der Finanzierung.
- Betriebsdauer, Dauer der Überwachung im Pilotlager: Zur Betriebsdauer des Pilotlagers schreibt das ENSI (S. 21): «Für Planungszwecke wird gemäss Art. 3 SEFV in den Kostenstudien
und damit auch im Entsorgungsprogramm von 50 Jahren ausgegangen. Damit wäre die Überwachung des Pilotlagers tatsächlich über etwa 70 Jahre möglich. Zusätzlich könnten aus den Testbereichen über einen Zeitraum von etwa 100 Jahren Beobachtungen zur Verfügung stehen (unter der Annahme, dass die Untersuchungen in den EUU direkt in die Testbereiche überführt werden). Für die Auswahl der während der Beobachtungszeit auftretenden Prozesse im Pilotlager wird für die folgende Diskussion ein Zeitraum von maximal 100 Jahren angenommen. Ausserdem wird diskutiert, inwieweit eine Verlängerung um weitere 50 Jahre den Umfang der Prozesse erweitern könnte. Prozesse, die innerhalb dieses Zeitfensters auftreten, werden als relevant für das Pilotlager eingestuft. Die tatsächliche messtechnische Erfassbarkeit der prozessrelevanten Parameter wird nur bedingt berücksichtigt, da es
hier um die generelle Diskussion der Prozesse im Pilotlager und der Wahl einer geeigneten Dauer für die Beobachtungsphase geht. Ausserdem könnten zukünftige technische Entwicklungen die Überwachungsmöglichkeiten deutlich verbessern.»
Hierzu ist festzuhalten, dass die Überwachungsdauer im Pilotlager gemäss EKRA nicht heute festgelegt wird, sondern dereinst durch die betroffene Generation bestimmt wird. Dass heute eine «Planungsgrösse» festgelegt wird, ist akzeptabel, darf aber nicht als «Zielgrösse» verstanden werden. Wird die Überwachung dereinst verlängert, so ist die Annahme wohl begründet, dass der Staat die Finanzierung zu übernehmen haben wird. In diesem Sinne sind die im Bericht formulierten Überlegungen zur Lebensdauer der zur Überwachung verwendeten Apparaturen, deren Weiterentwicklung, und allenfalls deren Ersatz, von Wichtigkeit.
Referenzen
EKRA 2000: Entsorgungskonzepte für radioaktive Abfälle. Bundesamt für Energie, Bern, 95 p. file:///Users/wildi/Downloads/322-Entsorgungskonzepte%20f%C3%BCr%20radioaktive%20Abf%C3%A4lle,%20Schlussbericht%20d.pdf
EKRA 2002: Beitrag zur Entsorgungsstrategie für die radioaktiven Abfälle in der Schweiz. Bundesamt für Energie, Bern, 72 p.
ENSI 2021: Schlussbericht zum AGNES-Projekt «Auslegung und Inventar des Pilotlagers». ENSI Aktennotiz 33 809. https://www.ensi.ch/de/dokumente/schlussbericht-zum-agneb-projekt-auslegung-und-inventar-des-pilotlagers/
ENSI Richtlinie-G03: Geologische Tiefenlager
Kernenergiegesetz (KEG) vom 21. März 2003
Kernenergieverordnung (KEV) vom 10. Dezember 2004
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