Anhörung zur Richtlinie Ensi-G03: «Geologische Tiefenlager»
Bemerkungen der Blog-Autoren «www.nuclearwaste.org»
Von Marcos Buser, André Lambert und Walter Wildi
Mit Datum vom 26. September publiziert das Ensi den Entwurf einer revidierten Version zur Richtlinie G03 «Geologische Tiefenlager» zur externen Anhörung. Mit dem vorliegenden Beitrag nehmen die Autoren des Blogs «www.nuclearwaste.org» Stellung zum Entwurf. Unser Beitrag gliedert sich in einen redigierten Teil von allgemeinen Kommentaren und Bemerkungen, welche direkt aus dem PDF-File des Ensi-Entwurfes ersichtlich sind.
1 Aktuelle Richtlinie <-> Projekt für neue Richtlinie
Die heute geltende Richtlinie kann hier heruntergeladen werden
Unser Beitrag gliedert sich in einen redigierten Teil von allgemeinen Kommentaren und Bemerkungen, welche direkt aus dem PDF-File des Ensi-Entwurfes ersichtlich sind. Die allgemeinen Kommentare finden sich unter:
Annotiertes Ensi-PDF:
ENSI-G03_D_Externe_Anhörung-Detail
2 Allgemeine Kommentare zur Richtlinie
Wichtige Kommentare und Einwände betreffen:
- Zweck und Ziel der Richtlinie im Prozessablauf der nuklearen Entsorgung sind nicht oder nur schlecht definiert. Wird diese Richtlinie speziell im Hinblick auf das Gesuch um Rahmenbewilligung herausgegeben? In jedem Fall fehlt eine klare Unterteilung in die für die Langzeitsicherheit entscheidenden Phasen Rahmenbewilligung, Nukleare Baubewilligung, Nukleare Betriebsbewilligung und Verschlussverfügung. Im Besonderen sind die jeweiligen Grundlagen zu benennen, die als unabdingbare Prämissen für die Inangriffnahme der nächsten Phase vorauszusetzen sind.
- Beziehung zu Kernenergiegesetz (KEG) und Kernenergieverordnung (KEV): Im vorliegenden Entwurf werden Aspekte zu einer sehr breiten Thematik erwähnt und mit mehr oder weniger Tiefgang behandelt. Die meisten (aber nicht alle) Aspekte sind auch durch das KEG und die KEV teilweise abgedeckt. Dies sollte im Entwurf systematischer nachgewiesen werden. Generell ist das Verhältnis zwischen Gesetz, Verordnung und Richtlinie der Sicherheitsbehörde genauer zu definieren, bzw. im Text zu bezeichnen.
- Regulatorische „Evolution“: Die Richtlinie wirkt ausgesprochen statisch. Sie geht vom gegenwärtigen Stand des Wissens und der Gesetzgebung aus. Das ist legitim. Trotzdem sollten denkbare regulatorische Änderungen in der Zukunft zumindest umschrieben werden. Was geschähe beispielsweise, wenn das radiologische Schutzziel einmal soweit verschärft werden müsste, dass es mit den heute vorgesehenen Entsorgungskonzepten nicht mehr eingehalten werden könnte?
- Standortcharakterisierung: Der Begriff „Standortcharakterisierung“ ist an einer einzigen Stelle erwähnt (6.1, Bst.f), erscheint aber nicht im Glossar und ist weder definiert noch im Prozess eingeordnet. Dabei ist sie die grundlegende Synthese der Untertage-Exploration. Diese Synthese muss als unabdingbare Grundlage der weiteren Implementierung, d.h. spätestens dem Gesuch zur Nuklearen Betriebsbewilligung beiliegen.
- Abbruchkriterien: Hinsichtlich der Untertage-Exploration sind verbindliche, möglichst quantitative Kriterien vorzugeben, deren Nicht-Einhaltung, bzw. Nicht-Einhaltbarkeit die (Langzeit-)Sicherheit der Entsorgungsanlage in Frage stellen würden. Für diesen Fall sind die sich daraus ergebenden Entscheidungsprozesse hinsichtlich des weiteren Vorgehens zu umschreiben.
- Grundinformationen (z.B. Fristen für die Lagerüberwachung und die Offenhaltung der Möglichkeit der Rückholung) finden sich in der Richtlinie nicht wieder. Und was geschieht, wenn sich im Verlauf der Standortcharakterisierung abzeichnen sollte, dass die geologisch-technischen Gegebenheiten auf dem Territorium der Schweiz den Sicherheitsanforderungen nicht genügen können?
- Neue Begriffe (“Nebenzugangsanlagen”?) werden ohne entsprechenden gesetzlichen Hintergrund eingeführt. Ist dies so haltbar?
- Institutionelle Aspekte: Institutionelle und organisatorische Aspekte spielen bei der Entsorgung und der Lagersicherheit eine grosse Rolle. Sie werden durch den vorliegenden Entwurf nicht abgedeckt. Ist hierzu eine weitere Richtlinie geplant? Wenn nicht, so wäre hierzu eine umfassende Ergänzung erforderlich.
- Sicherheit und Machbarkeit: Aussagen zu Sicherheit und Machbarkeit beruhen derzeit weitgehend auf Konzepten und Modellen. Z.T. sollen sie (namentlich Einlagerung und Rückholung) erst in der geplanten Anlage (Testbereiche) durch eine Demonstration nachgewiesen werden. Dies ist eine kapitale Fehlplanung! Denn einmal gebaut, kann eine Entsorgungsanlage notfalls nur sehr schwer, und wenn überhaupt, mit grossem Aufwand und entsprechenden Kosten angepasst werden. Zudem wäre dies auch wirtschaftlicher Widersinn, wenn derart zentrale Fragen mit ungewisser Erfolgsaussicht erst nach der Investition von immensen Baukosten (für Schacht, Rampen und Tunnels) in hoher dreistelliger Millionenhöhe angegangen würden!
Folgende Ergänzungen der Richtlinie sind diesbezüglich vorzusehen:
- Aufzählung aller durch Demonstrationen nachzuweisenden Konzepte, Modelle und Prozesse.
- Vorgabe des Zeitpunktes in welchem der Nachweis durch Demonstration vorliegen muss: vorzugsweise vor dem Rahmenbewilligungsverfahren, spätestens dokumentiert im Gesuch für die Nukleare Baubewilligung als unabdingbare Voraussetzung zu ihrer Erteilung.
- Umfang des Sicherheitsnachweises: Sicherung und Sicherheit gehören zum Sicherheitsnachweis. Um diesen Anliegen nachzukommen ist eine Analyse der verschiedenen Aspekte des menschlichen Eindringens unumgänglich. Wir verstehen, dass es sich um einen bis anhin wenig bearbeiteten Fragenkomplex handelt. Da aber in der weiteren Zukunft das menschliche Eindringen (bewusst, unbewusst, beabsichtigt, unbeabsichtigt, direkt, indirekt . . .) eventuell eine der wahrscheinlichsten Bedrohungen der Lagersicherheit darstellen, kann man die Frage nicht einfach verdrängen.
- Periodische Anpassung des Sicherheitsnachweises: Gemäss Abschn. 9, Bst. D ist der „Sicherheitsnachweis periodisch gemäss aktuellem Zustand der Anlage sowie bei Vorliegen neuer Erkenntnisse anzupassen“. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach wie vor, d.h. während der gesamten Phase der Standortsuche gemäss SGT, der aus dem Jahr 2002 stammende Sicherheitsnachweis „gilt“, obschon wesentliche neue Erkenntnisse vorliegen und grundlegende Änderungen des Einlagerungskonzepts eine Neubeurteilung der Sicherheit dringend nahelegen. Die Behörden sollten den Entsorgungspflichtigen hinsichtlich ihrer Standort-Bekanntgabe für die Ausarbeitung des RBG eine entsprechende Auflage machen. Denn es darf nicht sein, dass ein derart kapitaler Entscheid auf der Grundlage eines überholten Einlagerungskonzepts beruht, das die Langzeitsicherheit womöglich gar nicht mehr gewähren kann.
- Funktionen und Auslegung der verschiedenen Anlagen: Die Richtlinie übernimmt, bzw. stützt sich, teilweise bis ins Detail, auf die bestehenden Konzepte der Nagra, ohne diese zu hinterfragen. Dies muss aber auch explizit in der Richtlinie bekundet sein. Die Richtlinie behandelt die Auslegung der verschiedenen Anlageteile sehr stiefmütterlich. So finden sich praktisch keine Vorgaben zur Auslegung der Zugangsanlagen (Stollen, Schächte).
Viel zu wenig findet sich zu den Testbereichen. Welche Aspekte sollen in diesen Bereichen zwingend untersucht, bzw. welche Fragen müssen überzeugend beantwortet sein, bevor die nächsten Bewilligungsphasen in Angriff genommen werden können?
Vollkommen ungenügend sind die Vorgaben zum Pilotlager. Wie soll was und wie lange „gemessen“ werden? Was, wenn Messsysteme irreversibel ausser Funktion geraten? Welche Institutionen entscheiden in diesem Fall über das weitere Vorgehen? Die Richtlinie ist diesbezüglich grundlegend zu überarbeiten.
3 Das Schlüsselelement der Rückholbarkeit
Ein zentrales Element ist die im KEG geforderte Rückholbarkeit der Abfälle. Der G03-Entwurf enthält dazu unter Ziffer 7.4.1 fest, dass „ein geologisches Tiefenlager einschliesslich der Tiefenlagerbehälter … so auszulegen » sei, « dass eine Rückholung der radioaktiven Abfälle ohne grossen Aufwand möglich » sei. Sehr viel mehr dazu sagt der G03-Entwurf zu diesem zentralen, die Langzeitsicherheit und damit die Akzeptanz eines Tiefenlager-Projektes massgebend bestimmenden Element aber nicht (Ziffer 7.4.2). Insbesondere fehlt die Forderung nach einem Nachweis der Rückholbarkeit in industriellem Massstab – also der Rückbau eines ganzen Lagerstollens unter Einhaltung der Strahlenschutzbestimmungen. Was dies für logistische Konsequenzen hätte, wäre in einer solchen Richtlinie zumindest anzusprechen.
4 Wie weiter?
Geologische Tiefenlagerung ist ein komplexes Unterfangen, welches mit der vorliegenden Richtlinie nur beschränkt erfasst wird. Nicht hinreichend definiert sind namentlich die Planungsprozesse und die Definition einer Prozedur, die die verschiedenen Arbeitsschritte der Realisierung, ihren Inhalt, die angewendeten Methoden, den Tiefgang und die voraussichtliche Zeitdauer beinhaltet. Ziel ist der glaubwürdige, auf industrieller Reife beruhende Nachweis der technischen Machbarkeit. Erst auf dieser Stufe kann letztendlich die Gesamtbeurteilung des Unternehmens erfolgen.
Auch wenn Richtlinien als Vollzugshilfen streng genommen keine gesetzgeberische Verbindlichkeit haben, werden sie von der Verwaltung und den Gerichten in der Regel wie Rechtsnormen behandelt. Gerade bei derart grundlegenden Fragestellungen hat die Festlegung solcher Handlungsprinzipien im Alltagsgeschäft grosse Bedeutung. Inwieweit eine Überarbeitung einer derart wichtigen Vollzugshilfe ohne weitere Prüfung und Diskussion mit betroffenen Kantonen, Regionen und Expertenkreisen festgelegt werden soll, ist tatsächlich fraglich. Denn das heute verfolgte Lagerkonzept der Nagra ist als Grundkonzeption so nicht haltbar. Die Grundprinzipien bei Planung und Vorgehen dieses komplexen Projektes sind zudem in vielen Punkten falsch oder zumindest diskutabel. Aus dieser Sicht wäre zumindest zu überlegen, ob eine solche Richtlinie nicht einer vorgängigen erweiterten Prüfung und Diskussion bedürfte, damit sie von den verschiedenen Playern in ihren Kernelementen auch akzeptiert werden kann. Und zwar bevor sie verabschiedet wird. Schliesslich geht es darum, das Projekt „geologische Tiefenlager“ in eine realistische und umsetzbare Richtung glaubwürdig weiter zu entwickeln, die nicht schon bald wieder in fundamentalen Fragen überarbeitet werden muss.
Und ich dachte, in der Schweizer Verwaltung sind alles Fachleute die pünktlichund vorausschauend planen. Aber nein, etwas/jemand muss sie bremsen. zeitnot? Politik? wirtschaft? Nichtwissen? Nichtwollen?