(Titelbild: Korallenriff beim Eingangsportal zum Felslabor Mont Terri der Swisstopo)
Von Marcos Buser, André Lambert und Walter Wildi
Vorspann
Die Sicherheitsanforderungen an geologische Tiefenlager sind im Kernenergiegesetz (KEG Kapitel 5), in der Kernenergieverordnung (KEV Kapitel 5) und in der ENSI–Richtlinie G03 festgelegt. Das Schutzziel für den Langzeitschutz findet sich in der KEV § 4.3.2.a und lautet: «Für keine zukünftige Entwicklung eines Tiefenlagers darf die Freisetzung von Radionukliden zu einer Individualdosis grösser als 0,1 mSv pro Jahr oder zu einer Überschreitung des Risikorichtwerts gemäss Kriterium (b) in Absatz 2.15 des IAEA Safety Standard SSR-5 führen.»
Im Rahmen des aktuell laufenden Sachplan geologische Tiefenlager (SGT) kommen Auswahlkriterien zum Zug, welche in folgenden Dokumenten beschrieben sind:
- Sachplan geologische Tiefenlager – Konzeptteil, Bundesamt für Energie BFE, 2010.
- «Herleitung, Beschreibung und Anwendung der sicherheitstechnischen Kriterien für die Standortevaluation», Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen, HSK 33/001, 2007.
Man könnte denken, dass dies eine genügende Basis für die Beurteilung der Resultate der aktuell laufenden Tiefbohrungen der Nagra in den drei Standortregionen Bözberg (Jura Ost), Lägern Nord und Zürcher Weinland (Zürich Nordost) sein sollte. Auch für die später folgenden geologischen Untersuchungen im Testbereichs eines Lagers, oder gar in den Lagerstollen, sollen sie wirksam sein. Sie sind es aber, wie erste Aussagen der Nagra zu bereits abgeteuften Bohrungen zeigen, heute nicht. Damit bestätigt sich die Erfahrung im Kanton Nidwalden zum Projekt Wellenberg, als die Kantonsregierung, die Bevölkerung und die durch den Kanton eingesetzte Kantonale Fachgruppe Wellenberg (KFW) in den Jahren 2000-2001 die Definition von projektspezifischen Ausschlusskriterien durchsetzten[1], (HSK 2000). Dadurch sollte namentlich verhindert werden, dass das Projekt trotz offensichtlicher Schwächen schlussendlich im Rahmen des Sicherheitsnachweises «gesund gerechnet» werden kann.
Ausschlusskriterien sollten auch im Rahmen der laufenden Standorterkundung und -vergleiche präziser formuliert werden, als in den oben erwähnten Unterlagen. Als bevorzugte Wirtsgesteinsformation zur Aufnahme der Tiefenlager erwies sich aufgrund des bisherigen Einengungsverfahrens das Tongestein Opalinuston; soweit auch bekannt sind in groben Zügen die geologischen Rahmenbedingungen in den drei Standortregionen. Unter diesen Umständen können plausible, robust erscheinende Resultate, bzw. Resultate, welche auf offensichtliche Schwächen eines Standortes hinweisen, relativ leicht identifiziert werden. Es ist auch möglich und sinnvoll, in Gesetz und Verordnung sehr offen formulierte Bedingungen zu präzisieren (z. B. Ressourcenkonflikt: «Wie dick darf ein Kohlenflöz im Untergrund sein, und wie viel Kohle darf im Standortgebiet vorhanden sein, bevor der Standort ausgeschlossen wird?»).
Ein Interesse an klar formulierten Ausschlusskriterien, haben an sich alle betroffenen Parteien. Am offensichtlichsten ist dies für die Standortkantone und -regionen und ihre Bevölkerung. Und diese haben schon mehrfach in diesem Sinne interveniert, etwa im Rahmen des Gesamtberichtes zu Etappe 2 und vorbereitenden Arbeiten[2]. Doch die zuständigen Bundesstellen verweigern ihnen das Gehör.
Vor allem für sie schlagen wir hier ein Verfahren vor, wie Ausschlusskriterien unter Einbezug der betroffenen Regionen entwickelt werden könnten. Ein ähnliches Verfahren wandte die deutsche StandAG an, als es darum ging, Ausschlusskriterien und Mindestanforderungen für die deutsche Standortsuche für ein Tiefenlager für hochradioaktive Abfälle zu entwickeln. Diese Ausschlusskriterien und Mindestanforderungen sind in den Paragraphen 22 und 23 des Standortsuchgesetzes niedergelegt.[3]
Ausschlusskriterien müssen in einem definierten Erarbeitungs-Prozess entwickelt werden
- Bestimmung einer [von allen Beteiligten anerkannten] verfahrensführenden Institution, z.B. wiss. Kommission, ENSI usw., Definition Pflichtenheft
- Bestimmung der Entwicklungsregeln (z.B. Transparenz des Prozesses, Ausschluss gewisser Beteiligter [Verursacher], Verhinderung, dass Nagra wie beim Sachplankonzept ihre partikulären Interessen einseitig einbringt)
- Bestimmung des Prozesses: Art und Weise, wie die Kriterien entwickelt, begutachtet und festgelegt werden.
- Ausführung des Prozesses und Gewährleistung des Qualitätssicherungsprozesses
Um diese Diskussion wieder anzufachen, formulieren wir eine Anzahl von möglichen Ausschlusskriterien, die Eingang in ein solches Verfahren finden könnten. Dabei bleiben wir auf dem Niveau des Vorschlags von möglichen und aus unserer Sicht sinnvoll erscheinenden Ausschlusskriterien. Schlussendlich ist es Aufgabe des ENSI bzw. einer vom Bund bestellten, von den Interessen der Verursacher unabhängigen Kommission, solche Kriterien auszuarbeiten und numerische Werte zu ermitteln. Wir verweisen übrigens an dieser Stelle auch auf unser 1981 publiziertes Buch „Wege aus der Entsorgungsfalle“[4], das einen Prozess beschreibt, wie Kriteriensets entwickelt und differenziert werden können – inklusiv die zu dieser Zeit verfügbaren methodischen Ansätze.[5] Dieser Verweis zeigt eigentlich, dass schon damals alle methodischen Grundlagen vorhanden waren, um robuste und weitsichtige Ausschlusskriterien zu entwickeln.
Ausschlusskriterien, ein Vorschlag
Die hier vorgeschlagenen Kriterien sind dazu bestimmt, Resultate aus geologischen Sondierungen, welcher Art auch immer, im Rahmen der Standortwahl, bzw. der Standortuntersuchungen generell zu beurteilen. Sie ersetzen die gesetzlich geforderte Sicherheitsanalyse nicht, sondern sind komplementär. Die hier vorgeschlagenen Kriterien sollten durch das ENSI oder eine andere vom Bund eingesetzte Kommission geprüft, allenfalls angepasst und erweitert bzw. quantifiziert werden.
Barrierenfunktion Wirtsgestein Opalinuston:
- Minimale Mächtigkeit
- Einschlüsse: Einschlüsse von Kalksteinschichten oder Sandsteinen
Barrierenfunktion Obere Rahmengesteine (Gesteinsformationen zwischen Opalinuston und Birmenstorfer Schichten):
- Die maximal zulässige Mächtigkeit (oder Prozentsatz) detritischer (oolithischer, spätiger) Kalke oder biogener Kalke, Vorkommen von Grundwässern im Hangenden
Barrierenfunktion Untere Rahmengesteine (Lias, Keuper):
- Maximale Mächtigkeit von Salzschichten, Karst, Vorkommen von Grundwässern im Liegenden
Ressourcenkonflikt Permokarbon-Trog:
- Gesamtmächtigkeit von Kohleflözen; maximale Mächtigkeit eines einzelnen Kohleflözes
- Gas, Erdoel: maximale ausbeutbare Vorkommen
- Erzvorkommen: maximale ausbeutbare Mengen
Ressourcenkonflikt Grundwasser und Geothermie im Nah- und Fernfeld eines Tiefenlagers:
- Ergiebigkeit von Aquiferen
- Geothermisches Potential
Überdeckung, Schutz vor Glazialerosion:
- Überdeckung durch Festgestein (unter Quartärbasis)
Tektonische Störungen, Brüche:
- Minimale seitliche Distanz eines Lagerbereichs von tektonischen Störungen welche das Wirtsgestein durchbrechen
- Scherflächen und Aufschiebungen innerhalb des Wirtgesteins
Der Krug geht zum Brunnen bis er bricht …
Dieses alte deutsche Sprichwort weist eigentlich den Weg, der heute in Sachen Verfahrensprozesse für die Beurteilung der noch verbleibenden Standorte beschritten werden sollte. Das Thema der Ausschlusskriterien betrifft nicht nur einen äusserst sensiblen Bereich, er ist nämlich eine allesentscheidende Grundlage für die Schaffung von Akzeptanz des Verfahrens durch die Bevölkerung. Ohne ein allseitig mehr oder weniger akzeptiertes Verfahren, wird sich diese Akzeptanz in den Regionen und Kantonen nicht gewinnen lassen. Der Krug ging auch im Projekt Wellenberg bis zum Brunnen, bis er im September 2002 zerbrach. Die verantwortlichen Steuermänner und -frauen in Bern sollten sich des Risikos bewusst sein, die ein solcher Absturz für das nukleare Entsorgungsprogramm der Schweiz haben könnte.
Referenzen
[1] NZZ 25.09.2001: Transparenz durch Ausschlusskriterien. https://www.nzz.ch/article7OBOA-1.479692;
HSK, 2003, Jahresbericht 2002, Hauptabteilung für die Sicherheit von Kernanlagen, S. 64-65, https://static.ensi.ch/1312874935/jabe02d.pdf (29.01.2020).
HSK 2000: Anforderungen der HSK an das Projekt eines Lagers für schwach- und mittelaktive Abfälle (SMA) am Wellenberg unter Berücksichtigung der Empfehlungen der Expertengruppe EKRA. Anforderungen_der_HSK_an_das_Projekt_eines_Lagers_für_schwach-_und_mittelaktive_Abfälle_SMA_am_Wellenberg-1
[2] Regionalkonferenz Zürich Nordost, 2016, Definitiver Gesamtbericht der Regionalkonferenz ZNO zur Etappe 2 des Sachplanverfahrens „Geologisches Tiefenlager“, 19. März 2016, S. 10, 16-21, 28 und 48, https://www.zuerichnordost.ch/fileadmin/user_upload/Bibliothek/Gesamtbericht_Etappe_2/Gesamtbericht__ZNO_V9_1_13_04_2016_definitiv.pdf (30.01.2020); Regionalkonferenz Zürich Nordost, 2015, Nachvollziehbarkeit des Einengungsvorschlags der Nagra, Bericht der Fachgruppe Sicherheit Zürich Nordost gemäss Leistungsvereinbarung 2015, 28.10.2015, S. 28, 42, https://www.zuerichnordost.ch/fileadmin/user_upload/Bibliothek/Gesamtbericht_Etappe_2/Grundlagen_Gesamtbericht_8_3_Stellungnahme__Fachgruppe_Sicherheit.pdf (30.01.2020), und weitere Grundlagen zum Gesamtbericht 2016.
[3] Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, Bundesamt für Justiz, Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standorts für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle, https://www.gesetze-im-internet.de/standag_2017/ (28.01.2020).
[4] Buser, M., Wildi, W. 1981, Wege aus der Entsorgungsfalle, Schweiz. Energie-Stiftung, S. 44-49.
[5] siehe z.B. auch DOE, 1979, Management of commercially generated radioactive waste, Vol. 1 & 2, U.S. Department of Energy, Washington, D.C. 20545, DOE/EIS-0046-D
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