Titelbild: Das verstrahlte Pripiat bei Tchernobyl im Herbst (https://njhh.dk/tjernobyl/kort-og-grafer.html)
Marignano (1515) – Swissair (2002) – UBS & Co.(2008) – AXPO & Co (2016)
Eine kurze Liste verlorener Schweizer Schlachten mit einem zünftigen Grad an Selbstverschuldung und mit einer deftigen Prise an Arroganz, Uneinsichtigkeit und fehlender Demut gewürzt; auf dem Niveau der Chefetagen, bzw. selbst der Regierungen, sei es der Tagsatzung vor der Besetzung der Lombardei, sei es des Bundesrates und des Parlaments mit der unglücklichen Atompolitik der vergangenen 60 Jahre. Die Geschichte für die Geschichtsbücher wurde in diesem Punkt allerdings seit langem geschrieben (siehe in unserem Archiv die Blog Beiträge vom 4. Mai 2015, 31. Januar 2016, 29. März 2016 und 3. April 2016).
Das Ausmass der Niederlage in der „Schlacht von AXPO & Co“ geht aus der Sonntagspresse vom 30. Oktober 2016 hervor. Die Igelstellung der höchst offiziellen Schweizerischen Eidgenossenschaft wurde gleich an zwei Fronten durchbrochen: An der Kostenfront und an der Sicherheitsfront.
Kostenfront
In der Sonntagspresse haben die beiden Betreibergesellschaften die Katze aus dem Sack gelassen: AXPO glaubt an ein Loch von 4.1 Milliarden Franken um seine Kernkraftwerke zu schliessen[1], ALPIQ verlangt 2.5 Milliarden; total 6.6 Milliarden.
Diese Zahlen führten in den letzten Tagen bereits zu grossem Aufruhr in der Presse. Sie sind aber unvollständig, d.h. falsch. Die Fakten:
- Gemäss Kostenstudie KS2011 der Betreiber, wurden die Stilllegungs- und Entsorgungskosten vor 5 Jahren auf 20.5 Milliarden Franken geschätzt. Am Ende des Jahres 2015 (vor einem Jahr) betrugen die Einlagen in die Fonds ganze 6.2 Milliarden. Die Abrechnung pro 2016 liegt noch nicht vor, aber es dürften nach dieser Rechnung immer noch mehr als 12 Milliarden fehlen.
- Für 2016 steht eine neue Kostenschätzung durch die Nagra in Aussicht. Sie dürfte kaum unter 24 Milliarden für die gesamten Stilllegungs- und Entsorgungskosten ausfallen. Falls dem so wäre, würden heute 16 Milliarden in der Kasse fehlen. Trend: steigend. Je später die Werke stillgelegt werden, desto mehr geht die Kontrolle aus dem Ruder.
In jedem Fall müssen konkursite oder in Schieflage gekommene Unternehmen dereinst erklären, wie sie in eine solche Situation gekommen sind. Denn diese war für alle absehbar, wie der renommierte Finanzexperte Kaspar Müller kürzlich erklärte. Ein sehr aufschlussreicher kleiner Film:
https://youtu.be/ZyESPPmBN-g
Dabei unterschätzt sogar ein derart versierter Finanzexperte wie Kaspar Müller die Kostenlawine, die in Sachen Stilllegung und Entsorgung auf uns zurollt. Es geht nicht um 10 oder 20 Milliarden mehr. Es geht um viel mehr, wie die Kostenentwicklung der letzten Jahre weltweit zeigt. Tendenz : massiv, andauernd und ohne absehbares Ende steigend. Niemand wagt mehr eine Prognose für ein Projekt, das die nächsten fünf bis zehn Generationen direkt und unmittelbar betreffen wird (siehe unsere Blog-Beiträge vom 29. März und 3. April 2016[1]). Auf alle Fälle: Die Werke werden die explodierenden Kosten und bei den heutigen Strompreisen sicher nicht mit dem Verkauf von selbst produziertem Strom bestreiten können (siehe hierzu unsere oben aufgeführten Blog-Beiträge; das aktuelle «Preishoch » für Strom ist durch den Stillstand (aus Sicherheitsgründen) von mehr als 20 Kernkraftwerken in Frankreich begründet).
Die zu erwartenden Kosten für Stillegung und Entsorgung erklären schlussendlich auch den hilflosen Versuch des CEO der ALPIQ die Kernkraftwerkbeteiligungen seiner Gesellschaft an EDF zu verschenken (Sonntagszeitung vom 6. November 2016). Dass diese fehl geschlagene «Geschenksaktion» just vor der Abstimmung über die Atomausstiegsinitiative bekannt wird, ist kein Zufall. Es zeigt nur überdeutlich, dass die Atomwirtschaft dieses «Schlupfloch» noch so gerne nutzen möchte. Dann müsste man auch die Übergabe der konkursiten Werke an den Staat nicht mehr organisieren, so wie dies die PR-Agentur Hirzel.Neef.Schmid im Februar 2016 vorschlug (siehe unser Blog-Beitrag vom 13.März 2016[2]). Darum sabotiert sie auch die Absichten des Bundes und der UVEK-Chefin, welche in erster Linie den Bund vor überrissenen Forderungen der Atombranche schützen will.
Also: Steuerzahler rüstet Euch, sei es im Rahmen der Bundessteuern (bei Annahme der Ausstiegsinitiative), sei es als kantonale Steuerzahler der AXPO- und ALPIQ-Kantone (bei Verwerfung der Ausstiegsinitiative).
Sicherheitsfront
Die Sonntagszeitung vom 30.10.2016 schreibt[2]: „In einem Rechtsverfahren um die Sicherheit des Atomkraftwerks Beznau stellt die Betreiberin Axpo die Gültigkeit zentraler Teile der Sicherheitsbestimmungen in Abrede. Elemente der sogenannten Ausserbetriebnahme-Verordnung seien «mangels gesetzlicher Grundlage unheilbar nichtig» sowie «bundesrechtswidrig und nicht anwendbar», heisst es in einer Eingabe der Axpo an die Atomaufsichtsbehörde Ensi.“
Falls dem so ist (und vielleicht hat AXPO aus rein juristischer Sicht sogar recht), so bedeutet dies:
- Das Parlament hat es nicht gewagt, die Frage der Ausserbetriebnahme und Stilllegung in der Revision des Kernenergiegesetzes klar zu regeln. Es hat sich mit faulen Kompromissen kompromittiert, anstatt die Fragen klar zu benennen und zu regeln.
- Sollte AXPO Recht behalten (oder vor Gericht erhalten?) so wären damit die Sicherheitsbehörden ausgehebelt. Es gäbe nur noch zwei Möglichkeiten, ein Kernkraftwerk ausser Betrieb zu nehmen:
- Durch einen Unfall
- Durch den guten Willen der Betreiber.
Unglaublich!
Oder eben: Durch die Annahme der Atomausstiegs-Initiative der Grünen! Diese regelt die obigen Fragen ohne wenn und aber.
Oder schliesslich durch einen Konkurs – eine sehr viel schlechtere Variante : denn dass dieser unabwendbar ist, hat ja Hans Schweickart, Doyen der Schweizer Strombranche, bereits am 29. April 2016 bestätigt.[3] Oder versucht sich die vom Konkurs bedrohte Branche auf diese Weise aus der Verantwortung zu stehlen ?
Sehr geehrte Frau Bundesrätin
Die „Energiestrategie 2050“ hätte die Stromversorgung der Schweiz sichern sollen, ohne die Bundeskasse allzu sehr in Mitleidenschaft zu ziehen. Dies hätte vielleicht ( ?) ganz kurzfristig gelingen können. Nun schiessen aber die Stromkonzerne AXPO (Wochenende vom 30./31. Oktober) und ALPIQ Ihre Strategie vor der Abstimmung zur Atomausstiegsinitiative mit ihrer Indiskretions-Informations-Politik ab. Die Ausstiegsstrategie 2050 ist damit in ihrer vom Parlament verabschiedeten Form gestorben. Der Bund, d.h. der Schweizer Steuerzahler wird so oder so 60 Jahre verfehlte Energiepolitik berappen müssen. Bei Ablehnung der Initiative wird es sogar teurer.
Deshalb: Mut Frau Leuthard! Die Grünen und die Atomausstiegsinitiative sind weniger gefährlich als AXPO & Co., Cholera oder die Pest! Selbst Jens Alder (CEO ALPIQ) soll angeblich für die Initiative stimmen (Sonntagszeitung vom 6. November)! Vom Atomsaulus zum Sonnenenergie-Paulus : Ist das nicht das Ende einer schönen Geschichte ?
[1] Andrew Walo in der NZZ am Sonntag vom 30.10.2016 «Das gibt Schäden in Milliardenhöhe»
[2] Sonntagszeitung vom 30.10.2016: “AKW-Betreiber hebeln Sicherheit aus:Für Beznau-Besitzerin Axpo sind Sicherheitskriterien «nicht anwendbar» und «unheilbar nichtig»”
[1] https://www.nuclearwaste.info/das-pleite-szenarium-wie-weiter-mit-der-stilllegung-der-werke-und-der-entsorgung-der-radioaktiven-abfaelle-i/
Das “Pleite-Szenarium” (II): was kommt auf die Gesellschaft zu?
[2] https://www.nuclearwaste.info/comment-clore-en-toute-securite-un-cycle-industriel-wie-beendet-man-bei-voller-sicherheit-einen-industriellen-zyklus/
[3] NZZ 29.04.2016, S. 29: „Ein Grosser wird seine Bilanz deponieren“, https://zeitungsarchiv.nzz.ch/neue-zuercher-zeitung-vom-29-04-2016-seite-29.html?hint=3376216
Kommentar verfassen