In unseren letzten Beiträgen stand die Standortsuche und die Geologie im Zentrum unserer Ausführungen. Mit dem heutigen Beitrag möchten wir nun wieder zur zweiten Schlüsselfrage bei der Entsorgung hochtoxischer Abfälle zurückkehren, die wir schon in mehreren Blogs behandelt haben, nämlich die Frage des Bauwerks „Geologisches Tiefenlager“, der vorgesehenen darin einzulagernden Abfälle und der eventuellen späteren Überführung in ein Endlager. Denn die Langzeitsicherheit eines Geologischen Tiefenlagers hängt nicht allein von der Qualität der Geologie und der Wirt- und Umgebungsgesteine ab, sondern im gleichen Ausmass vom Bauwerk „Tiefenlager“. Das Bewusstsein, dass ein baulicher Eingriff in den Untergrund eine ausserordentlich folgenreiche Intervention mit langfristigen Sicherheitsrisiken ist, hat sich in der internationalen Forschergemeinde noch nicht vollständig durchgesetzt. Wir werden deshalb dieses Thema jetzt aus verschiedenen Blickwinkeln wieder aufnehmen und weiter entwickeln.
Bauwerke an der Oberfläche werden unschwer als von Menschenhand errichtete Anlagen wahrgenommen. Bei Untertageanlagen, insbesondere bei Bergwerken, deren Strecken und Stollen mehrheitlich nicht ausgekleidet, sondern bestenfalls nur mit Ankern oder Nägeln gesichert sind, ist das öffentliche Bewusstsein über diesen menschlichen Eingriff weniger ausgeprägt. Geologische Tiefenlager für radioaktive Abfälle unterscheiden sich insofern von konventionellen Bergwerken und Untertagedeponien für chemotoxische Abfälle, als sie eine Zwischenstellung einnehmen, und sowohl nicht ausgekleidete wie ausgekleidete Bereiche haben, beziehungsweise haben dürften. Bei Tiefenlagern für radioaktive Abfälle ist zudem das Risiko von weiteren menschlichen Eingriffen wie etwa Bohrungen oder Wiederöffnung deutlich stärker im Bewusstsein als dies bei anderen Tiefenanlagen der Fall ist.
Beginnen wir also unsere Überlegungen an diesem Punkt: das Auffahren eines Tiefenlagers stellt einen massiven Eingriff in den natürlichen Gesteinsverbund dar. Je grösser dieser Eingriff ist, und je länger er dauert, desto massiver ist die Wunde, die dem Gestein zugefügt wird. Ob und in welchem Zeitraum eine solche Wunde wieder heilt, beziehungsweise künstlich verschlossen wird, ist eine der Schlüsselgrössen für die Langzeitsicherheit eines Tiefenlagers. Wasserzuflüsse oder Gas- und Wasserdrainage aus einem Geologischen Tiefenlager werden sich immer an den schwächsten Stellen eines Gesteinsverbundes, an den sogenannten Sollbruchstellen, ausbreiten: und das ist ganz eindeutig das Bauwerk selbst mit seinen verschiedenen unterschiedlichen Bauteilen wie Schächten, Rampen, Strecken, Galerien, Stollen, Querschlägen, Rolllöchern usw., usf. Wo einmal ein Schnitt das natürlich Gewachsene durchtrennt hat, wird eine Schwachstelle geschaffen, die eine besondere Bedeutung für die Sicherheit, insbesondere für die Langzeitsicherheit hat.
Aus diesem Grunde hatte die Eidgenössische Kommission für nukleare Sicherheit bereits in ihrer ersten Stellungnahme zum Sachplan auf dieses Risiko hingewiesen und empfohlen, die gesamte Konzeption eines Tiefenlagerbauwerks unter dieser Perspektive zu betrachten (Kästchen 1). Die Feststellung, dass eine minimale Schädigung des Wirtgesteins angestrebt werden sollte, ist in diesem Sinne bisher noch nie von einer offiziellen Entsorgungs-Institution in der Schweiz als anzustrebendes Ziel definiert worden. Oder anders gesagt, das Vorbild der Mikrochirurgie mit minimal invasiven Methoden in den menschlichen Körper wird übertragen auf die gesamte Konzeption eines Lagers und auf die gewählten Stützmittel und Einlagerungstechniken: auch sie sollen möglichst schonend und möglichst wenig invasiv sein und den Gesteinskörper so wenig wie auch nur möglich verletzen oder beeinträchtigen. Auch langfristig nicht.
Von dieser Grundphilosophie her gesehen sollen in der nächsten Zeit jene Themen wieder aufgenommen werden, welche wir im Beitrag vom 29. November 2015 skizziert und die in weiteren Beiträgen ausgeführt werden. Zu diesen zählen:
- Grundsätzliche Überlegungen zur Lagerplanung
- EKRA – Konzept
- Abfälle, Behälter und Behältermaterialien
- Lageretappen und die Risiken in den verschiedenen Lageretappen
- Das Tiefenlager als solches mit den Lagerstollen
- Lagerzufahrten
- Infrastrukturen: von Geleisen über Ventilationen bis zum Pumpensumpf
- Verschlüsse
- Reversibilität und Bergbarkeit
- Monitoring und der Übergang vom Geologischen Tiefenlager zum Endlager
- Vom Umgang mit anderen Einsichten und mit Kritik
- Eine Bilanz – auch aus epistemologischer Sicht
Die drei ersten Themen haben wir in den folgenden bereits Beiträgen behandelt:
- Lagerplanung- und -auslegung (I): Entsorgungskonzepte, welche das Urlagerkonzept oder den Archetyp Endlager vorstellt (https://www.nuclearwaste.info/lagerplanung-und-auslegung-i-entsorgungskonzepte/)
- Lagerplanung- und -auslegung (II): Grundsätzliche Überlegung zur Lagerplanung, welche sich mit dem Brennstoffzykuls auseinandersetzen (https://www.nuclearwaste.info/lagerplanung-und-auslegung-ii-grundsaetzliche-ueberlegungen-zur-lagerplanung/)
- Lagerplanung- und -auslegung (IIIa, IIIb und IIIc): EKRA, die Geburt, das technische Konzept und Massnahmen und strukturelle Anpassungen behandeln (https://www.nuclearwaste.info/lagerplanung-und-auslegung-iii-ekra-konzept-und-mythos/, https://www.nuclearwaste.info/lagerplanung-und-auslegung-iiib-ekra-das-technische-lagerkonzept/, https://www.nuclearwaste.info/lagerplanung-und-auslegung-iiic-ekra-konzept-massnahmen-und-strukturelle-anpassungen/))
- Abfälle, darunter die Fragen zu Konditionierungen und langfristige Folgen von fehlerhaften Konditionierungen sowie die Fragen der Zusammensetzung von Abfällen (Beiträge vom Januar 2016: https://www.nuclearwaste.info/abfaelle-i/, https://www.nuclearwaste.info/abfaelle-ii-abfallzusammensetzung-teil-1/, https://www.nuclearwaste.info/abfaelle-ii-abfallzusammensetzung-teil-2/)
Nun werden wir zu den nächsten Themen vorstossen: als erstes werden die Behälter und die Behältermaterialien Gegenstand eines nächsten Beitrags sein. Dann folgt die Lagerplanung, stets unter Berücksichtigung der Eingangs beschriebenen Rahmenbedingungen sowie im Bewusstsein, dass Abfälle vergraben werden könnten, die als Ressourcen, oder als Waffenmaterial in der Zukunft von Interesse sein könnten.
Kästchen 1: Empfehlungen der Eidgenössischen Kommission für nukleare Sicherheit (2010): Sachplan geologische Tiefenlager Etappe , Stellungnahme zum sicherheitstechnischen Gutachten des ENSI zum Vorschlag geologischer Standortgebiete, KNS 23/219, April 2010, S. 44-45
„3.2.2.3 Überprüfung der Lagerkonzepte
Im weiteren Verlauf des Verfahrens müssen die Entsorgungspflichtigen die Lagerkonzepte überprüfen und konkretisieren. Dazu müssen die lagerbedingten Einflüsse vertieft untersucht werden, um negative Auswirkungen auf Barrieren zu verhindern oder zu minimieren. Die Anpassung der Abfallgebinde, Verfüllmaterialien und Einbauten an das chemisch-physikalische Milieu im Tiefenlager ist deshalb nach Ansicht der KNS von wesentlicher Bedeutung.
Im Hinblick auf die minimale Schädigung des Wirtgesteins, sind im Wirtgestein unnötige Bauten zu vermeiden und notwendige Bauten möglichst kleinräumig zu halten. Dies gilt insbesondere für bautechnisch anspruchsvolle Wirtgesteine wie Opalinuston. Die bisher dargelegten Lagerkonzepte berücksichtigen dies nach Auffassung der KNS nicht oder zu wenig konsequent.
Grössere Tiefenlagen für das HAA-Lager eröffnen mehr Alternativen für Standorte, bieten besseren Schutz gegen Erosion und gewährleisten eine bessere Selbstheilung. Die maximal mögliche Tiefenlage eines Lagers aus Sicht der bautechnischen Machbarkeit hängt ausser von den bautechnischen Eigenschaften des Gesteins vom Lagerkonzept ab. Die bisher dargelegten Lagerkonzepte für das HAA-Lager lassen nur eine begrenzte Tiefenlage zu.
Aus den oben angeführten Gründen empfiehlt die KNS, bei der Überprüfung und Konkretisierung der Lagerkonzepte Folgendes zu beachten:
- Im Hinblick auf die lagerbedingten Einflüsse, insbesondere die Gasbildung, sollten die folgenden Punkte berücksichtigt werden:
- Bei den Lagerbehältern für verglaste hochaktive Abfälle und abgebrannte Brennelemente soll die Verwendung von Behältermaterialien, welche im Tiefenlager nicht zur Gasbildung führen, untersucht werden. Dabei sollen auch die Grösse und die Konstruktion der Behälter hinterfragt werden.
- Stützmittel sollen vor dem Verfüllen der Untertagebauten entfernt werden, wenn sie wesentlich zur Gasbildung beitragen oder die Barrierenwirksamkeit des Wirtgesteins in anderer Weise gefährden können.
- Metallische Abfälle sollen nach Möglichkeit vermieden werden. Für kurzlebige reaktive Abfälle, die nicht lange von der Biospäre isoliert sein müssen, soll beim SMA-Lager allenfalls ein eigener Lagerbereich vorgesehen werden. Dieser soll vom Lagerbereich für die übrigen Abfälle getrennt sein und kann eventuell in einem Wirtgestein liegen, das nur noch reduzierte Anforderungen erfüllt.
- Organische Stoffe sollen nach Möglichkeit in eine Form gebracht werden, die unter den im Tiefenlager gegebenen Bedingungen inert ist. Dies gilt sowohl für die noch zu konditionierenden Abfälle als auch für die bereits bestehenden Abfallgebinde.
- Bei den Untertagebauten ist im Hinblick auf die minimale Schädigung des Wirtgesteinsa. Folgende zu beachten:
- Querschnitte und Länge der Lagerstollen bzw. Kavernen sollen nach den Erfordernissen der Langzeitsicherheit gewählt werden.
- Die untertägigen Erschliessungsbauten sollen so konzipiert werden, dass die Wege im Wirtgestein möglichst kurz sind.
- Das Lagerkonzept für die HAA-Lager soll die bautechnische Machbarkeit in grösseren Tiefenlagen ermöglichen.“
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