Abbildung 1: Der 1985 fertig gebaute, nie betriebene und 1991 endgültig aufgegebene Brüter SNR-300 „Schneller Natriumgekühlter Reaktor“ am Niederrhein im Jahre 2016. Die monumentale Industrieruine wurde zum Vergnügungspark „Wunderland Kalkar“ umgewandelt (https://de.wikipedia.org/wiki/Wunderland_Kalkar) mit zur Kletterwand umfunktioniertem Kühlturm. Foto: André Lambert, Baden
Einer der wenigen Befürworter der Kernenergie, die sich kritisch mit den Perspektiven der Atomenergie auseinandersetzten, kam in seinen 1994 publizierten Memoiren zum für ihn ernüchternden Schluss, dass das Ende des ersten nuklearen Zeitalters bevorstand. So lautete denn auch der Titel Alvin Weinbergs Buch „The first nuclear era“, in welcher der Autor Bilanz über die ersten 50 Jahre der atomaren Entwicklung zog und auch offen zugab, dass die Sicherheit der Reaktoren nicht ernst genug genommen und das Problem der radioaktiven Abfälle unterschätzt worden waren.[1] Weinberg gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass die Brütertechnologie in einem zweiten Anlauf den Durchbruch der Nukleartechnik ermöglichen würde. Das ist natürlich Zukunftsmusik, denn im Augenblick sieht es ganz nach dem definitiven Ende dieser Technologie bei der Stromerzeugung aus. Dass die „erste Ära der Atomenergie“ also auch die letzte sein könnte. Grund dafür sind hauptsächlich die exorbitanten Kosten dieser Technologie, die einfach auf Dauer nicht bezahlbar sind, sowie die schwindende gesellschaftliche Akzeptanz dieser Hochrisikotechnologie.
Weinberg war aber beileibe nicht der einzige Wissenschaftler, der sich schon vor Jahrzehnten Gedanken um das Ende der Atomtechnologie machte. Andere amerikanische Naturwissenschaftler und Ingenieure aus staatlichen Institutionen und Universitäten beschäftigten sich bereits in den 1970er Jahren mit ethischen Fragen im Umgang mit radioaktiven Abfällen und den damit verbundenen Risiken und Konsequenzen für künftige Generationen. Mitglieder der Nuclear Regulatory Commission (NRC) etwa, der amerikanischen Bewilligungs- und Aufsichtsbehörde für zivile Nuklearfragen, setzten sich mit dem möglichen Ende des Brennstoffkreislaufs auseinander und fragten sich, wie die verschiedenen Aufgaben der nuklearen Entsorgung über verschiedene Phasen umgesetzt werden könnten.[2] Zu diesem Zweck unterteilten sie den zu betrachtenden Entsorgungszeitraum in drei unterschiedliche Phasen (Abbilgung 2): eine erste Phase, der die gesamte Laufzeit der aktiven Nutzung der Atomenergie mit einschloss. Eine zweite Phase, welche bis zum definitiven Verschluss der Endlager im geologischen Tiefuntergrund reichte. Und eine dritte Phase, welche den Zeitraum bis zum Abklingen der künstlich erzeugten Radioaktivität umfasste und die dem Isolationszeitraum der Abfälle von der Biosphäre entspricht.
Während dem sich die Wissenschaft intensiv mit den Problemen der dritten Phase beschäftigte, wurden die beiden näher liegenden Zeiträume kaum erforscht. Grund dafür dürfte die irrige Annahme sein, dass die wichtigen Grundprobleme in diesen beiden ersten Phasen beherrscht werden, oder zumindest ohne grössere Überraschungen beherrschbar sind. Ein Blick auf die „Entwicklung“ beziehungsweise das Nicht-Fortschreiten der Entsorgungsprogramme in den vergangenen Jahrzehnten zeigt allerdings, dass diese Annahme kaum zu rechtfertigen ist: ein Projekt nach dem anderen musste aufgrund von Fehlplanungen aufgegeben werden und das, was noch vor wenigen Jahren oder Jahrzehnten als „DIE“ Lösung für die Endlagerung galt, verschwand still von der Bildfläche. Noch 1978 warb etwa auch das Schweizer Entsorgungs-Konzept der Nagra[3] mit Bildern für das deutsche Versuchsendlager Asse, das inzwischen zum wohl bekanntesten Sanierungsfall aufgerückt ist. Wo auch hingeschaut wird, kumulieren sich die Fehlschläge und Probleme: der Brennstoffkreislauf hat sich schon mittelfristig als kaum umsetzbar und finanzierbar erwiesen, überall hinken die konkreten Entsorgungsprogramme um Jahrzehnte hinter den ursprünglichen Zeitplänen her, die Zwischenlager füllen sich, teils rostet das Lagergut darin vor sich hin, überall fehlt das Geld für die Umsetzung der Stilllegungs- und Entsorgungspläne und schlimmer noch: nach all den Jahrzehnten leerer Versprechen ist das Vertrauen an möglichen Standorten für die Endlager radioaktiver Abfälle am Tiefpunkt.
Wurden mögliche Entwicklungen und Probleme in der zweiten Phase der Glockenkurve – also zwischen dem Abstellen der Werke und dem Verschluss der Endlager – kaum ausgeleuchtet, so ist die Situation in der ersten Phase – dem zu erwartenden Ab- und Ausstieg aus dieser Grosstechnologie schon gar nicht angedacht worden. Die Probleme häufen sich wie weiter oben erwähnt an allen Enden (siehe Abbildung 3). Die Atomenergie läuft aus – gravierende Probleme sind abzusehen. Zum einen in Bezug auf die Sicherheit aller laufenden Anlagen – von den Produktionswerken über die verschiedenen Zwischenlager bis hin zu Verarbeitungstechniken (z.B. Konditionierungstechniken) und Transporten. Einem im Niedergang begriffenen Wirtschaftszweig fehlt das Geld für Investitionen und die Erhaltung des Wissens. Die Anlagen werden „rentabilisiert“ indem sie bis zum letzten technischen Atemzug der Maschinen am „Leben“ erhalten werden, mit unabsehbaren Folgen für die Sicherheit. Dieser Prozess wird zudem dadurch beschleunigt, dass die Betreiber unerfüllte Geldforderungen an den Staat befriedigen müssen und die Möglichkeit dazu nicht haben, die leeren Kassen noch zu füllen. Risiken besonderer Art entstehen auch dadurch, dass Ersatzkomponenten für die verschiedenen Maschinenteile nicht mehr auf dem Markt erhältlich sind beziehungsweise die Zulieferer nicht mehr existieren. Hinzu kommen Wissensverluste, Überalterung und Personalnotstände , beziehungsweise eine kaum mehr zu leistende Förderung der Ausbildung. Schliesslich der rasche gesellschaftliche und technische Wandel der Gesellschaft, welche eine ursprünglich als ewig verklärte Technik in wenigen Jahrzehnten wegrationalisierte.
Auch die Aufsicht ist von einem schrumpfenden Wirtschaftszweig betroffen. Dies betrifft zunächst die Finanzen und setzt sich in der gesamten Struktur fort: sinkende Budgets, Personal- und Kompetenzverlust, Ausdünnung der Aufsicht und der Kontrollen, Verlust an Handlungsfähigkeit und Durchsetzungsvermögen und die Inkaufnahme entsprechender Sicherheitsdefizite.
Erste Reaktionen auf diese bedrohlichen Entwicklungen lassen wenig Gutes erwarten. Zunächst soll an allen Enden gespart werden, obschon die Stilllegungs- und Entsorgungskosten in die Höhe schnellen und die Anforderungen an die Sicherheit zwingend steigen werden (Abbildung 4). In der Schweiz ist hinter den Kulissen bereits heute die Rede davon, ob ein Pilotlager überhaupt Sinn macht. Die Sicherheit wird in Frage gestellt, entgegen dem oft beteuerten Leitprinzip, wonach Sicherheit oberste Priorität hat. Dabei ist an eine industrielle Umsetzung eines Endlagers ohne industrielle Testphase und langfristiger Überwachung nicht zu denken.
Auch der Zauberbegriff der „internationalen Lösungen“ ist wieder vermehrt im Umlauf, auch wenn sich die lokalen Bevölkerungen – etwa in Schweden oder Frankreich – bereits klar gegen eine Übernahme ausländischer Abfälle ausgesprochen haben.
Und wie immer fehlt die Einsicht, dass es jetzt dringend einer Auslegeordnung bedarf, bei der die verfahrene Situation aufgearbeitet werden muss. Dies würde aber bedingen, dass die staatlichen Instanzen und Akteure das Ruder der Planungen in die Hand nehmen würden und Ausschau nach Auswegen aus dem sich abzeichnenden Bankrott um die Atomenergie halten würden.
Wer die Entwicklungen der letzten Jahre, Monate und Wochen vor Augen hält, dürfte daran zweifeln, dass die Verantwortlichen den Mut und die Weitsicht zu einem solchen Schritt haben. Vielmehr kann erwartet, dass die Verantwortlichkeiten weiter in der Hand der Stromproduzenten bleiben werden und die in der Vergangenheit umgesetzte Strategie der punktuellen Anpassungen weiter praktiziert wird, bis das effektive „Grounding“ der Entsorgung vor der Tür steht. Swissair und UBS lassen grüssen.
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