Teil 1 dieses Blog Beitrags wurde am 22. August veröffentlicht
Ein kurzer geschichtlicher Rückblick auf internationale Konzepte und Projekte
Internationale Lösungen für die Entsorgung radioaktiver Abfälle waren erstmals in den 1950er Jahren Gegenstand von Diskussionen. 1956 schlug der deutsche Physiker Bernhard Philbert das Eisschild-Konzept vor[1], das er – teilweise in Zusammenarbeit mit seinem Bruder Karl – in den darauffolgenden Jahren und Jahrzehnten in Büchern, Vorträgen und wissenschaftlichen Publikationen präzisierte. Das Konzept sah vor, die hochradioaktiven Abfälle in Millionen von kugelförmigen Behältern mit Radius von 0.2 m zu verfüllen und in 20 bis 100 m Tiefe in das Eisschild der Antarktis oder des Grönlandeises in einem Perimeter mit einem Radius von 15 km zu deponieren. Die Lagerung sollte einige Jahrhunderte lang rückholbar sein.[2] „Selbst die umwälzendsten Instabilitäten des Eisschildes und/oder klimatischen Änderungen können nicht zu radioaktiver Verseuchung führen“, lautete eine der zentralen Folgerungen der beiden Brüder[3] – eine Prognose, die im Zeitalter schmelzender Eiskappen viel über die Qualität von Vorhersagen aussagt.
Das Eisschild-Projekt darf für sich in Anspruch nehmen, das erste internationale Gemeinschaftsprojekt für die Endlagerung hochaktiver Abfallstoffe gewesen zu sein. Es scheiterte, wie danach andere Projektideen, etwa die Endlagerung in Tiefseegräben[4] oder in ozeanischen Subduktionszonen entlang von grossen Plattengrenzen, welche unter die Kontinente in den Erdmantel führen.[5] Doch die Idee von internationalen Gemeinschaftsprojekten im Bereich der nuklearen Entsorgung blieb erhalten. So beteiligten sich etwa 9 Länder an gemeinsam durchgeführten Versenkungsaktionen von rund 115’000 t schwach- und mittelaktiven Abfällen, die bis 1982 im Nordatlantik erfolgten und erst aufgrund der Interventionen der Umweltorganisation Greenpeace aufgegeben wurden (Figur 4).

In den 1970er Jahren dann, wurde das erste und bisher einzige wissenschaftlich fundierte internationale Entsorgungsprogramm unter der Führung des Woods Hole Instituts für Ozeanographie, Massachusetts, und den US-amerikanischen Sandia Laboratories, Albuquerque, New Mexico, lanciert.[6] Es sah vor, die hochradioaktiven Abfälle in sogenannten Penetrometern, einer Art Unterwassergeschossen, in die nicht-konsolidierten Sedimente der pazifischen oder atlantischen Platten einzubringen (Figur 5). Das auf hohem wissenschaftlichem Niveau geplante Unternehmen scheiterte an breitem politischen Widerstand, nachdem sich gezeigt hatte, dass in den untersuchten Ozeanböden in der Vergangenheit aufgrund wechselnder Meeresströmungen auch Erosion vorgekommen war. Die Reagan-Administration entzog dem Projekt 1986 die Unterstützung.

Auch die Internationale Atomenergie-Agentur in Wien hatte sich bereits ab Mitte der 1970er Jahre periodisch für internationale Lösungen ausgesprochen[7], zunächst in Zusammenhang mit regionalen Entsorgungszentren (1975) und später dem Pangea-Projekt (2003).
In den 1970er und 1980er Jahren boten verschiedene Länder, allen voran Schwellenländer wie Argentinien oder die Volksrepublik China, oder Länder mit Atombombenprogrammen wie Pakistan, den Industriestaaten an, ihre radioaktiven Abfälle zu übernehmen.[8] Die Industrienationen gingen auf diese meistens äusserst undurchsichtigen und schillernden Anfragen aus der zweiten und dritten Welt nicht ein.
Das nächste Kapitel in den internationalen Projekten wurde mit dem Pangea-Projekt geschrieben, das in den 1990er Jahren von einem Konsortium von Nukleardienstleistern (MCM, Golder Associates etc.) aufgegleist wurde und das vorsah, rund 75’000 t abgebrannte Brennelemente im kristallinen Untergrund Australiens zu versenken, in einem Endlager, dessen Tiefe mit 500 bis 1’000 m veranschlagt [9] beziehungsweise gar nicht angegeben wurde[10], was zu Spekulationen über sehr viel geringere Lagertiefen (100 m oder weniger) Anlass gab. Dieser alte kontinentale Schild aus kristallinen Gesteinen schien infolge der ruhigen geologischen Situation ideale Voraussetzungen für die Endlagerung radioaktiver Abfälle zu erfüllen. Die Projekt-Idee kam aber nicht über das Stadium einer generellen Konzeption hinaus, das an internationalen Konferenzen oder an Vorträgen präsentiert wurde, und deren Hauptakteure auch im 2013 erschienenen Dokumentarfilm „Reise zum sichersten Ort der Erde“ des Schweizer Regisseurs Edgar Hagen zu Wort kamen. Auch dem Pangea-Projekt blieb der Erfolg verwehrt. Nach dem auch kostenbedingten Scheitern dieses Projektes wurde es um die internationale Projekte stiller, auch wenn internationale Projekte hie und da wieder zur Diskussion gestellt wurden.
Kritische Punkte des neuen Südaustralischen internationalen Projektes „Pangea 2.0plus “
Der Kommissionsbericht „Nuclear Fuel Cycle Royal Commission Report May 2016“ befasst sich in Kapitel 5 mit dem Management, der Zwischenlagerung und der Endlagerung von radioaktiven Abfällen,[11] . Der Inhalt stammt im Wesentlichen aus der Hand von zwei Firmen: der weltweit tätigen amerikanischen Jacobs-Gruppe, einem Industriedienstleister in den Bereichen Technik und Ingenieurwesen[12] und der heute nur noch in Bristol ansässigen MCM, deren Initialen von den Gründern der Firma – Charles McCombie, Neil Chapman und Ian McKinley – stammen. McCombie und McKinley waren in leitender Funktion im Rahmen des Kristallin-Programms der 1980er und 1990er Jahre oder deren Beratungsdiensten bei der Nagra tätig und später, wie Chapman, Experten der Nuklearindustrie.
Das Kapitel über die Abfälle gliedert sich um rund 40 Fragen, die allesamt sehr oberflächlich abgehandelt werden, und die um die Gefährlichkeit der Abfälle kreisen, die Erfahrungen um Zwischenlager und Endlager für hochaktive (HAA) und schwach- und mittelaktive Abfälle (SMA) weltweit kurz darlegen, das Projekt für die beiden Lagertypen in Südaustralien vorstellen und sich danach vor allem wirtschaftlichen Fragen um die Rentabilität des Projektes zuwenden. Speziell am Ganzen ist die Idee eines Leasing-Dienstes für nuklearen Brennstoff und abgebrannte Brennelemente, ein Modell, das bereits von der russischen Rosatom betrieben wird und das auf dem Gedanken der Brennstoffversorgung (fuel supply) und der Rücknahme der abgebrannten Brennelemente (take-back services) beruht. Modelle für die Zwischenlager bilden auch ungeschützte Stapelplätze direkt an der Oberfläche (siehe Figur 6). Ein Endlager für hochaktive Abfälle (abgebrannte Brennelemente) ist eine zwingende Voraussetzung für die Realisierung eines solchen Projektes.

Wie schon so oft in der Vergangenheit der Geschichte von Nuklearprojekten entwerfen die Autoren des Berichtes Visionen, die kaum umsetzbar sein dürften. Allein schon die zugrundeliegenden Zeitpläne – 20 bis 30 Jahre vom Konzept und der Planung über das Standortauswahlverfahren bis zum Bau und zur Inbetriebnahme des HAA-Endlagers[13] – spotten jeglichen Realitätssinns.[14] Die Lager-Konzeptionen selber gehen nicht über das hinaus, was wir schon von den meisten Projekten in Europa und den USA, Kanada und Japan schon zur Genüge kennen: Bergwerke in 50 bis 250 m Tiefe mit grossräumigen Kavernen und Kranbahnen für die Platzierung der mittelaktiven Abfälle (S. 98-99) und die übliche generische Konfiguration von Lagerstollen eines Bergwerks für abgebrannte Brennelemente in einigen hundert Metern Tiefe, Projekte welche sich heute allesamt bestenfalls im Entwicklungsstadium befinden und deren Machbarkeitsnachweis in der Realität erst noch erbracht werden muss. Überhaupt ist das Projekt auf futuristischen Illusionen aufgebaut, die jenen grosser sozialistischer Träumer des 19ten Jahrhunderts wie Etienne Cabet[15] oder Charles Fourier[16] (Figur 7) mit ihren utopischen Gesellschaftssystemen alle Ehre erweisen.

Figur 7: Das Phalansterium: Futuristisches Lebens und Produktionsmodell von Charles Fourier, nach https://de.wikipedia.org/wiki/Phalanstère#/media/File:Phalanstère.jpg
Denn etwas sei hier klargestellt: die utopischen, paradiesisch anmutenden Entwürfe wiederholen sich in den Visionen des nuklearen Zeitlalters in einer erschreckenden Parallelität.[17] Stellvertretend für solche Visionen ist das Zeugnis des deutschen Philosoph Ernst Bloch, der – wie allzu viele seiner Zeitgenossen und in blinder Euphorie – in seinem Hauptwerk „Prinzip Hoffnung“ von einem nuklearen Zeitalter schwärmte: „Einige hundert Pfund Uranium und Thorium würden ausreichen, die Sahara und die Wüste Gobi verschwinden zu lassen, Sibirien und Nordamerika, Grönland und die Antarktis in die Riviera zu verwandeln.“ [18]
Auf ähnlich utopischen Grundlagen wagt der Bericht der „Nuclear Fuel Cycle Royal Commission“ Prognosen über die weltweiten Abfall-Lieferungen eines internationalen nukleares System, dessen Existenz heute in den Sternen steht. Nicht bedacht wird etwa, dass ein Projekt, das über 120 Jahre – also etwa 4 Generationen – laufen soll und vor derart vielen technischen, wirtschaftlichen und politischen Unbekannten steht, an vielen beliebigen Punkten scheitern könnte. Risikoanalysen sind in den Projektunterlagen inexistent. Von gescheiterten Endlagerprojekten ist kein Wort zu lesen. Alle finanziellen Bruchlandungen der nuklearen Entsorgung, die weltweit immer deutlicher zu Tage treten, bleiben unerwähnt. Dazu passt, dass der Staat nach Ansicht des königlichen Kommissionsberichts das Hochrisikogeschäft übernehmen soll, denn eine private Gesellschaft würde sich auf ein derartiges Abenteuer schon gar nicht einlassen. Kurzum: Die Ökonomie dieser Leasings- und Endlagerungsmaschinerie gehört heute ins Reich der Wunschträume und erinnert an die Visionen des globalen Nuklearzeitalters der Nachkriegszeit, von dem sich auch eingefleischte Kernenergiebefürworter wie Alvin Weinberg, der „king of technological fixers“, irgendwann einmal verabschieden mussten.[19] Die Mechanismen von Utopien, die der Philosoph Emile Cioran so messerscharf seziert hatte[20], sind aus dem Nukleargeschäft leider kaum wegzudenken.
Ein Schlusswort
Wie kann ein Bericht wie jener der „königlichen Kommission“ überhaupt entstehen? Die Antwort liegt auf der Hand: Das Territorium „Südaustralien“ beherbergt 25% der Weltreserven von Uran, wie wir im Kommissionsbericht lesen können. Die Aktion ist vor dem Hintergrund der Förderung der lokalen Uranindustrie zu verstehen: Eigenpropaganda, dick aufgetragen und mit phantastischen Perspektiven gewürzt, nicht weniger und nicht mehr.

Während dem weltweit die Nuklearindustrie – trotz aller regionalen Unterschiede – in der Krise steckt, die erneuerbaren Energien spektakuläre Zuwachsraten und sogar die Speichertechnologien dank der Automobilindustrie enorme Fortschritte verzeichnen, verharren die Strategen einer atomaren Renaissance In ihrer ideologischen Nuklearbunkern als Rattenfänger einer goldenen atomaren Zukunft.
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