Die Endlagerung toxischer Abfälle in geologischen Tiefenlagern, Teil 1
„Geschichte, Hoffnungen und Irrtümer“
Die Geschichte toxischer Substanzen und Abfälle begann schon im Altertum mit dem Bergbau und der Raffinierung von Blei, Kupfer, Zinn und andern Metallen. Besonders bekannt wurde der Saturnismus der Römer[1]. Aber auch die Gewinnung von Gold mit Hilfe von Quecksilber machte Geschichte. Langfristige Schäden können vor allem aus Minenrückständen entstehen. Mit der Entwicklung der auf Synthese beruhenden Chemie und dem Aufbau chemischer Industrien im neunzehnten, vor allem aber im zwanzigsten Jahrhundert[2], entstanden weltweit Folgeprobleme für Mensch und Umwelt eines bis anhin unbekannten Ausmasses. Bei den chemischen Herstellungsprozessen und Synthesen fielen auch gasförmige, flüssige und feste Rückstände an, welche die Produzenten zunächst unbesehen an die Umwelt abgaben oder verdünnten. Die Schäden dieser Praktiken waren zwar schon früh sichtbar, wurden aber zunächst nicht oder zu wenig wahr- oder ernst genommen.[3] Da chemische Industriebetriebe für ihre Herstellungsprozesse Wasser brauchten, wurden sie häufig direkt an den Ufern von Flüssen und Seen errichtet. Dies führte dazu, dass sowohl die Abwässer, z.T. aber auch feste Rückstände durch die Verdünnung in eben diesen Abwässern in Flüsse und Seen eingeleitet wurden. Solche Praktiken wurden in historischen Untersuchungen im Detail dokumentiert.[4] Damit begann die Geschichte der chemischen Abfälle. Sie wird bis zur heute noch praktizierten Einlagerung von Giftstoffen in ausgedienten Bergwerken im geologischen Tiefuntergrund führen.
Sonderabfälle[5]
Geruchsbelästigungen und andere lästige Wahrnehmungen führten im Laufe der ersten Jahrzehnte des 20sten Jahrhunderts zu Protesten und behördlichen Interventionen und führten dazu, dass chemische Industrien begannen, sich nach anderen Entsorgungsmöglichkeiten umzuschauen, als das Überlassen ihrer Gifte an die Natur. Abhilfe boten zunächst Kies- oder Tongruben sowie Steinbrüche in unmittelbarer Nähe von Agglomerationen, die in zunehmendem Ausmass ein buntes Gemisch zivilisatorischer Abfälle aufnahmen: Haus- und Sperrmüll, Gewerbeabfälle und schliesslich auch industrielle Abfälle.[6] Nachdem sich an besonders exponierten Standorten erste und ernste Probleme für Trinkwasserfassungen ergaben, wichen die für die Abfälle verantwortlichen Industrien wie auch die für solche Abfälle zuständigen staatlichen Bewilligungsinstanzen zunehmend auf entferntere Standorte aus. Die Praxis der Deponierung von hochtoxischen organischen wie anorganischen Sonderabfällen wurde von den Produzenten aber beibehalten, und auch die staatlichen Genehmigungsbehörden stellten diese Praktiken kaum in Frage. Während Jahrzehnten kumulierten sich Millionen und Abermillionen Tonnen von hochtoxischen Abfälle in Deponien an den unterschiedlichsten Standorten.[7] Im Laufe der Jahre rüsteten die verantwortlichen Betreiber – mehrheitlich aufgrund von öffentlichem Druck – diese Deponien schrittweise mit technischen Auffangeinrichtungen für die Fassung und Behandlung von Sickerwässern und Deponiegasen aus. Parallel dazu nutzten Industrien und Staaten aber auch Seen und das Meer als Abfallkippe, um ihre Industrieabfälle, oder ihre ausgedienten Explosivstoffe, Munition oder chemischen Waffen los zu werden.[8] Angesichts der immer lauter werdenden Widerstände gegenüber solchen Praktiken, der zunehmenden Verschmutzung des Grund- und Trinkwassers durch Deponien, sowie dem Verbot des Dumpings hochtoxischer Abfälle im Meer suchten die Verantwortlichen der Industrien und die damit konfrontierten staatlichen Behörden nach neuen Strategien im Umgang mit ihren hochtoxischen Produkten.
Erste Korrektuten
Einen grossen Einfluss auf diese erste Wende hatten Vorfälle wie etwa jene um die Deponie „Love Canal“ in Niagara Falls (New York, USA)[9] oder der Skandal um die Dioxinfässer von Seveso in Italien.[10] Ab Mitte der 1970er Jahre schlugen vor allem die Auswirkungen der Deponierung chemischer Produktionsabfälle an diversen Standorten in den Vereinigten Staaten hohe Wellen.[11] Der amerikanische Kongress hatte 1976 das „Gesetz zur Erhaltung und Wiederherstellung der Umwelt“ [12] verabschiedet, welches die gesetzliche Grundlage für den Umgang, die Beseitigung und die Überwachung von Standorten mit gefährlichen Abfällen schuf. In Europa führten das Debakel und die Irrfahrt mit den Seveso-Fässern ebenfalls zu einer Verschärfung der Gesetzgebung und zur Entwicklung von Verbrennungsöfen für organische Sonderabfälle.[13] Weitere Problemfälle mit Sondermülldeponien wie z.B. Schönberg in Mecklenburg-Vorpommern oder die SMDK Koelliken im schweizerischen Mittelland rüttelten die Öffentlichkeit auf.[14] Der Druck auf die Industrien und die zuständigen Behörden stieg. Aber was sollte mit anorganischen Sonderabfällen geschehen, die nicht mit irgendeiner Verbrennungsmethode unschädlich gemacht werden konnten, aber nicht mehr ins Meer versenkt werden durften? Sollte man diese Abfälle nochmals behandeln, also inertisieren, was teuer zu stehen kam? Oder bot sich nicht eher die Möglichkeit an, diese hochtoxischen chemischen Abfälle ohne grosse Kosten in tiefe Bergwerke zu versenken und die Schachtzugänge später zu versiegeln?
Die Entdeckung der Tiefe
Die chemische Industrie war nicht die einzige, die bereits an die Möglichkeit gedacht hatte, alte Salzbergwerke im Tiefuntergrund als Ablagerungsstandorte für ihre Problemabfälle zu nutzen. Schon Jahrzehnte zuvor hatten Geologen anlässlich der ersten, 1955 durchgeführten internationalen Konferenz zur Atomenergie in Genf ähnliche Absichten für die Beseitigung radioaktiver Abfälle geäussert.[15] Die einflussreiche amerikanische Nationale Akademie der Wissenschaften empfahl später in ihrem vielbeachteten Bericht von 1957 sogar ausdrücklich Bergwerke in Salzgesteinen als Endlager zu benutzen.[16] Weitere internationale Konferenzen unter der Schirmherrschaft der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA)[17] bestätigten diese Option. 1965 eröffnete die damalige Bundesrepublik Deutschland als erstes Land überhaupt ein erstes Endlager für schwach- und mittel radoaktive Abfälle im Bergwerk Asse in Niedersachsen.[18] 1971 zog die DDR mit der Einlagerung von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen im ehemaligen Kali- und Steinsalzbergwerk Morsleben in Sachsen-Anhalt nach.[19] Salzlager schienen aus der damaligen Optik alle Voraussetzungen für eine sichere Endlagerung radiotoxischer Elemente über die betrachteten langen Zeiträume zu erfüllen. Auch eines der führenden amerikanischen Atomlabors der Vereinigten Staaten – das Oak Ridge National Laboratory (ORNL) – unter Führung seines charismatischen Direktors Alvin Weinberg[20], begann mit der Suche nach einem Standort für hochradioaktive Abfälle in Salzgesteinen. Es wurde in der Carey Salt Mine bei Lyons in Kansas fündig. Zwischen 1965 und 1968 erfolgten die ersten Forschungs- und Planungsarbeiten zur Errichtung des Endlagers.[21] Das Projekt musste 1971 aufgegeben werden, nachdem bekannt wurde, dass 29 ehemalige Prospektionsbohrungen für die Gas- und Erdöl-Exploration im nahen Umfeld des Salzlagers erfolgt waren und die hydraulische Isolation des Bergwerks daher nicht mehr gewährleistet war.[22]
Ausweichmanöver
Obschon das Projekt „Salt Vault“ in Lyons einen ernsten Rückschlag für Entsorgungsprojekte der Nuklearindustrie in Salzgesteinen bedeutete, hatte es keine weiteren Konsequenzen für die Strategie der Untertagelagerung hochtoxischer Abfälle im geologischen Untergrund. Für die Produzenten industrieller Abfälle spitzte sich die Situation nämlich aus verschiedenen Gründen zunehmend zu. Die Sondermüll-Exporte in die dritte Welt[23] wurden zunehmend in Frage gestellt. Die Meeresversenkung hochtoxischer Abfälle musste nach spektakulären Aktionen der Umweltorganisation Greenpeace eingestellt werden. Auch gegen die Deponierung solcher Abfälle auf Deponien bildete sich zunehmend Widerstand. In diesem Sinne bot sich die Einlagerung der hochtoxischen Abfälle in altgedienten Bergwerken direkt an. Den Beginn machte die Firma Kali+Salz in Kassel, damals eine Tochtergesellschaft der Badischen Anilin- und Sodafabrik (BASF), die 1972 eine erste Untertagedeponie (UTD) für anorganischen Sondermüll in den stillgelegten Stollen des Bergwerks Herfa-Neurode in Thüringen (Bundesrepublik) einrichtete.[24] Die Nutzung des Untergrundes in ehemaligen Bergwerksteilen war eine ausgesprochen deutsche Spezialität. Salzlager – ob nun in flach gelagerten mächtigen Salzformationen gelegen, oder in Diapiren zu steilstehenden Salzansammlungen aufgefaltet – galten als trockenes und praktisch ideales Wirtgestein für die Entsorgung toxischer Abfallprodukte. Allerdings zeigten sich bei vielen Salzgruben in Ostdeutschland geomechanische Probleme. Diese Salzlager waren während den letzten Jahren des kommunistischen Regimes derart schamlos ausgebeutet worden waren, dass ernsthafte Einsturzrisiken der Gruben entstanden. Nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten im Oktober 1990 waren diese Sicherheitsrisiken Gegenstand staatlicher Massnahmenplanung. Was lag in einer Zeit mit knappen Staatshaushalten also näher, als chemotoxische Abfälle in senkungs- oder einsturzgefährdeten Bergwerksbereiche einzulagern und diese damit zu stabilisieren?
Fortsetzung folgt im Blog vom 25.03.2018!
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