Die Endlagerung toxischer Abfälle in geologischen Tiefenlagern, Teil 2
„Geschichte, Hoffnungen und Irrtümer“
Fortsetzung des Blogbeitrags vom 18. März 2018
Marktführer Deutschland
Die verschiedenen Endlagergesellschaften, die sich in diesem Zeitraum bildeten, wurden zu echten Goldgruben für ihre Besitzer. Im vereinigten Deutschland schlugen ein gutes Dutzend Standorte den Weg zur Untertagedeponie oder zum Untertageversatzbergwerk ein, in dem alle möglichen anorganischen, nicht brennbaren, nicht explosiven und nicht infektiösen Sonderabfälle ihren Weg in die Tiefe fanden. Die ehemalige DDR hatte bereits 1987 mit der Einlagerung von Sondermüll im alten Bergwerk von Morsleben begonnen, diese aber bis 1996 wieder ausgelagert.[1] Nach der Wiedervereinigung setzte sich die Untertageverbringung von Sondermüll in grossem Massstab durch. In Süddeutschland waren es die beiden untiefen Salzbergwerke Heilbronn und Stetten (Haigerloch), die den Salzabbau mit der Einlagerung von Sondermüll vergoldeten. Im Zentrum Deutschlands entstanden verschiedene Untertagedeponien wie Zielitz oder Sondershausen und eine Anzahl von Versatzbergwerken in den einsturzgefährdeten Salzminen an den Standorten Bleicherode oder Teutschenthal. Mehr als ein Dutzend Standorte werden inzwischen für die Einlagerung von Sondermüll in Bergwerken zwischen 100 und 1000 m Tiefe benutzt. Deutschland ist der eigentliche Spitzenreiter bei dieser Entsorgungsmethode – weltweit.
Eingelagert werden hauptsächlich Abfälle der Giftklassen 0 und 1, also hochgradig toxische Abfallprodukte wie Arsen-, Quecksilber- oder Bleirückstände, Härtesalze aus der Metallurgie, cyanidhaltige Abfälle und Abfälle aus der Galvanikindustrie, sodann zunehmend Abfälle aus Sanierungen von alten Deponien und Altlasten und viele andere Giftstoffe mehr. Die Methode ist denkbar einfach: bei Untertagedeponien werden Abfälle in grosse Kunststoffsäcke mit Schlaufen, sogenannte big-bags, mit einem Inhalt von rund 1000 l und mehr verfüllt und auf Holzpaletten gestellt. Die Holzpaletten mit den darauf liegenden big-bags werden sodann mit speziellen Gabelstaplern (oder vergleichbaren Geräten) auf den Boden der Stollen gestellt bzw. in mehreren Lagen übereinander geschichtet. Die Verfüllung wird möglichst First-bündig – also bis zur Stollendecke – praktiziert. Die Hohlräume zwischen Decke und Abfall werden manchmal mit Hilfe von Salzschleudern verkleinert. Die Abfälle aus Untertagedeponien gelten grundsätzlich als rückholbar – über einen bestimmten Zeitraum. Im Gegensatz dazu steht der Bergversatz, bei dem pumpfähige Mischungen von Abfällen der Giftklasse 1, Zement und weiteren Stoffen hergestellt werden, die dann kraftschlüssig in die instabilen Stollenabschnitte eingebracht werden und diese Stollen dicht machen sollten. Pro Standort werden heute jährlich bis mehrere hunderttausend Tonnen Sonderabfälle (oder mehr) in den Untergrund versenkt.
Der Mythos vom trockenen Salz
Interessanterweise blieb die Opposition gegen die Versenkung von chemotoxischen Abfällen in alten Bergwerken – im Gegensatz zu jener radioaktiver Abfälle – in der Regel schwach. Irgendwie schaften es die deutschen Betriebsgesellschaften und die hinter solchen Projekten stehenden Genehmigungsbehörden, den Mythos des langfristig trockenen Salzes in der Öffentlichkeit zu festigen. Ihr Modell des „fliessenden“ und „schliessenden“ Salzes, das sich um die eingelagerten Abfälle legt und diese für alle Zeiten einbalsamieren würde, liess sich werbewirksam vermarkten. Potentielle Kunden, v.a. Abfallerzeuger und Kehrichtverbrennungsanlagen, liessen sich von den trockenen Verhältnissen schnell überzeugen. Vor allem wurde der Preis dieser Entsorgungsmethode laufend angepasst. Entsorgungsschienen, die auf teuren chemischen und physikalsichen Behandlungsverfahren beruhten, blieben unter diesen Bedingungen auf der Strecke.
Salzbergwerke sind aber nicht à priori trocken. Tiefe Senken sind immer wassergefährdet. Das wussten die Mineure schon immer. Wer die Geschichte des internationalen Salzbergbaus betrachtet, wird immer wieder vom Eindringen von Wasser lesen, mit zum Teil katastrophalen Folgen,[2] auch in Deutschland. Ganze Bergwerke gingen verloren. Dabei sind nicht nur die alten Bergwerke von diesen Gefährdungen betroffen. Auch moderne Bergwerke sind in den letzten Jahrzehnten aufgegeben worden, weil sich der unkontrollierte Wasserzufluss ins Bergwerk nicht mehr abdämmen liess. So geschehen etwa in der Patience Potash Mine, Saketchewan, Ende der 1980er Jahre, die trotz dauerhaften Betoninjektionen aufgrund der steigenden Zuflüsse durch geklüftetes Gestein absoff.[3] Oder in der Retsof Salt Mine, dem zeitweise grössten Kalibergwerk Amerikas und dem Zweitgrössten der Welt, welches 1995 nach einem Bergschlag innerhalb von einem guten Jahr verloren ging.[4] Noch absurder: das Beispiel der Jefferson Island Salt Mine unter dem Lake Peigneur in Louisana, die 1980 aufgrund einer, von einer Plattform auf einem See ausgeführten Bohrung innerhalb von Stunden absoff. Die Prospektions-Bohrung der Firma Texaco war falsch angesetzt worden und drang in hunderten Metern Tiefe in den First eines Bergwerkstollens ein. Das Bergwerk ging in einem apokalyptischen Schauspiel mit tagelangen Geysirfontänen unter.[5]
Böse Überraschungen
Doch alle diese bösen Überraschungen stellen à priori die Tiefenlagerung von toxischen Abfällen in speziell zu diesem Zweck errichteten Anlagen im geologischen Tiefuntergrund nicht grundsätzlich in Frage. Ein traditionelles Bergwerk ist allerdings keine Abfalldeponie. Und das Scheitern der bisherigen Tiefenlagerprojekte hat vielfach auch andere Gründe: die Prädominanz wirtschaftlicher Faktoren, Eile und mangelnde Planungssorgfalt, die fehlende Sicherheitskultur, und vieles mehr. Eigentlich müssten diese Faktoren bei einem Projekt mit hochtoxischen Abfällen von allem Anfang an Berücksichtigung finden. Wie aber alle Erfahrungen mit solchen Projekten zeigen, sind alle bisherigen Versuche, ein langfristig sicheres Endlager zu bauen und zu betreiben, gescheitert. Eine der wichtigsten Unterlassungen war das Fehlen einer Sicherheitskultur, die diesen Namen verdient.
StocaMine: Der letzte Fall im langen Scheitern
Die Untergrunddeponie für chemotoxische Sonderabfälle StocaMine in Wittelsheim im Elsass, wurde nach dem Modell der Untertagedeponie Herfa-Neurode konzipiert und aufgefahren. Was diesen Fall besonders explosiv (auch im übertragenen Sinne . . .) macht, ist die Tatsache, dass dieses Projekt unter dem Primat der Reversibilität – sprich – der Rückholbarkeit der Abfälle ausgeführt wurde. Der heutige Präsident der französischen Nuklearsicherheitsbehörde asn erklärte damals als Vorsteher der elsässischen Umwelt Behörde DRIRE den Begriff der Reversibilität in einem Fernsehinterview 1998 wie folgt: „Stocamine ist ein Zwischenlager und damit notwendigerweise provisorisch. Das im Juli 1992 erlassene Gesetz verbietet die uneingeschränkte Genehmigung einer geologischen Lagerung gefährlicher Produkte. Stocamine dient der Lagerung gefährlicher Produkte. Es ist uns verboten, und das Dekret nimmt dies auf, eine unbegrenzte Bewilligung zu ertailen. In der Praxis ist Stocamine nur für 30 Jahre erlaubt. Dies ist das Konzept der Reversibilität. Um dies für 30 Jahre zu ermöglichen, müsssen wir uns fragen: Was passiert in dreißig Jahren? Das heißt nicht, dass wir es einfach dabei belassen, wir lassen den Müll unten liegen. Wir sind verpflichtet, nicht nur die Verschwendung aufzugeben, sondern wir verpflichten uns auch, sie (die Abfälle) wieder an die Oberfläche zu bringen.“[6]
Was sich dann im Dossier StocaMine abgespielt hat, ist ein Drama: wirtschaftlicher Misserfolg des Unternehmens, eine Kette von nicht endend wollenden Problemen im Betrieb der Anlage, dann der fatale Brand im September 2002, der die Anlage stilllegte, schliesslich die begründeten Zweifel, dass illegal eingebrachte Abfälle weiterhin im Tiefuntergrund gelagert sind. Sodann die 2004 vom elsässischen Abgeordneten Michel Sordi beantragte Gesetzesänderung zur definitiven Belassung der Abfälle in der Tiefe, ein Jahrzehnte andauernder Kampf zwischen Politikern, Experten und Bügerinitiativen um die Frage der längerfristigen Flutung der Untertagedeponie[7], die gebrochenen Versprechen um die Rückholung der Abfälle. Was soll der Bürger von solch einem Projekt halten? Das Beispiel StocaMine lastet schwer auf der Zukunft der Tiefenlagerung von hochtoxischen Abfällen im geologischen Untergrund. Ohne gelebte Reversibilität bei Stocamine, wird etwa das Projekt der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle in Bure nur schwer umzusetzen sein. Und es steht mit diesem Problem nicht alleine da. Und die Schwierigkeiten mehren sich, seit die gleichen Akteure wie im Fall von Stocamine ihre Aussagen wiederholen. «Das Gesetz sieht nämlich vor, dass die geologische Tiefenlagerung während mindestens einigen hundert Jahren rückholbar sein muss und dass das Lager nur nach einer neuen Abstimmung im Parlament verschlossen werden darf» stellte nämlich kürzlich der Präsident der Sicherheitsbehörde asn fest. [8]
Eine Schlussbetrachtung
Wie dem auch sei! Die politisch motivierten Entscheidungen waren stets kurzsichtig auf die Erfüllung von „Meilensteinen“ und persönlichen Ambitionen ausgerichtet. Eine kohärente, auf langfristige Sicherheit und auf sich verändernde Rahmenbedingungen ausgerichtete Entsorgungspolitik fehlte bislang – in allen nuklearen Entsorgungs-Programmen wie auch in den Projekten für chemotoxische Abfälle. Der grundlegende strategische Fehler der bei diesem Anlagetypus begangen wurde ist, dass sich Projekte nicht beliebig umwandeln lassen. Ein Bergwerk wird für die Rohstoffextraktion aufgefahren, nicht für die Abfallendlagerung. Die Profitmaximierung durch die Erweiterung der Funktion der Anlagen hat bisher zu massiven Sicherheitsproblemen geführt, über die alle Projekte schliesslich gestolpert sind, die diesem Modell folgten. Noch grundlegender ist, dass auch Endlager in tiefen geologischen Formationen von einigen hundert bis vielleicht 1000 m Tiefe grundsätzlichen Wandlungen unterliegen. Die Wahrnehmung der Risiken durch die Zeit ändert sich. Jene der Zielsetzungen ebenfalls. Dies gilt auch für wirtschaftliche Rahmenbedingungen.
Das Ergebnis solcher Schwenker in der Abfallpolitik ist ernüchternd. Was einmal das Verdünnen von toxischen Abfällen in Flüssen, ihre Deponierung in Kiesgruben, ihre geordnete Einlagerung an der Oberfläche betrifft: keine dieser Strategien hatte Bestand, weil sie immer und zu immer neuen schweren Grundwasserverschmutzungen führte. Danach wurden sie abgelöst durch neueren Konzeptionen. Scheiterten diese, gingen die Planer einfach ein geologisches Stockwerk weiter in die Tiefe und verschärften dadurch die Sachzwänge. Aber auch diese tiefer liegenden Grundwässer sollten zum Nutzen der nächsten Generationen geschützt werden.
Und genau dieses Entwicklungsmuster zeichnet sich auch bei allen Typen von hochtoxischen Abfällen ab. Die Konzeptionen sind nicht vollendet. Hochtoxische Abfälle in wenigen hundert Metern Tiefe definitiv und ohne Überwachung einzulagern und auf die ewige Reise über eine oder mehrere Millionen Jahre zu schicken, kann nicht ernsthaft als ausgereifter und nachhaltiger Sicherheitsplan bezeichnet werden. Wer die technologische Entwicklung der letzten Jahrzehnte mitverfolgt, muss sich eingestehen, dass eine solche Strategie nicht nachhaltig und nicht haltbar sein kann.
Es braucht eine grundlegende Überprüfung der heutigen Situation im Licht der aktuellen Erkenntnisse. Wie es weitergehen wird, ist für niemanden klar. Wenn schon, dann kann die heutige Gesellschaft zumindest versuchen, die Sachzwänge für die Zukunft durch vernünftige und langfristig ausgerichtete Massnahmen auszubalancieren. Massnahmen, die auch die langfristige Wirtschaftlichkeit unserer Gesellschaftskonzeptionen mit einbeziehen und Sicherheitskultur bei solch langfristigen Projekten installieren. Gerade im Bereich der hochtoxischen Abfälle, incl. radioaktive Abfälle, und ihrer „Beseitigung“ wäre eine derartige Weitsicht ganz besonders angezeigt.
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