Wie im Blog vom 27. März 2015 dargestellt, wurden im Weinland an bestimmten Stellen (tiefste Gletscherrinnen) im Verlauf der letzten etwas mehr als 700’000 Jahre 500 bis 600 m Gestein durch den Rheingletscher wegerodiert. Da stellt sich, namentlich mit Blick auf ein eventuelles Lager für radioaktive Abfälle die Frage, wie diese Gletschergeschichte nun weiter gehen könnte.
Hätte ein Geologe vor 700’000 Jahren auf der Flussterrasse gestanden die man heute „Obere Deckenschotter“ nennt, so hätte er sich die heutige Landschaft, vier Eiszeiten später, schwerlich vorstellen können. Heute haben wir etwas mehr Erfahrung, was Gletscher vollbringen können. Hier einige Beobachtungen die von Bedeutung sein können:
- Die stärksten Talerosionen finden wir im Bereich des Austritts der Haupttäler aus den Alpen, also nahe der Alpenfront. Hier wurden im Verlauf der letzten vier grossen Eiszeiten innerhalb von etwas mehr als 700’000 Jahren bis zu 1000 m Gestein abgetragen (siehe Blog vom 20. März 2015 zum Rhonetal). In diesem Bereich finden sich die Alpenrandseen (Genfer-, Thuner-, Vierwaldstätter- und Bodensee) .
- Mit zunehmender Distanz zur Alpenfront steigt die Felsoberfläche unter den Seebecken allgemein an; die Erosion ist also geringer.
- Kommt man aber in den distalen Bereich der Gletscherzungen, nahe dem ehemalige Frontalbereich, so finden sich wieder starke Übertiefungen. Dies ist etwa der Fall der tiefen Rinne im Thurtal und des Ausläufers von Andelfingen, der sich in Richtung Marthalen fortsetzt. Der tiefste bekannten Punkt in diesem Rinnensystem liegt bei Dätwil, wo eine Bohrung die Felsoberfläche bei 75 m über dem Meeresspiegel nicht erreichte (Von Moos 2009). Generell liegen ansonsten die tiefen Zonen der Rinnen eher zwischen 200 und 300 m über Meer.
- Solche Übertiefungen bleiben nicht unbedingt auf schmale Rinnen und Kolke beschränkt. Sie können sich im Verlaufe der Eiszeiten zu weiten Seebecken ausdehnen. Schöne Beispiele hierfür sind in der Schweiz die drei Juraseen (Neuenburgersee, Bielersee, Murtensee, Abbildung 1). Diese wurden durch den Rhonegletscher ausgeräumt, der vorher, aus dem Genferseebecken kommend, die Felsschwelle von Cossonay überflossen hatte und im Bereich der Juraseen bereits ausgedünnt war.
Betrachtet man diese Fakten, so kann man sich gut vorstellen, dass in künftigen Eiszeiten die bestehenden Rinnen weiter erodiert werden, sich also weiter in der heute vorgegebenen Richtung ausbreiten werden. Es ist aber auch denkbar, dass je nach Wichtigkeit der kommenden Gletscher, die Täler zu Seebecken ausgeweitet werden. Das Bodenseebecken könnte auf diese Weise weiter in Richtung Schaffhausen und darüber hinaus wachsen. Ebenso könnte sich das Thurtal bei Andelfingen in Richtung Marthalen und Rheintal ausweiten und sich zu einem grösseren Seebecken entwickeln, wobei der Felsgrund weiter um etliche hundert Meter in die Tiefe erodiert werden könnte.
Was bedeutet dies nun für die Standortwahl für Lager für radioaktive Abfälle?
Die Abbildung 2 zeigt die Tiefenlage des heutigen Wirtgesteins und der Lagerebene unter dem Weinland. Weiten künftige Vergletscherungen die Rinne von Andelfingen zu einem Seebecken aus und postuliert man eine weitere Tiefenerosion um bis zu 500 m, so erkennt man, dass die geologische Schutzschicht an diesem Standort weitgehend oder vollständig weg erodiert ist. Das radioaktive Abfalllager läge dann nahe der Erdoberfläche oder könnte im schlimmsten Fall sogar frei gelegt sein.
Somit wird klar, dass das Kriterium der Gletschererosion im Falle des Weinlandes bei Betrachtung der ganzen erforderlichen Einschlusszeit der Abfälle von etwa einer Million Jahre (für hoch radioaktive Abfälle) kaum eingehalten werden kann. Damit kann man sich wohl auch die durch die Nagra gewählte Schutzzeit von bloss 100’000 Jahren erklären. Diese Einschränkung steht allerdings in Widerspruch zum Kernenergiegesetz, Artikel 30: “Radioaktive Abfälle müssen so entsorgt werden, dass der dauernde Schutz von Mensch und Umwelt gewährleistet ist.“
Die Fortsetzung dieses Artikels wird auf die Situation am Bözberg eingehen.
Referenzen
Nagra 2014: Sicherheitstechnischer Vergleich und Vorschlag der in Etappe 3 weiter zu untersuchenden geologischen Standortgebiete. SGT Etappe 2: Vorschlag weiter zu untersuchender geologischer Standortgebiete mit zugehörigen Standortarealen für die Oberflächenanlage, Sicherheitstechnischer Bericht zu SGT Etappe 2. Anhang.
Von Moos AG 2009: Sachplan Geologische Tiefenlager (SGT) Etappe 1: Beurteilung der glazialen Tiefenerosion im Rahmen der Festlegung der geologischen Standortgebiete. Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI, 8600, 24 S.
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