Bild: In Schweizer Kernkraftwerken hängt der Haussegen schief
Ein Auswahl, die keine ist. Denn der Problemberg kommt erst und ohnehin
Bundesrätin Doris Leuthard besingt die schwarze Nacht[1]: Würde der Stimmbürger die Ausstiegsinitiative annehmen, wäre die Versorgungssicherheit der Schweiz nicht mehr gewährleistet. Man müsse dann den dreckigen Kohlestrom aus Deutschland importieren. Aber nicht nur das: die überstürzte Abschaltung der Kernkraftwerke hätte gravierende Konsequenzen für Wirtschaft und Gesellschaft, und überhaupt, man wolle doch lieber einen geordneten Ausstieg als irgendeinen Gang in die Ungewissheit und den Chaos. Aber: Dieses von Axpo[2] über Roland Eberle, Regierungsrat des Kantons Thurgau und Axpo-Verwaltungsrat, bis zu SVP-Präsident Albert Rösti[3] und FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen[4] sekundierte Lamento der Bundesrätin ist schlecht durchdacht. Denn die Hauruckaktion, von denen die Koalition der Atombewahrer warnen, ist schon längst im Gange. Oder anders und plakativ gesagt: die Würfel sind schon längst gefallen. Die Atomtechnologie hat ausgespielt. Jetzt geht es um die Schäden.
Beginnen wir mit dem Gesamtkontext: Die Wirtschaft lahmt, weltweit, und damit auch unsere Wirtschaft in der Schweiz. Das Wachstum dürfte wie in den vergangenen Jahren weiterhin auf niedrigem Niveau weiterholpern. Mit dem nach der Präsidentenwahl der USA zu erwartenden Neuaufkommen des Protektionismus wird die Globalisierung zusätzlich abgebremst. Gegen die hohe Verschuldung werden die Staaten – auch die europäischen – zwingend etwas unternehmen müssen. Der Sozialfrieden ist brüchig. Die Probleme haben sich angestaut. Und in dieser Situation läuft die Atomtechnologie ihrem Ende entgegen. Mit Reaktoren, die altern, unsicherer werden und zunehmend kosten. In einem Konkurrenzkampf mit den Erneuerbaren Energieträgern verstrickt, dessen Sieger bereits feststeht. Vor allem aber auch mit einem Schuldenberg am Hals, der von den künftigen Generationen übernommen und abgebaut werden muss. Denn Stilllegung und Entsorgung der Abfälle sind bestenfalls an-finanziert. Ein Kostenloch, das sich zunehmend öffnet und in der Zukunft Milliarden um Milliarden schlucken wird. Dies ist die Bühne, vor der sich die Abstimmung vom 27. November 2016 abspielt.
Versuchen wir deshalb einmal auszuleuchten, wie das Stück im nächsten Akt weitergespielt werden könnte. Und spielen wir einmal die möglichen Ausgänge der Abstimmung vom 27. November durch. Im Grunde genommen sind nur drei Ausgänge denkbar. Betrachten wir diese etwas näher:
Szenario 1: Die Initiative wird abgelehnt
Wird die Initiative abgelehnt, so geht es weiter wie bisher. Die Stromwirtschaft hat „gewonnen“. Ein klassischer Pyrrhussieg, der in Wirklichkeit eine Niederlage ist. Denn: Die Nuklearindustrie kann ihre Werke zwar weiter betreiben. Die finanzielle Situation ist und dürfte aber weiterhin desaströs bleiben und bald schon einmal ruinös werden. Alpiq ist de facto bankrott. „Einer der Grossen wird seine Bilanz deponieren“ hatte Hans Schweickhart, ehemaliger Präsident von Alpiq, in einem Gespräch mit der Neuen Zürcher Zeitung am 29. April 2016 angekündigt. Und dann? Wenn es Alpiq ist: Wer will die Anteile der AKWs Gösgen und Leibstadt in einer solchen Situation freiwillig übernehmen? Axpo, das zwar noch über ein paar Milliarden Reserven verfügt, aber ebenso schnell vom Fenster ist, wenn es Werke abstellen muss? Und die Werke altern und die Unsicherheit wächst? Investiert wird, wenn möglich, ja nur das minimal Erforderliche. Ein Konkurs von Alpiq würde die beiden verbleibenden Gesellschaften finanziell dem Ruin entgegentreiben. Denn sie müssten die unrentablen Anteile dieser Produktionsanlagen übernehmen, vor allem aber, wären sie „nachschusspflichtig“, was die Beiträge in den Stillegungs- und Entsorgungsfonds angeht. Jedenfalls sieht dies das Kernenergiegesetz, Artikel 80, Ziffer 2, so vor. „Kann der Berechtigte die Rückerstattung innert einer vom Bundesrat festzulegenden Frist nicht leisten, so müssen die übrigen Beitragspflichtigen und Anspruchsberechtigten des entsprechenden Fonds den Differenzbetrag im Verhältnis ihrer Beiträge durch Nachschüsse decken.“ Bei den laufend steigenden Stilllegungs- und Entsorgungskosten eine vollkommene Unmöglichkeit.
Aber selbst wenn der Konkurs von Alpiq nicht unmittelbar kommen sollte: Der Weiterbetrieb der alten Werke Beznau 1 und 2 steht auf tönernen Füssen. Auf die Dauer wird Axpo ihr Kernenergieprogramm nicht halten können. Ein Ausfall eines der beiden Werke mit Ausserbetriebnahme ist jederzeit möglich. Wird aber eines der beiden abgestellt, droht dies dem Zweiten den finanziellen Schnauf abzuschnüren. Zudem muss auch in Leibstadt damit gerechnet werden, dass der Reaktor weiterkränkelt und jederzeit vom Netz genommen werden muss. Eine düstere Aussicht, umso mehr, als die angekündigten Schadenersatzforderungen mit einer Ablehnung der Initiative ebenfalls vom Tisch sind. Somit werden die Atomwirtschaft und ihre Aktionärskantone (allen voran Zürich und Aargau) nach Wegen suchen, wie sie via Parlament den Schweizer Steuerzahler melken können.
Szenario 2: Die Initiative wird vom Stimmbürger angenommen und von den Ständen abgelehnt
Dies ist vermutlich das interessanteste Szenario. Und sicher auch jenes, das die Strombranche am meisten fürchten muss. Denn einerseits würde sich an der grundlegenden Ausgangssituation nichts ändern: die Kernkraft ist unrentabel und „les jeux sont faits“. Darum könnten Axpo & Co. die angekündigten Schadenersatzforderungen von 4.1 Milliarden nicht stellen, da die Initiative ja abgelehnt wurde. Bei einer einfachen Stimmenmehrheit nähme nicht nur der wirtschaftliche Druck massiv zu, sondern auch der politische Druck, ohne Schadenersatz auszusteigen oder aussteigen müssen. Man darf gespannt sein, wie der Bittgang der Stromwirtschaft zum Parlament organisiert werden wird. Unter Druck kämen dann natürlich auch die Aktionärskantone und ihre Vertreter in den Verwaltungsräten der Stromkonzerne ALPIQ und AXPO.
Szenario 3: Die Initiative wird angenommen
Natürlich jubeln die Grünen ob der Annahme der Initiative. Der erste Teil des Albtraums ist ausgestanden. Aber die Probleme werden sich häufen, wie wir unten noch sehen werden.
Noch mehr, dafür im stillen Kämmerlein, dürfte die Stromwirtschaft ob der Niederlage jubeln. Denn durch ein solches Ergebnis kann sie sich erhoffen, erst einmal finanziell Luft holen zu können. Sie wird darum aller Voraussicht nach möglichst rasch möglichst hohe Schadenersatzforderungen stellen. 2017 sollen dann die drei kleinen Werke vom Netz. Die beiden Grossen folgen 2024 und 2029. Ob vor allem Leibstadt den technischen „Schnauf“ dazu hat, wird sich erst weisen.
Die Finanzen aber sind auch mit der Annahme der Initiative für Alpiq kritisch, womit der unter Szenario 1 beschriebene Ablauf eintreten dürfte, bis hin zu einer Niederlegung der Bilanz und der Frage, wer die halb bis ganz konkursiten Werke weiterbetreiben, bzw. stilllegen und rückbauen soll. Ob sich die Schadenersatzforderungen dann in die anvisierten Milliarden-Höhen treiben lassen werden, ist ungewiss und richterlichem Ermessen unterworfen. Kommt hinzu, dass sich juristische Verfahren dieser Art in die Länge ziehen, wie die Schadenersatzforderungen um das AKW Kaiseraugst zeigten. Und mehr als 10 Jahre wird die Branche nicht durchhalten.
Und man fragt sich, ob de facto konkursite oder auf Zeit konkursite Unternehmen solch unverschämte Forderungen stellen können? Natürlich können sie das. Und je dicker die Forderungen je massiver auch die Schuldzuweisungen. Die Initiative sei schuldig an dieser Situation. Und die grün-linke Koalition. Kein Wort der Besinnung und der Erkenntnis, dass hier eine jahrzehntelang in die falsche Richtung eingeschlagene Energiepolitik Schiffbruch erlitten hat. Denn dieses Ergebnis wurde gerade von grün-linker Seite schon seit Jahrzehnten vorhergesehen und den Promotoren der Atomenergie auch bei jeder Gelegenheit vorgehalten.
Wie weiter?
Die Frage dürfte daher eher lauten: Wann muss beziehungsweise wird der Bund einspringen? Wann ist das Grounding absehbar und wie wird der Bundesstaat darauf reagieren? Die Antwort geht in unterschiedliche Richtungen. Das Parlament dürfte via dringlichen Bundesbeschluss einen Plan beschliessen, wie es mit dem gescheiterten Atomprogramm der Schweiz weitergehen soll und kann.
Und zwar:
- mit der Abschaltung allenfalls noch betriebener Werke und deren Sicherung;
- mit der langfristigen Zwischenlagerung der Abfälle;
- mit der Finanzierung der Planung der Stilllegung und Entsorgung durch die Fonds (Stenfo), die ja bisher von den Werken bezahlt wurde;
- mit der Restrukturierung des Stilllegungs- und Entsorgungsprogramms, insbesondere bei den Zwischenlagerungsanlagen und -gesellschaften (ZWILAG, ZWIBEZ, Nasslager Gösgen), bei der Nagra und bei der Sicherheitsbehörde ENSI, die grundlegend umgekrempelt werden müssen;
- mit der Weiterführung des Sachplans, etwa für das Tiefenlager für schwach- und mittelaktive Abfälle, und der Suche nach Entsorgungs-Lösungen für hochradioaktive Abfälle im Ausland;
- und mit der Sicherstellung der Kosten für ein Programm, das leicht 120 bis 200 Jahre weitergehen dürfte und Unsummen verschlingen wird! Die heute auf dem Papier stehenden 20.6 Milliarden sind nur ein billiger Vorgeschmack. In wenigen Worten: ein handfester Skandal.
Die wirklichen Probleme sind also erst im Kommen, unabhängig vom Ausgang der Abstimmung über die Atominitiative. Und eine Grundfrage bleibt. Wie bei jedem grundlegenden Absturz: Wer übernimmt die Verantwortung für das Debakel? Und eine zweite Frage: Wer übernimmt Verantwortung nach dem Debakel? Diesen Fragen werden wir im nächsten Beitrag nachgehen.
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