Zum Artikel der NZZ vom 14. April 2015
„An den Export von AKW-Abfällen denken, Kritik an der Doktrin des Bundes“: so lautet die Überschrift des Artikels der NZZ in ihrer Ausgabe vom 14. April 2015. Und warum denn plötzlich an den Export von Atommüll denken, wenn dies im Kernenergiegesetz, Art. 30, grundsätzlich nicht so vorgesehen ist?
Die Gründe sind einfach nachzuvollziehen. Die AKW-Branche ächzt unter der Last vergangener Fehlplanungen und den nun daraus erwachsenen finanziellen Konsequenzen. Nicht nur haben es die Energiekonzerne verschlafen, rechtzeitig in die erneuerbaren Energietechnologien zu investieren und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, sie haben sich in der Vergangenheit geradezu im Nuklearpfad verbohrt. Eine jahrzehntelange Politik der Scheuklappen mit desaströsen Konsequenzen. Auch finanziell. Die Aktien der Alpiq sind seit ihrem Maximalstand vor sieben Jahren um 90% getaucht. [1] Axpo schreibt tiefrote Zahlen: 1.5 Milliarden Abschreibungen im Jahr 2014, wobei gemunkelt wird, dass diese um 800 Millionen zusätzlich geschönt worden seien und der effektive Abschreiber 2.3 Milliarden betragen würde. Die Eigentümer dieser Geld-Vernichtungsmaschinen – die besitzenden Kantone und Gemeinden – werden dafür finanziell noch schwer bluten. Und dies umso mehr, als die Reserven für die Stillegung und Entsorgung völlig unzureichend sind.
Die Stilllegungs- und Entsorgungskassen sind nämlich massiv unterdotiert. Nur 5.3 Milliarden wurden effektiv einbezahlt, von den laut Kostenstudie 2011 benötigten 20.65 Milliarden[2]. Die Eidgenössische Finanzkontrolle hat deshalb letztes Jahr interveniert. [3] Die inzwischen in aller Eile durchgepeitschten Korrekturen – Revision Verordnung Stilllegungs- und Entsorgungsfonds, Herabsetzung der Nominalrendite der Anlagen von 5% auf 3.5%, Teuerungsrate 1.5% usw. – sollten die kapitalmässig unterdotierten Fonds wieder ins Lot bringen. Aber auch dieser um 30% aufgestockte Sicherheitszuschlag ist nur ein Tropfen auf den im wahrsten Sinne „heissen“ Stein. Die Laufzeiten der Zwischenlager müssen verlängert werden, um mindestens 20 Jahre. Was auch heisst: 20 Jahre Zusatzfinanzierung der Nagra, was in Anbetracht der Durchschnittskosten der letzten 40 Jahre etwa 600 Millionen Franken Mehrkosten in 20 Jahren verursachen wird. Die Extrapolation der jährlichen Betriebskosten des Zwilags über 20 Jahre dürfte die Kasse um zusätzliche rund 800 Millionen Franken belasten, von den Kosten des Nasslagers Gösgen, des Zwischenlagers Beznau (Zwibez) und des Bundeszwischenlagers (BZL) ganz zu schweigen. 20 Jahre Verzögerungen heisst auch 20 Jahre Zusatzfinanzierung für die Sicherheitsbehörde Ensi, die Prozessführung des Bundes, die Fachkommissionen und Regionalgruppen. Für die Abfälle die sich bereits in den Zwischenlagern befinden ist mit Kosten für die Rekonditionierung (neue Verpackung, ev. auch Behandlung der Abfälle) und mit Kosten für die Anpassung an den Stand der Wissenschaft und Technik zu rechnen. Dann die Zinsen …. und zuletzt noch die unangenehmen Überraschungen, die man bekanntlich nicht budgetieren kann . . . . Ein Rattenschwanz ohne Ende!
Im nächsten Jahr wird die Nagra das Entsorgungsprogramm anpassen, und die Werke werden die Kostenstudie 2016 vorlegen. Es ist bereits abzusehen, wie der Tenor lauten wird. „Wir sind auf Kurs, alles ist unter Kontrolle“, wie immer, trotz Mehrkosten in Milliardenhöhe. Gewiss, auf Erhöhungs-Kurs, immer scharf unter Kontrolle, wie schon bei den Kostenstudien der Vergangenheit.
Das finanzielle Debakel der Entsorgung der radioaktiven Abfälle nimmt seinen Lauf. Grund genug für die Atomwirtschaft, sich zu fragen, ob man das Problem nicht ins Ausland exportieren könnte. Dies würde die lästige Suche nach Endlagern in der Schweiz vereinfachen, umso mehr, als die Standorte für hochaktive Abfälle Bözberg und Weinland bereits kräftig wackeln. Kein Ärger mehr mit der SVP, deren Exponenten diesen Kurs hinter vorgehaltener Hand vertreten. Keine unnötigen politischen Zänkereien. Zudem wäre die Entsorgung im Ausland wohl auch billiger zu haben, und die Frankenstärke könnte sich auch mal positiv ausbezahlen. Was wiederum die Stilllegungs- und Entsorgungsfonds entlasten und die Nachzahlverpflichtung der Werke, sprich Kantone, Gemeinden und Bund, verringern würde. Mit Blick auf die bösen Überraschungen im Jahr 2016 lotet die NZZ als eine der Speerspitzen der Atomlobby den Pfad des billigen Abschiebens unserer Abfälle ins Ausland vorsorglich schon jetzt aus.
Die Studie des BFE zu den ethischen Aspekten der nuklearen Entsorgung, an der verschiedene Philosophen mitgewirkt haben, kommt daher gerade zur rechten Zeit.[4] Denn diese folgert, dass man sich auch mit dem Export der Nuklearabfälle auseinandersetzen müsse. Was den Autoren dieser Studie entgangen sein dürfte, ist dass die Versuche, Atommüll ins Ausland zu verfrachten, seit langem Tradition haben, aber allesamt gescheitert sind. Wie hiessen doch die potentiellen Annahmekandidaten in den 1970er und 1980er Jahren: Pakistan? Argentinien? China? usw. Internationale Projekte wie das Tiefseebodenprojekt (Subseabed) und das Pangea-Projekt im Kristallin Australiens, welche die Abfälle einige Dekameter unter der Oberfläche vergraben wollten, sind beide aufgegeben worden. Vom Fiasko der internationalen Versenkungsaktionen für schwach- und mittelaktive Abfälle im Atlantik ganz zu schweigen, die 1982 eingestellt wurden.
Auf diese Weise kann man den Weiterbetrieb unserer Atomkraftwerke nicht rechtfertigen. Einmal muss Schluss sein mit einer seit Jahrzehnten verfehlten Atompolitik. Nicht schon wieder nach dem nächsten Schlupfloch gucken, sondern konsequent zu Ende führen, was zu Ende geführt gehört! Und das heisst auch, Prioritäten setzen, Vorgehen definieren, wie mit den Problemen umgegangen werden soll, Strategien ordnen und vor allem: bereit sein, die Kosten zu übernehmen, auch wenn dies nun schmerzt. Und das Portmonnaie des Steuerzahlers und jenes des Stromkonsumenten belasten wird. Man kann die Konsequenzen für die verfehlte Atompolitik der vergangenen Generation nicht voreilig ins Ausland abschieben. Auch deshalb, weil dieses Ausland das vergiftete Geschenk trotz Frankenstärke kaum ohne entsprechende Gegenleistung auf andern für die Gesellschaft entscheidenden Gebieten übernehmen wird.
Wie erwähnt, besteht die Möglichkeit, dass sich während dem laufenden Entsorgungsprogramm die Gewissheit herauskristallisiert, dass es in der Schweiz keine sichere und dauernde Lagerung für alle Abfallkategorien gibt. Sollte dies das Resultat aus den laufenden Untersuchungen sein, so müsste das Entsorgungsprogramm zur Lagerung radioaktiver Abfälle in der Schweiz offiziell abgeschlossen werden. Für die nicht lagerbaren Abfälle müsste eine neue Strategie entwickelt und durch den Bund in Anwendung des Artikels 33 des Kernenergiegesetzes umgesetzt werden. Plan C oder D …, könnte man auch sagen.
[1] Der Aktienkurs für die BKW blieb in dieser Zeit stabil (ob sich wohl die Stillegung von Mühleberg bereits ausbezahlt ?) und Axpo wird nicht an der Börse gehandelt.
[2] Swissnuclear (2011): Kostenstudie 2011 (KS11), Mantelbericht, https://www.bfe.admin.ch/entsorgungsfonds/index.html?lang=de&dossier_id=05278
[3] EFK (2014): Stilllegungs und Entsorgungsfonds, Prüfung der Governance, Prüfbericht, 1. September 2014, https://www.efk.admin.ch/images/stories/efk_dokumente/publikationen/andere_berichte/Andere%20Berichte%20%2859%29/14172BE_Bericht%20zur%20Veröffentlichung_def2.pdf
[4] https://energeiaplus.com/2015/04/13/ethik-und-die-entsorgung-der-radioaktiven-abfalle/
Artikel der NZZ vom 14. April 2015
An den Export von AKW-Abfällen denken
Kritik an Doktrin des Bundes
dsc. ⋅ Die Suche nach einem Tiefenlager für radioaktive Abfälle geht von einer Lagerung im Inland aus. Nun verlangt aber eine im Auftrag des Bundesamts für Energie (BfE) verfasste Studie zu ethischen Fragen ein anderes Vorgehen. «Die Behörden müssen sich mit der Option eines allfälligen Exports nuklearer Abfälle auseinandersetzen», heisst es. Die Behörden müssten dafür auch in internationale «politische Beratungen» eintreten. Eine freiwillige, demokratisch abgestützte Übernahme der Tiefenlager-Last durch einen anderen Staat sei zwar «gering», aber nicht «verbaut», so die Studie. Ähnliches verlangen immer wieder parlamentarische Vorstösse, jüngst etwa von Peter Keller (svp., Nidwalden). Der Bundesrat bezeichnet in seiner Antwort dazu eine Endlagerung im Ausland als aussen- und innenpolitisch nicht denkbar.
Auch beim heute nicht vorgesehenen Vetorecht der Standortgemeinden regt die Studie Änderungen an: «Das Vetorecht darf der regional betroffenen Bevölkerung nicht vorenthalten werden.» Dies passe nicht zu einem aufklärerischen Diskurs, so die von einer Beratungsfirma ausgehend von Analysen des Philosophen Andreas Brenner und diverser Befragungen erstellte Studie. Diese attestiert der bisherigen Debatte «Vernebelungsdiskurse».
Das BfE hat den Text in einem Blog in distanzierter Art publiziert und stellt fest, dass einiges bereits erfüllt sei, etwa die «intensive und ergebnisoffene Debatte» oder die Forderung nach dem Verursacherprinzip (durch die stärkere finanzielle Belastung der AKW-Betreiber über die Entsorgungsfonds). Einige Vorschläge seien laut dem BfE aber «nicht sinnvoll» und würden – etwa die Exportfrage – von den befragten Philosophen unterschiedlich beantwortet.
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