Entsorgung von Sonderabfällen als Übungsfeld für Grosssanierungen
Die Firma Geigy AG erhielt 1961 vom damals zuständigen Amt des Kantons Bern die Bewilligung, Sonderabfälle aus den Betrieben der Basler Chemie in die Tongruben der ehemaligen Céramique Industrielle de Bonfol (CISA) im gleichnamigen Ort im nordöstlichsten Zipfel der Ajoie, heute Kanton Jura, zu kippen. Die Tongruben waren von dem damals für die Abklärungen zuständigen Geologen für hinreichend dicht befunden worden, obschon Sandlinsen und –rinnen an der Grubensohle und den Grubenwänden bekannt waren und auch in alten Akten der CISA aufgezeichnet sind. Tongruben galten aber in der damaligen Welt der Geologen als dicht. So kam es, wie es kommen musste. Die Bewilligungen wurden erteilt, die Verfüllung der Grube konnte beginnen. Eine Basisabdichtung für die Deponie oder ein geordnetes Einbaukonzept wurde von den Behörden nicht gefordert. Das Ergebnis dieser Praxis: die beim Kippen beschädigten und beim Einbau zerdrückten Chemiefässer liefen aus und verschmutzten Grundwasser und umliegende Böden über Jahrzehnte. Der Deponiebetreiber verstärkte die Sicherheitsmassnahmen der Deponie Schritt um Schritt, auf Druck der lokalen Bevölkerung oder aufgrund neuer gesetzlicher Grundlagen. Die Behörden bewilligten jedes dieser Teil-Sanierungsprojekte. Aber auch diese Teilsanierungen vermochten nicht, das Problem an der Wurzel zu lösen. Zu guter Letzt blieb nur ein Weg offen: die Deponie musste unter hohen Sicherheitsbedingungen vollständig ausgeräumt werden, für mehrere hundert Millionen Franken. Ein Unternehmen, das 2016 abgeschlossen sein dürfte.
Abbildung 1: Sanierung der Sondermülldeponie Bonfol 2008, Vorbereitung des Bauplatzes für die Sanierungshalle.
In den 1970er Jahre wurde die ausgebeutete Tongrube der Ziegelei Keller in Koelliken geologisch untersucht, um die Eignung des Standorts als Sondermülldeponie abzuklären. Das zuständige Ingenieurbüro, das sich bei seinem Befund auf wenige Bohrungen stützte, kam zum Schluss, dass das Grundwasser in der Grube artesisch gespannt sei. Somit konnte theoretisch kein Sickerwasser in den Untergrund dringen. Eine Grundwasserverschmutzung schlossen die Fachleute aus. Die Expertisen wurden von den zuständigen Behörden begutachtet, das Projekt der Sondermülldeponie Koelliken, an dem auch der Standortkanton Aargau zu knapp 42% beteiligt ist, bewilligt. Danach folgte das bekannte Szenario: die Deponie leckte, das Grundwasser wurde verschmutzt. Das Unmögliche war eingetreten. „Wer gegen die Umweltverschmutzung aufbegehrte, wurde belächelt oder mit allen Mitteln zum Schweigen gebracht“, fasst die Web-Seite der Sondermülldeponie heute zusammen.[1] Aber alles Verdrängen, alle Diffamierungen und alles Überhören von Kritik nützte nichts. Schritt um Schritt musste die Deponie saniert werden, eins ums andere Mal geprüft und bewilligt durch die Behörden, bis schliesslich nichts anderes blieb als die Totalsanierung. Sie wurde kürzlich abgeschlossen.
Fälle wie Bonfol oder Koelliken sind nur die Spitze eines Eisbergs einer falsch verstandenen Rollenteilung und einem kurzfristigen Denken verpflichteten Opportunismus von Partikulär-Interessen, Institutionen und Expertengremien. Alle ziehen ihren Nutzen aus dieser Situation. Abfallproduzenten und Entsorger können ihre Abfälle bequem und billig loswerden. Behörden sind froh, wenn sie sich nicht um ein lästiges Problem kümmern müssen und nicken die unterbreiteten Projektvorschläge der Industrie ab. Experten und Fachleute zweifeln nur in seltensten Fällen an der Machbarkeit eines Projektes und winken es mehrheitlich durch. Denn sie schreiben ja auch die Expertisen. Trotz den sich häufenden Fällen von Umweltverschmutzung im Entsorgungssektor wurde bisher bei solchen Planungen kaum etwas unternommen, um aus diesen sich wiederholenden Fehlern zu lernen. Rollen werden nicht hinterfragt. Projektant ist Projektant, er hat das Sagen. Experten und Fachgremien liefern Gutachten um Gutachten und untermauern ein Projekt. Behörden prüfen und bewilligen. Sie sind es auch, die am Schluss die Sanierung verfügen, wenn der Schaden da ist. Sturer und blöder könnte es gar nicht mehr gehen.
Und trotzdem wird dieses offensichtlich grundfalsche Modell verteidigt und weiterhin auf breiter Front umgesetzt. Ja nicht an diesem Mecano rütteln! Auch bei der nuklearen Entsorgung mit Risiken, die alles bekannte im Altlastenbereich bei weitem übersteigen, scheint unsere Gesellschaft nicht bereit zu sein, diese Rollenteilung auch nur im Geringsten zu überdenken. Seitens staatlicher Behörden herrscht der Grundsatz, in keinem Fall auf Planung und Projektierung eines Projektes Einfluss zu nehmen. Aus Gründen der „Unabhängigkeit“. Einfluss nehmen hiesse ja auch, Verantwortung zu übernehmen , was wiederum juristische Nachspiele haben könnte. Aber ist eine Behörde nicht auch dafür mitverantwortlich, wenn sie Projekte bewilligt, die im Nachhinein Sanierungsfälle werden? Müsste nicht auch eine staatliche Institution dafür in die Pflicht genommen werden, wenn sie ihre Verantwortung nicht so wahrnimmt, wie sie es sollte? Mit Sanktionen und mit der nachträglichen Übernahme von Kosten für den Fall, dass sich Bewilligungen als Fehlentscheidungen herausstellen?
Nukleare Entsorgung ohne Aufsicht
Im Bereich der Entsorgung radioaktiver Abfälle ist man auf dem bestem Weg, die gleichen Fehler zu wiederholen, die man bereits im Altlastenbereich gemacht hat. Der Staat und seine Institutionen übertragen den Abfallproduzenten eine Verantwortung, die diese sachlich gar nicht tragen können – und vielfach auch nicht tragen wollen. Das Kernenergiegesetz hält in Artikel 72 Absatz 1 unmissverständlich fest: „Die Aufsichtsbehörden prüfen eingereichte Projekte und wachen darüber, dass die Inhaber von Bewilligungen und von nuklearen Gütern ihre Pflichten nach diesem Gesetz einhalten.“ Behörden prüfen also Projekte, nicht aber Planungsschritte, Planungsabläufe oder Planentwürfe für Projekte. Das Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) ist nach Gesetz nicht verpflichtet, die Planungsarbeiten der Nagra zu überwachen, nicht einmal sogenannte „vorbereitende Handlungen“ wie etwa die Aufnahme seismischer Profile, oder Probebohrungen. Weder das Bundesamt für Energie (im Rahmen des Sachplans geologische Tiefenlager), noch das ENSI haben Weisungsbefugnis über die Nagra[2]. Das Inspektorat tritt erst in Erscheinung, wenn es darum geht, die Unterlagen zu einem Gesuch zu beurteilen. Die Überwachung der Handlungen der entsorgungspflichtigen Produzenten radioaktiver Abfälle beginnt erst, wenn ein allfälliges Lager gebaut wird. Das Gesetz sieht in der Zwischenzeit lediglich vor, dass das ENSI Richtlinien erlassen kann, in der Hoffnung, dass der Entsorger diesen folgt.
Man stelle sich vor, andere staatliche Instanzen würden so handeln. Statt Steuersünder zur Rechenschaft zu ziehen, würden Finanzämter Richtlinien festlegen, wie und wann ausstehende Steuerschulden zu bezahlen wären. Aber nicht mehr. Staatsanwälte würden Regelwerke dazu verfassen, wie Einzuvernehmende zur Vernehmung bestellt werden könnten. Ohne Möglichkeiten zu erhalten, Sanktionen zu ergreifen. Richtlinien für das Einhalten von Geschwindigkeitslimiten würden den Verkehr regeln. Ohne einen einzigen Blitzkasten und ohne Polizei. Und die Planung und Projektierung von Infrastrukturvorhaben für Schiene und Strasse würde privaten Interessengruppen überlassen. Aber genau so verhält es sich bei der Planung der nuklearen Entsorgung. Es ist kaum zu glauben, mit welcher Naivität der Gesetzgeber sich um die Regulierung einer derart mit Risiken für die Bevölkerung beladenen Aufgabe wie jener der nuklearen Entsorgung drückt.
Wer sich die Planungsruinen des schweizerischen Entsorgungsprogramms in den letzten Jahrzehnten vor Augen hält, kommt nicht umhin, einen anderen Weg ins Auge zu fassen, wie mit derart gefährlichen Abfällen umgegangen werden soll. Einfach privaten und gewinnorientierten Firmen die Verantwortlichkeiten für eine Zukunft über hunderttausende von Jahren zu überlassen und den bequemen Weg des Bewilligens und Verfügens, ohne effektive Überwachung zu beschreiten, ist bestimmt der falsche Weg. Die entsprechenden Gesetze, Verordnungen und Richtlinien müssen dringend angepasst und die Nuklearindustrie an die „Kandare genommen“ (Direktor BFE zum Vorgehen der Nagra) werden. Und zwar ernsthaft und effizient. Auch im Bereich der Planung und Projektierung der nuklearen Entsorgung.
[1] https://www.smdk.ch/index.cfm?&content=110602
[2] Zur Planung und Durchführung der Entsorgung der anfallenden radioaktiven Abfälle gründeten die Entsorgungspflichtigen am 4. Dezember 1972 die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (NAGRA). Ihre Genossenschafter sind:
Schweizerische Eidgenossenschaft, Bern
BKW FMB Energie AG, Bern
Kernkraftwerk Gösgen-Däniken AG, Däniken
Kernkraftwerk Leibstadt AG, Leibstadt
Axpo AG, Baden
Alpiq Suisse SA, Lausanne
Zwilag Zwischenlager Würenlingen AG
Diese Genossenschafter stellen auch die Mitglieder des Verwaltungsrates.
Formell ist die NAGRA mit dem Mandat betraut, die nukleare Entsorgung im Sinne des Gesetzes für ihre Genossenschafter durchzuführen. Durch die Übernahme des Mandats übernimmt sie aber die Verantwortung der Entsorgungspflichtigen nicht, sondern beliefert diese mit den Unterlagen, mit Hilfe derer die Abfallproduzenten dem Bund nachweisen können, dass sie der gesetzlichen Entsorgungspflicht nachkommen. Die NAGRA ist den Entsorgungspflichtigen unterstellt und einzig diesen gegenüber Rechenschaft schuldig.
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