Zum 50. Geburtstag der Nagra: Erneut ein Standortvorschlag für ein geologisches Tiefenlager
1972 wurde die Nagra gegründet. Seither hat sie schon mehrmals Standorte für geologische Tiefenlager vorgeschlagen. Bis anhin erfolglos. Heute nun – gewissermassen zu ihrem 50. Geburtstag – stellt die Nagra abermals einen neuen Standort vor. Realisiert werden soll dort zu gegebener Zeit ein geologisches Tiefenlager für sämtliche radioaktiven Abfälle der Schweiz, also für den Strahlenmüll aus dem Betrieb der (in den 1960er bis 1980er Jahren in Betrieb genommenen) Kernkraftwerke, sowie aus Anwendungen in der Medizin, Industrie und Forschung. Folgt das Entsorgungsprogramm dem «Sachplan geologische Tiefenlager», so stünden wir jetzt etwa bei Halbzeit bis zur Inbetriebnahme eines Lagers.
Gemäss den Vorgaben des Sachplans bereitet die Nagra nun das Gesuch für eine Rahmenbewilligung vor, mit der namentlich die Wahl des Standorts begründet und festgelegt wird. Kommt damit die nukleare Entsorgung der Schweiz endlich unter Dach? Antwort: Könnte sein, aber vielleicht auch nicht. Schon einmal glaubte die Nagra, dem Ziel für ein «Endlager» für schwach- und mittelradioaktive Abfälle (SMA) nahe zu sein. Das war in den 1990-er Jahren am Wellenberg (Kt. NW). Das Projekt erlitt aber 2002 in der zweiten Volksabstimmung im Kanton Nidwalden seine endgültige Abfuhr. Auch für hochradioaktive Abfälle war die Nagra schon 1985 mit ihrem ersten Projekt „Gewähr“ gescheitert. Und im Jahr 2002 preschte sie mit dem Zürcher Weinland als vermeintlich bestem Standort vor. Der Bundesrat sah das aber anders und leitete darauf für den Prozess der Standortauswahl den «Sachplan geologische Tiefenlager» ein.
Wo stehen wir heute, nahe dem Abschluss des Sachplans?
In der dritten Etappe des Sachplans untersuchte und evaluierte die Nagra ihre letzten drei (selbstdeklariert «besten») Standortregionen: Bözberg (Jura Ost), Zürcher Weinland (Zürich Nord-Ost) und Nördlich Lägern. Alle drei Regionen sind selbst vor dem Hintergrund der engräumig strukturierten geologischen Verhältnisse in der Schweiz nicht uninteressant. Nur: Keine von ihnen erfüllt bzw. widersteht allen im Sachplan-Konzept definierten Eignungs- und Ausschlusskriterien bezüglich der nuklearen Langzeitsicherheit. Von möglicher eiszeitlicher Tiefenerosion (v.a. in Zürich Nord-Ost), tektonischer Beanspruchung, über mögliche Rohstoffvorkommen (alle drei Standorte), zu geringer Lagertiefe (Jura Ost), u.a.m. bestehen noch zahlreiche Schwellen und Hindernisse. Mehrere erforderliche Standortuntersuchungen sind ausstehend oder noch nicht abgeschlossen. Angesichts der geologisch suboptimalen Gegebenheiten stellt sich, wohl zu Recht, die Frage, ob heute oder später überhaupt eine Standortwahl vorgenommen werden kann und soll. Und: Ist die Nagra unter diesen Umständen die richtige Instanz dafür? Gebietet die Sorgfaltspflicht nicht viel mehr – zumindest für hochradioaktive Abfälle – auch die Option einer Lagerung an einem geologisch besseren Standort im Ausland zu prüfen?
So sind wir denn gespannt auf die in den kommenden Jahren folgenden sachlichen und philosophischen Diskussionen, auf die grundsätzlichen Forderungen nach grösstmöglicher Sicherheit, bzw. auf die Forderung nach einer «pragmatischen», d.h. minimalistischen, dafür ökonomisch «tragbaren» Lösung im Lande Schweiz. Sollte dann diese Diskussion einmal abgeschlossen sein, dann ist es wohl auch jene um die Erteilung der Rahmenbewilligung. Nur: Das Lager ist dann noch längst nicht gebaut. Und auf dem langen, im Wortsinn steinigen Weg der Realisierung stehen noch viele Hürden, und es lauern weiterhin (unangenehme) Überraschungen, bis zum bitteren Ende, um jede Ecke des Projektes.
Worauf haben wir uns einzustellen? Was sollen und können wir uns erhoffen?
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