Nach der kurzen historischen Analyse über die zentralen Gründe des wiederholten Scheiterns der bisherigen Programme der Nagra werden wir nun darlegen, wie aus unserer Sicht im weiteren Verlauf der Standortsuche in der Schweiz vorzugehen wäre, damit sich der Absturz nicht wiederholt.
Als erstes gilt es die Genossenschaft aus der Abhängigkeit einer schwer serbelnden Atomwirtschaft herauszulösen. Erst dann, wenn die Weisungsbefugnis der Atomwirtschaft in Sachen Entsorgung in geordnete Bahnen gelenkt ist, kann an der strukturellen Misere der letzten Jahrzehnte auch etwas geändert werden.
Wir werden diese Themen in späteren Beiträgen wieder aufnehmen. Vorerst sollen aber die naturwissenschaftlichen Anforderungen an das weitere wissenschaftliche Vorgehen bei der weiteren Erkundung der Standortregionen dargelegt werden.
Auswahlkriterien in Etappe 3
Im Sachplan (BFE 2008) werden Standortkriterien genannt, welche insbesondere in Etappe 2 zur Anwendung hätten kommen müssen. Wie sich nun zeigte, werden diese Kriterien bislang aber nicht im Sinne von Ausschlusskriterien angewendet, sondern als gegeneinander aufzuwiegende Argumente. Durch dieses Vorgehen können in der Folge sehr wohl ungeeignete Standorte im Auswahlverfahren bleiben und in die abschliessende Etappe 3 weiter gezogen werden.
Gemäss BFE 2008) geht es in Etappe 3 des Sachplans nun um folgendes:
„Ergänzen der geologischen Kenntnisse:
Bevor ein Standort für die Einreichung eines Rahmenbewilligungsgesuchs gewählt wird, müssen die geologischen Kenntnisse über die am Ende von Etappe 2 gewählten Standorte von den Entsorgungspflichtigen auf einen Stand gebracht werden, der einen Vergleich aus sicherheitstechnischer Sicht aufgrund verifizierter standortbezogener Daten ermöglicht (Anhang IV).“
Diese Ergänzungen sollen namentlich die Berechnung von Jahresdosen für radioaktive Strahlung erlauben, welche die Bevölkerung aus einem geologischen Tiefenlager erhalten könnte. Diese berechneten Dosen werden sodann durch das ENSI gemäss seiner Richtlinie G-03 (früher R-21) als wichtigstes Kriterium für die Beurteilung eines Lagerstandortes für die Erteilung einer Rahmenbewilligung für einen Lagerstandort verwendet.
Im Hinblick auf diese Etappe hat die Nagra bereits weitere Untersuchungen eingeleitet und beabsichtigt nun, Gesuche für Sondierbohrungen einzugeben (www.nagra.ch). Auch weitere Seismikuntersuchungen sollen unternommen werden (Nagra 2014b, bzw. 2016 für den Standort „Lägern Nord“). Nur: Was soll damit erreicht werden? Reichen die beschriebenen Bohrungen und seismischen Profile für den Nachweis der Sicherheit eines Lagerstandortes aus? Wir zweifeln sehr daran: Aus unserer Sicht sind diese Untersuchungen ungenügend; sie erlauben eine faktisch hinreichend abgestützte Beurteilung der Lagersicherheit nicht und lenken die Aufmerksamkeit von den wirklich kritischen Fragen bezüglich der Eignung der potentiellen Lagerstandorte Bözberg (Jura Ost), Zürcher Weinland (Zürich Nord-Ost) und Nördlich Lägern ab. Die vorgesehene Beurteilung der Langzeitsicherheit beruht einmal mehr im Wesentlichen auf Papierberechnungen und spiegelt das alte Credo der Nagra und der Sicherheitsbehörden in Sicherheitsanalysen wider.
Wir kommen daher nochmals auf die zu berücksichtigenden Kriterien für die Garantie der Lagersicherheit zurück und versuchen sie nochmals klarer zu umschreiben. Die Lagersicherheit bedingt, dass folgende Kriterien erfüllt sein müssen:
- Die natürlichen Verhältnisse (Geologie, Hydrologie, Topographie, u.a.m.) müssen in einem Lager einen genügenden (Einhaltung der Grenzwerte) und möglichst guten (Optimierung) Schutz vor der Freisetzung radioaktiver Substanzen. Dabei geht es in erster Linie um den Einschluss der Abfälle im Muttergestein und dessen Schutz in seinem natürlichen Umfeld.
- Ein Lager darf durch natürliche Prozesse weder von oben (z.B. durch Gletschererosion), noch von der Seite (z.B. Grundwasserfluss) noch von unten (z.B. tektonische Bewegungen an Verwerfungen, Eintritt von Thermalwasser) bedroht sein.
- Das Lager muss einen möglichst guten natürlichen Schutz vor menschlichem Eingriff bieten. Dies bedingt die Abwesenheit seltener und wertvoller Bodenschätze oberhalb, unterhalb und in seitlicher Nähe des Lagerstandortes (insbesondere wertvolle Grundwasservorkommen, besonders interessante geothermische Ressourcen, Kohlenwasserstoffe, Erzvorkommen). Geschützt muss das Lager aber auch vor „Einwirkung durch Dritte“, also vor Eindringen zu kriminellem oder terroristischen Zwecken sein.
Zu den zu berücksichtigenden Eingriffen gehört auch der mögliche Bau von Kommunikations- und Transportwegen, wie etwa Verkehrswege (z.B. Swissmetro), Gas-, Oel- und Wasserleitungen, Kabeltunnels. Ausserdem kann der Untergrund auch für andere Lagerzwecke genutzt werden, wie etwa als Gasreservoir und zur Lagerung von CO2 .
Bekanntlich werden vielerorts in der Nordostschweiz Steine und Erden v.a. als Baumaterialien abgebaut. Dies sind wertvolle, aber nicht seltene Vorkommen. Ein Lager kann vor den Folgen von Abbauprojekten durch seine Tiefenlage und durch mächtige Deckschichten geschützt sein.
Menschliche Eingriffe können auch natürliche Prozesse verändern, wie z.B. die Fliesswege des Grundwassers und dessen Ergiebigkeit. Deshalb darf beispielsweise die Nutzung eines wichtigen Thermalwasservorkommens ausserhalb des Lagergebietes, dieses nicht durch neue Flussverhältnisse bedrohen.
- Das Lager muss möglichst sicher gebaut, betrieben, verschlossen, beobachtet und allenfalls rückgeholt werden können (Arbeitssicherheit, Sicherheit für die Bevölkerung und jederzeit gewährte Strahlensicherheit). Dies bedingt, dass die Sicherheit der Anlage über alle Betriebsetappen und für alle Zustände gewährleistet werden muss. Hierzu zählen Bau und Betrieb, die sich immer wieder überschneiden, dann Teilabschlüsse und definitiver Verschluss, anschliessend die Phasen bis zur Einschlusswirksamkeit der Lagerstollen und ihrer Zugänge und schliesslich der Lagerprozess selbst. Zu den Zuständen gehören der Normalbetrieb und der Störfall in den verschiedenen Etappen.
In Etappe 3 des Sachplanverfahrens müssen die möglichen Standorte für geologische Tiefenlager auf die Einhaltung der obigen Bedingungen geprüft werden. Dabei zählt jeder der genannten Punkte. Es handelt sich also nicht um eine Auswahl, aus welcher man gute Punkte herausfischen und schlechte Punkte eliminieren kann. Eine gute Eigenschaft in einem Punkt (beispielsweise ein besonders guter Einschluss der radioaktiven Stoffe im Wirtsgestein an einem Standort) kann eine schlechte Eigenschaft (z.B. leichte Erosion bei der nächsten Vereisung der Region) nicht kompensieren.
Zum weitern Vorgehen bei der Festlegung eines Standorts für ein geologisches Tiefenlager
Die Prüfung der durch die Nagra benannten Standorte Bözberg und Zürcher Weinland, sowie des durch die Kantone geforderten Strandorts „Lägern Nord“ auf die Einhaltung der oben genannten Kriterien stellt eine riesige Herausforderung und Aufgabe dar. Davon wurde in Etappe 2 des Sachplans nur ein beschränkter Teil abgearbeitet, vieles ist noch offen und muss in Etappe 3 weiter und vertieft geprüft werden.
Aus früheren Forschungen sind uns an allen drei Standorten Schwachpunkte bekannt, welche zum eventuellen Ausschluss führen könnten und deshalb prioritär zu klären sind. Bevor wir auf diese Schwachpunkte konkret eingehen, möchten wir im nächsten Beitrag aufzeigen, welcher Art die Informationen sein müssen, um die Einhaltung der obigen Kriterien zu beurteilen, bzw. um eine umfassende Sicherheitsanalyse erstellen zu können.
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