Die eigentlichen Standortkriterien
Im Blogbeitrag vom 2. Mai umschrieben wir nochmals explizit die Kriterien zum Nachweis der Eignung eines Standorts für ein möglichst sicheres geologisches Tiefenlager (Text leicht angepasst):
- Die natürlichen Verhältnisse (Geologie, Hydrologie, Topographie, u.a.m.) müssen in einem Lager einen genügenden (Einhaltung der Grenzwerte) und möglichst guten (Optimierung) Schutz vor der Freisetzung radioaktiver Substanzen gewähren. Dabei geht es in erster Linie um den Einschluss der Abfälle im Muttergestein und dessen Schutz in seinem geologischen Umfeld.
- Ein Lager darf durch natürliche Prozesse weder von oben (z.B. durch Gletschererosion), noch von der Seite (z.B. Grundwasserfluss), noch von unten (z.B. tektonische Bewegungen an Verwerfungen, Eintritt von Thermalwasser oder artesisch gespannten Grundwässern) bedroht sein.
- Das Lager muss einen möglichst guten natürlichen Schutz vor menschlichem Eingriff bieten. Dies bedingt die Abwesenheit seltener und wertvoller Bodenschätze oberhalb, unterhalb und in seitlicher Nähe des Lagerstandortes (insbesondere wertvolle Grundwasservorkommen, besonders interessante geothermische Ressourcen, Kohlenwasserstoffe, Erzvorkommen). Möglichst gut geschützt werden muss das Lager aber auch vor „Einwirkung durch Dritte“, also vor Eindringen mit kriminellen oder terroristischen Absichten.
Bekanntlich werden vielerorts in der Nordostschweiz Steine und Erden v.a. als Baumaterialien abgebaut. Dies sind wertvolle, aber nicht seltene Vorkommen. Ein Lager kann vor den Folgen von Abbauprojekten durch seine Tiefenlage und durch mächtige Deckschichten geschützt sein.
Zu den zu berücksichtigenden Eingriffen im Tiefuntergrund gehört auch der mögliche Bau von Kommunikations- und Transportwegen, wie etwa Verkehrswege (z.B. Swissmetro), Gas-, Oel- und Wasserleitungen, Kabeltunnels. Ausserdem kann der Untergrund auch für andere Lagerzwecke genutzt werden, wie etwa als Gasreservoir und zur Lagerung von CO2.
Menschliche Eingriffe können auch natürliche Prozesse verändern. Darum darf die kombinierte Wirkung aller Eingriffe in den Tiefuntergrund eines Gebietes nicht vergessen werden, insbesondere auf die Fliessverhältnisse der tiefen Wässer, welche z.B. durch Verpressungen von Flüssigkeiten, durch das Pumpen von Grundwässern oder die Drainage von Tunnels verändert werden können. Die kombinierte Wirkung solcher Eingriffe ist schwer zu erfassen.
- Das Lager muss möglichst sicher gebaut, betrieben, verschlossen, beobachtet (Arbeitssicherheit, Sicherheit für die Bevölkerung und jederzeit gewährte Strahlensicherheit) und die darin gelagerten Abfälle müssen allenfalls rückgeholt werden können. Dies bedingt, dass die Sicherheit der Anlage über alle Betriebsetappen und für alle Zustände gewährleistet werden muss. Hierzu zählen Bau und Betrieb, die sich immer wieder überschneiden, dann Teilabschlüsse und definitiver Verschluss, anschliessend die Phasen bis zur Einschlusswirksamkeit der Lagerstollen und ihrer Zugänge und schliesslich der Lagerprozess selbst. Zu den Zuständen gehören der Normalbetrieb und der Störfall in den verschiedenen Etappen.
In Etappe 3 des Sachplanverfahrens müssen die möglichen Standorte für geologische Tiefenlager auf die Einhaltung der obigen Bedingungen geprüft werden. Dabei zählt jeder der genannten Punkte. Es handelt sich also nicht um eine Auswahl, aus welcher man gute Punkte herausfischen und schlechte Punkte eliminieren kann. Eine gute Eigenschaft in einem Punkt (beispielsweise ein besonders guter Einschluss der radioaktiven Stoffe im Wirtsgestein an einem Standort) kann eine schlechte Eigenschaft (z.B. leichte Erosion bei der nächsten Vereisung der Region) nicht kompensieren.
Das Untersuchungsprogramm der Nagra in Etappe 3 des Sachplans
Die Nagra schreibt in ihrem Arbeitsbericht NAB 14-83 (Nagra 2014): „Für die Etappe 3 wurden von der Nagra die Standortgebiete Zürich Nordost und Jura Ost zur vertieften Untersuchung vorgeschlagen (Nagra 2014a). Für diese beiden Standortgebiete ist jeweils ein Konzept für die Standortuntersuchungen zu erarbeiten, welches gewährleistet, dass eine ausreichende Datengrundlage für die Standortwahl und für die Rahmenbewilligungsgesuche für die Tiefenlager SMA und HAA zur Verfügung steht.“ Zu ergänzen ist, dass die Nagra diese Untersuchungen auf Betreiben der Kantone auch auf das Gebiet „Nördlich Lägern“ ausdehnen müssen wird (Nagra 2016). Die Stellungnahme des Ensi steht noch aus.
Logischerweise würde man in den zitierten Berichten eine Analyse erwarten, in welcher eben diese Datengrundlage beschrieben und die Lücken herausgeschält würden. Leider ist dem aber nicht so. Die Nagra hält sich dazu kurz (Nagra 2014, S. 7, „Rahmenannnahmen und Zielsetzungen“):
„Der zeitliche Horizont und der Hauptzweck der Konzepte bestimmen ihren Inhalt und Tiefgang. Dazu sind Rahmenannahmen zu berücksichtigen:
- Die Planung der Standortuntersuchungen für die Etappe 3 orientiert sich an den Ergebnissen des Sicherheitstechnischen Vergleichs (Nagra 2014a):
- Die für Etappe 3 zu untersuchenden Standortgebiete für das HAA Lager und das SMA Lager sind Zürich Nordost und Jura Ost.
- Die zu untersuchenden Bereiche innerhalb der Standortgebiete ergeben sich aus den optimierten und modellhaft modifizierten Lagerperimetern HAA und SMA (Nagra 2014a). Ihr grösserer geologischer Zusammenhang ist zu untersuchen, sofern dieser für eine Beurteilung nach den Kriterien des Sachplans erforderlich ist. Die zu untersuchenden Bereiche werden beim Nachweis der Eignung nach den Kriterien des Sachplans zu den Lagerbereichen für das Rahmenbewilligungsgesuch.
- Das zu untersuchende Wirtgestein für das HAA-Lager in den Standortgebieten Zürich Nordost und Jura Ost ist der Opalinuston.
- Das prioritäre Wirtgestein für das SMA-Lager Zürich Nordost ist – gemäss der Vorschläge der Etappe 2 – der Opalinuston. Dieser ist das vorrangige Ziel der Standortuntersuchungen für Etappe 3. Die Wirtgesteinsabfolge ‚Brauner Dogger‘ gilt als „weiteres Wirtgestein“. Die Erkundung des ‚Braunen Doggers‘ als Rahmengestein zum OPA und als „weiteres Wirtgestein“ wird begleitend zu Untersuchung des prioritären Wirtgesteins durchgeführt.
- Das für das SMA Lager in Jura Ost zu untersuchende Wirtgestein ist – wie in Etappe 1 festgelegt – der Opalinuston.“
Der Nagra geht es also um die Standortcharakterisierung in der Wirtgesteinsformation „Opalinuston“, unter Berücksichtigung des „Braunen Doggers“, für die Anlage eines Doppellagers (schwach und mittel radioaktive Abfälle SMA und hoch radioaktive Abfälle HAA) an den zwei vorgeschlagenen Lagerstandorten Jura Ost (Bözberg), Zürich Nord-Ost (Weinland), sowie am „aufgezwungenen“ Standort Nördlich Lägern.
Das Untersuchungsprogramm der Nagra und dessen Lücken
Methodisch ist der von der Nagra oben gewählte Ansatz mehr als fragwürdig. Die mehrheitlich vor Jahrzehnten geförderten Daten aus den Bohrkampagnen sowie die erst durch massiven äusseren Druck zustande gekommenen Daten der seismischen Felduntersuchungen im Rahmen des Sachplans werden in Sicherheitsanalysen hineingepresst. Das Ergebnis dieser Modellierung lässt sich bereits erahnen: alles geht rechnerisch auf, die Strahlenschutzziele sind rechnerisch erfüllt, alle Standorte könnten rechnerisch gesundgerechnet werden. Ja, rechnerisch leben wir in der besten aller möglichen Welten, würde der Mathematiker Leibnitz, der Schöpfer der allerbesten Welten, wohl heute dazu meinen. Auf diese Weise können die Promotoren der Sicherheitsnachweise weitere Nebelpetarden zünden, welche „Sicherheit“ vorgaukeln.
Aber diese Methoden taugen für wirkliche robuste Nachweise über die Qualität des Untergrundes nicht. Modelle sind wohl ein nützliches Instrument zur Berechnung einfacher hydrologischer und geologischer Prozesse. Als alleiniges Instrument zur Entscheidungsfindung sind sie auf Grund der extrem vereinfachten Ausgangsdaten und der Kenntnislücken nicht tauglich! Hierzu braucht es eine Vielzahl weiterer Felduntersuchungen und konkret auf Schwachstellen des Systems gezielt angesetzte Untersuchungen (Bohrungen u.a.m.). Und zwar nach einer nachvollziehbaren Analyse der heute bekannten Schwachstellen des Untergrundes. Bei einer Analyse des für Etappe 3 vorgesehenen Arbeitsprogramms der Nagra können die Schwächen der gesamten Konzeption des wissenschaftlichen Standortnachweises sichtbar gemacht werden.
Zur Erinnerung: Die durch die Nagra geplanten Untersuchungen umfassen seismische Feldaufnahmen und Analysen, „Tiefbohrungen“, „untiefe Bohrungen“ und in beschränktem Rahmen sogenannte „sonstige Untersuchungen“ (Oberflächenuntersuchungen, Monitoring). Der Umfang dieser Arbeiten wird in den erwähnten Berichten von 2014 und 2016 beschrieben. Vergleichen wir diese Programme aber mit den aus den Standortkriterien ableitbaren Bedürfnissen, so stösst man auf riesige Defizite! Hier eine kurze Analyse:
- Die Prüfung von Kriterium 1 (siehe oben) ist mit dem Programm bei ungestörten Verhältnissen und die nächste Zukunft nur teilweise abgedeckt. Die Problem ist hier, dass die geplanten Untersuchungen nicht auf die bekannten geologischen Schwachstellen im Untergrund fokussiert sind. Es braucht nicht „Schönwetter“-Ergebnisse, mit der die Nagra ihre Rechenmaschine wieder anwerfen und in Betrieb halten kann, sondern Daten und Ergebnisse, die mehr Sicherheit darüber geben, ob bedeutende Zweifel an der Qualität des Untergrundes verstanden, beziehungsweise ausgeräumt werden können. Dieses Ziel wird aber mit dem vorgesehenen Nagra-Programm nicht anvisiert. Für die Sicherheit essentielle Fragen werden daher bei diesem Vorgehen offen bleiben.
- Die Einhaltung von Kriterium 2 kann mit dem Programm der Nagra nicht schlüssig geprüft werden. Namentlich die Beschränkung der sogenannten Tiefbohrungen, welche auf die Erkundung des Permokarbon-Troges und das kristalline Grundgebirge verzichten, lässt in der Kenntnis der geothermischen Verhältnisse und der Neotektonik an den Trogrändern riesige Lücken. Man sucht auch vergeblich nach einer Methode die es erlauben soll, die Geschichte des Gletschererosion im Verlauf der Eiszeiten so zu rekonstruieren, dass einigermassen verlässliche Prognosen über die Gefährdung eines Endlagers in der Zukunft ermittelt werden könnten.
- Kriterium 3 wird vollständig ausser Acht gelassen. Zur Frage des Ressourcenkonflikts im Permokarbon-Trog schreibt die Nagra 2014 in einer Fussnote S. 9: „Es wird davon ausgegangen, dass im Rahmen der behördlichen Stellungnahmen zu Etappe 2 die Bedeutung der potenziellen Nutzungskonflikte beurteilt wird.“ Billiger geht’s nimmer! Die Frage des Abbaus von Baumaterialien und Bindemittel, wie auch die Möglichkeit der Nutzung des tiefen Untergrundes für Kommunikationswege u.a.m. bleibt vollständig ausgeklammert, obwohl hierzu noch keine in der Sicherheitsanalyse verwendbaren Grundlagen bestehen. Die Frage nach menschlichen Eingriffen in der Zukunft wird wohlweislich vermieden. Denn diese Frage enthält derart viel Sprengkraft, dass sie jedes Endlagerprogramm bodigen kann.
- Dieselbe Aussage betrifft auch Kriterium 4, wo es beispielsweise darum geht, ob ein Lagerstandort mit dem Bau eines sicheren Zugangsweges und dessen sichere Offenhaltung während der Betriebsphase garantiert werden können (Kreuzung von tektonischen Störungen, Frage des Tiefengrundwassers). Hinzu kommt die altbekannte Frage, ob Abfälle tatsächlich rückholbar sind. Die bisherige Geschichte der Rückholung von radioaktiven und selbst chemotoxischen Abfällen im tiefen Untergrund setzt ernste Zweifel, ob die Rückholbarkeit tatsächlich möglich und praktikabel ist. Denn dazu braucht es nicht Papiertiger oder Werbefilme, sondern handfeste Nachweise im industriellen Massstab.
Wir werden in weiteren Beiträgen im Detail auf die Sicherheitsanalysen der Nagra, auf die konkreten geologischen Schwachstellen im Untergrund und die Frage ihres Einfliessens in die Sicherheitsanalysen eingehen.
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