Oder: wie Entsorger und Behörden wissenschaftliche Erkenntnisse mit offenen Augen ignorieren.
Vor dreissig Jahren kamen zentrale geologische Informationen zusammen, welche dem Projekt zur Beseitigung der radioaktiven Abfälle der Schweiz eine neue Ausrichtung hätten geben sollen. Seit dreissig Jahren taten (und tun) aber Entsorger und Behörden (fast) so, als wäre „ausser Spesen nichts gewesen“. . . . und setzten eine weitere Milliarde Franken in den Sand, ohne die heissen offenen Fragen zu klären.
Die entscheidenden geologischen Informationen der 1980er Jahre waren deren drei:
- Die kristallinen Gesteine im tiefen Untergrund der Nordschweiz sind für den Empfang von Tiefenlagern ungeeignet.
- Unter der Nordschweiz wird das kristalline Grundgebirge durch eine Permokarbon Trog durchzogen, einer Zone der Instabilität und der Ressourcenkonflikte.
- Tiefe und Ausdehnung der Gletschererosion beeinträchtigt vom Alpenrand bis zum Jurafuss die möglichen Standortregionen.
Aus der ersten Erkenntnis entstand das Projekt Opalinuston. Die zwei weiteren Erkenntnisse versuchen Entsorger und Behörden mit gesenktem Blick zu umgehen, ohne auf die daraus erwachsenden Sicherheitsrisiken einzugehen.
Der Nordschweizer Permokarbon-Trog
Seitdem die im Rahmen von Projekt Gewähr abgeteufte Bohrung Weiach im Mai 1983 in die Schichten des Paläozoikums vorstiess und dort Kohleflöze durchfuhr, ist den Schweizer Geologen klar geworden: Unter dem Jura und in seiner Fortsetzung in Richtung Osten liegt ein etwa 3 km tiefer Permokarbon Trog. Er ist ins kristalline Grundgebirge eingesenkt und spielt bei der Suche nach einem Standort für ein geologisches Tiefenlager eine gewichtige Rolle:
- Die Trogränder blieben geologisch während sehr langer Zeit aktiv und sind dies vermutlich auch heute noch: Während einem Teil des Mesozoïkums, vor ungefähr 250 bis 140 Millionen Jahren, zeichnete sich die Zone durch eine stärkere Subsidenz aus, als das südlich davon gelegene „Allemannische Land“ und die nördlich anschliessenden Hochgebiete von Schwarzwald und Vogesen (Ziegler 1978, Wildi et al. 1989). Im Tertiär (ab ca. 30 Millionen Jahren) wurden die Trogränder als Dehnungsstrukturen reaktiviert (Naef et al. 1995) und während der darauf folgenden Jurafaltung komprimiert (Naef & Madritsch 2014, Fig. 6-4b). Heute weisen Erdbeben, namentlich im Norden von Brugg, auf anhaltende tektonische Bewegungen hin (https://www.seismo.ethz.ch).
- Der Trog, bzw. dessen Ränder, bietet interessante Zonen für die geothermische Nutzung von Tiefengrundwasser (Geowatt 2007, Leu 2008, https://www.geo-energie.ch/de/projekte/etzwilen.php). Dadurch stösst jede Sicherheitsanalyse an die Unbekannte der künftigen Zirkulation des Tiefengrundwassers.
- Die alten Sedimente im Trog führen Kohleflöze und Gas. Es besteht ein Ressourcenkonflikt, da bei der dereinst zu erwartenden Ausbeutung der Bodenschätze Setzungserscheinungen und veränderte Wasserflüsse zu erwarten sind.

Die Grundkenntnisse zum Permokarbon-Trog sind heute gut 30 Jahre alt. Sie stellten in den 1980er Jahren das alte Bild eines ruhigen geologischen Untergrundes auf den Kopf und veranlassten die Autoren dieses Blogs im Jahr 1984, die damalige Zone für die Suche nach Standorten für geologische Tiefenlager ganz stark einzuschränken (Abbildung 1): Aus der Sicht der Stabilität des tiefen Untergrundes und der Forderung schweren Ressourcenkonflikten auszuweichen, blieben damals einzig die Zone Zürcher Weinland – Schafhausen (Kristallinhorst Benken) und ein kleines Gebiet im Fricktal übrig (Buser & Wildi 1984). Daran hat (wie oben gezeigt) auch der Wechsel vom Grundgebirge zum Opalinuston als Lagergestein nicht viel geändert. Das untere Fricktal fällt heute allerdings als potentielle Lagerzone weg: Entweder fehlt der Opalinuston (Erosion), oder er liegt zu nahe an der Erdoberfläche.
Seit der Erkennung der Ausdehnung des Permokarbontroges im Rahmen von Projekt Gewähr ab 1983, wurde die Kenntnis dieser geologischen Struktur einzig in Geothermiebohrungen etwas weiter erforscht. Die dringende Durchbohrung des Trogzentrums, sei es zur Erforschung der Sedimente und Kohlewasserstoffe (Kohle und Gas), oder zur Kalibrierung der zahlreichen seismischen Profile lässt noch immer auf sich warten. So wirkt es grotesk, wenn die Nagra im Frühjahr 2015 als möglichen Standort für geologische Tiefenlager den Standort Bözberg, mitten über dem Trog vorschlägt und diesen, wohlgemerkt, auch in der Fortsetzung des Projektes nicht durch Sondierbohrungen geologisch weiter erforschen will.

Gletschererosion
Im Jahr 1984 publizierte die Fachzeitschrift der Schweizer Geologen erstmals eine Karte der Felsoberfläche, bzw. der Gletschererosion der Ost- und Nordschweiz (Wildi 1984). Diese Karte (Abbildung 2) zeigte in der Fortsetzung des Bodensees und im untern Thurtal tiefe Gletschererosion im Verlauf der Eiszeiten. Die damals verfügbaren Daten wiesen im Weinland und dessen Nachbarschaft auf eine Gletschererosion im Verlaufe der Eiszeiten von maximal 450 m hin. Darauf folgende Kompilationen im Zusammenhang mit dem eventuellen Lagerstandort (Von Moos 2009) zeigen Erosionen von 500 bis 600 m, ja nach Messstelle (siehe Beiträge vom 27. März und 3. April 2015).
Man darf also davon ausgehen, dass das Problem der starken Gletschererosion im Weinland seit mindestens 30 Jahren bekannt ist. Und wiederum stellt sich die Frage: Weshalb denn der Vorschlag der Nagra für die Anlage geologischer Tiefenlager für alle Abfallkategorien, wo doch offensichtlich namentlich für die langlebigen hoch radioaktiven Abfälle die geologische Schutzschicht nicht reichen dürfte?
Blindheit oder ideologischer Widerstand?
Fakten, die 30 Jahren bereits auf dem Tisch lagen und unterdessen eher konsolidiert denn widerlegt wurden, werden bei der heutigen Standortwahl behandelt, als wären sie inexistent. Oder nur gerade ungelegen? Betreffend Permokarbon Trog ist seit 30 Jahren bekannt, dass die Informationen durch robuste Felddaten, auch durch Tiefbohrungen durch den Trog hindurch erhärtet werden müssen. Und im Weinland sollten die Informationen soweit konsolidiert werden, dass man auch die maximale Erosion während einer einzelnen Eiszeit abschätzen kann. Oder zumindest eine genauere Idee zur Frage hat, ob dies methodisch überhaupt möglich ist.
Und nicht zu vergessen: Sowohl Gletschererosion als auch Ressourcenkonflikt sind gemäss Sachplan „Killer“-Kriterien (siehe unser Beitrag vom 24. Mai: „Reflexion bezüglich Stand und Zustand des Sachplans geologische Tiefenlager [III]“).
Dieses Resultat, nach mehr als einer Milliarde Franken Ausgaben für Entsorgungsnachweis und Standortsuche zeigt klar, dass Entsorgung auf diese Weise nie zu einem guten Ende kommen wird. Die Gründe hierzu sind vielfältig. Ein Hauptgrund liegt darin, dass sich die Geologie der Schweiz offensichtlich für die Langzeitlagerung auf Grund der schlechten Verhältnisse in der Nordschweiz als ungeeignet erweist. Dies ist ein Forschungsergebnis. Andererseits ist das heutige Ziel der Entsorgungspflichtigen und der Behörden offensichtlich nicht, das Problem nach bestem Wissen und Gewissen zu lösen, sondern über sture Sachplanaktivität und andere Gestikulationen den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke zu rechtfertigen. Und jede Fristenverlängerung erhöht die nuklearen Risiken und die Kosten der Operation. Doch so ist das wohl in Artikel 30 des Kernenergiegesetzes nicht gemeint, wenn gefordert wird: „Radioaktive Abfälle müssen so entsorgt werden, dass der dauernde Schutz von Mensch und Umwelt gewährleistet ist.“
Was heute vor allem fehlt, ist eine von Eigeninteressen unabhängige wissenschaftliche Institution, die diesen Missständen entgegentritt und Vorschläge einbringt, wie die wissenschaftliche Prozedur weiter geführt werden soll. Von Vorurteilen und Fixierungen freie Überlegungen gehören zu den wichtigsten wissenschaftlichen Attributen und sind zwingend bei einem Generationen übergreifenden Projekt, wie jenem der Beseitigung atomarer Abfälle. Sodann ist eine ebenso unabhängige Entsorgungsorganisation von Nöten, welche die Abfalllagerung realisieren will und kann, ungeachtet ideologischer Barrieren und Profitüberlegungen. Es fragt sich nur, wie lange es noch braucht, bis sich diese Erkenntnis endlich durchsetzt.
Kommentar verfassen