Nach der Veranstaltung im Zürcher Weinland besuchte Bundesrätin Doris Leuthard nun auch Windisch, um die Region Bözberg über die Entwicklung des Sachplans geologische Tiefenlager direkt zu informieren. Und wie schon eine Woche zuvor in Marthalen im Zürcher Weinland stand auch diese Veranstaltung im Zeichen der Botschaft, dass eine der vorgeschlagenen Regionen den Zuschlag für das Endlager erhalten werde (Aargauer Zeitung vom 19. November 2015) [1]. Natürlich tönt dies alles logisch: die Abfälle sind nun einmal da, der Sachzwang ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen, also muss er irgendwo weggeschafft werden, und irgendwo ist ohne Zweifel irgendwo im tieferen Untergrund. Man will es auch richtig machen und sei auf dem guten Weg, Sicherheit werde nicht verhandelt und die Behörden würden ihren Auftrag ernst nehmen. Wer diese Aussagen bedenkt, muss den Eindruck gewinnen, dass es hier tatsächlich auf dem richtigen Weg vorwärts geht. Und in der Tat ist beiden Veranstaltungen auch Positives abzugewinnen.
Positiv hervorzuheben ist vor allem, dass die Energieministerin als oberste, für dieses Dossier zuständige Politikerin sich frühzeitig und mit grossem Engagement für die Sache einsetzt. Im Gegensatz zu der auf Abwarten und Taktieren ausgerichteten Haltung ihres Vorgängers ist diese Einstellung für eine Politikerin bemerkenswert. Denn mit Abfällen kann man sich grundsätzlich keine Lorbeeren verdienen. Dass Frau Leuthard sich derart klar für ein Vorwärtsmachen bei der nuklearen Entsorgung ausspricht, ist in jedem Fall ein Gewinn für die Sache. Die zuständigen Regierungsräte der beiden betroffenen Kantone haben sich ebenfalls in den Dienst der Sache gestellt, auch wenn ihnen dies nicht unbedingt leicht gefallen sein dürfte, liegen doch alle „höffigen“ Gebiete in ihren eigenen Regionen. Politisch gesehen ist diese Entwicklung also auf einem Weg, der den dringend benötigten gesellschaftlichen Dialog ermöglicht, dessen es bedarf, um ein solches Projekt überhaupt vorwärts zu bringen. Ein echter Fortschritt also im Vergleich zu früheren Zeiten.
Der Haken an dieser Geschichte ist jedoch, dass die wissenschaftlichen Prozesse von den verantwortlichen Institutionen bisher nicht ergebnisoffen angegangen wurden – und leider immer noch nicht werden (siehe unseren Blog-Beitrag vom 16. November 2015). Zwar wurde auch an der Veranstaltung von Windisch betont, Sicherheit sei nicht verhandelbar und die Kontrollen würden funktionieren. Aber solange die Behörden die Planungen in den Händen der Nuklearindustrie belassen und diese das Ziel verfolgt, einen Standort auf geradlinigem Weg festzulegen, statt ein Auswahlverfahren mit offenem Ausgang durchzuführen, wird die wichtigste Schwachstelle im Verfahren bestehen bleiben. Es muss darauf bestanden werden, dass es sich beim Sachplan geologische Tiefenlager in erster Linie um ein wissenschaftliches und nicht um ein politisches Verfahren handeln sollte. Solange sich diese Einsicht nicht durchsetzt, und die entsprechenden Instrumente dafür nicht entwickelt und umgesetzt werden, herrscht auch wenig Hoffnung auf Besserung beim Suchprozess.
Und dann: schon wieder Verzögerungen, die diesmal von der Bundesrätin selber angekündigt wurden. Die Dritte innerhalb von knapp 2 Jahren! Der Bundesrat werde im Jahr 2018 entscheiden: über die Etappe 2! Der im Konzept Sachplan vom April 2008 vorgesehene Zeitplan (Figur 2) ist nach heutigem Wissen bereits um das Dreifache überschritten. Alle diesbezüglichen Warnungen der Experten, die diese Entwicklung befürchtet und vorausgesagt hatten[2], wurden von Behörden und Nagra systematisch in den Wind geschlagen. Vor allem aber: die Bundesbehörden haben keine Konsequenzen aus diesem Debakel gezogen. Weder wurden die Planungsvorgehen angepasst noch die entsprechenden Strukturen, welche mit dieser Aufgabe betraut sind, hinterfragt. Alles ist beim Alten geblieben. Die Entwicklung des Sachplans gleicht sich immer mehr den „Skandal“-Projekten der Elbphilharmonie[3] oder des Berliner Flughafens[4] an, beides katastrophale Planungen mit Zeitverzögerungen und Kostenüberschreitungen in ungeahnter Höhe. Aber solange keine Konsequenzen oder Sanktionen für solche Fehlleistungen drohen, können die dafür Verantwortlichen ja weiterwursteln, wie bisher.
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