Von Marcos Buser und Walter Wildi
Vorgeschichte
Am 12. September 2022 gab die Nagra ihre Standortwahl für ein Kombilager für schwach und mittel radioaktive (SMA), sowie hoch radioaktive Abfälle (HAA) bekannt: Nördlich Lägern. Dabei war von “Langzeitstabilität” und “Flexibilität” die Rede. Sodann: ”Im Gebiet Nördlich Lägern gibt es den grössten zusammenhängenden Bereich ohne Hinweise auf Störungen.”
Dem Geologen, der dies hörte oder las[1], musste es aufstossen[2], schlug doch die Nagra als Standort für die Oberflächenanlagen und das geologische Tiefenlager das Haberstal in der Gemeinde Stadel vor. Dieser Standort ist teils innerhalb der tektonischen Störungszone Weiach-Glattfelden-Eglisau gelegen und schliesst an diese an. Für das geologische Tiefenlager kommt er somit nicht in Frage. Die Nagra wird daher auf einen anderen, tektonisch ruhigen Standort ausweichen müssen.
Die Nagra schlägt ein Kombilager vor, in dem die Abfälle der beiden Kategorien in einer Lagerebene, in Stollen, welche sich über eine Fläche von 2.5 km2 verteilen, in 800 m Tiefe im Opalinuston eingelagert werden sollen. Über, unter und um dieses Lager werden die Behörden dereinst einen Schutzbereich definieren. Dieser soll das Lager vor menschlichen Eingriffen schützen. Rechnet man für diesen Bereich eine minimale seitliche Ausdehnung von 500 m, so wird das Lager ein Areal von mindestens 7 km2 in Anspruch nehmen[3].
Unser Blogbeitrag[4] zeigte auf, dass in der Region Nördlich Lägern, im Südwesten und Südosten des Haberstales, zwei je 7 km2 grosse Zonen bestehen, welche auf der 3D-Seismik als tektonisch nicht (oder zumindest weniger) gestört erscheinen. Könnte man sich also vorstellen, dass die zwei oben erwähnten Zonen im Südwesten und Südosten von Stadel hierzu in Frage kämen?
Wie unser letzter Blogbeitrag zeigte, ist diese Lösung kompromittiert[5]: Der Perimeter NL-West, mit tektonisch ungestörtem Opalinuston, ist mit einem dichten Netz von Erdwärmesonden gespickt. Diese reichen bis in Tiefen von maximal 400 m und reduzieren damit die Schutzwirkung der geologischen Überdeckung des Tiefenlagers. Es sind ernsthafte Zweifel an der Eignung eines solchen Gebiets angebracht. Es bleibt der Perimeter einer Oberfläche von 7 km2 im Südosten von Stadel. Dieses Gebiet ist weitgehen frei von Erdwärmesonden. Allerdings liegt die Zone für ein eventuelles geologisches Tiefenlager voll unter dem Gewässer- und Grundwasserschutzgebiet von Glattfelden; ein schwacher Hoffnungsschimmer und – vor allem – eine weitere Unsicherheit für das Lagerprojekt.
Elemente für einen Standortvergleich
Wie oben gezeigt, hängt der Hausfrieden über dem geologischen Tiefenlagerprojekt Nördlich Lägern schief. Es stellen sich verschiedene Fragen, wie:
- Welche Daten verleiteten die Nagra zur Bevorzugung der Standortregion Nördlich Lägern?
- Wie steht diese Standortregion bezüglich ihrer Eignung gegenüber Jura Ost und Zürich Nordost da?
Die anhin durch Nagra veröffentlichten Daten erlauben keine schlüssige Antwort auf diese Fragen. So fehlen namentlich die Publikationen der Resultate aus verschiedenen Tiefbohrungen der letzten Jahre. Trotzdem: Die verfügbaren Informationen erlauben einen ersten Einblick in die Geologie der drei Standortregionen und eine provisorische Erstbeurteilung der Situation gegen Ende der Etappe 3 des Sachplans[6] geologische Tiefenlager. In diesem Sinne ist die folgende Zusammenstellung als ein Versuch des Vergleichs der drei Standortregionen zu sehen. Wie jede Erklärung, die auf lückenhaften Grundlagen beruht, sind Mängel oder teils Fehlinterpretationen nicht auszuschliessen. Diese können im Laufe einer späteren Bearbeitung schrittweise korrigiert werden.
Opalinuston
Die Eignung des Opalinustons als Wirtgesteinsformation für geologische Tiefenlager wurde im Rahmen von Projekt Gewähr nachgewiesen [7]. Die heutige Fragestellung betrifft also nicht mehr die generelle Eignung der Tonformation, sondern die Frage nach einem geeigneten Standort.
Mächtigkeit (m) | Tiefe (m) | Konduktivität (m/s) | |
Jura Ost | |||
Bözberg -1-1, NAB 21-21 | 121.11 | 530.28 – 651.39 | Kein Resultat |
Bözberg-2-1, NAB 21-22 | 122.14 | 451.54 – 773.68 | 1.3 x 10-14 |
Riniken, NTB 88-09 | 119.79 | 331.14 – 450.93 | 2 – 4 x 10-14 |
Nördlich Lägern | |||
Bülach-1-1, NAB 20-08 | 104.15 | 891.70 – 995.85 | Kein Test |
Weiach 1, NTB 88-008 | 111.17 | 554.50 – 665.67 | 3 x 10-13 |
Zürich NO | |||
Benken, NTB 00-001 | 93.52 | 558.52 – 652.04 | 10-14 |
Marthalen-1-1, NAB 21-20 | 115.05 | 590.35 – 705.40 | 4 – 6 x 10-14 |
Tabelle 1 : Opalinuston : Mächtigkeit, Tiefe und Konduktivität, gemessen in Tiefbohrungen der Nagra (Berichte NAB und NTB auf www,nagra.ch).
Das Tongestein (Tabelle 1) zieht mit grosser Konstanz vom Aargauer Jura zur Ostschweiz. Die grösste Mächtigkeit zeigt die Formation in der Standortregion Jura Ost, mit etwa 120 m. Östlich Lägern und in Zürich Nordost sind es je nach Standort 10 bis ganze 30 m weniger. Erstaunlich ist die Variation von gut 20 m zwischen den Tiefbohrungen Benken und Marthalen.
Die in Tabelle 1 verzeichneten Tiefenlagen sind nicht unbedingt charakteristisch, da sie namentlich auch vom Relief an der Oberfläche abhängen. Im Südteil des Gebiets Östlich Lägern findet man aber sicher die grössten Formationstiefen von über 800 m. Allerdings ist diese Region (siehe Abb. 3) wegen ihrer Tektonisierung nicht für ein Tiefenlager nutzbar. In allen drei Regionen finden sich, zumindest für ein SMA-Lager, genügende Tiefen, d.h. eine genügende schützende Überdeckung. Für ein HAA-Lager ist die Lage etwas komplexer.
Die Konduktivität (Durchlässigkeit), bestimmt zu einem grossen Teil den eventuellen Transport von Radionukliden aus einem Tiefenlager in die Biosphäre. Wie Tabelle 1 zeigt, ist die Durchlässigkeit mit Werten um 10-14 m/s (ausnahmsweise 10-13 m/s in Weiach-1) in allen Bohrungen sehr klein. Offensichtlich bestehen (unter Reserve der noch nicht publizierten Messdaten aus Tiefbohrungen der Nagra) keine nennenswerten Unterschiede zwischen den Standortregionen.
Lagerperimeter
Wie oben erwähnt, betrifft eine der kritischen Fragen den zur Verfügung stehenden Raum. Wir haben diese Frage wie folgt bearbeitet:
- Die Abbildungen 1,3 und 5 zeigen «screenshots» (Computerkopien) der Oberflächenmorphologie des Opalinustons in den drei Lagerregionen, abgeleitet aus der 3D-Seismik. Auf diesen Oberflächenkarten hat die Nagra die Zeichen tektonischer Verformung kartiert. Wir haben diese Kartierung so übernommen und die Zonen ohne seismisch erkennbaren tektonischen Störungen ausgeschieden. Die Abschätzung der entsprechenden Oberflächen (in km2) sind in Tabelle 2 übertragen.
- Sodann haben wir die Zonen auskartiert, welche nicht – oder nur wenig – durch Erdwärmesonden tangiert sind. Auch diese Flachen wurden ausgemessen und in Tabelle 2 übertragen.
Nicht übertragen haben wir in dieser Version andere Schutzzonen, v.a. bzgl. Gewässer- und Grundwasserschutz.
Oberfläche ohne seismisch erkennbare tektonische Störungen (km2) | Davon : Oberflächen ohne (oder nur vereinzelten) Erdwärmesonden (km2) | |
Jura Ost | 41,2 | 35,8 |
Nördlich Lägern | 13,1 | 6,7 |
Zürich NO | 30,6 | 27,9 |
Tabelle 2 : Verfügbarer Raum für geologische Tiefenlager in den drei Regionen JO, NL und Zürich NO
Das Resultat der Analyse platziert bzgl. des allfällig verfügbaren Raums für geologische Tiefenlager die Region Jura Ost mit Abstand an der Spitze. Aber auch in Zürich Nordost bestehen heute grosse Oberflächenreserven. Nördlich Lägern schneidet neben diesen beiden «konkurrierenden» Standortregionen schlecht ab, ist doch die verbleibende Fläche auf dem Niveau des Opalinustons bei dieser Beurteilungsweise zu eng für ein Kombilager.
Was lässt sich bereits heute ableiten?
Aus den obigen Ausführungen können eine Anzahl von provisorischen Schlüssen abgeleitet werden:
- Die Eignung des Opalinustons als Wirtgestein wurde im Rahmen des Entsorgungsnachweises nachgewiesen. Heute geht es einzig um die Standortwahl.
- Die Mächtigkeit (Dicke) der Formation erreicht maximal 120 m in Jura Ost und 10 – 30 m weniger in den andern Standortregionen.
- Unterschiede in der Durchlässigkeit (Konduktivität) lassen sich zwischen den drei Standortregionen kaum erkennen.
- Die Überdeckung ist in allen Standortregionen, zumindest für ein SMA-Lager, genügend. Die Frage nach einem Standort für ein HAA-Lager ist komplex und lässt sich in diesem Rahmen nicht in zufriedenstellender Weise behandeln.
- Jura Ost verfügt mit 35,8 km2 über die grössten Raumreserven für einen ungestörten Lagerperimeter, gefolgt von Zürich Nordost mit 27,9 km2. In der Region Nördlich Lägern ist die verfügbare Fläche mit 6,7 km2 an sich zu knapp.
Für die Standortwahl sind gemäss Sachplan geologische Tiefenlager zahlreiche weitere Kriterien anzuwenden. Wir werden auf diese in weiteren Blogbeiträgen eingehen.
Abbildung 1: Jura Ost, 3D-seismisches Bild der Oberfläche des Opalinustons (Screenshot, Fig. 6-15 aus NAB 18-034). Rote Linien: Tektonische Störungen, Blaue Linien: Diverse Lineamente (z.B. Falten). Bsz: Strukturzone Brugg; Ef: Effingen Verwerfung; MAT: Mandachüberschiebung; Sg: Siggenthaler Antiklinale; Um: Umiken-Verwerfung; V: Villnachern Verwerfung; Zsz: Strukturzone Zeihen. Die Lineamente im Südteil des Gebietes entsprechen der Vorfaltenzone im Norden der Überschiebung des Faltenjuras auf den Tafeljura. Rahmen : Zone mit ruhiger Lagerung des Opalinustons, ohne in der 3D-Seismik erkennbare tektonische Störungen.
Abbildung 2: Jura Ost, selbe Zone wie Abb. 1, Unterlage: Topographie swisstopo. Rote Zahlen: Anzahl Erdwärmesonden in Siedlungsgebieten. Blauer Rahmen: Zone ohne wesentliche Beeinflussung des Untergrundes durch Erdwärmesonden.
Abbildung 3: Nördlich Lägern, 3D-seismisches Bild der Oberfläche des Opalinustons (Screenshot, Fig. Fig. 6-11 aus NAB 18-035). Rote Linien: Tektonische Störungen, Blaue Linien: Diverse Lineamente. BIH: Baden – Irchel – Herdern Lineament; Eg: Eglisauer Verwerfung; Sb: Strassberg-Verwerfung; SIA: Siglistorfer Antiklinale; WGE: Weiach – Glattfelden – Eglisau-Linie. Rahmen : Zonen mit ruhiger Lagerung des Opalinustons, ohne in der 3D-Seismik erkennbare tektonische Störungen (NL Ost, NL West).
Abbildung 4: Nördlich Lägern, Karte der Erdwärmesonden im Kanton Zürich. Karte und Legende: (https://maps.zh.ch/?topic=AwelGSWaermewwwZH). Potentielle Standorte für geologische Tiefenlager; violett: Nagra 12.09.2022, orange: NL-West und NL-Ost: Perimeter mit ungestörtem Opalinuston (unser Blog vom 4. Februar 2023), blau: Perimeter ohne Erdwärmesonden.
Abbildung 5: Zürich Nordost, 3D-seismisches Bild der Oberfläche des Opalinustons (Screenshot, Fig. Fig. 6-11 aus NAB 18-036). Rote Linien: Tektonische Störungen, Blaue Linien: Diverse Lineamente. N: Neuhausen-Störung; Nsz: Niderholz-Strukturzone; T: Trüllikon Störung; W: Wildensbucher Biegung; D1 bis D4: Lineamente. Rahmen : Zonen mit ruhiger Lagerung des Opalinustons, ohne in der 3D-Seismik erkennbare tektonische Störungen.
Abbildung 6: Zürich Nordost, Karte der Erdwärmesonden im Kanton Zürich. Karte und Legende: (https://maps.zh.ch/?topic=AwelGSWaermewwwZH). Orange: Potentielle Standorte für geologische Tiefenlager; blau: Perimeter ohne Erdwärmesonden.
[1] Nagra 2022: Der Standort für das Tiefenlager. Der Vorschlag der Nagra. Wettingen, 68 S.
[2] Unser Blogbeitrag : https://www.nuclearwaste.info/zum-vorschlag-haberstal-stadel-zh-als-standort-fuer-das-tiefenlager-die-nagra-unterschaetzt-die-tektonische-beanspruchung/
[3] https://www.nuclearwaste.info/geologisches-tiefenlager-noerdlich-laegern-die-platzfrage/
[4] https://www.nuclearwaste.info/geologisches-tiefenlager-noerdlich-laegern-die-platzfrage/
[5] https://www.nuclearwaste.info/geothermie-und-erdwaermesonden-noerdlich-laegern/
[6] Sachplan geologische Tiefenlager, Konzeptteil vom 2. April 2008, Revision 2011, Bundesamt für Energie, Bern.
[7] Nagra 2001 : Sondierbohrung Benken Untersuchungsbericht. NTB 00-01
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