Die Nuklearbrache ist daran, die Negativ-Performance der Banken zu übertreffen, was negative Schlagzeilen in Sachen Kosten angeht. Blicken wir nur auf die UBS, als Schweizer Branchen-„Primus“ der Rekordverluste und Rekordbussen, die allein für verschiedene Manipulationen und Mogeleien in den letzten drei Jahren mit 3.4 Milliarden Franken gebüsst wurde. [1] Und die Fortsetzung ist bereits angekündigt. [2] Ein Bussen-Fass ohne Boden.
Während die UBS und ihre Branchenschwestern ihre Millionen- und Milliardenbussen im Jahrestakt begleichen, exportiert die Atomindustrie ihre Schulden in die Zukunft. Ohne grosses Aufsehen. Scheibe um Scheibe, nach dem bekannten Salami-Prinzip. Alle paar Jahre wieder wird eine Milliarden schwere Hypothek den künftigen Generationen aufgebürdet. Die Graphik mit den Prognosen der Kostenentwicklungen spricht Bände (Figur 1).
1983 schwebte die Zahl von 2 Milliarden plus Franken für die Entsorgung im Raum.[3] Dann ging es mit konstantem Wachstum aufwärts. Nachdem der Bund Kostenschätzungen eingefordert hatte, belief sich das Total der ersten Kosten-Schätzung von swissnuclear im Jahr 2001 auf 14.55 Milliarden Franken. Fünf Jahre später waren es bereits 17.34 Milliarden und nochmals fünf Jahre danach, im Jahre 2011, 20.56 Milliarden. Tendenz steigend, wie wir sehen werden.
2014 schaltete sich die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) in die Diskussion ein. Ihr Prüfbericht zum Stilllegungs- und Entsorgungsfonds kam zum Schluss, dass die Kostenstudien auf einem „idealen Szenario berechnet“ werden.[4] Und nicht nur das: das Risiko, dass der Bund dereinst zur Kasse gebeten wird, schätzte die EFK als hoch ein.
Die Kritik der Finanzkontrolle trifft in der Tat voll ins Schwarze, vor allem was die Entsorgungsplanung angeht. Schon in den späten 1970er Jahren legte die Atombranche Zeitpläne vor, die nicht nur abenteuerlich sondern schlichtweg unseriös waren: Inbetriebnahme des Endlagers für schwach- und mittelaktive Abfälle 1990, Inbetriebnahme des Endlagers für hochaktive Abfälle zu Beginn der 1990er Jahre. Kostenpunkt bis zur Rahmenbewilligung: 200 Millionen Franken.[5] Und kaum jemand schritt ein: Aufsicht und Wissenschaft schwiegen, von wenigen Ausnahmen abgesehen.[6]
Der Blick durch die Rosa-Brille und die unrealistischen Zeitpläne sind bis heute eine Konstante. Die letzten Belege finden sich im Entsorgungsprogramm der Nagra 2008 und den aktualisierten Zeitplänen wieder (siehe Figur 2 und 3).[7]
Der Trick besteht darin, die Zeitpläne immer wieder zusammenzupressen zu einem geschlossenen Akkordeon, und diese Operation als konservativ und realitätsnah darzustellen. Das im April 2008 publizierte Sachplankonzept geologische Tiefenlager[8] rechnete noch mit einer Inbetriebnahme der Endlager im Jahr 2030 (SMA-Lager) beziehungsweise 2040 (HAA-Lager). Im Entsorgungsprogramm Oktober 2008 waren die Termine bereits um 5 bis 10 Jahre herausgeschoben (Figur 2). 2014 gaben Bundesamt für Energie und Nagra diskret und kleinlaut neue Zeitpläne heraus: nochmals je 10 Jahre Verspätung bis zur Inbetriebnahme beider Lager (Figur 3). Also 15 bis 20 Jahre zusätzlicher Zeitbedarf bei Prognosen, die keine 6 Jahre auseinander liegen. Ein Vorgehen, das viel über die „robuste Methodik“ der Planungsarbeit und die Beurteilungspraxis durch die Aufsicht[9] aussagt.
Und das „Teuerungs-Akkordeon“ geht weiter auf, die Kosten schnellen in die Höhe. Allein die reellen Betriebskosten des Zwilag betrugen laut Geschäftbericht 2013 rund 46 Millionen Franken pro Jahr.[10] Die Zwischenlager Zwibez (KKW Beznau), Nasslager Gösgen (KKW Gösgen) und das Bundeszwischenlager in Würenlingen (AG) nicht mit eingerechnet. Die Nagra dürfte im Durchschnitt mit mindestens 30 Millionen Franken pro Jahr zu Buch schlagen. Seit der letzten Kostenprognose dürften allein diese Posten schon wieder weit über 2 Milliarden Zusatzkosten ausmachen! Die Kostenschätzung KS16 (2016) verspricht einiges.
Und damit nicht fertig: denn je weiter weg die einzelnen Programmschritte des Entsorgungsprogramms von uns liegen, desto unsicherer sind solche Prognosen. Nicht nur, weil die einzelnen Arbeiten und Meilensteine immer mit viel zu optimistischen Minimalzeiten veranschlagt werden und Verzögerungen an der Tagesordnung sind. Es tauchen auch neue Posten auf, die bisher gar nicht veranschlagt wurden: Rekonditionierungskosten von Abfällen infolge von Schäden und viel längerer Zwischenlagerzeiten oder aufgrund der Erfordernisse von Stand von Wissenschaft und Technik, Kostensteigerungen beim Bau infolge zusätzlicher Sicherungsmassnahmen (etwa Stützmassnahmen von Stollen) oder wegen neuen Lagerkonzeptionen, längere Betriebsphasen, Kosten der Langzeitüberwachung, die nicht einmal richtig angedacht sind usw.usf. Wie sollen Aufwendungen ermittelt werden, wenn das Projekt und dessen Ende nicht einmal richtig erfasst werden können, geschweige denn ein Ende bekannt ist.
Ein weiterer Kostentreiber waren in der Vergangenheit ungenügende oder fehlende Rückstellungen. [11] Im Schweizerischen Entsorgungsprogramm ist z.B. kein Reservefonds für die Rückholung der Abfälle geplant und eingerichtet, obschon die Rückholung Bestandteil des Endlager-Konzeptes und gesetzlich festgeschrieben ist. Dass solche worst-case-Situationen eintreffen können, zeigen alle bisher eingerichteten Tiefenlager in der Welt, und besonders exemplarisch das Versuchs-Endlager Asse, dessen 126’000 Gebinde schwach- und mittelaktiver Abfälle für viele Milliarden Euro wieder ausgelagert, rekonditioniert und wieder eingelagert werden müssen[12]. Allein die Stabilisierung von rund 30 Hohlräumen des Endlagers Morsleben mit 1 Million m3 Salzbeton schlug mit gut 160 Millionen Euro zu Buche, ohne Betriebskosten des offenen Endlagers.[13] Beim havarierten Endlager WIPP sind die Kostenfolgen heute offen.[14] In jedem Fall: ein weiteres Kosten-Fass ohne Boden, das künftigen Generationen aufgebürdet wird.
Die bislang neuste Kostenexplosion wurde letzte Woche vom Bundesamts für Gesundheit (BAG) angekündigt. [15] Aus einem Bericht zur „Finanzierung der Entsorgung im Verantwortungsbereich des Bundes“ präsentierte das BAG neue Prognosen zu den Kosten der Abfallbeseitigung der Abfälle aus Medizin, Industrie und Forschung (MIF Abfälle), für welche es die Verantwortung trägt. Die Zahlen beruhen auf Annahmen der Kostenstudie 2011 von swissnuclear. Im Zeitraum 2000 – 2014, also in knapp 15 Jahren, ergibt sich eine Kostensteigerung um einen Faktor von rund 4 – von 300 bis 360 Millionen auf 1.4 Milliarden Franken. Und dies vor allem aufgrund der Kosten-Entwicklung bei den Endlagern. Pikant ist dabei, dass der Bericht darauf hinweist, dass das Ensi die Kostenschätzung des Jahres 2011 als fundiert betrachtet.[16] Und trotz den Beteuerungen der Atomwirtschaft, dass die Kosten für Stilllegung und Entsorgung „vorsichtig-realistisch – d.h. weder optimistisch noch pessimistisch – von Fachleuten nach bestem Wissen und dem aktuellen Stand der Technik geschätzt“ wurden.[17] Keine zwei Jahre nach Publikation der Kostenszenarien 2014 wird wieder nachgebessert werden müssen, denn ein 15 Jahre längeres Zwischenlagern – mit allen Wartungs- Unterhalts- und Rekonditionierungsarbeiten – wird eine massive Teuerung zur Folge haben. Dabei rückt die Realisierung des Endlagers für schwach- und mittelaktive Abfälle immer mehr in die Ferne. Die Kostenlawine rollt und rollt. Und an dieser Tatsache werden auch Beschwerden von Atomkraftwerken beim Bundesverwaltungsgericht nichts, aber auch gar nicht ändern.[18]
Wer die Erfahrungen bei den Kostenprognosen von sehr grossen Projekten vor Augen hält, erstaunen selbst massive Kostenüberschreitungen nicht.[19] Sogar das gut geführte NEAT-Projekt dürfte über 60% teurer werden. [20] Dass es auch mehr sein kann, zeigt gegenwärtig der Bau des neuen Berliner Flughafens, dessen Baukosten von ursprünglich 766 Millionen Euro auf geschätzte 5.1 Milliarden Euro gestiegen sind.[21] Als Gründe dafür werden Zeitverzögerungen, Vetternwirtschaft und Planungsfehler genannt. Was ziemlich genau das beschreibt, was im Nuklearsektor zu beobachten ist.
Wer nun die Zukunft des Entsorgungsprogramms und seine Kosten betrachtet, sieht schwarz. Und wer sich die lineare Kostensteigerung der letzten 3 Jahrzehnte vor Augen hält, wird kaum überrascht sein, dass die Schallgrenze von 100 Milliarden Franken für die Stilllegung und Entsorgung der Schweizer Abfälle noch in diesem Jahrhundert erreicht sein dürfte, obschon das Entsorgungsprogramm danach mindestens noch 50, eventuell aber auch 100 bis 200 Jahre weiter gehen kann. Möglicherweise auch sehr viel länger. Vielleicht sollte man darum auch gar keine Zahlen mehr nennen und sich der Feststellung der Schweizerischen Energie-Stiftung anschliessen, die schon 1984 in einem Report zum Schluss kam: „Die Kosten der Kernenergie sind nicht einfach zu hoch, sie sind unvorhersagbar.“ [22] In jedem Fall ein Albtraum ohne Ende, den unsere Nachkommen berappen dürfen. Auch deshalb, weil die Kernkraftwerke trotz diesen offensichtlichen Missständen weiter betrieben werden, unter Berufung auf die „gelöste“ Frage der Entsorgung.
siehe auch info-sperber, 3. Mai 2015
Atommüll-Entsorgung: Drohende Kosten-Explosion
https://www.infosperber.ch/Artikel/Umwelt/Drohende-Kosten-Explosion-der-Atommull-Entsorgung/&g=ad
[1] Manipulation des Libors: 1.4 Mia. Fr. (2012); Rechtsstreitigkeiten um Hypothekenverbriefungen: 0.885 Mia Fr. (2013); Beihilfe zu Steuerbetrug: 0.3 Mia Euro ; Devisenmanipulation: 0.774 Mia Fr., siehe Bilanz, https://www.bilanz.ch/unternehmen/teure-rechtsfaelle-die-bussen-der-ubs-396724
[2] siehe finews.ch, https://www.finews.ch/news/banken/18004-ubs-devisenmanipulation-doj-barclays-jp-morgan-royal-bank-of-scotland-citigroup-department-of-justice
[3] WWF (1983): Atommüllsorgen, Panda II/83
[4] EFK (2014): Stilllegung und Entsorgungsfonds, Prüfung der Governance, 1. September 2014, https://www.efk.admin.ch/images/stories/efk_dokumente/publikationen/andere_berichte/Andere%20Berichte%20%2859%29/14172BE_Bericht%20zur%20Veröffentlichung_def2.pdf
[5] Nagra (1979): Übersicht über das Forschungsprogramm zur Endlagerung radioaktiver Abfälle, 6. Februar 1979, S. N5.ff., in Arbeitsgruppe des Bundes für die nukleare Entsorgung (1979): Tätigkeitbericht über die Zeitdauer vom 15.2.1978 bis zum 28.2.1979; siehe unser Blog-Eintrag „60 Jahre plus“ vom 20. März 2015 und INA (2011): Erfahrungswerte bei der Planung und Umsetzung des Sachplans und des Realisierungsplanes geologische Tiefenlager und Planungsgrundlagen für das weitere Vorgehen, September 2011
Effektive Kosten der Nagra 1972 – 2014: 1.3 Milliarden Franken ( = ca. 30 Millionen/a), extrapoliert bis 2030, inklusiv zusätzliche Kosten Felduntersuchungen ergeben schätzungsweise ein Total von 2 Milliarden Fr. D.h. 10 mal mehr für die Standortwahl als ursprünglich vorgesehen.
[6] Buser, M., Wildi W. (1981): Wege aus der Entsorgungsfalle, Schweizerische Energie-Stiftung, S. 171.ff.
[7] Nagra (2008) Entsorgungsprogramm der Entsorgungspflichtigen, NTB 08-01, Oktober 2008, S. 52/53
[8] Bundesamt für Energie (2008): Sachplan geologische Tiefenlager, Konzept, 2. April 2008, siehe Zeitplan S. 32
[9] siehe Fussnote 15, 16, 17
[10] Zwilag AG, Geschäftsbericht 2013, S. 32.ff, siehe https://www.zwilag.ch/upload/cms/user/GB2013.pdf
[11] Beispiele SMA-Endlager Morsleben, Versuchsendlager Asse, Untertagedeponie Stocamine (Elsass) für Sonderabfälle, Untertagedeponie DMS St-Ursanne für Sonderabfälle, usw.
[12] Asse, siehe Bundesamt für Strahlenschutz (https://www.asse.bund.de/DE/4_WasWird/Stilllegungsplanung/_node.html)
[13]https://www.bfs.de/de/endlager/endlager_morsleben/Stabilisierung.html
[14] Ähnlich, aber weniger dramatisch sieht die Situation bei den chemotoxischen Abfällen aus, z.B. siehe z.B. Untertagedeponie Stocamine im Elsass, bei der Teilsanierung und Verschluss mit bis zu 160 Millionen Euro veranschlagt ist, und dies für kleinere Mengen an einfach bergbaren Abfällen (Brief der „Cour des comptes“ an Premierminister Manuel Valls, siehe https://www.destocamine.fr)
[15] BAG (2015): Finanzierung der Entsorgung im Verantwortungsbereich des Bundes, Bericht der Arbeitsgruppe, Abteilung Strahlenschutz, 23. April 2015, www.bag.admin.ch/themen/strahlung/10468/10469/index.html?…
[16] Bezüglich der Kostenstudie KS2011 wird festgehalten: „Das ENSI weist darauf hin, dass die Kosten fundiert ermittelt wurden“. ebda, S. 3/10, siehe auch Anmerkung 9
[17] siehe insbesondere Abschnitt „Robuste Methodik“, https://www.swissnuclear.ch/de/kostenstudien-und-ueberwachung-_content—1–1025–59.html
[18] siehe info-sperber, 3. Mai 2015, Atommüll-Entsorgung: Drohende Kosten-Explosion, https://www.infosperber.ch/Artikel/Umwelt/Drohende-Kosten-Explosion-der-Atommull-Entsorgung/&g=ad
[19] siehe Artikel von Public Governance im Frühjahr 2013 und die darin zitierten Arbeiten von Flyvbjerg, https://www.publicgovernance.de/docs/PG-Fruehjahr_2013_Management_von_Grossprojekten.pdf
[20] siehe https://www.nzz.ch/wirtschaft/newsticker/neat-soll-weniger-als-geplant-kosten-1.18515551 und https://www.schweizamsonntag.ch/ressort/meinung/das_maerchen_von_den_neat-kosten/
[21] https://de.wikipedia.org/wiki/Flughafen_Berlin_Brandenburg
[22] Schleicher R. (1984): Atomenergie – die grosse Pleite, die wirtschaftlichen Aspekte der Atomenergie und ihrer Alternativen, SES-Report Nr. 14
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