Titelbild: „Les enfants de l’an 2’000“; geologische Barrieren für die Langzeitsicherheit, Kupfer für die Ewigkeit?
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Ein weiterer Flop für die Atomindustrie
Am 23. Januar hat der Schwedische Umweltgerichtshof das lange erwartete Verdikt zum Genehmigungsantrag der schwedischen Entsorger SKB[1] für ein Tiefenlager für abgebrannte Brennelemente und hochradioaktive Abfälle in Forsmark (Schweden) gefällt.[2] Nach Anhörung aller Parteien fällte er einen weitreichenden und weitbeachteten Entscheid: grundlegende Fragen zur Sicherheit seien weiterhin offen, namentlich in Zusammenhang mit den als Lagerbehälter vorgesehenen Kupferkanistern. Er folgte damit der Argumentation des Büros für die Atomabfall-Prüfungen der schwedischen Umweltorganisationen[3] sowie der Schwedischen Gesellschaft für den Umweltschutz.[4] Dieser Entscheid fand breite und weltweite Aufmerksamkeit.[5]
Wer entscheidet was?
Schweden hat eine spezielle Verfahrensstruktur und entsprechende Behörden für die Prüfung und Beurteilung von Projekten auf die Beine gestellt (Figur 1). Zusätzlich zur strukturellen Zweiteilung des Verfahrensprozesses[6] – Atomwirtschaft und ausführende Institution auf der einen Seite, Prozessführer und Sicherheitsbehörde auf der anderen – besteht bei der Bewilligungsprozedur in Schweden eine Zweiteilung beim Prüfprozess. Das schwedische Atomgesetz[7] bezeichnet als zuständige Prüfbehörde die Schwedische Strahlenschutzbehörde (SSM)[8]. Das Umweltrecht[9] bestimmt dagegen den schwedischen Umweltgerichtshof als die für Umweltfragen zuständige Instanz. Beide Behörden sind im Prüf- und Genehmigungsprozess von Endlagern involviert, was das Verfahren anspruchsvoll aber auch ausgewogen und letztlich sicher macht. Entscheidungsinstanz ist letztlich die Regierung. Hinzuweisen ist auch auf die spezielle Stellung der Standortgemeinde, die ebenfalls im Bewilligungsprozess einbezogen ist und die damit einen besonderen Status und viel Einflussmöglichkeiten erhält. Von einer solchen Einbindung können die Standortgemeinden und –Gemeinschaften in der Schweiz (und anderswo) nur träumen.
Figur 1: Die wichtigsten Handlungsträger und Verfahrensschritte im schwedischen Genehmigungsprozess (nach Persson 2014[10])
Das Schwedische Entsorgungskonzept: ein kurzer Rückblick
Wie auch in anderen industrialisierten Ländern, waren in Schweden die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts durch intensive gesellschaftliche Auseinandersetzungen um die Atomenergie geprägt. Aufgrund der politisch wachsenden Spannungen in der Gesellschaft verabschiedete das schwedische Parlament im April 1977 ein Gesetz – den sogenannten „Stipulation Act“ –, der Auflagen für die Bewilligung neuer Reaktoren enthielt. Die Betreiber von Kernkraftwerken mussten nachweisen, dass sie in der Lage seien, ein „völlig sicheres“ Endlager für hochradioaktive Abfälle – abgebrannte Brennelemente oder verglaste hochaktive Abfälle aus der Wiederaufarbeitung zu bauen. Dazu gehörte auch ein Standortnachweis.[11] Im Dezember 1977, nur neun Monate nach der Verabschiedung der gesetzlichen Vereinbarung (Stipulation Act), legte die Atomwirtschaft ihr erstes KBS-1 genanntes Projekt für die Endlagerung wiederaufbereiteter hochaktiver Abfälle vor.[12] Danach folgten die beiden Studien für die Endlagerung abgebrannter Brennelemente (KBS2[13] und danach KBS3). Die drei Studien gingen von der Endlagerung der hochaktiven Abfälle in einem rund 500 m tief angelegten Bergwerk aus, und zwar nach dem Prinzip der Multibarrieren (Blog vom 27. Juni 2016) – der hintereinander geschalteten Einkapselungen und Hürden (Figur 2). Das schwedische Modell diente übrigens als Vorlage für das schweizerische „Gewähr“-Projekt – ein Flop der besonderen Art.[14]
Figur 2: Das schwedische Multibarrieren-Konzept der späten 1970er Jahre (Referenzen Fussnoten 11 und 12), nach Buser, M., Wildi, W. (1980): Wege aus der Entsorgungsfalle, Schweizerische Energie-Stiftung, S. 28-29. Die Wandstärke der Kupferbehälter ging inzwischen von 200 mm (gesamter Mantel) auf 50 mm (Mantelteil) zurück.
Als erste Barriere war ein Kupferkanister vorgesehen, der die Abfälle – verglaste hochaktive Abfälle oder abgebrannte Brennelemente – dicht umschliessen sollte. Dieses Konzept wird mit gewissen Änderungen bis heute verfolgt (Figur 3). Eine der relevanten Änderungen war die Neukonzeption des Lagerbehälters, der nach heutiger Konzeption aus einem doppelten Mantel aus Stahl und Kupfer bestehen sollte. Ein innerer Stahlmantel ersetzte somit Kupfer. Damit lässt sich sehr viel Kupfer sparen, was die Kanister-Verpackung und damit die Ausführung des Entsorgungsprojekts deutlich billiger macht.
Figur 3: Das KBS-3-Konzept mit vertikal (links) oder horizontal platzierten Kupferbehältern (rechts), im Hintergrund der Block mit Rampe und Tiefenlager, nach Thurner, Erik, Pettersson, Stig, Snellmann, Margit, Autio, Jorma (2006): KBS-3H – Development oft he Horizontal Disposal Concept, INIS, IAEA, siehe https://inis.iaea.org/search/search.aspx?orig_q=RN:38099784
Die Kontroverse um die Kupferkorrosion
Der Lagerbehälter aus Kupfer sorgte bereits früh für Diskussionen über die Langzeitsicherheit.[15] Bereits in den frühen 1980er Jahren kamen Befürchtungen auf, dass Kupfer bedeutender Korrosion unterliegen könne, sogar in Sauerstoff-freiem Wasser.[16] Andere wissenschaftliche Arbeiten konnten wiederum diese Folgerungen nicht bestätigen.[17] Aber bis heute sind sich die Korrosions-Wissenschaften in dieser Sache nicht einig und die Ergebnisse bleiben umstritten, obschon die unterschiedlichen Positionen kontrovers durchleuchtet werden.[18] Die zusammenfassende Evaluation der Literatur zur Kupfer-Korrosion[19] kommt etwa zum Schluss, dass „die wissenschaftlichen Beweise für die Annahme, dass Wasser Kupfer oxidiert, nicht schlüssig sind und es viele Aspekte gibt, die unklar und widersprüchlich sind“. Soviel als Folgerung dieser Debatte: Die Angelegenheit ist komplex.
Und so ist es nicht weiter erstaunlich, dass der Schwedische Umweltgerichtshof nun – trotz mehrheitlich positiver Beurteilung des Genehmigungsgesuchs der SKB – angesichts der laufenden wissenschaftlichen Kontroverse unmissverständlich festgehalten und entschieden hat, dass es zusätzliche Abklärungen zur Kanister-Korrosion und zur Langzeitsicherheit brauche.[20]
Eine ziemliche Katastrophe, was das Image und die Akzeptanz eines solchen Projektes angeht. Die schwedische Regierung hat jedenfalls bereits verlauten lassen, dass sie im Jahre 2018 keinen Entscheid zum Projekt fällen wird[21], was nichts anderes heisst, als dass weitere Abklärungen erwartet werden, bis über den Genehmigungsantrag überhaupt entschieden werden kann. Natürlich dürfte sich nun hinter den Kulissen ein mächtiges wissenschaftliches und politisches Gerangel abspielen. Die Atomwirtschaft wird drücken, wo sie auch nur kann, um den Umsetzungsprozess möglichst schnell auf die Schiene zu kriegen. Und die Gegner werden weitere wissenschaftliche Studien fordern. Aber ungeachtet der weiteren Entwicklung: Der Schaden ist da, und er dürfte sehr viel grösser sein, als dies im ersten Moment erscheint.
Rückschlag mit ungewissem Ausgang
Das Nein des Umweltgerichtshofs wirft nicht nur das Schwedische Entsorgungsprojekt zurück. Auch das praktisch identische finnische Projekt des hochaktiven Endlagers von Onkalo wird davon betroffen werden, auch wenn der finnische Betreiber Posiva bereits wenige Tage nach dem schwedischen Verdikt auf seiner Webseite mitteilt, dass er keine Auswirkungen des Entscheides auf das finnische Projekt erwartet.[22] Aber man wird sich fragen müssen, wie es überhaupt möglich war und ist, dass ein wissenschaftliches Grundproblem, das seit mindestens 30 Jahren intensiv von der Wissenschaft thematisiert wurde, bis heute nicht vollständig geklärt ist. Die Integrität der Kanister als erste Barriere ist gerade für die Endlagerprojekte in den grundsätzlich durchlässigen kristallinen Gesteinen in Skandinavien von herausragender Bedeutung. Es erstaunt daher, dass die Betreibergesellschaften in Schweden (SKB) und Finnland (Posiva) seit Jahrzehnten nur auf ein optimiertes Kanister-Konzept aus Kupfer setzen – also minimalistische Planung betreiben. Historisch gesehen hat die Atomwirtschaft ihre Konzepte und Projekte bisher immer nur auf schmaler Basis entwickelt und Alternativen zu bestehenden Projektideen nie wirklich mit Nachdruck verfolgt. Dies wirft kein gutes Licht auf die verantwortlichen Institutionen, namentlich auf ihre Sicherheits- und Fehlerkultur, die offenbar unterentwickelt ist, wie auch auf die strategische Planung eines Grossprojektes der Dimension der nuklearen Entsorgung.
In den schwedischen und finnischen Projekten kommen die Probleme der potentiellen späteren Nutzung des Kupfers hinzu („Spolien“-Problematik[23], Ressourcen-Konflikt). Diese Problematik wird völlig unterschätzt. Hinzu zeichnen sich immer mehr Szenarien zur Gefahr des menschlichen Eindringens durch hochmoderne, leistungsfähige und billige Bohrtechniken ab. Aber diese Probleme sind Störfaktoren, an welche die verantwortlichen Institutionen lieber nicht denken wollen. Ein folgeschwerer Irrtum: denn betrachtet man welche weiteren Schwachstellen in diesen Programmen bestehen, so kann man erwarten, dass sich die Probleme und die daraus resultierenden Verzögerungen – wie jetzt bei der Kupferproblematik – jederzeit wiederholen können.
Und die Schweiz?
Dies sind Erfahrungen, die auch in der Schweiz deckungsgleich vorhanden sind. Die hiesigen Betreiber und Sicherheitsbehörden – primär Nagra und ENSI – hatten nie grosses Interesse an anderen Wegen, wie sie etwa seitens der Eidgenössischen Kommission für die Sicherheit von Atomanlagen (KSA) bis Ende 2007 und der Eidgenössischen Kommission für nukleare Sicherheit (KNS) ab 2008 verfochten wurden. Man sperrte sich einfach gegen neue Behältermaterialien und tat gerade das Nötigste, um schleunigst solche Ideen wieder zu versenken. Im Jahr 2007 etwa wiederholte die KSA in ihrem Abschlussbericht zu Handen des Bundesrats ihre, bereits in ihrer Stellungnahme zum Entsorgungsnachweis 2002 gemachte Empfehlung, andere Behältermaterialien zu untersuchen, „um ausreichende Sicherheit der geologischen Tiefenlagerung zu gewährleisten und unnötige Verzögerungen bei der Entsorgung zu vermeiden.“ [24] Diese Empfehlung wurde von der KNS aufgenommen und seither in Zusammenhang mit der Überprüfung der Lagerkonzeptionen wiederholt.[25] Sehr viel passierte allerdings nicht: die Nagra beauftragte verschiedene Materialwissenschaftler (Canister Materials Review Board“ CMRB), Korrosionsfragen auf Stahlkanister zu überprüfen und weitere Werkstoffe und Behältermaterialien zu evaluieren. Die Folgerungen hielten, was sich die Nagra davon versprach: Das „Canister Materials Review Board“ (CMRB) „meint, dass das von der Nagra präsentierte Forschungsprogramm sorgfältig geplant, effizient und realistisch ist.“[26] Die Genossenschaft blieb auf ihrer alten Schiene sitzen und vertiefte gerade nur Fragen zur Schweisstechnologie bei Stahlkanistern.[27] Auch andere Fragen wie etwa die Gefahren von oben – Nutzungskonflikte und Intrusionstechniken – scheinen hierzulande niemanden in den verantwortlichen Institutionen gross zu beunruhigen. Man macht einfach weiter wie bisher, bis man – wie jetzt in Schweden – in der nächsten Klemme sitzt und nachbessern muss. Eine unglaublich kurzsichtige und letztendlich dumme und teure Politik.
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