Ausgangslage
In unserem Blog-Beitrag vom 23. August 2015 („Was Sie und Euch erwartet“) haben wir diverse thematische Schwerpunkte angekündigt, darunter auch Fragen, die mit der Auslegung geologischer Tiefenlager im allgemeinen und im Sachplanprozess im Speziellen zusammenhängen. Dazu gehören auch technische Fragen wie etwa die Umsetzung des bestehenden Einlagerungskonzeptes, oder Fragen zur Rückholbarkeit der Abfälle. Wir werden diese verschiedenen thematischen Beiträge in den nächsten Wochen aufschalten und dazu auch auf aktuelle Ereignisse bei der Planung und Umsetzung von Lagerkonzepten eingehen.
Ausgangspunkt sind einerseits die historische Entwicklung bei den Endlager-Konzeption (siehe Blog-Beitrag Nukleargeschichte II, 12. Juni 2015), die schrittweise auf eine Grundkonzeption mit verschiedenen Varianten heruntergebrochen wurde, und andererseits die Entwicklung der Konzeptionen in der Schweiz, insbesondere in Zusammenhang mit den Arbeiten der Kommission „Entsorgungskonzepte radioaktive Abfälle“ EKRA, welche den technischen Leitfaden für die Kernenergiegesetzgebung 2003 abgaben.
In der Folge werden wir uns den Fragen der Auslegung und Erschliessung des Lagers annehmen, dessen Bau und Betrieb, sodann die Einlagerung und die Qualität der Abfallprodukte aufnehmen und schliesslich die Verschliessung der Endlager und die Bergbarkeit (Rückholbarkeit) von Abfällen diskutieren.
Der Weg zum KBS Modell
Doch zurück in die Vergangenheit. Nach einer Zeit mit abenteuerlichen Vorschlägen und Praktiken zur Entsorgung radioaktiver Abfälle – die vom Verdünnen der Abfälle in der Umwelt, der Verpressung flüssiger Abfälle in Bohrlöchern, der Versickerung in Becken, bis hin zu Vorschlägen zur Endlagerung hochaktiver Abfälle in den Eiskappen der Pole oder dem Hinausschiessen ins Weltall reichten – wurden ab den 1960er und 1970er Jahren zunehmend bergmännische Lösungen für das Versenken der Abfälle im geologischen Untergrund ins Auge gefasst. Das Augenmerk richtete sich zunächst auf alte Bergwerke, etwa auf die Carey Salt Mine in Lyons (Kansas), auf das Versuchsbergwerk „Asse“ im Deutschen Landkreis Wolfenbüttel oder auf die Uranium-Mine „Beta“ im andalusischen El Cabril (Spanien). Nachdem sich bei diesen Projekten zunehmend Probleme einstellten und Projekte oder Einlagerungen aufgrund fehlerhafter Planungen gestoppt werden mussten, ging die Entwicklung einen Schritt weiter in Richtung speziell angelegter Endlager für radioaktive Abfälle. Wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung hatten die zunehmenden Proteste der Zivilgesellschaft und neu aufkommende Umweltbewegungen, die auch die Nutzung der Atomenergie grundsätzlich in Frage stellten.
Dieser vor allem in nordischen Ländern Europas und Nordamerikas sich artikulierende Protest führte zu einer, von mehr oder weniger allen politischen Parteien getragenen Verschärfung der Gesetzgebung und der Forderung, innerhalb von bestimmten Fristen eine Lösung dauerhafte für die Entsorgung radioaktiver Abfälle zu finden.
Schweden marschierte mit gutem Beispiel voran. 1976 setzte die Regierung die sogenannte AKA-Kommission ein, welche eine nationale Strategie im Umgang mit der Entsorgung radioaktiver Abfälle entwickeln sollte. 1977 folgte ein Gesetz (stipulation act), das die sichere Entsorgung der Abfälle als Voraussetzung für den Betrieb von AKW/KKW machte. Im gleichen Jahr veröffentlichten die Kernkraftwerkbetreiber ihren ersten Bericht zum Umgang mit hochaktiven verglasten Abfällen (KBS1), dem 1978 und 1983 weitere Berichte über die Entsorgung abgebrannter Brennelemente folgen sollten (KBS2, KBS3).[1] Das schwedische Endlagerungskonzept wurde zum weltweiten Modell für die Einlagerung hochradioaktiver Abfälle und abgebrannten Brennelementen.
Archetyp Endlager
Der „Archetyp“ für das Endlager in Schweden war ein speziell angelegtes Bergwerk, das aus Zugangsbauwerken, Lagerstollen und Untertageinfrastrukturen bestand. Aufgefahren werden sollte dieses Endlagerbergwerk in kristallinen Gesteinen mit konventionellen Techniken, also im Wesentlichen durch Sprengvortrieb. Die Spezial-Behälter mit den radioaktiven Abfällen oder mit den verpackten abgebrannten Brennelementen sollten in Bohrlöchern versenkt werden, die von der Sohle der Lagerstollen senkrecht in das Wirtgestein vorgetrieben worden wären. Nach der Einlagerung würden die Hohlräume mit quellfähigen Tonmineralien (Bentonite) oder Sand-Bentonit-Gemischen verfüllt und die Zugänge hydraulisch abgeriegelt werden. Figur 1 zeigt die Konzeptionen aus den Jahren 1977 und 1978, Figur 2 den Stand im Jahr 2010.
Die Analyse der weltweit vorgeschlagenen Endlagerkonzepte zeigt, dass alle Länder eine identische Grundkonzeption verfolgen mit Varianten, was einzelne Elemente der Umsetzung betrifft. So gibt es z.B. Unterschiede bei den Zugangsbauwerken, je nachdem ob Transport-Schächte oder -Rampen bevorzugt werden. Bei den Rampen stehen drei Varianten zur Verfügung: die turmartig aufgebaute Rampe (Wendelrampe) des schwedischen oder finnischen Konzepts (Figur 2) für geklüftete kristalline Gesteine, die direkte gerade Rampe bis auf Einlagerungsniveau („descenderie“) für Ton- oder Tuffformationen, wie sie etwa im französischen oder amerikanischen Konzept vorgesehen ist oder war (Figuren 3 und 4), oder die freie Rampe, wie sie oft von der Nagra für die komplexere schweizerische Geologie dargestellt wird (Figur 5).
Ein Vergleich der verschiedenen nationalen Entsorgungskonzepte zeigt: es gibt in der Lagerauslegung (mit Ausnahme der in den letzten Jahren eingeführten Vorkehrungen bzgl. Lagerüberwachung, z.B. Pilotlager im Konzept „geologische Tiefenlager“ in der Schweiz, aber auch in Frankreich) keine substanziellen Unterschiede zwischen den diversen Länderkonzepten. Es gibt Varianten, etwa über die Wahl der Behältermaterialien, ob nur Stahl oder nur Kupfer oder aus Kostengründen Stahl mit Kupferüberzügen zum Einsatz kommen sollen; oder etwa wie die Kanister oder Behälter in den Lagerstollen stehen oder liegen; über die Anzahl der Behälter pro Lagersektion; über die Länge der Lagerstollen; über die Wahl der Verfüllmaterials (Bentonit oder Sand-Bentonit-Gemische, in welchen Proportionen, mit welcher Granulometrie usw.) und vieles mehr. Aber in der Essenz des „Konzepts Endlager“ sind sich die planenden Entsorgungsorganisationen weltweit einig.
Eigenentwicklungen oder Kopien?
Wie kam diese internationale Einigkeit in Sachen Entsorgungskonzeption zustande? War es ein Wettbewerb der Ideen, der dazu führte, dass sich die besten Konzepte, die erfinderischsten Varianten und die einfallsreichsten Denkansätze und Vorschläge zu dem heute international verfolgten Konzept verdichteten? Oder war es das, was sich in der Technikgeschichte seit der Erfindung des altsteinzeitlichen Faustkeils als Verbreitungs-Mechanismus von Technik und technischem Fortschritt als Faustregel der Technikgeschichte nachzeichnen lässt, nämlich das simple Nachahmen? Das einfache Kopieren.
Im ersten Fall müssten umfangreiche Reporte dieses Suchen und Eingrenzen der Ideen und Konzepte dokumentieren. Wer aber in die umfangreiche Literatur der nuklearen Entsorgung hineinschaut, wird – abgesehen von seltenen und kümmerlichen Ideenskizzen – kaum Zeugnisse für einen ernsthaften Denk-Wettbewerb der Ideen finden, um die geeignetsten Konzepte und Varianten für die jeweiligen Wirtgesteine zu entwerfen. Das schwedische KBS-Projekt war die Grundkonzeption, dem sich alle anderen nuklearen Konzepte anschlossen. Auch das schweizerische Entsorgungskonzept folgte (bis zur Einführung des sogenannten „EKRA-Konzepts“ ab den Jahr 2000) diesem schwedischen Programmentwurf, wie wir anhand seiner Entwicklung in dieser Beitragsreihe noch nachzeichnen werden. Auch in der Bilanz über die Lagerkonzepte wird noch auf die fundamentale Bedeutung dieses Ansatzes des Nachahmens zurückkommen sein. Vorerst aber kann einmal festgehalten werden: die international verfolgte Strategie der Entsorgung entwickelte sich aus einem einzigen Ideenstamm und war nicht das Produkt einer grundsätzlichen Denk- und Varianten-Analyse. Mit dieser Erkenntnis werden nun die einzelnen Teilsysteme des Lagerkonzeptes in den folgenden Beiträgen und Wochen untersucht werden.
Die nächsten Beiträge
Folgende Schwerpunkte werden in den folgenden Wochen thematisiert werden:
- Grundsätzliche Überlegungen zur Lagerplanung
- EKRA – Konzept
- Abfälle, Behälter und Behältermaterialien
- das Endlager als solches mit den Lagerstollen
- die Lagerzufahrten
- die Infrastrukturen: von Geleisen über Ventilationen bis zum Pumpensumpf
- die Lageretappen und die Risiken in den verschiedenen Lageretappen
- die Verschlüsse
- Reversibilität und Bergbarkeit
- Monitoring und was danach kommt
- vom Umgang mit anderen Einsichten und mit Kritik
- eine Bilanz – auch aus epistemologischer Sicht
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