Bevor wir zu den technischen Aspekten der Lagerplanung und – Auslegung übergehen, möchten wir noch eine Anzahl grundsätzlicher Überlegungen zur Lagerplanung vorausschicken. Sie alle hatten und haben grossen Einfluss auf die bisherigen und bevorstehenden Planungen wie auch auf die umgesetzten oder zu realisierenden Projekte.
1 Die wirklichen Kosten der nuklearen Entsorgung
Von allem Anfang an stand die Kostenfrage der nuklearen Entsorgung im Zentrum der Befürchtungen der Promotoren der Kernenergie. Die Wirtschaftlichkeit der Kernenergie durfte unter keinen Umständen durch irgendwelche Zusatzkosten in Frage gestellt werden. Diese Sorge lässt sich bis in die frühsten Publikationen der nuklearen Gemeinschaft nachzeichnen. Zwar sei das ideale Ziel im Umgang mit radioaktiven Abfällen darin zu sehen, eine absolute Kontrolle über die Stoffe auszuüben – hielt Forrest Western in einem Artikel in Nucleonics von August 1948 fest. Doch liesse sich dieses nicht umsetzen. Und er fügte in Klammern bei: „In some cases, the probability of economic waste may be a dominant consideration“.[1] Wobei diese dominante Abwägung immer zu Gunsten der billigen Entsorgungspraktiken führte, wie dies das damals übliche Verdünnen und Versickern lassen, oder das ins Meer Versenken, bzw. in den Boden Kippen eindrücklich zeigen. Das ökonomische Denken zieht sich durch die gesamte Fachliteratur. Clark Goodman, Physiker am MIT (Massachusetts Institute of Technology) , wies bereits 1949 auf die offene Kostenfrage der Kernenergie hin: „In spite of the aforementioned advantages of this compact energy source, it is far from clear what will be the cost of nuclear power.“[2] Und diese Feststellung gilt bis zum heutigen Tag. So war es nicht verwunderlich, dass immer gespart wurde, wenn es um Abfallentsorgung ging. Auch in der Gegenwart. Diese Denkweise erschwert es, neue Pfade zu beschreiten und andere Konzeptionen bei der Behandlung und Verpackung der Abfälle sowie der Ausgestaltung der Endlager zu entwickeln.
2 Technologische Verlagerungen
Die Atomtechnologie verband von Beginn weg die militärische wie auch die friedliche Nutzung. Darüber wurde in den ersten Jahrzehnten der Atomenergienutzung auch offen informiert und debattiert (siehe Figur 1).
Denn die beiden Hauptäste der atomaren Nutzung wuchsen auf dem gleichen Boden: alle Schüsselindustrien waren für die Entwicklung der beiden Stränge unerlässlich. Der Bau von Atombomben erforderte die Aufbereitung des bestrahlten Brennstoffs und die Abtrennung und Anreicherung von Uranium beziehungsweise die Gewinnung des Plutoniums. Dies galt aber auch für die Abtrennung dieser beiden Stoffe im Rahmen des sogenannten Brennstoffkreislauf, die ebenfalls auf Rückgewinnungstechniken und Wiederaufarbeitungsanlagen beruhte (Figur 2).
Eine klare Trennung zwischen friedlicher und militärischer Nutzung lässt sich bis zum heutigen Tage nicht ziehen, wie auch das Beispiel der Verbrennung von Atomsprengköpfen als umgearbeiteter nuklearer Brennstoff im Zuge der nuklearen Abrüstung in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten zeigt (siehe weiter unten). Dies erschwert die Planung von Endlagern wie auch der Umgang mit denselben, sollen doch potentiell verwertbare Ressourcen im Untergrund gelagert werden, die aber vor Missbrauch in der Zukunft gesichert werden sollen (safeguards, Rückgewinnung von Wertstoffen usw.). Ob und wie das umgesetzt werden soll, ist bis zum heutigen Tag unklar und wird auch in den heutigen Endlager-Planungen – wenn überhaupt – nur sehr beschränkt reflektiert.
3 Ein schwer fassbarer Abfallmix
Kommt hinzu, dass die unterschiedlichen Entwicklungslinien im militärischen Sektor wie auch im zivilen Reaktorbau mit unterschiedlichen Anlagen und Techniken auch unterschiedliche Abfallqualitäten und Abfallgemische produzierten, die für die Planung von Endlagern von ausschlaggebender Bedeutung sind. Unterschiedliche Reaktortypen erzeugen unterschiedliche Abfalltypen. Aber auch ein unterschiedlicher Brennstoff bringt Abfälle mit anderen Eigenschaften für die Endlagerung hervor. So verursacht die Wiederverwendung von sogenannten MOX-Brennelementen in konventionellen Leichtwasserreaktoren höhere Abbrände des Brennstoffs sowie andere Abfallzusammensetzungen, welche die Einlagerung im Untergrund wiederum erschweren (Lagerkonfiguration, mögliche Lagerdichte usw.) und eine Anpassung der Verpackungsstrategien erfordert (z.B. Mischung von Brennelementen verschiedener Provenienz). Stör- und Unfälle – wie wir sie auch in der Schweiz vom Schwerwasserreaktor Lucens kennen – verändern und „vergiften“ das Abfallinventar zusätzlich und stellen weitere Herausforderungen für die Planung eines Endlagers dar. Das ganze Abfallwesen gleicht einer grossen „Spielwiese“, bei der sich die Überreste einer ganzen Technik mit all den verwendeten Entwicklungen und Stoffen wiederfinden. Dieser chaotische „Gemischtwarenladen“ ist von der Stoffpalette ähnlich breit wie der, den man auf konventionellen Abfalldeponien mit seinen verschiedenen Kompartimenten findet – was die Planung für ein Endlager schwer fassbar und sogar unberechenbar macht. Die beiden 2014 und 2015 erfolgten Explosionen von Gebinden und abgelagerten Abfällen in der „Waste Isolation Pilot Plant WIPP“ (New Mexico) und der kontrollierten Deponie für radioaktive Abfälle[3] bei Beatty (Nevada) zeigen, wie schwierig eine Konditionierung eines solchen Abfallinventars ist. Es ergeben sich allerhöchste Anforderungen an Planung, Betrieb und Verschluss eines Endlagers.
4 Die Fixierung auf die Geologie
In der jüngeren Geschichte der Entsorgung und dem international getragenen Entscheid, Endlager in geologischen Formationen in wenigen hundert bis rund 1000 Metern Tiefe zu errichten, hat sich die fachliche Diskussion stark auf geologische Fragestellungen oder verwandten Disziplinen konzentriert. Was aber dabei übersehen wurde ist die Erkenntnis, dass Wirtgesteine und geologische Prozesse einerseits und Lagerplanungen und Inventare andererseits in einer engen und komplexen wechselseitigen Beziehung stehen, die viel verschlungener ist, als man dies je vermutete. Auch heute noch werden Abfälle in bestehenden Bergwerkstollen gelagert, wie dies etwa im WIPP bis 2014 geschah. Die verfüllten Stollen sollen sodann durch einen langzeitlich dichten Pfropfen verschlossen werden. Wie aber die Störfälle zeigen, müssen derartige Lösungen als überholt betrachtet werden.
Geologen und Ingenieure erkennen allmählich, dass es mehr braucht, als Ingenieurkunst im Tunnel- oder Bergbau, um ein Lager auszulegen und zu betreiben und seine Langzeitentwicklung fassbarer zu machen. Auch andere Prozesse im Endlager an der Schnittstelle zwischen Geologie, Technik und Physik, Chemie und Biologie erweisen sich als Knacknüsse, wenn es um das Prozessverständnis und die Langzeitentwicklungen geht. Was damit an dieser Stelle gesagt werden soll ist, dass dieser Öffnungsprozess, der mit Forschungen in verschiedenen Fels-Laboratorien auf der Welt gegenwärtig stattfindet, beschleunigt werden sollte. Dringend ist insbesondere eine Neubeurteilung der Lagerkonzeptionen und der Abfallformen (Abfallgebinde), die in ein solches Lager verbracht werden sollen und die Auswirkungen, welche sich aus einer thermischen Aufheizung dieses komplexen Systems und der radiologischen Belastung durch stark und anhaltend strahlende Abfälle ergeben. Kurzum gesagt: wieder zurück auf die konzeptionelle Ebene, um die konkreten fachtechnischen Forschungen auf breiter Front voranzutreiben. Und auch anders gesagt: um der Fixierung auf geologische Fragestellungen durch eine Erweiterung des Blickwinkels zu begegnen.
5 Erkenntnisse und Erkenntnislehren
Damit gelangen wir zu den Grundsätzen wissenschaftlicher Arbeit, nämlich der Frage, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit Wissen überhaupt entstehen und begründet werden kann. Die leider noch bis heute oftmals bestehende positivistische Vorstellung, dass einfache lineare Beziehungen und Ursachen-Wirkungsketten in komplexen Systemen vorliegen, verstellt den Blick auf die heutige Erkenntnis von Zusammenhängen in komplexen Systemen. Auch unsere wissenschaftliche Welt ist eine konstruierte Welt und Konstruktionen müssen erkennbar sein, um die Wahrscheinlichkeit ihres Wahrheitsgehalts zu steigern. Oder einfacher gesagt: auch das forschende Individuum ist Subjekt und seine „objektive“ Betrachtung des Untersuchungsobjekts folgt seinem eingeschränkten Wahrnehmungsapparat, seinem begrenzten und kulturell definierten Wissen wie auch definierter Konstruktionsregeln. Wir möchten gerade im Kontext dieser Serie von Beiträgen auf diese grundsätzlichen Fragen der Wissensherstellung hinweisen, insbesondere auch deshalb, weil die betrachteten Risiken der nuklearen Entsorgung über derart lange Zeitspannen wirken. Es braucht ein neues Herangehen (eine neue Methode) und ein neues Verständnis (Deutung), um derartige Prozesse wie die das Einbringen der Abfälle in den komplexen Tiefuntergrund überhaupt fassbar zu machen.
Damit kommen wir zum ersten konkreten Beitrag zur Lagerplanung: dem Lagerkonzept, welches die Kommission „Entsorgungskonzepte radioaktive Abfälle EKRA“ für die Schweiz entwickelte und das zur Grundlage für die heute in Kraft stehende Gesetzgebung wurde (Lagerplanung III: das EKRA-Konzept).
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