Vorbemerkung: In diesem Blog-Beitrag werden z.T. Informationen und Texte mit nur kleinen Änderungen aus dem Bericht der EKRA (2000) übernommen.
Vorgeschichte
„EKRA“ hat in der Geschichte der nuklearen Entsorgung der Schweiz fast den Rang eines Mythos erlangt. Aber was steckt wirklich hinter diesem enigmatischen Begriff?
Die Geschichte beginnt mit dem dringenden Bundesbeschluss vom Oktober 1978, der erstmals auch Bestimmungen zur Entsorgung radioaktiver Abfälle enthält. Oder enthalten musste. Denn der Beschluss war nicht zufällig, sondern das Ergebnis der Befürchtungen der Atomindustrie, dass das ungelöste Abfallproblem den weiteren Ausbau der Atomenergie verhindern könnte. Die politisch höchst erfolgreiche Protestbewegung hatte auch diese Thematik erfolgreich bewirtschaftet und dazu genügend politischen Druck aufgesetzt, damit das Problem der radioaktiven Abfälle endlich auch gesetzlich geregelt würde. So musste sich die schweizerische Atomwirtschaft verpflichten, im neuen dringenden Bundesbeschluss von 1978 den Nachweis – also die „Gewähr“ – der „dauernden, sicheren Entsorgung und Endlagerung“ zu erbringen. Die laufenden und im Bau befindlichen Kernkraftwerke hatten gemäss einer Auflage des Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschafts-Departements (EDEV) diese „Gewähr“ bis 1985 zu erbringen, andernfalls die Werke stillgelegt würden.
Die Beseitigung der radioaktiven Abfälle endlich gesetzlich zu regeln, war an sich eine gute Sache. Nur hatte dieser Bundesbeschluss in der anlaufenden heissen Phase der politischen Debatte um die Kernkraftwerke gleich zwei Würme im Apfel:
- Er verknüpfte den Betrieb der Kernkraftwerke in der Schweiz mit der Entsorgung der Abfälle, sowohl der bereits Bestehenden, wie auch der später Anfallenden. Das Problem war dabei nicht die Verknüpfung als solche, sondern der Zeitpunkt. Die Atomindustrie war nämlich längstens als Wirtschaftsfaktor installiert, als die politische Auseinandersetzung entbrannte. Gegner der Kernkraftwerke konnten darum logischerweise ableiten, dass sie mit der Verhinderung der Lager auch die Weiterentwicklung der Kernenergie bremsen konnten. Umgekehrt glaubten die Förderer der Kernkraft, dass der Nachweis der „Gewähr“ den Bau neuer Kernkraftwerke rechtfertigte. Dies bestätigten sie denn auch durch die Eingabe neuer Rahmenbewilligungs-gesuche, nachdem der Entsorgungsnachweis für hoch radioaktive Abfälle im Opalinuston des Zürcher Weinlandes im Jahr 2006 durch den Bundesrat angenommen worden war.
- Der Begriff und das Konzept des „Endlagers“ stiessen in weiten Bevölkerungskreisen auf. Das „Endlager“ beinhaltete in seiner Definition, dass ein einmal gefülltes Abfalllager baldmöglichst verschlossen und sich selbst überlassen würde. Das Konzept sah weder eine Überwachung des Lagers, noch die Möglichkeit einer Rückholung der Abfälle im Falle des Versagens der Lagerbarrieren vor. Einzig die Überwachung der Umwelt, also etwa des Grundwassers in der Lagerregion war vorgesehen. Aber wer kann denn schon die Sicherheit eines Lagers über eine Million Jahre garantieren?
Wie wir bereits in einem früheren Blogbeitrag in Erinnerung gerufen haben (28. August 2015, Zum Einstieg in den Ausstieg: eine Mogelpackung ohne Ende), wurde die Gewähr v.a. für hoch radioaktive Abfälle und abgebrannte Brennstäbe nicht fristgerecht erbracht, aber die Kernkraftwerke wurden ohne mit den Wimpern zu zucken weiter betrieben. Für schwach und mittel radioaktive Abfälle war Gewähr nach Ansicht des Bundesrates erbracht, es fehlte allerdings ein geeigneter Standort. Um diesen Standortnachweis zu erbringen entstand das Projekt Wellenberg (unsere Blogs vom vom 16. Und 19. Juni 2015, Das Lager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle I und II). Dafür mussten nicht nur Projektgrundlagen erarbeitet und die Rahmenbewilligung für dieses Endlager gesichert werden. Es ging auch darum, die Akzeptanz der Bevölkerung zu gewinnen und die Widerstände gegen das Projekt zu überwinden, was – wie die Entwicklung zeigen sollte – nicht durchsetzbar war. Nach dem ablehnenden Entscheid des Nidwaldner Volkes von 1995 sistierte der Bundesrat im Jahr 1997 das Rahmenbewilligungsgesuch für ein Lager für schwach und mittel radioaktive Abfälle. Dadurch war das Endlagerprojekt vorderhand blockiert.
1998 setzte sich die durch Bundesrat Moritz Leuenberger eingesetzte Arbeitsgruppe „Energie-Dialog Entsorgung“ mit wichtigen Grundsatzfragen der nuklearen Entsorgung auseinander. Aber die am Dialog beteiligten Umweltorganisationen und Betreiber von Kernkraftwerken konnten sich nicht einigen. Der Ende 1998 vom Vorsitzenden erstellte Schlussbericht enthielt Vorschläge, wie die gegensätzlichen Positionen der Betreiber von Kernkraftwerken und der Umweltorganisationen überbrückt werden könnten. Unter anderem wurde eine Vertiefung des Konzepts der „kontrollierten und rückholbaren Langzeitlagerung“ vorgeschlagen. Der Zwist zog sich weiter; Anfangs 1999 blieben die Gespräche zur Befristung des Betriebs der bestehenden Kernkraftwerke und der Lösung des Entsorgungsproblems zwischen dem Bundesrat sowie den Standortkantonen, den Umweltorganisationen und den Betreibern der Kernkraftwerke ohne zufriedenstellendes Ergebnis. Darauf setzte der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Figur 1) im Juni 1999 die Expertengruppe Entsorgungskonzepte für radioaktive Abfälle (EKRA) ein.
Und das geschah etwa so: Um den 10. Juni 1999 erhielt Walter Wildi während einer Exkursion mit Geologie-Studenten der Uni Genf in der verregneten Simmenthaler Landschaft einen Anruf von Beat Wieland vom Bundesamt für Energie: „Walter, wärst Du bereit eine Fachgruppe zum Thema ‚Überwachung und eventuelle Rückholung geologischer Tiefenlager für radioaktive Abfälle’ zu leiten?“. Geplanter Abgabetermin des Berichtes: Ende 1999. Dem Angesprochenen war die Schwierigkeit, dem Konzept der Endlagerung in seinen Grundfesten entgegenzutreten, absolut bewusst. Er nahm das Mandat deshalb nur unter der klaren Bedingung an, eine nicht durch Interessen und/oder Ideologie gebundene Arbeitsgruppe bilden zu können. Diese hatte schlussendlich folgende Zusammensetzung:
- Walter Wildi (Vorsitz; Universität Genf, Fachbereich Geologie, Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Nukleare Sicherheit KSA; später: Präsident der KSA 2002 – 2007, Mitglied des Beirats nukleare Entsorgung 2009 – 2012, Mitautor dieses Blogs).
- Detlef Appel (PanGeo Hannover, Fachbereich Geologie, radioaktive Abfälle; später: Mitglied des Beirats nukleare Entsorgung des UVEK als Nachfolger von W. Wildi, Mitglied der deutschen Entsorgungskommission und weiterer Kommissionen).
- Marcos Buser (Buser & Finger, Fachbereich Altlasten, Entsorgungskonzepte; später: Mitglied der Kommission für nukleare Sicherheit KNS 2008 – 2012 und Leiter der Aufsichtsbehörde des internationalen Laboratoriums Mont-Terri, Mitautor dieses Blogs).
- François Dermange (Theologe, Professor für Ethik an der Universität Genf).
- Anne Eckhardt (Basler und Hofmann Zürich, Fachbereich Risiko und Sicherheit; später: bis 2007 Mitglied der Kommission für nukleare Sicherheit KSA, heute Präsidentin des ENSI-Rates).
- Peter Hufschmied (Emch + Berger Bern, Fachbereich Hydrogeologie, Modellierung; später: Vorsitzender der Kommission für nukleare Entsorgung KNE, erster Präsident des ENSI-Rates).
- Hans-Rudolf Keusen (Geologe, Spezialist in Ingenieur-Geologie, langjähriger Mitarbeiter und Direktor der Firma Geotest in Zollikofen, Bern, heute Mitglied der Kantonalen Expertengruppe Sicherheit KES der Arbeitsgruppe Sicherheit der Kantone AG SiKa).
- Sekretariat: Michael Aebersold (Bundesamt für Energie BFE; später: Leiter der Sektion nukleare Entsorgung und Projektleiter Sachplan).
Das Mandat der EKRA war wie folgt formuliert: „Die Expertengruppe Entsorgungskonzepte für radioaktive Abfälle (EKRA) erarbeitet die Grundlagen für einen Vergleich der Entsorgungskonzepte für radioaktive Abfälle. Sie untersucht und vergleicht insbesondere die geologische Endlagerung, die kontrollierte und rückholbare Langzeitlagerung und die Zwischenlagerung unter den Aspekten:
- Aktive und passive Sicherheit
- Überwachung und Kontrolle
- Rückholbarkeit
In einem technische und gesellschaftliche Fragen darstellenden Bericht fasst die EKRA die gewonnenen Resultate sowie ihre Schlussfolgerungen und Empfehlungen zu Handen des UVEK zusammen“.
Arbeitsweise der EKRA
„Die EKRA ging bei ihrer Arbeit davon aus, dass es Aufgabe der Gesellschaft sei, die Vorgaben zur Entsorgung der radioaktiven Abfälle zu definieren. In Anlehnung an den Aktionsplan des Bundes (Aktionsplan 1997) orientierte sich die Arbeitsgruppe namentlich am Gedanken der Nachhaltigkeit. Demnach besitzt die radiologische Sicherheit der heutigen sowie der kommenden Generationen vor allen weiteren Anforderungen Vorrang“.
Die Arbeitsgruppe definierte daher folgende Prioritäten der Entsorgung:
- Sicherheit von Mensch und Umwelt (höchste Priorität)
- Handlungsspielraum für alle betroffenen Generationen und Gerechtigkeit zwischen Bevölkerungsschichten, -gruppen und Generationen
- Einhaltung des Verursacherprinzips
Weiter ging die Arbeitsgruppe davon aus, alle in der Frage der nuklearen Entsorgung engagierten Parteien dies aus respektablen und ehrlichen Gründen tun. Dies bedeutete, dass die EKRA die Anliegen der verschiedenen Parteien à priori anerkannte. Die Expertengruppe organisierte daher Anhörungen mit Umweltorganisationen (Schweizerische Energiestiftung SES, Greenpeace, Komitee für die Mitsprache der Nidwaldner Bevölkerung bei Atomanlagen MNA), mit dem BFE als Bewilligungsbehörde, mit der Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen (HSK) als Sicherheitsbehörde und der Nagra und der Genossenschaft für Nukleare Entsorgung Wellenberg (GNW) als Vertreterinnen der Abfallproduzenten.
Die Sicherheitsbehörde und die Nagra verteidigten in den Hearings das bisherige Endlagerkonzept. Für sie bedeutete jede direkte Überwachungsmassnahme des Abfalllagers (sog. „aktive Sicherheitsmassnahmen“) eine mögliche Schwächung der Schutzbarrieren. Im Gegensatz hierzu befürworteten die Umweltorganisationen die Lagerüberwachung, insbesondere mit dem Zweck, die Bedingungen für eine eventuell notwendige Rückholung zu kontrollieren. Sie sprachen auch die Möglichkeit der langfristigen Lagerung der Abfälle an der Erdoberfläche an (Hütekonzept von Konradin Kreuzer 1992).
Basierend auf diesen Hearings, Literaturstudien und Grundsatzdiskussionen verfassten die Mitglieder der Arbeitsgruppe kapitelweise Texte, die sodann in Sitzungen diskutiert und bereinigt wurden. Die Teilnehmer der Hearings erhielten die Gelegenheit zu einem Vorentwurf Stellung zu nehmen und Korrekturen bzw. Änderungen vorzuschlagen. Die EKRA trug diesen soweit möglich Rechnung.
Der Abschlussbericht der EKRA wurde Ende Januar 2000 publiziert und der Öffentlichkeit vorgestellt. Er stiess in weiten Kreisen auf grosses Interesse und hatte weitreichende Folgen für das Schweizer Entsorgungsprogramm. Sein Einfluss reichte aber auch weit über die Grenzen hinaus. Wir werden die wichtigsten Fakten aus dem Bericht im Beitrag der nächsten Woche präsentieren und aus heutiger Sicht durchleuchten.
Referenzen
EKRA, Expertengruppe Entsorgungskonzepte für radioaktive Abfälle (2000): Entsorgungskonzepte für radioaktive Abfälle: Schlussbericht. Bern: Bundesamt für Energie.
Kreuzer, K. (1992): Ein Hüte-Konzept für radioaktive Abfälle, neue Wege, März 1992, 86-Jahrgang, Nr. 3.
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