Im Blog vom 21.Dezember 2015 wurde das technische EKRA-Konzept mit Hauptlager, Testlager und Pilotlager beschrieben. Im vorliegenden Blog rufen wir die durch die EKRA vorgeschlagenen Massnahmen in Erinnerung bei der Erstellung, dem Betrieb und während der Nachbetriebsphase des Lagers. Auch die Vorschläge zur Neustrukturierung der nuklearen Entsorgung und der damit betrauten Institutionen und der Organisation der Entsorgung werden ins Gedächtnis gerufen.. Der vorliegende Beitrag ist umfangreich. Er prüft die ursprünglichen Anliegen der EKRA im Detail und kommentiert, was daraus geworden ist. Wir haben uns überlegt, eine Zusammenfassung an den Beginn dieses Beitrags zu stellen, sind aber nach mehrfacher Lektüre des Beitrags davon abgekommen. Es scheint uns angesichts der heutigen Entwicklung der nuklearen Entsorgung in der Schweiz gerechtfertigt, alle grundlegenden Fragen, welche EKRA thematisiert und empfohlen hat, einer detaillierten Nachlese zu unterziehen. Wir werden zunächst die technischen Grundlagen (Massnahmen) in Erinnerung rufen, danach die institutionellen Fragen thematisieren und schliesslich die Empfehlungen der EKRA und ihre Umsetzung betrachten. Das Schlusswort soll eine Synthese der wichtigen Errungenschaften und Defizite ausweisen.
Massnahmen
Die EKRA (2000) beschrieb die verschiedenen Tätigkeiten um ein sogenanntes „Kontrolliertes Geologisches Langzeitlager“ (KGL, heute gem. Kernenergiegesetz „Geologisches Tiefenlager“) während den verschiedenen Phasen wie folgt (S.49 – 51):
Erkundungs- und Planungsphase; Bauphase
Zitat aus dem Bericht der EKRA:
„Bereits vor der Einlagerung der Abfälle in ein Tiefenlager sind diverse Untersuchungen erforderlich:
- Wirtsgesteinsspezifische Untersuchungen in Felslabors (z. B. Mt. Terri, Sondierstollen Wellenberg)
- Verstärkte Grundlagenforschung (nationale und internationale Programme), z. B. durch Untersuchung natürlicher Analoga zur Verbesserung der Zuverlässigkeit von Langzeitprognosen
- Errichtung eines Untertagelabors sowie eines Test- und/oder Pilotlagers am Lagerstandort.“
Betriebs- und Beobachtungphase
„Zu Beginn der Betriebsphase werden das Testlager . . . und das Pilotlager . . . in Betrieb genommen. Nach erfolgreichem Sicherheitsnachweis erfolgt die Einlagerung der Abfälle ins Hauptlager“. . . . die Lagerkavernen werden verschlossen; „die Zugänge bleiben hingegen während der Beobachtungsphase offen“.
„Überwachung und Kontrolle werden . . . vor allem im Pilotlager und, so weit möglich, auch im Hauptlager durchgeführt. Im Pilotlager sind weitere Massnahmen, wie etwa eine versuchsweise Rückholung von Abfällen, möglich. Am Ende der Beobachtungsphase werden die Abfälle entweder aus dem Hauptlager zurückgeholt, oder das Lager wird verschlossen und versiegelt. Während der Beobachtungsphase muss ein Tiefenlager drainiert und Wasser abgepumpt werden; es findet eine Entwässerung des Wirtsgesteins in Richtung Lager statt. Dadurch baut sich der Druck im Grundwasser ab. Es kommt zu einer Ausgasung von Wasserinhaltsstoffen und möglicherweise zu einer Austrocknung des Gebirges in der Lagerzone. Falls die Überwachung einige Jahrzehnte oder länger dauert, muss ein KGL für einen raschen Verschluss ausgelegt werden. Diese Massnahme ist erforderlich, da ein aus welchen Gründen auch immer unkontrollierter Abbruch der Überwachung nicht ausgeschlossen werden kann.“
Nachverschlussphase
„Nach Verschluss des Hauptlagers und Überführung in ein geologisches Endlager sind dessen Zugangsstollen verfüllt und versiegelt. Es findet eine vollständige Aufsättigung des Nahfeldes statt. Die Dauer dieser Aufsättigung hängt von den hydraulischen Eigenschaften des Wirtsgesteins (Durchlässigkeit) und bei HAA zudem von der Wärmeproduktion ab.
„Folgende Massnahmen sind nach dem Verschluss des Hauptlagers noch notwendig bzw. denkbar:
- Langzeitbetrieb des vom Hauptlager unabhängigen Pilotlagers: Kontrolle der Lagerparameter (Frühwarnung, Störfallkontrolle)
- Fernbeobachtung der Lagerzone (remote sensing)
- Langzeitbeobachtung der Umwelt
- Aufrechterhaltung des Fachwissens über radioaktive Abfälle und der Kenntnisse über Inventar und Lagerstandort (Vermeidung des unbeabsichtigten Anbohrens)
- Schutzmassnahmen (namentlich Sicherung gegen unbefugten Zugriff)“
„Bis zum Austritt von Radionukliden aus der Verfüllung, d. h. bis zum Übergang von den technischen zu den natürlichen Barrieren, werden bei einem SMA-Lager mehrere hundert, bei einem HAA-Lager mehrere zehntausend Jahre vergehen. Aus heutiger Sicht ist nach dem endgültigen Verschluss eines Lagers, d. h. auch des Pilotlagers und dessen Zugangsstollen, nur noch eine Umweltbeobachtung, z. B. eine Messung der Radioaktivität des Quellwassers, vorzusehen.“
Die EKRA (2000) war sich der Schwierigkeit der Durchführung eines derart anspruchsvollen Projektes mit der für die Garantie der Langzeitsicherheit notwendigen Qualität bewusst. Sie schlug deshalb folgende Massnahmenplanung vor (S. 57):
„Die folgenden Ausführungen heben die Notwendigkeit einer gesamthaften und kohärenten Massnahmenplanung hervor. Wichtigste Elemente dieser Massnahmenplanung sind:
- Sicherstellung eines hohen Qualitätsniveaus für die generelle Planung und für die spezifischen Teilprogramme (Lagerdesign, Verfüllung, Versiegelung, Verschluss usw.)
- Überwachungs- und Kontrollprogramme für Bau-, Betriebs-, Beobachtungsund Nachverschlussphase sowie für alle relevanten Anlageteile, technischen Systeme und die Umwelt (insbesondere für das Nahfeld)
- Qualitätssicherungsprogramme für die entsprechenden Lagerphasen und Programmteile (Bauausführung, Überwachung, Kontrolle, Datenmanagement, usw.)
- Störfallmanagement (inkl. Rückholung der Abfälle) ab der Bauphase
- Sicherstellung der finanziellen Ressourcen, der Verfügbarkeit von notwendigen Informationen über das Lager, Markierung des Lagers und Weitergabe des Fachwissens
- Information und Kommunikation als Grundlagen der Vertrauensbildung „
Die EKRA war sich auch bewusst, dass sie mit diesen Vorschlägen Neuland betrat. Sie schrieb deshalb (S.56) :
« Der Forschungsstand für die verschiedenen Elemente eines kontrollierten geologischen Langzeitlagers ist weniger weit fortgeschritten als jener für ein geologisches Endlager. Nachholbedarf besteht vor allem bezüglich der Errichtung eines Pilotlagers und der Sicherheitssysteme des KGL während der Betriebs- und Beobachtungsphase. »
Institutionelle Aspekte und Organisation
In ihrem ersten Bericht vom Januar 2000 blieb die EKRA zu den institutionellen und organisatorischen Fragen diskret. Diesen Fragen war der zweite, im Oktober 2002 publizierte Bericht gewidmet. In diesem Bericht äusserte sich die EKRA zur Rechtslage, zum Entsorgungsprogramm, zu Dialog und Partizipation, zur Forschung, zur Organisation der Entsorgung und zu deren Finanzierung.
Die EKRA ortete namentlich folgende Defizite:
„Struktur und Zuständigkeiten: Die organisatorischen Strukturen im Bereich der nuklearen Entsorgung sind schwer überschaubar. Eine Klärung der Strukturen und Zuständigkeiten durch den Bund würde einen wichtigen Beitrag zu mehr Transparenz und Akzeptanz leisten und damit die Umsetzung der Programme fördern. Vorteilhaft würde sich zudem auswirken, wenn die verschiedenen Aufgaben und Tätigkeiten vermehrt koordiniert würden.
Rechtslage: Standortuntersuchungen sowie der Bau von Abfalllagern machen neben Bundesbewilligungen auch Bewilligungen durch den Standortkanton und die Standortgemeinde erforderlich. Geeignete Projekte können dadurch erheblich verzögert und letztlich verunmöglicht werden. Die Entsorgung der radioaktiven Abfälle muss deshalb auf nationaler Ebene gelöst werden.
Dialog und Partizipation: Die Entsorgung ist konfliktträchtig. Eine Voraussetzung für tragfähige Lösungen stellt der gesellschaftliche Dialog dar. Konflikte müssen entflochten und versachlicht werden, eine differenzierte Argumentation wird damit möglich. Zur Förderung von Dialog und Partizipation schlägt die EKRA die Schaffung eines beratenden „Entsorgungsrats“ vor.
Entsorgungsprogramm, Inventar und Qualitätssicherung: Lagerprojekte kommen in der Schweiz nur langsam voran. Es fehlt ein übergeordnetes Qualitätsmanagement-System. Die Umsetzung wird durch geringe politische Unterstützung, zurückhaltendes Handeln der zuständigen Bundesstellen und Akzeptanzprobleme von Nagra und GNW erschwert.
Forschung: Die Forschung zur Entsorgung radioaktiver Abfälle hängt heute wesentlich von den Verursachern der Abfälle ab. Unabhängige (Grundlagen-)Forschung an den Hochschulen fehlt weitgehend; das Ausbildungsangebot auf dem Gebiet der nuklearen Entsorgung ist gering. Es besteht auch Bedarf an Forschung zur Umsetzung der geologischen Tiefenlagerung.
Finanzierung: Die Ausgaben für die laufenden Entsorgungskosten richten sich nach einem von den Betreibern bestimmten Budget. Welche finanziellen Mittel nach der Ausserbetriebnahme der Kernkraftwerke für die Beobachtung eines geologischen Tiefenlagers in den Entsorgungsfonds einzubezahlen sind, ist noch offen. Zudem stellt sich die Frage, wie eine Rückholung der Abfälle aus Sicherheitsgründen zu finanzieren ist.“
Empfehlungen der EKRA
Aus ihren Überlegungen leitet die EKRA (2002) folgende Empfehlungen ab (die Nummerierung ist hier zur Organisation der Diskussion eingefügt):
- « Die Rolle des Bundes im Kernenergiegesetz wird nochmals überprüft. Die Kompetenzen für die geologische Tiefenlagerung werden ausschliesslich auf Bundesebene verankert. Regionalen Mitspracherechten ist jedoch ein hoher Stellenwert einzuräumen, auch über Kantons- und Landesgrenzen hinaus.
- Der Bund legt verbindliche zeitliche Zielvorgaben für die Inbetriebnahme der geologischen Tiefenlager fest. Dabei werden sowohl sicherheitstechnische als auch rechtliche, soziale und wirtschaftliche Anforderungen berücksichtigt.
- Die Entsorgungsorganisationen formulieren ein an die Zielvorgaben gebundenes Umsetzungsprogramm. Dieses Programm zeigt auf, wie die Zielvorgaben schrittweise erreicht werden sollen. Das Programm ist vom Bund zu genehmigen und untersteht einer behördlichen Kontrolle.
- Die Bewilligungsbehörden bauen eine entsprechende Programmkontrolle auf.
- Um die definitiven Abfallinventare für die Lager SMA und HAA/LMA festzulegen, wird ein Verfahren definiert. Die Grundlagen für ein Konzept zur Abfall- und Lagerdokumentation sind zu erarbeiten.
- Für alle sicherheitsrelevanten Aktivitäten im Zusammenhang mit der geologischen Tiefenlagerung wird ein Konzept für ein übergeordnetes Qualitätsmanagement-System vorgelegt.
- Für die Einsetzung eines Entsorgungsrats werden Grundlagen ausgearbeitet, wobei Erfahrungen aus dem In- und Ausland einzubeziehen sind.
- Eine interdisziplinäre, unabhängige Grundlagenforschung Entsorgung wird in die Wege geleitet und deren Finanzierung sichergestellt.
- Zur Umsetzung der geologischen Tiefenlagerung wird ein Forschungsprogramm initiiert.
- Bewilligungsbehörden und Sicherheitsbehörden werden voneinander getrennt. Um die Transparenz der Verfahren zu verbessern, wird eine eindeutige Zuordnung der Verantwortungen und Kompetenzen vorgenommen.
- Funktion und Zuständigkeit der verschiedenen beratenden Gremien und Kommissionen im Bereich der nuklearen Entsorgung werden überprüft. Die Rolle des Bundes in seinen verschiedenen Funktionen ist zu klären.
- Um die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure zu verbessern, wird eine Koordinationsstelle Entsorgung Schweiz geschaffen.
- Die Bewilligungs- und Sicherheitsbehörden werden personell und finanziell gestärkt, um ihre umfangreichen Aufgaben den Anforderungen entsprechend wahrnehmen zu können.
- Budget, Finanzplan und Arbeitsprogramm der Nagra werden von einer von deren Geschäftsleitung unabhängigen Kontrollstelle überprüft. Bei Bedarf macht der Bund von seinem Recht Gebrauch, die Entsorgung auf Kosten der Betreiber anders zu regeln.
- Jahresbudget und Finanzplan für die während dem Betrieb anfallenden Entsorgungskosten werden an das durch die Bewilligungsbehörde genehmigte Umsetzungsprogramm gebunden.
- Die finanzrelevanten Rahmenbedingungen für die Umsetzung der geologischen Tiefenlagerung werden festgelegt.
- Die Fondsbeiträge, die auf einer behördlich kontrollierten Kostenschätzung beruhen, richten sich nach dem Umsetzungsprogramm.
- Bei der Revision des Kernenergiehaftpflichtgesetzes wird geprüft, ob für den Fall einer Rückholung der Abfälle aus Sicherheitsgründen eine Versicherungslösung möglich und notwendig ist.“
Umsetzung der Empfehlungen
Im Gegensatz zum technischen EKRA-Konzept aus dem Jahr 2000, wurden die Empfehlungen zu den institutionellen Aspekten und die Organisation durch den Bund nur zögernd und lückenhaft übernommen. Hier ein Überblick:
- Empfehlung EKRA: „Die Rolle des Bundes im Kernenergiegesetz wird nochmals überprüft. Die Kompetenzen für die geologische Tiefenlagerung werden ausschliesslich auf Bundesebene verankert. Regionalen Mitspracherechten ist jedoch ein hoher Stellenwert einzuräumen, auch über Kantons- und Landesgrenzen hinaus.“
Umsetzung: Die Bundeskompetenz wurde im Kernenergiegesetz (KEG 2003) durch die Abschaffung des sogenannten „kantonalen Veto’s“ (meist der Vorrang des kantonalen Bergrechts vor dem Bundesrecht) umgesetzt. Das durch die EKRA empfohlene kantonale und regionale Mitspracherecht hätte im Rahmen des „Sachplans geologische Tiefenlager“ seinen Platz finden sollen. Dies geschah allerdings nur in der Form von „Anhörung“ zu Fragen der Oberflächenanlagen von geologischen Tiefenlagern, namentlich durch die Einsetzung der Regionalkonferenzen. Geht es um die Sicherheit der Tiefenlager, so vertraut der Gesetzgeber den Kantonen und Regionen nicht. Damit weist das Verfahren in Bezug auf basisdemokratische Gebräuche ein grundsätzliches Defizit auf, das die Umsetzung des Verfahrens in Frage stellen könnte.
- Empfehlung EKRA: „Der Bund legt verbindliche zeitliche Zielvorgaben für die Inbetriebnahme der geologischen Tiefenlager fest. Dabei werden sowohl sicherheitstechnische als auch rechtliche, soziale und wirtschaftliche Anforderungen berücksichtigt.“
Umsetzung: Bei der Annahme des Sachplans durch den Bundesrat im Jahr 2008 wurden Fristen für die verschiedenen Etappen des Sachplans festgesetzt. Allerdings wurden diese von Anfang an derart unrealistisch eingesetzt, dass sie gar nicht eingehalten werden konnten, weder durch die Entsorgerorganisation Nagra, noch durch die Bundesbehörden BFE und ENSI. Dies erklärt sich einerseits dadurch, dass weder Planungsgrundlagen noch Qualitätssicherung den Anforderungen an einen solchen Prozess genügten; andererseits aber auch dadurch, dass die durch Entsorger und Behörden eingesetzten Mittel ungenügend sind und nicht den Bedürfnissen angepasst wurden. So hätten ursprünglich nach dem durch den Bundesrat abgesegneten Sachplankonzept vom 2. April 2008 die Rahmenbewilligungen für die Tiefenlager im Zeitraum 2016 bis 2018, nach Abschluss der Etappe 3 des Sachplans erteilt werden sollen. Das zuständige Departement UVEK hat vor rund zwei Wochen eine weitere Verzögerung des Programms bekannt gegeben und rechnet inzwischen mit einem Entscheid des Bundesrats zu Etappe 2 voraussichtlich Ende 2018 (https://www.bfe.admin.ch/energie/00588/ 00589/00644/index.html?lang=de&msg-id=60005) . Dies dürfte die Rahmenbewilligung (falls es überhaupt je eine geben wird) um mindestens anderthalb Jahrzehnte hinaus zögern. Das Lager für schwach und mittel radioaktive Abfälle soll nun um 2050, jenes für hoch radioaktive Abfälle und abgebrannte Brennstäbe um 2060 (ursprünglich 2030 und 2040) eröffnet werden, womit die Erreichung des Ziels der nuklearen Entsorgung um fast eine ganze Generation hinausgeschoben wurde.
- Empfehlung EKRA: „Die Entsorgungsorganisationen formulieren ein an die Zielvorgaben gebundenes Umsetzungsprogramm. Dieses Programm zeigt auf, wie die Zielvorgaben schrittweise erreicht werden sollen. Das Programm ist vom Bund zu genehmigen und untersteht einer behördlichen Kontrolle“
Umsetzung: Die Entsorgerorganisation Nagra wird im Kernenergiegesetz (KEG 2003, Art. 32) zur Ausarbeitung eines Entsorgungsprogramms verpflichtet, welches sodann durch das ENSI kontrolliert wird. Der Inhalt ist in der Kernenergieverordnung (KEV 2004) festgelegt. Das erste entsprechende Programm wurde im Jahr 2008 publiziert (Nagra 2008). Gemäss KEV (Art. 52) hätte es fünf Jahre später, d.h. im Jahr 2013 aufdatiert werden müssen. Dieses Datum wurde auf 2016 verschoben, um Entsorgungsprogramm und Kostenstudie 2016 zeitlich gleichzuschalten. Auch diese Verschiebung ist ein Indikator dafür, dass der Bund die „heisse Kartoffel“ der nuklearen Entsorgung weiter vor sich herschiebt. Es wäre ja auch möglich gewesen, die Kostenstudie vorzuverlegen, gerade auch deshalb, weil die Kosten der Stilllegung und Entsorgung in den letzten Jahren wiederum explodieren (siehe unser Blog-Beitrag vom 4. Mai 2015).
- Empfehlung EKRA: „Die Bewilligungsbehörden bauen eine entsprechende Programmkontrolle auf.“
Umsetzung: Das im Jahr 2008 veröffentlichte Entsorgungsprogramm durchlief bis 2013 eine detaillierte Expertise, namentlich durch das ENSI und die KNS. Eine Anzahl grundlegender Punkte wurden bemängelt und hätten korrigiert werden müssen. In vielen Bereichen wurde das Programm aber durchgewinkt, obwohl eigentlich Handlungsbedarf besteht. In diesem Sinne werden wir das Entsorgungsprogramms 2016 mit Argusaugen begleiten.
Wie oben aufgezeigt, funktioniert die Programmkontrolle bezüglich der Einhaltung des Zeitplans überhaupt nicht. Sowohl die Entsorgerorganisation als auch die Behörden fühlen sich offenbar in keiner Weise an den Fahrplan der Entsorgung gebunden. Auf Seite der Entsorger liegt dies u.a. daran, dass die Behörde keinen Einfluss auf die Budgetplanung nimmt. Sowohl Entsorger als auch Behörden (incl. Bundesrat) „schleichen“ sich so aus der Verantwortung.
Aber auch die Qualitätssicherung des Programms und der konzeptuellen Grundlagen ist nicht (oder nicht im gewünschtem Mass) gewährleistet. Die in den Jahren 2010 und 2011 in den Stellungnahmen der KNS abgegebenen Empfehlungen, das gesamte Lagerprogramm (inklusive Behältermaterialien) grundsätzlich neu zu überprüfen[1] (siehe auch unten), wurde genauso übergangen wie die Forderung nach einer umfassenden Planung des Sachplanprozesses. Die politisch motivierte Salamisierung des Prozesses kann den Anspruch an eine Qualitätsprüfung eines Prozesses grundsätzlich nicht erfüllen (siehe weiter unten).
- Empfehlung EKRA: „Um die definitiven Abfallinventare für die Lager SMA und HAA/LMA festzulegen, wird ein Verfahren definiert. Die Grundlagen für ein Konzept zur Abfall- und Lagerdokumentation sind zu erarbeiten“.
Umsetzung: Im Rahmen des sogenannten „Ausstiegs“ aus der Kernenergie wurden keine Grenzen für den Betrieb der Kernkraftwerke festgelegt. Damit können die schlussendlich anfallenden Mengen an Abfällen und ihre Aktivität nur grob geschätzt werden. Ein wesentlicher Mangel liegt namentlich im Mangel an sicheren Angaben zur Verwendung von sogenanntem MOX, also von Kernbrennstoffen aus der Wiederaufbereitung. Abgebrannte MOX-Elemente haben eine höhere Wärmeproduktion und ein anderes Nuklidinventar, als Brennstäbe aus dem ersten Verwendungszyklus. Sie verlangen eine längere Vorkühlung, bevor sie in ein geologisches Tiefenlager verbracht werden und verlängern dadurch die Betriebszeit des offenen Lagers. Auch dieses Thema gehörte zu dem Empfehlungen der KNS der Jahre 2010 und 2011.
- Empfehlung der EKRA: „Für alle sicherheitsrelevanten Aktivitäten im Zusammenhang mit der geologischen Tiefenlagerung wird ein Konzept für ein übergeordnetes Qualitätsmanagement-System vorgelegt.“
Umsetzung: Diese bzgl. Sicherheit eines künftigen geologischen Tiefenlagers ganz wesentliche Empfehlung wurde de facto nicht umgesetzt.
- Empfehlung der EKRA: „Für die Einsetzung eines Entsorgungsrats werden Grundlagen ausgearbeitet, wobei Erfahrungen aus dem In- und Ausland einzubeziehen sind.“
Umsetzung: Die EKRA hatte die Schaffung eines übergeordneten Entsorgungsrats als koordinierendes und leitendes Organ des Entsorgungsprogramms angeregt. Daraus entstand schliesslich der „Beirat nukleare Entsorgung“, ein informelles, strategisch gedachtes Beratungsorgan des Bundesamtes für Energie (BFE). Der Rat ist zusammengesetzt aus Mitgliedern aus der Politik, der zivilen Gesellschaft, der Verwaltung, der Elektrowirtschaft und einem Fachmann aus dem Bereich der nuklearen Entsorgung. Damit ist der Rat in Fragen der nuklearen Entsorgung fachlich weitgehend inkompetent und hat dementsprechend keinen Einfluss auf das Entsorgungsprogramm.
- Empfehlung der EKRA: „Eine interdisziplinäre, unabhängige Grundlagenforschung Entsorgung wird in die Wege geleitet und deren Finanzierung sichergestellt.“
Umsetzung: Trotz wiederholter Vorstösse ehemaliger EKRA-Mitglieder, aber auch der KSA und teilweise auch der KNS, wurde diese Empfehlung von der Bundeverwaltung und dem Bundesrat nicht umgesetzt. Dadurch, dass Forschung mehr oder weniger durch die Entsorger finanziell gefördert wird, bleibt diese meist auf unmittelbare Anwendungen beschränkt. An dieser Feststellung ändern auch die durch die Agneb koordinierten Forschungsprogramme des Ensi (und des BFE) nur wenig. Es besteht weiterhin ein akuter Mangel an Fachleuten im Bereich der nuklearen Entsorgung. Das Belassen dieser Situation ist für eine zukunftsgerichtete Bearbeitung des Entsorgungsprogramms gefährlich. Ausserdem besteht das Risiko von Fehlentscheiden und weiteren Misserfolgen des Programms.
- Empfehlung der EKRA: „Zur Umsetzung der geologischen Tiefenlagerung wird ein Forschungsprogramm initiiert“
Umsetzung: Das offiziell unter der Leitung von SWISSTOPO stehende Felslabor Mt Terri kann in einem gewissen Sinne als eine Antwort auf diese Empfehlung gesehen werden. Die klare Haltung des Kantons Jura, die Führung und Koordination des Labors einer Bundesinstitution zu übertragen, hat für strukturelle Ordnung in diesem Projekt gesorgt. Zudem hat sich SWISSTOPO auch die Mittel dafür zur Verfügung gestellt und eine kleine aber äusserst kompetente Mannschaft dafür aufgebaut. Die früher teilweise in Betracht gezogene Zusammenarbeit zwischen ausführender Organisation (Nagra) und Aufsicht (ENSI) wurde auf Intervention des Kantons eingestellt. Das Forschungslabor Mont-Terri ist ein erfreuliches Beispiel von geordneter Forschung unter unabhängiger Koordination und starker Aufsicht durch den Kanton.
- Empfehlung der EKRA: „Bewilligungsbehörden und Sicherheitsbehörden werden voneinander getrennt. Um die Transparenz der Verfahren zu verbessern, wird eine eindeutige Zuordnung der Verantwortungen und Kompetenzen vorgenommen.“
Umsetzung: Diese Trennung erfolgte formell im Jahr 2009 durch die Ausgliederung der damaligen Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen (HSK) in den dritten Kreis der Bundesverwaltung und der Umbenennung zum Eidgenössischen nuklearen Sicherheitsinspektorat (ENSI). Die Empfehlung einer eindeutigen Zuordnung der Verantwortungen und Kompetenzen wurde allerdings insofern nicht voll umgesetzt, als beispielsweise auch heute noch die der Elektrizitätswirtschaft verpflichtete Nagra keiner effektiven Aufsicht untersteht.
- Empfehlung der EKRA: „Funktion und Zuständigkeit der verschiedenen beratenden Gremien und Kommissionen im Bereich der nuklearen Entsorgung werden überprüft. Die Rolle des Bundes in seinen verschiedenen Funktionen ist zu klären.“
Umsetzung: Die Landschaft der beratenden Gremien hat sich seit der Empfehlung der EKRA noch erheblich kompliziert. Hier eine Aufzählung:
- Abschaffung der Eidgenössischen Kommission für die Sicherheit der Kernanlagen (KSA) auf Ende 2007, Schaffung der Kommission für die nukleare Sicherheit (2008)
- Schaffung des Beirats nukleare Entsorgung als strategisch gedachtes Organ des BFE (2009).
- Anschluss der Kommission nukleare Entsorgung (KNE) unter dem Namen „Expertengruppe Geologische Tiefenlagerung“ (EGT) ans ENSI. Dieses Organ berät das ENSI seit 2012 im Bereich der Erdwissenschaften.
Zudem haben sich die Kantone mit der Schaffung der Kantonalen Expertengruppe Sicherheit (AG SiKa/KES) im Rahmen des Sachplans geologische Tiefenlager ein entsprechendes Kontrollorgan gegeben, das heute als einziges institutionelles Organ eine tatsächliche Aufsichtsfunktion wahrnimmt.
Offiziell befassen sich heute also vier beratende Gremien mit dem Entsorgungsprogramm, bzw. mit dem Sachplan geologische Tiefenlager. Zu diesen gesellt sich ausserdem das „Forum technische Sicherheit“ des ENSI.
Ob dies dem Anliegen einer Klärung der Funktionen entspricht, kann man füglich bezweifeln. Eher handelt es sich um eine Verdünnung der Kompetenzen, die daraus resultiert, dass die zuständige Aufsicht die ihr zugedachte Rolle nicht so spielt, wie sie müsste.
- Empfehlung der EKRA: „Um die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure zu verbessern, wird eine Koordinationsstelle Entsorgung Schweiz geschaffen.“
Umsetzung: Das Bundesamt für Energie (BFE) koordiniert offiziell den Ablauf des Sachplans geologische Tiefenlager. Das BFE hat verdienstvollerweise die Regionalkonferenzen aufgebaut und betreut. Verschiedentlich wurde das Amt allerdings von der Entsorgerorganisation unterlaufen. Zu erwähnen ist der Fall der Redaktion wesentlicher Kapitel des Sachplans durch die Nagra, sowie die Ausarbeitung eines parallelen Vorgehens zum Sachplan (Nagra AN 11-711). Im Vergleich zum Projekt Wellenberg ist trotzdem eine gewisse Verbesserung festzustellen, die vor allem den Akteuren ausserhalb der Nagra und des Bundes (ENSI, BFE) zu verdanken ist.
- Empfehlung der EKRA: „Die Bewilligungs- und Sicherheitsbehörden werden personell und finanziell gestärkt, um ihre umfangreichen Aufgaben den Anforderungen entsprechend wahrnehmen zu können.“
Umsetzung: Bei der Bewilligungsbehörde BFE erfolgte in den vergangenen Jahren eine Aufstockung des Personals der Sektion nukleare Entsorgung. Nun stellt sich die Frage des fachlichen Niveaus und der Fachkompetenz der Mitarbeiter. Die Prozessführung ist nicht besonders erfolgreich, was auch als Mangel an Qualifikation für diese Aufgabe interpretiert wird. In diesem Sinne hat sich die Umsetzung der EKRA-Empfehlung nicht entscheidend und positiv auf das Entsorgungsprogramm ausgewirkt.
- Empfehlung der EKRA: „Budget, Finanzplan und Arbeitsprogramm der Nagra werden von einer von deren Geschäftsleitung unabhängigen Kontrollstelle überprüft. Bei Bedarf macht der Bund von seinem Recht Gebrauch, die Entsorgung auf Kosten der Betreiber anders zu regeln.“
- Empfehlung der EKRA: „Jahresbudget und Finanzplan für die während dem Betrieb anfallenden Entsorgungskosten werden an das durch die Bewilligungsbehörde genehmigte Umsetzungsprogramm gebunden.“
Umsetzung: Die beiden Empfehlungen wurden erst seit dem Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle 2014 in Ansätzen umgesetzt. Wie bereits erwähnt, dürfte dies einer der Hauptgründe für die mangelnde Entsorgungsplanung, die daraus resultierende Verspätung im Ablauf des Sachplans geologische Tiefenlager und vor allem der massiv ansteigenden Kosten sein.
- Empfehlung der EKRA: „Die finanzrelevanten Rahmenbedingungen für die Umsetzung der geologischen Tiefenlagerung werden festgelegt.“
Umsetzung: Die Rahmenbedingungen wurden in der Verordnung zum Entsorgungsfonds (2007, Revision 2015) geregelt. Eine wesentliche Schwäche der Verordnung liegt noch immer darin, dass das laufende Budget der Entsorgerorganisation noch immer aus den Budgets der heute schwächelnden Kernkraftwerksgesellschaften und nicht aus einem hinreichend bestückten Stilllegungs- und Entsorgungsfonds gedeckt wird.
- Empfehlung der EKRA: „Die Fondsbeiträge, die auf einer behördlich kontrollierten Kostenschätzung beruhen, richten sich nach dem Umsetzungsprogramm.“
Umsetzung: Die Empfehlung der EKRA wurde bis Ende 2014 so umgesetzt, dass die durch die Atomindustrie regelmässig aufdatierten Kostenschätzungen der nuklearen Entsorgung durch die HSK, sodann durch das ENSI begutachtet wurden. Nun ist das ENSI allerdings im Bereich des Bergbaus und Lagerbaus nicht unbedingt als kompetente Institution anerkannt. Auch die Atomindustrie scheint auf diesem Gebiet zu improvisieren. So können wohl die schlechten Einschätzungen und der starke Anstieg der geschätzten Entsorgungskosten im Verlauf der vergangenen Jahre erklärt werden. Und auch heute basieren die wahren Kosten noch immer weitgehend auf Spekulationen. In Zusammenhang mit dem Entsorgungsprogramm 2016 und den Kostenstudien 2016 sind in Zusammenhang weitere Überraschungen zu erwarten.
- Empfehlung der EKRA: „Bei der Revision des Kernenergiehaftpflichtgesetzes wird geprüft, ob für den Fall einer Rückholung der Abfälle aus Sicherheitsgründen eine Versicherungslösung möglich und notwendig ist.“
Umsetzung: Uns ist nicht bekannt, ob die Frage der Versicherbarkeit geprüft wurde.
Schlussfolgerungen
Das schweizerische Entsorgungsprogramm für radioaktive Abfälle ist heute stark geprägt durch die Arbeiten und Empfehlungen der EKRA. Diese haben sicher wesentlich zur Formulierung des Konzepts der überwachten und rückholbaren geologischen Tiefenlagerung beigetragen. Die Empfehlungen der Kommission haben auch wesentlich zur Entwicklung der Gesetzgebung, der Organisation des Entsorgungsprogramms und zu institutionellen Fragen geführt.
Wir stellen allerdings auch fest, dass in entscheidenden Bereichen die Empfehlungen nicht weiter entwickelt wurden. Zu erwähnen sind namentlich die Notwendigkeit einer weiteren Ausgestaltung der Konzepte zur Lagerüberwachung und eventuellen Rückholung der Abfälle, die von den Entsorgern unabhängige Forschung (und damit Nachwuchsförderung), die Wahrnehmung der Programm- und Finanzkontrolle des Entsorgers, die Frage der Qualitätskontrolle, die realistische Finanzplanung des Entsorgungsprogramms. Auch die so wichtige Frage der regionalen und kantonalen Mitsprache wurde nicht in zufriedenstellender Weise beantwortet.
Im Rückblick stellen wir fest, dass die Arbeiten der EKRA seitens der zuständigen Bundesbehörden zu früh abgebrochen wurden. Etliche Formulierungen der EKRA sollten heute auch neu aufgelegt werden. Die unterdessen aufgelaufenen Kenntnisse zur Geologie der Schweiz müssten heute neu gewürdigt und die Frage der Auslandlagerung neu überprüft werden. Unter diesen Umständen wäre sicher die Zeit gekommen, eine neue Arbeitsgruppe (ein „Thinktank“) zu schaffen, mit dem Ziel, die Schwächen im schweizerischen Entsorgungsprogramm zu überdenken und Lösungen vorzuschlagen. Die dauerhafte strategische Beratung der Bundesbehörden war bereits in der EKRA ein oft zur Sprache gebrachtes Anliegen. Höchste Zeit also, diese in der zunehmend schwierigen Situation zu schaffen.
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