Das Deutsche Endlagerprogramm
Als am 11. März 2011 das Kernkraftwerk Fukushima durch ein Erdbeben und den darauf folgenden Tsunami praktisch zerstört wurde, betrieb Deutschland 17 Kernkraftwerke. Acht dieser Werke wurden in der Folge vom Netz genommen und die verbleibenden neun Reaktoren werden bis spätestens 2022 abgeschaltet und sodann stillgelegt. Bis heute legte Deutschland in seiner Nukleargeschichte 19 ältere Reaktoren und Versuchsanlagen still. Ende Juni 2015 befanden sich 9 kommerzielle Reaktoren (anstelle der ursprünglichen 8) im „Nichtleistungsbetrieb“ (abgestellt) und 8 Reaktoren im „Leistungsbetrieb“ [1]. Als Folge des zügigen Programms zur Stilllegung aller Kernkraftwerke rückt die Problematik der raschen Entsorgung der Betriebsabfälle und der Abfälle aus dem Rückbau der stillgelegten Kraftwerke in den Vordergrund.
In Deutschland sind heute vier Lager oder Lagerprojekte unter dem öffentlichen Scheinwerferlicht (Informationen: https://www.endlagerung.de/):
- „Fertig zum Verschluss“: Endlager Morsleben. Das Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben (ERAM) wurde in einem ehemaligen Salzbergwerk, in der Nähe der Stadt Helmstedt errichtet. Es liegt im Bundesland Sachsen-Anhalt, unmittelbar an der Grenze zu Niedersachsen. Das Salzbergwerk wurde von der Staatlichen Zentrale für Strahlenschutz der damaligen DDR als Standort ausgewählt und 1971 als Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle eingerichtet. Der reguläre Einlagerungsbetrieb wurde 1981 aufgenommen. In Morsleben wurden zu DDR-Zeiten schwach und mittel radioaktive Stückabfälle, flüssige und mit Flugasche verfestigte Abfälle und in Fässer verpackte Abfälle eingelagert. Nach der Wiedervereinigung sind zwischen 1994 und 1998 in größerem Ausmaß auch (feste) Abfälle aus den alten Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland eingelagert worden. Insgesamt sind trotz wachsender Bedenken des Bundesamts für Strahlenschutz und anderer Fachleute ab den 1990er Jahren bis zur endgültigen Beendigung der Einlagerung aus sicherheitstechnischen und rechtlichen Gründen im Jahr 1998 36’754 m³ Abfälle und ca. 6’600 Strahlenquellen in die Grube gebracht worden. Zur Zeit wird das Lager zur Stilllegung vorbereitet. Mit dem Verschluss wird ab 2025 gerechnet.
- Endlager Schachtanlage Asse II: Das ehemalige Salzbergwerk Asse II liegt beim niedersächsischen Ort Wolfsbüttel. Hier wurden in den Jahren 1909 bis 1964 etwa 5 Mio Kubikmeter Kali- und Steinsalz abgebaut. 1965 hat der Bund die unrentabel gewordene Anlage zur Erforschung von Einlagerungstechniken für radioaktive Abfälle erworben. 1967 begann auf Basis bergrechtlicher und strahlenschutzrechtlicher Regelungen die sogenannte Versuchseinlagerung schwach und mittel radioaktiver Abfälle, deren Rückholung allerdings nicht vorgesehen war. Ab 1971 wurden insgesamt ca. 126’000 Abfallgebinde (v.a. Fässer und sog. verlorene Betonabschirmungen, insges. ca. 25’000 m3 Abfall) in ehemalige Abbaukammern eingelagert, unter anderem auch um dem Entsorgungsnotstand im Forschungszentrum Karlsruhe zu begegnen. Die Einlagerung wurde 1978 nach einer Änderung des Atomgesetzes im Jahr 1976 beendet. In den nachfolgenden Jahren wurden in der Asse Forschungsarbeiten durchgeführt, die u.a. der Vorbereitung der Endlagerung hoch radioaktiver Abfälle dienten. Bereits zu Zeiten der Salzgewinnung und der Abfalleinlagerung sind immer wieder Lösungszutritte in das Bergwerk zu verzeichnen gewesen[2]. Seit 1988/1989 treten als Spätfolge der früheren Bergbautätigkeit täglich etwa 12 m3 gesättigte Salzlösung aus dem Deckgebirge in die Grube ein. Auch umfangreiche Stabilisierungsmaßnahmen (Verfüllung ehemaliger Abbaukammern) haben die Zutrittsraten bisher nicht nachhaltig verringern können. Eine zuverlässige Prognose ist nicht möglich. Die Zutrittslösungen werden aufgefangen und bei der Flutung stillgelegter Salzbergwerke eingesetzt. Ohne diese Maßnahmen würde die Schachtanlage Asse II absaufen. Warnungen vor einer solchen Entwicklung sind nicht beachtet worden. Seit 2009 wird die Schachtanlage Asse II als Endlager durch das Bundesamt für Strahlenschutz betrieben. Nach einem Vergleich verschiedener Stilllegungsoptionen wurde entschieden, die Abfälle aus den Einlagerungskammern zurückzuholen. Im Jahr 2013 trat die Lex Asse, das „Gesetz zur Beschleunigung der Rückholung radioaktiver Abfälle und der Stilllegung der Schachtanlage Asse II“ in Kraft. Grösste technische und sicherheitliche Schwierigkeiten für die Umsetzung dieses Projektes resultieren aus der mangelnden gebirgsmechanischen Stabilität des Grubengebäudes und den Lösungszutritten aus dem Deckgebirge sowie möglichen hydraulischen und gebirgsmechanischen Wechselwirkungen zwischen diesen Vorgängen[3].
- Endlagerprojekt Schacht Konrad: Bei Schacht Konrad handelt es sich um eine unrentabel gewordene ehemalige Eisenerzmine in Salzgitter (Niedersachsen). Wirtgestein ist der sogenannte „Korallenoolith“, ein detritisches Karbonat-Eisengestein welches sich in der späten Jurazeit, vor 135 bis 140 Millionen Jahren in einem seichten Meer bildete. Diese durchlässige Gesteinsschicht liegt in 800 bis 1300 m Tiefe. Sie wird durch 400 m Tongesteine aus der Kreidezeit überlagert, welche die hydraulische Hauptbarriere zwischen dem Lagerbereich und der Biosphäre darstellen[4].
Nach der Planfeststellung im Jahr 2002 erlangte das Projekt 2007 Rechtskraft. In diesem Jahr wurde mit der Umrüstung der Mine zum Endlager begonnen. Erhebliche Verzögerungen ergaben sich bis heute aus der langen Verfahrensdauer, die zur Überarbeitung von Planungen führte, und auf Grund technischer Komplikationen, z.B. durch Alterung von Anlagenteilen aus der Zeit des Erzabbaus, etwa im Ausbau der Schächte. Die Einlagerung soll gemäss Projekt etwa ab 2022 beginnen. Im Endausbau soll das Lager bis zu 300’000 m3 schwach und (vernachlässigbar Wärme entwickelnde) mittel radioaktive Abfälle aufnehmen (bis zu 90% der erwarteten Volumen dieser Abfallkategorie). Die vorgesehene Einlagerungsmenge kann ohne neuerliches Genehmigungsverfahren kaum erhöht werden und stößt auch auf Grund von Begrenzungen für einzelne Radionuklide auf Grenzen.
- Endlagerprojekt Gorleben: Der Salzstock von Gorleben, an der Grenze zwischen der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik gelegen, wird seit 1979 als möglicher Standort für ein Endlager für verschiedene Typen von hoch radioaktiven Abfällen (vor der Festlegung auf Konrad für praktisch alle Abfälle) untersucht. Insgesamt müssen etwa 10’000 Tonnen radioaktive Schwermetalle (v.a. Uran) gelagert werden. Das Projekt ist im Moment gestoppt, da ein neues Standortermittlungsverfahren eingeleitet wurde.
Abbildung 1: Geologisches Profil durch den Salzstock von Gorleben mit Angabe des eventuellen Lagerbereichs (Quelle: BGR, https://www.endlagerung.de/language=de/7046/geologie
Wie der Wellenberg in der Schweiz, figurierte der Standort nicht auf einer ersten Auswahlliste besonders geeigneter Standorte, sondern er wurde in einer zusätzlichen Runde in die letzte Auswahl eingeführt und aus wahrscheinlich überwiegend politischen Motiven der niedersächsischen Landesregierung benannt.
Entsprechend den Erfahrungen bei Asse stellt sich auch beim Standort Gorleben die Frage der generellen Eignung von Salzstöcken (oder „Diapiren“) für die Endlagerung radioaktiver Abfälle. Salzstöcke bestehen in ihrem Kern im wesentlichen aus Salzmassen die in früheren Zeiten der Erdgeschichte (in Deutschland während der Permzeit), bei aridem (wüstenartigem) Klima abgelagert wurden. In späteren Perioden der Erdgeschichte wurde das Salz dann durch mächtige jüngere Sedimentgesteine überdeckt. Da Salz spezifisch leichter (bzw. weniger dicht) ist als die überlagernden Gesteine, drängt es bei grösseren Überlasten nach oben. Dabei bilden sich im Untergrund komplex aufgebaute, teilweise pilzförmige Salzkörper, in denen die ursprünglich annähernd horizontal liegenden Schichten annähernd vertikal ausgerichtet werden. Wasserleitende Gesteinschichten in der Salzgesteinsfolge können so potenziell hydraulisch wirksame Verbindungen zwischen Endlagertiefe und den überlagernden nichtsalinaren grundwasserführenden Serien bilden. Solange in der Tiefe entsprechende „Salzvorräte“ vorhanden sind, haben diese die generelle Tendenz sich weiter gegen oben zu bewegen. Derartige Bewegungen können auch gefördert werden, wenn Diapire durch Erosionsvorgänge angegraben werden. Der Salzstock Gorleben ist während des Eiszeitalters mehrfach durch vorrückende Eismassen des skandinavischen Inlandeises „überfahren“ worden. Dabei sind die Gesteinsserien im „Dach“ des Salzstocks teilweise beseitigt oder in komplizierter Weise zusammen geschoben worden. Andererseits haben Eis und Schmelzwasser neue Ablagerungen hinterlassen. Durch Schmelzwasser an der Eisbasis bzw. in tiefen Rinnen unter dem Eis wurde Salz flächenhaft aufgelöst. Örtlich kam es zu tief in den Salzstock hineinreichenden Lösungsprozessen. Auch heute noch findet Salzauflösung durch über den Salzstock strömendes Grundwasser statt. Insgesamt kann aus diesen Vorgängen ein sehr komplexer Aufbau der Schichten im Dach des Salzstocks resultieren, der im Hinblick auf den Schutz der Salzserien gegen Auflösung und seine Barrierewirkung bei einer etwaigen Freisetzung von Radionukliden nur schwierig zu beurteilen und entsprechend umstritten ist. Die Zweifel, ob der Salzstock von Gorleben eine künftige Eiszeit ohne weiteren Schaden überleben würde, können wohl nie schlüssig ausgeräumt werden. Im Salz produziert sich ausserdem Konvergenz: Da sich Salz, ähnlich wie Gletschereis, gleichzeitig wie ein Festgestein und wie eine zähflüssige Masse verhält, fliesst es in offene Hohlräume und schliesst so im Verlauf der Zeit wieder Stollen und Kavernen.
Diskussion
In Deutschland besteht heute einzig für die baldige Endlagerung schwach und mittel radioaktiver (nicht Wärme entwickelnder) Abfälle eine gewisse Hoffnung, und dies auch nur, falls es wirklich gelingt, in der Mine Konrad stabile Betriebsbedingungen zu schaffen und der vor mehr als zwei Jahrzehnten vorgelegte Nachweis der Langzeitsicherheit bei einer Nachprüfung auch heutigen inhaltlichen und rechtlichen Ansprüchen stand hält.
Die Wiederaufnahme der Abfalleinlagerung in Morsleben ist aus rechtlichen und sicherheitstechnischen Gründen nicht möglich. Durch weitgehende Verfüllung der Grubenräume ist die Vorbereitung von Stilllegungsmaßnahmen für die Anlage weit fortgeschritten. Eine – wie im Fall Asse – für Morsleben durchaus diskutierte bzw. geforderte Rückholung dieser Abfälle wäre anerkannter Weise sehr schwierig und teuer. Zudem stellt sich dann die Frage, was mit den Abfällen geschehen soll.
Das durch Absaufen bedrohte Lager in der Schachtanlage Asse stellt ein weiteres Desaster dar. Zumindest muss es als Lehre dafür dienen, welche Fehler bei einem Endlagerprojekt tun unbedingt vermieden werden müssen:
- Argumentierten Warnstimmen sollte man in jedem Falle nachgehen. Es könnte ja sein, dass Kritiker Recht haben, auch wenn dies dem Willen der Projektanten und der Behörden widerspricht.
- Die Endlagerung in bestehenden Minenräumen ist offensichtlich immer mit Risiken behaftet: Durch den Salzabbau geschaffene Hohlräume sind unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit überproportioniert. Zugänge waren für die Förderung, nicht aber für Einlagerung und sichere Endlagerung konzipiert. Endlager gehören daher nicht in ehemalige Bergwerke. Ein Planungsgrundsatz, der unbedingt beachtet werden sollte und der auch für Bergwerke gilt, in denen andere Rohstoffe als Salz abgebaut worden sind.
- Die Infrastruktur war für ein Salz-Bergwerk ausgelegt, aber nicht für die lange Betriebszeit eines Endlagers geplant und dimensioniert. Auch die Infrastruktur muss unter Beachtung der Anforderungen für Betriebs- und Langzeitsicherheit für ein spezifisches Lager ausgelegt werden. Vom Gang zur billigen Übernahme von existierenden Bergwerkstollen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle ist abzusehen.
- Hinzu kommen die hydraulischen Risiken von Salzbergwerken und Endlagern im Salz, die angesichts der Löslichkeit von Steinsalz und ihrer Vergesellschaftung mit potenziell wasserleitenden Gesteinstypen (insbesondere Anhydrit) spezielle Anforderungen an Planung, Bau, Betrieb und Verschluss einer solchen Anlage stellen. Salzstöcke sind in geologischen Zeitmassstäben lebendige Körper, die sich bewegen können und auch in dieser Hinsicht eine grosse Herausforderung für den Sicherheitnachweis darstellen.
Deutschland verfügt auf seinem Territorium sehr wohl über Gebiete, die in jedem denkbaren Klimaszenarium ausserhalb der Vereisung liegen würden. Die Geologie ist sehr vielfältig, tektonische Bewegungen und Erdbeben auf wenige Gebiete begrenzt und von geringem Einfluss. Nur ist das Entsorgungsprogramm für hoch radioaktive Abfälle zur Zeit derart im Verzug, dass ein gemeinsames Vorgehen mit der Schweiz nicht von Aktualität ist. Seit 2014 ist eine „Kommission Lagerung hochradioaktiver Abfallstoffe“ daran, ein neues Verfahren für die Standortsuche in Deutschland zu definieren (https://www.bundestag.de/endlager/), deren Umsetzung Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird.
[1] https://www.kernenergie.de
[2] In Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Schachtanlage_Asse
[3] https://www.asse.bund.de/Asse/DE/themen/was-ist/was-ist_node.html
[4] https://www.endlager-konrad.de/Konrad/DE/themen/endlager/ueberblick/ueberblick_node.html
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