Die Schweiz und Europa
Die Möglichkeit, in der Schweiz ein „sicheres und dauerndes“ geologisches Tiefenlager für hoch radioaktive Abfälle und abgebrannte Brennelemente zu errichten, bleibt heute unsicher: Ressourcenkonflikte drohen den Standorten Jura Ost (Bözberg) und Lägern Nord, und Glazialerosion dem Standort in Zürcher Weinland das Grab zu schaufeln. Ob damit alle Möglichkeiten für die im Kernenergiegesetz prioritär geforderte Inlandlösung ausgeschöpft sind, bleibt hier dahingestellt. Aber sicher lohnt es sich (und ist auch unsere Verpflichtung) wieder über die Grenzen hinweg zu blicken und nach möglichen Partnern, vielleicht sogar nach möglichen Abnehmern für diese Abfallkategorie, Ausschau zu halten. Dabei geht es primär um Sicherheit, aber auch um Wirtschaftlichkeit.
In Europa gingen die Staaten lange in ungeordneter, nicht koordinierter Art mit der Frage der Entsorgung um. Seit 2011 existiert nun eine EU-Richtlinie, welche die Frage auf eine höhere Ebene bringen will, zuerst mit einer Auslegeordnung der nationalen Entsorgungsprogramme. Die Pressemitteilung vom 19. Juli 2011 sagt hierzu namentlich: „Wird es in der EU verbindliche Normen für die Entsorgung von Nuklearabfällen geben? Auch für Endlager für die radioaktiven Abfälle aus Kernkraftwerken? Müssen die Mitgliedstaaten detaillierte Programme darüber übermitteln, wann und wie sie diese Endlager bauen werden? Die Antwort auf all diese Fragen ist Ja. Heute verabschiedete der Rat die von der Kommission am 3. November 2010 vorgelegte Richtlinie über die Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle. Dies bedeutet, dass die Richtlinie spätestens im September dieses Jahres in Kraft tritt, und die Mitgliedstaaten werden ihre ersten nationalen Programme 2015 übermitteln müssen.“[1]
Nachdem die EU auf der Eigenverantwortlichkeit der Mitgliedstaaten, die Kernkraftwerke betreiben, insistiert hat, schreibt sie in der erwähnten Pressemitteilung: “Schließlich können zwei oder mehrere Mitgliedstaaten vereinbaren, ein Endlager in einem der Mitgliedstaaten zu nutzen. Ausfuhren in Länder außerhalb der EU sind unter sehr strengen und obligatorischen Auflagen gestattet: Zum Zeitpunkt des Abfalltransports muss das Drittland über ein in Betrieb befindliches Endlager verfügen. Ein Endlager für hoch radioaktive Abfälle muss nach internationaler Definition ein Endlager in tiefen geologischen Formationen sein“.
Damit öffnet die EU im Prinzip die Möglichkeit zu gemeinsamen Entsorgungsprojekten. Dessen sollte sich die Schweiz heute bewusst sein, denn Alleingang ist (viele würden sagen: einmal mehr) nicht unbedingt der beste Weg zum Glück. Allerdings sehen die Umsetzungszeiträume auch in Europa nicht besser aus als in der Schweiz, und die verschiedenen Lagerprojekte müssen erst den Beweis erbringen, dass sie sicher sind.
Blicken wir uns unter den hauptsächlichsten Ländern die im (geographischen) Europa Kernkraftwerke betreiben um, so ist die Situation nicht sehr erfreulich. Wir stellen namentlich fest, dass vielerorts die Voraussetzungen für ein Weiterkommen auf dem Weg der Sicherheit von Mängeln behaftet sind. Hier beispielhaft zwei bereits in den letzten 5 Beiträgen zur „Auslandlagerung“ erwähnte Schwachpunkte:
- Lagerkonzept und Rückholbarkeit: Rückholbarkeit wird zwar überall erwähnt, bleibt aber zurzeit ein inhaltsloser Mode-Begriff. Frankreich demonstriert dies in eindrücklicher Weise in der ursprünglich als „rückholbar“ bezeichneten Deponie für chemische Abfälle Stocamine, für welche die Rückholung, nach einem Stollenbrand, nun doch nicht gelten soll.
- Inadäquate Muttergesteine: Dies gilt sowohl für Finnland (voraussichtlich dereinst auch für Schweden), wo grosse Mengen Wasser durch Klüfte in kristallinen Gesteinen zirkulieren, als auch für Deutschland, wo das „Endlager“ im Salzbergwerk Asse allmählich eingestaut wird und ein ähnliches Muttergestein in einem Salzstock in Gorleben noch immer nicht aus dem Rennen geschieden ist.
So sehen wir denn zum heutigen Zeitpunkt einzig einen Lichtschimmer in Frankreich, wo ähnlich wie in der Schweiz Tongesteine im Vordergrund stehen. Hier liegt die grösste offiziell verbleibende Schwierigkeit für ein geologisches Tiefenlager beim Umgang mit dem Ressourcenkonflikt Geothermie. Sollte sich dies bestätigen, so bestehen aber vermutlich Ausweichmöglichkeiten. Frankreich hat ein mit der Schweiz vergleichbares Lagerkonzept. Gewisse Unterschiede sollten aber bzgl. ihrer Zweckmässigkeit ausdiskutiert und andere weiter erforscht und durch Experimente im Felslabor getestet werden. Auch die Umsetzung sollte nicht überstürzt, sondern in klar begründbaren Etappen erfolgen. Frankreich hat enormen Raumbedarf für verschiedene Typen von hoch radioaktiven Abfällen. Im Vergleich hierzu wirken die Bedürfnisse der Schweiz fast (!) anekdotisch. Dasselbe könnte man über Belgien als Abfallproduzenten festhalten.
Stand der nuklearen Entsorgung weltweit
Wo immer wir auf unserem kleinen Umgang hingeschaut haben: nirgendwo in Europa ist die Frage der nuklearen Entsorgung auf einem befriedigenden Stand. Aber eben leider auch nicht in den grossen Atomwaffen produzierenden Ländern wie den USA, Russland als Erbe der ehemaligen Sowjetunion oder China. In der Sowjetunion etwa wurden und in Russland werden immer noch hochaktive Abfallstoffe via Bohrungen einfach in den Tiefuntergrund injiziert. Obschon diese Beseitigung zunächst auch in den USA praktiziert wurde, kamen die Vereinigten Staaten doch relativ bald von dieser Methode ab. Schrittweise begann man im Westen nach Lösungen für das lästige Abfallproblem zu suchen. Und doch gelang es auch nach vielen Jahrzehnten nirgends, einigermassen robuste Konzepte zu entwickeln, geschweige denn Planungen auf dem geforderten Niveau der Langzeitsicherheit umzusetzen. Dies gilt auch für die nordischen Länder, die auf hohem Niveau und mit Herzblut alte, aber überholte Konzepte der Tiefenlagerung in geklüfteten Gesteinen umzusetzen versuchen. Was als Erkenntnis bleibt könnte erschreckender nicht sein:
Atomwaffenproduzierende Staaten waren in erster Linie an der Entwicklung von Bomben interessiert. Abfälle und ihre Auswirkungen auf die Umwelt schoben diese Staaten von allem Anfang an unisono beiseite.
Nicht viel besser gingen auch die verantwortlichen Firmen und mehrheitlich die Kreditgeber der öffentlichen Hand mit der ihr anvertrauten friedlichen Atomtechnik um. Interessant waren für diese in erster Linie Bau und Betrieb von Kraftwerken, die daraus gewonnene Energie und die über Jahrzehnte abgeschöpften fetten Gewinne. Das Abfallproblem hingegen wurde zunächst verdrängt, dann verniedlicht, klein- und schöngeredet. Erst öffentlicher Protest führte zu Korrekturen und dieser Prozess ist immer noch im Gange.
Abfall durfte nie viel Kosten. An diesem Grundprinzip hat sich wenig geändert. Bis heute. Die Kostenfrage wird einfach versteckt und anders gestellt: „Wie sicher ist sicher genug?“ heisst jetzt die Frage. Dass die verantwortlichen Unternehmen das Gelingen der langfristig sicheren Endlagerung nicht im geringsten bezweifeln, macht nach Jahrzehnten der Fehlschläge nachdenklich. Umso mehr die Umsetzungszeitspannen tüchtig und kontinuierlich wachsen und die konkrete Realisierung der Programme auf den Sankt-Nimmerleins-Tag hinausgeschoben werden.
Derweil stapeln sich die Abfälle in hunderten von Zwischenlagern verteilt auf unserer Welt, in sogenannt gesicherten Bunkern (Zwischenlager) und warten auf ihre definitive Beseitigung im tieferen Untergrund der verschiedenen Länder. Rund 350’000 m3 hochaktive Abfälle haben sich über die Jahrzehnte angesammelt, so genau weiss es niemand, was auch viel über die Bilanzierungsmethoden und Fähigkeiten der einzelnen Länder aber auch der zuständigen internationalen Organisationen aussagt (z.B. Internationale Atomenergieagentur).
Dramatisch an diesem Zustand ist, dass dies offenbar weder die verantwortlichen Firmen noch die zuständigen Behörden gross zu stören scheint. Man produziert weiterhin Abfälle, als ob nichts wäre. Die Bunker (Zwischenlager) sind ja noch lange nicht voll. Bei Bedarf wird dann erweitert. Aussagen, wonach unsere Generation die Verantwortung für die Abfälle übernehmen muss, sind längstens obsolet – es sind mindestens weitere 5 Generationen betroffen, die sich dem von uns gemachten Müll zwingend annehmen müssen.
Und die Kosten explodieren überall. Erwartete Kostensteigerungen um den Faktor 2 bis 3 sind an der Tagesordnung. Und dabei hat das Entsorgungs-Programm erst begonnen. Schaut man weiter zurück, sieht man, dass die Kostenexplosion Faktoren von 10, 20, 50 und sogar bis 500 betragen, wie dies schon Alvin Weinberg, der amerikanische Atompionier und langjähriger Direktor des Oak Ridge National Laboratory, Tennessee, eines der ganz grossen Atombomben-Fabriken, in seinen 1994 publizierten Memoiren feststellte. [2]
Die Praxis der Kostenminimierung ist zentral für das Verständnis, warum es weltweit zu so vielen Planungsruinen und nuklearen Altlasten gekommen ist. Daran hat auch die Erkenntnis nichts geändert, dass mittlerweile versucht wird, an der nuklearen Entsorgung ernsthaft zu arbeiten. Auch wenn heute im Entsorgungssektor mehr gemacht wird als je zuvor, bleiben die Planung dieser titanischen Aufgabe immer noch im Schmalspur-Bereich. Sicherheit stand und steht – auch entgegen den Äusserungen der verantwortlichen Stellen – nie im Vordergrund des Interesses. Im Entsorgungssektor haben die Verantwortlichen nie mehr gemacht, als notwendig oder das gerade Geforderte.
Wenn also heute bei den Entsorgern vermehrter Druck zu spüren ist, die Entsorgung voranzutreiben, so vor allem deshalb, weil sich die Illusion zäh im Hintergrund hält, man werde doch noch die dritte und vierte Reaktorgeneration zur rechten Zeit, mit hinreichenden Sicherheitsmassnahmen und vertretbaren Kosten bereitstellen können. Dass diese Illusion die Suche nach Endlagern antreibt, ist wenig ermutigendes Signal für die Zukunft.
Umso wichtiger ist es, diesen Zustand in umfassender Art und Weise zu analysieren und bewusst zu machen. Die Atomwirtschaft hat versagt. Die Kontrollbehörden bequem geschlafen – wie dies auch eindrücklich im VW-Debakel bezüglich der Umweltbehörden zu Tage tritt. Versagt haben aber auch die politischen Systeme, die so eine solche Entwicklung zugelassen haben. Inklusive Brüssel, das nur formal drauf drängt, dass die einzelnen Staaten sich ihrer Entsorgungsprobleme annehmen. Zeit also, sich endlich auf europäischer Ebene zusammenzuschliessen, um diese Erblast gemeinsam einer verantwortbaren Lösung zuzufühen.
[1] https://europa.eu/rapid/press-release_IP-11-906_de.htm?locale=en
[2] Weinberg, Alvin (1994): The First Nuclear Era – The Life and Times of a Technological Fixer, American Institute of Physics, New York, p. 183.
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