Die Regel
Wie wir namentlich im Blog-Beitrag vom 8. Mai 2015 dargelegt haben, ist auch nach dem über Jahrzehnte lang geführten Entsorgungsprogramm nicht sicher, ob hoch radioaktive Abfälle „dauernd und sicher“ in geologischen Tiefenlagern in der Schweiz entsorgt werden können. In der öffentlichen Debatte taucht deshalb immer wieder die Frage nach „internationalen Lösungen“, bzw. nach Lösungen im Ausland auf. Diese Frage betrifft viele Aspekte, von Ethik über Recht und Gerechtigkeit, Sicherheit und Unabhängigkeit bis hin zur Finanzierung und der Frage, wer denn Akteur wäre. Und: wie steht es denn in andern Ländern, namentlich in den Nachbarländern? Bestehen hier Lager, oder zumindest Konzepte und Projekte welche allenfalls zu betrachten wären? Wo und wie könnte die Schweiz Partnerschaften zur Realisierung der Entsorgung suchen? Diesen Fragen möchten wir nachgehen.
Das Kernenergiegesetz hält zur Frage der Auslandlagerung fest (KEG vom 21. März 2003, Art. 30):
Abbildung 1: Die Schweiz (https://www.schweizer-banken.info/de/bank/)
„2 Die in der Schweiz anfallenden radioaktiven Abfälle müssen grundsätzlich im Inland entsorgt werden.
3 Radioaktive Abfälle müssen so entsorgt werden, dass der dauernde Schutz von Mensch und Umwelt gewährleistet ist.“
Eigentlich sind die Gesetzesbestimmungen klar: die Entsorgung hat „grundsätzlich“ im Inland zu erfolgen.
Ausnahmsweise im Ausland
Aber, gemäss Artikel 31:
„1 Wer eine Kernanlage betreibt oder stilllegt, ist verpflichtet, die aus der Anlage stammenden radioaktiven Abfälle auf eigene Kosten sicher zu entsorgen. Zur Entsorgungspflicht gehören auch die notwendigen Vorbereitungsarbeiten wie Forschung und erdwissenschaftliche Untersuchungen sowie die rechtzeitige Bereitstellung eines geologischen Tiefenlagers.“
„2 Die Entsorgungspflicht ist erfüllt, wenn:
- die Abfälle in ein geologisches Tiefenlager verbracht worden sind und die finanziellen Mittel für die Beobachtungsphase und den allfälligen Verschluss sichergestellt sind;
- die Abfälle in eine ausländische Entsorgungsanlage verbracht worden sind.“
Abbildung 2: Die Schweiz in ihrem europäischen Umfeld (https://www.firmendb.de/schweiz/index.php)
Was nichts anderes heisst, als dass der Gesetzgeber explizit eine Tür für eine Lagerung im Ausland offen gelassen hat.
Die Bedingungen
Die Bedingungen für den Export, sei es zur Konditionierung oder der Lagerung der Abfälle, werden in Artikel 34 präzisiert:
„3 Für die Ausfuhr von radioaktiven Abfällen zur Konditionierung wird eine Bewilligung erteilt, wenn zusätzlich zu den Voraussetzungen nach Artikel 7:
- der Empfängerstaat in einer völkerrechtlichen Vereinbarung der Einfuhr der radioaktiven Abfälle zur Konditionierung zugestimmt hat;
- im Empfängerstaat eine geeignete, dem internationalen Stand von Wissenschaft und Technik entsprechende Entsorgungsanlage zur Verfügung steht;
- die Durchfuhrstaaten der Durchfuhr zugestimmt haben;
- der Absender mit dem Empfänger der radioaktiven Abfälle mit Zustimmung der vom Bundesrat bezeichneten Behörde verbindlich vereinbart hat, dass der Absender die konditionierten und die bei der Konditionierung entstehenden oder allenfalls die noch nicht konditionierten radioaktiven Abfälle zurücknimmt.“
„4 Für die Ausfuhr von radioaktiven Abfällen zur Lagerung kann ausnahmsweise eine Bewilligung erteilt werden, wenn die Voraussetzungen nach Absatz 3 Buchstaben a-c erfüllt sind und zudem der Absender mit dem Empfänger der radioaktiven Abfälle mit Zustimmung der vom Bundesrat bezeichneten Behörde verbindlich vereinbart hat, dass der Absender sie nötigenfalls zurücknimmt.“
Was bedeutet dies im Klartext? Im Wesentlichen, dass
- das von einem potentiellen Empfangsland erwartete wissenschaftliche und technologische Niveau jenem der heutigen Schweiz entsprechen müsste. Dies schliesst abenteuerliche Lösungen, etwa in zentralasiatischen Staaten, aber auch im östlichen Europa, in Südamerika, auf verlassenen Pazifikinseln, etc. aus. Es bleiben also die westeuropäischen Länder welche Kernanlagen betreiben und Erfahrung mit radioaktiven Materialien haben. Ev. auch die USA und Kanada, unter Vorbehalt des langen Transportweges.
- die Umstände, welche „ausnahmsweise“ einen Export der Abfälle zur Lagerung erlauben würden, präzisiert werden müssten. Konkret: Wären diese Ausnahmebedingungen erfüllt, falls z.B. sich die Standorte im Zürcher Weinland, am Bözberg und/oder am Standort nördlich der Lägern als langfristig zu wenig sicher oder schlichtweg als ungeeignet erweisen? Welche Konsequenzen ergäben sich aus dieser Situation für den Betrieb der dannzumal noch laufenden Werke beziehungsweise für die Sicherstellung der Stilllegungs- und Entsorgungskosten?
- würde die Verpflichtung, dass die Abfälle notfalls zurück zu nehmen sind bedeuten, dass die Schweiz, bzw. die Kraftwerksbetreiber hierzulande doch eine Lagermöglichkeit offen halten müssten? Anders gesagt, müsste trotz allem eine inländische Lösung bereitgestellt werden? Aber was, wenn es diese nicht gäbe? Und was hiesse dies für die Kosten? Was für die Strukturen? Müsste folglich der Bund die Verantwortung über Entsorgung und Abfälle übernehmen (KEG Art. 33)?
Zu ethischen und sozialen Fragen nimmt das Gesetz nicht Stellung. Diesen Fragen könnte sich die Schweiz aber nicht entziehen. Sie betreffen namentlich die Bereitschaft einer ausländischen Bevölkerung, die Last der Schweiz zu übernahmen, aber sie wirft auch die Frage der Gegenleistungen auf, und zuletzt auch jene der sofortigen Stilllegung der laufenden Reaktoren.
Diese Fragen sind unbequem, denn sie stören den heute bestehenden politischen Konsens, zu dem sich alle grossen Parteien in der Schweiz im Nukleargeschäft bekennen. Doch: ist die „Gewähr für die dauernde und sichere Entsorgung“ heute noch mehr als Papier wert? Oder nicht einmal das, angesichts der abgeänderten Bauwerke und Einlagerungsbedingungen im hochaktiven Endlager, dem Fallenlassen des Endlagerstandorts „Obere Bauenstock“ als „Gewähr“ – sicherndes Projekt für schwach und mittelaktive Abfälle und der generell weiterhin ungelösten Standortfrage?
Fortsetzung folgt!
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