Belgien betreibt sieben Kernkraftwerke an den beiden Standorten „Doel“ und „Tihange“. Es sind sämtlich Druckwasserreaktoren, sechs davon von Westinghouse und eines von Framatom; ein achter Reaktor ist schon abgeschaltet. Der Ausstieg aus der Kernenergie ist bis spätestens 2025 geplant,[1] aber noch nicht konkretisiert.
Wie anderweitig in der Welt fokussierte sich auch Belgien zunächst auf die Nutzung der neuen atomaren Energie. Noch bevor die ersten Reaktoren Mitte der siebziger Jahre in „Doel“ und „Tihange“ ihren Betrieb aufnahmen, war zwischen 1966 und 1974 eine Wiederaufarbeitungsanlage für abgebrannte Brennstoffe in Mol (Antwerpen) betrieben worden, die als Gemeinschaftsprojekt von 13 Mitgliedstaaten der OECD aufgezogen[2] und vom späteren Nagra-Präsidenten Rudolf Rometsch geleitet worden war (siehe Kästchen). Eurochemic Mol wird als Wiederaufarbeitungsanlage der zweiten Generation bezeichnet, liegt also zwischen den eigentlichen Plutoniumextraktionsanlagen für den Bombenbau der ersten Kriegs- und Nachkriegsjahre und den grossen industriellen Wiederaufarbeitern ab den 1970er Jahren, allen voran der Cogema-Gruppe (Areva) in La Hague.[3] Eurochemic Mol arbeitete eng mit der Wiederaufarbeitungsanlage in Karlsruhe (WAK) zusammen und die personellen Beziehungen zwischen beiden Institutionen waren sehr eng.[4] Dennoch wurde das Projekt aufgrund mangelnder Rentabilität ein Misserfolg, wie übrigens auch andere Wiederaufarbeitungsanlagen dieser Zeit wie etwa West Valley, Morris oder Barnwell in den USA, die aufgrund von Rentabilitäts- und Sicherheitsgründen, technischen Problemen oder politischen No-go’s eingestellt werden mussten.[5]
Die Fokussierung auf die Wiederaufarbeitung und den sogenannten „Brennstoffkreislauf“ kostete auch in Belgien viel Zeit, denn das Interesse an den radioaktiven Abfällen galt in erster Linie den Verfestigungstechniken und der Zwischenlagerung, nicht aber der eigentlichen Entsorgung. Erst Mitte der 1970er Jahren wurde im Zuge der vermehrten international getätigten Endlagerforschung auch in Belgien erste Programme zur untertägigen Lagerung von radioaktiven Abfällen unternommen. Sie zielten auf Tongesteine in der sogenannten Boom-Formation, einer etwa 100 m mächtigen, wenig konsolidierten Formation in rund 190 m bis 290 m Tiefe unterhalb der Wiederaufarbeitungsanlage in Mol.[6] Der Standort war auch wegen der Nähe zum Standort der Wiederaufarbeitungsanlage gewählt worden.[7] Die Boom-Tone sind marinen Ursprungs und wurden vor rund 30 bis 34 Millionen Jahren abgelagert[8].Sie werden beidseits von Aquiferen eingerahmt; der obere Aquifer besteht aus neogenen Sanden, der untere aus Sanden des etwas älteren Rupélien. Die Formation und die umrahmenden Gesteine sind also geologisch jung. Sie wurden nie wie der Opalinuston oder die Callovo-Oxford-Tone des Pariserbeckens konsolidiert, was bautechnisch ausserordentlich anspruchsvoll ist.
1980 begannen die Erschliessungsarbeiten der ersten Phase für das Untertagelabor HADES (High Activity Disposal Experimental Site) in rund 225 m Tiefe, die 1987 abgeschlossen wurden. Dann folgte eine zweite Ausbauetappe zwischen 1997 und 2007.[9] Ziel der Forschungen sind etwa die Charakterisierung des Wirtgesteins, sein geomechanisches Verhalten und die Fähigkeit zur Rückhaltung von Radionukliden.
Das Labor wird von der belgischen „Nagra“, der zu Beginn der 1980er Jahren gegründeten Ondras/Niras[10], und dem Forschungszentrum SCK/CEN betrieben (Abbildung 1).[11] Letzteres wurde bereits 1952 gegründet und im Laufe der Jahrzehnte – ähnlich der schweizerischen Reaktor AG, beziehungsweise dem Eidgenössischen Reaktorinstitut in Würenlingen – in eine sehr viel umfassendere Forschungsinstitution umgewandelt. Das Hades-Labor ist das experimentelle Zentrum, an dem sich die belgische Endlagerforschung orientiert. Wichtige Beziehung belgischer Institutionen zu schweizerischen Forschungsinstitutionen bestehen via Mont-Terri-Projekt, an dem nicht nur das Forschungszentrum SCK/CEN sondern auch die belgische Sicherheitsbehörde FANC (Bundesagentur für Nuklearkontrolle, seit 2015) beteiligt sind.[12]
Bei den kurzlebigeren schwach und mittelaktiven ist die Situation einfacher, trotz erwarteten Volumen von gegen 70’000 m3.[13] Sie sollen in Oberflächenlagern untergebracht und dort für einige Jahrhunderte überwacht werden, bis die Radioaktivität soweit abgeklungen ist, dass keine Umwelt- und Gesundheitsgefahren mehr bestehen sollen. In diesem Lager werden Abfälle in 400 l Fässern in kubische Betonblöcke eingegossen (sog. Monolithe), in Modulen zu 900 Monolithen vereinigt und schlussendlich zum Schutz vor Ausseneinwirkung mit Erdschichten zugedeckt.
Eine kurze Bilanz
Wie in anderen Ländern werden die radioaktiven Abfälle zwischengelagert bis ein nationales Endlager oder eventuell sogar internationales Gemeinschaftslager[14] den Betrieb aufnehmen kann. Die Abfälle sollen dann im Endlager grundsätzlich während einer längeren Periode rückholbar sein. Für die Schweiz interessant ist namentlich der öffentliche Umgang mit der Frage der nuklearen Entsorgung, sind doch die beiden Länder bezüglich ihrer Bevölkerung, aber auch bezüglich der Dimension des Problems der nuklearen Entsorgung vergleichbar.
Wie auch anderweitig üblich verzögern sich in Belgien die Planungen, womit wie andernorts mit einem Mehrgenerationenprojekt mit unsicherem Ausgang zu Rechnen ist. Derweil häufen sich die Abfälle in den Zwischenlagern. Bei dem 7-Reaktor-Szenario und Betriebszeiten von 40 Jahren rechnet Ondraf heute mit einem Volumen von 4’500 m3 hochradioaktive Abfälle (abgebrannte Brennelemente) beziehungsweise mit 600 m3, sollten die abgebrannten Brennelemente je wiederaufgearbeitet werden.[15] Die mit schönen Bildern untermalten guten Absichten (siehe Figur unten) sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch in Belgien die gleichen Probleme bei der Entsorgung sichtbar werden: unterschätzte Komplexität des Entsorgungsprogramms, sehr viel höhere Forschungsaufwendungen, sehr viel längerer Zeitbedarf für die Umsetzung der Programme mit entsprechenden Kostenfolgen usw. Die Risiken sind Ondraf sehr wohl bewusst, wie dies etwa folgende Passage aus der Web-Seite zeigt:[16] „Eine dauerhafte Lösung kann künftigen Generationen nicht übermäßige Belastungen auferlegen. Die Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle ist als solche, eine temporäre Option, denn sollte diese Option erweitert werden, würde es über lange Zeiträume zu schwere Bürden in Sachen Überwachung und Wartung führen.“ Wie auch zu massiven Kostenfolgen, wie beizufügen wäre. Leider zeichnet sich dieses Szenario des Abschiebens auf künftige Generationen auch in Belgien ab, was weder ökologisch noch sicher, noch ethisch und sozial und schon gar nicht wirtschaftlich sein kann.
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Kernenergie_nach_Ländern#Belgien
[2] https://www.euronuclear.org/info/encyclopedia/e/eurochemie.htm
[3] https://www.oecd-nea.org/cen/publications/68-eurochemic.pdf, S. 469.ff
[4] https://www.oecd-nea.org/cen/publications/68-eurochemic.pdf, S. 474.ff
[5] Alley, W., Alley R. (2013) Too Hot To Touch, Cambridgep.94.ff.; Peltier, R. (2010): US Spent Nuclear Fuel Policy, Road top Nowhere, July 13th 2010, Part V, https://www.masterresource.org/energy-policy/spent-nuke-fuel-policy-5/
[6] Heremans, R., Dejonghe, P., Willcox, J., Gulinck, M. et al. (1976) Investigations sur la possibilité de rejet définitif de déchets radioactifs dans une formation argileuese souterraine, IAEA-SM-207/9, Agence internationale pour l’énergie atomique
[7] Savage, D., Falck, W., McEwen, T., West, J. (1988): Review of HLW Disposal Concepts in Sediments, Nagra Technical Report NTB 89-05, p. 4-1., https://www.nagra.ch/data/documents/database/dokumente/$default/Default%20Folder/Publikationen/NTBs%201989-1990/e_ntb89-05.pdf
[8] https://www.euridice.be/sites/default/files/editor/FR%20Fiche%20Boomse%20klei%20100dpi.pdf
[9] https://www.euridice.be/en/content/manual-industrial
[10] https://www.ondraf.be/
[11] https://www.euridice.be/en/content/eig-euridice
[12] https://www.mont-terri.ch/internet/mont-terri/de/home/project/organisation/partners.html
[13] https://www.ondraf.be/content/volumes
[14] IAEA (2004): Developing multinational radioactive waste repositories: Infrastructural framework and scenarios of cooperation, IAEA TECDOC-1413, October 2004, https://www-pub.iaea.org/MTCD/publications/PDF/te_1413_web.pdf
[15] https://www.ondraf.be/content/volumes
[16] https://www.ondraf.be/content/entreposage-et-suivi-dans-le-temps: “Une solution durable ne peut imposer de charges excessives aux générations futures. L’entreposage des déchets radioactifs n’est, à ce titre, qu’une option provisoire car, si cette option était prolongée, elle entraînerait pendant de longues périodes des charges très lourdes en matière de surveillance ou d’entretien. ”
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