In seiner Ausgabe vom 15. Juli 2020 publiziert das satirische Wochenblatt Le Canard enchaîné einen kleinen Artikel mit dem Titel «Guerre fratricide dans le nucléaire français» («Bruderkrieg in der französischen Atomindustrie»).
(Neu) aufgerissen hat den Fall der Französische Rechnungshof in einem am 9. Juli 2020 publizierten Bericht, welcher nicht nur die überufernden Kosten des Baus des EPR-Kernkraftwerfs von Flamanville in Erinnerung ruft, sondern auch die daraus erwachsenden möglichen Folgen aufzeigt. Hier, in Stichworten, die wichtigsten Punkte:
- Als das Kernkraftwerk Flamanville Anfang der 2000-er Jahre geplant wurde, ging EDF (Electricité de France) von Kosten von 3.4 Milliarden Euro aus.
- Der Bau startete im Jahr 2007; die Betriebsaufnahme war für 2012 geplant. Nach zahlreichen Schwierigkeiten und Verzögerungen geht EDF nun davon aus, dass das Werk im Jahr 2023 ans Netz gehen könnte.
- Bis heute belaufen sich die Kosten auf 12.4 Milliarden, zuzüglich 4.2 Milliarden an «Finanzkosten». Bis 2023 kämen schätzungsweise nochmals 2.5 Milliarden Euros hinzu. Dies ergäbe eine totale Summe von 19.1 Milliarden Euros (d.h. rund 20 Milliarden Franken). Das wäre dann 5.6 Mal mehr als die ursprünglich veranschlagten Kosten.
- Der Bauherr EDF (zu 83.6% im Staatsbesitz) will diese Mehrkosten nicht alleine tragen, sondern eine noch nicht bekannte Anzahl Milliarden an Areva in Rechnung stellen. Diese Gesellschaft lieferte mit Mängeln behaftete Bauteile und produzierte fehlerhafte Schweissnähte.
- Unterdessen ging allerdings Areva (zu 100 % in Staatsbesitz) formell Pleite, wurde durch den Staat Frankreich mit einer Subvention von 4.5 Milliarden freigekauft und in mehrere Teilgesellschaften zerlegt. Neu übernahm «Orano» einen Teil des Geschäfts und die Schulden von Areva (Aktionäre von Orano gemäss Wikipedia: État français : 45,2 % Areva SA : 40 % JNFL (Japan Nuclear Fuel Limited) : 5 % MHI (Mitsubishi Heavy Industries) : 5 % CEA (Commissariat à l’Énergie Atomique) : 4,8 %).
- Müsste nun Orano einen substantiellen Teil Mehrkosten bezahlen, so hätte dies vermutlich die Pleite dieser neuen Gesellschaft zur Folge.
Unser Kommentar
Der Fall Flamanville liest sich wie eine Anekdote. Aber er ist es natürlich nicht, denn es geht, generell für die Atomindustrie und im Speziellen für Frankreich, um mehr, nämlich ums «Eingemachte». Denn selbst wenn ein Teil der 56 heute laufenden kommerziellen Kernreaktoren im Rahmen der Energiewende dereinst durch umweltverträglichere Anlagen zur Stromerzeugung ersetzt werden, so setzt das Land doch weiterhin auf den Ersatz laufender AKW’s durch neue Kernkraftwerke. Dies dürfte nun in Anbetracht des offensichtlich verloren gegangenen Knowhows allerdings immer schwieriger werden. Bestätigt wird diese Feststellung zusätzlich durch die in Finnland beim Bau des Kernkraftwerks Olkiluoto aufgetretenen Schwierigkeiten, Verspätungen und damit Kostenüberschreitungen. Und selbst für den Staat Frankreich, der sich an Probleme mit dem Terminkalender und an ungehemmte Verschuldung gewöhnt ist, werden hier alle Grenzen gesprengt.
Und für all jene, die noch immer vom dereinstigen Bau neuer Kernkraftwerke in der Schweiz träumen sollten: Der Weg über EPR-Technologie ist damit wohl definitiv vom Tisch!
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