Diese Feststellung ist nicht zu widerlegen: alle „Endlager“ wurden aus der gesetzlichen Perspektive legal betrieben. Das Salzbergwerk Asse in Deutschland soff somit gesetzlich genehmigt ab, Morsleben (ebenfalls in Deutschland) verlor gesetzlich konform seine Stabilität, und auch die beiden Unfälle im Vorzeige-Endlager WIPP („Waste Isolation Pilot Plant“, New Mexico, USA) verliefen in einer zugelassenen und kontrollierten Anlage, auch wenn alle diese Unfälle als schwere Verstösse gegen die Umweltgesetzgebung, das Vorsorgeprinzip und die Nachhaltigkeit anzusehen sind.
Selbst wenn diese Entwicklungen weder gewollt noch vorgesehen waren: legal war dagegen nichts einzuwenden. Das meinte jedenfalls auch Eduard Kiener, ehemaliger Direktor des Bundesamtes für Energie, in einem Rundschau-Beitrag im Juni 2013 zu den Versenkungsaktionen von Fässern schwach- und mittelaktiver Abfälle schweizerischer Provenienz, die in den Tiefen des Atlantiks platzten, verrosten und nun ungeschützt für die Tiefseefauna verfügbar sind. Kein Wort war zu hören von Fehleinschätzung, kein Wort des Bedauerns und nicht die geringste Erkenntnis, dass hier jegliche Grenzen des Anstands überschritten wurden. Nur eine Aussage brachte der alte Mann mit leicht zitternder Stimme über die schmalen Lippen: alles legal.
„Legal“ ja. Aber sicher nicht richtig, was diese Beseitigungspraxis angeht. Formal richtig ja, aber klug? Die Konsequenzen aller dieser nicht wirklich hinterfragten Praktiken wiegen schwer. Sie zeigen viererlei grundlegende Probleme auf:
- die nukleare Entsorgung ist ein Vorhaben mit Langzeitcharakter für das nur kurzzeitige Erfahrungen vorliegen. Es gesetzlich über die nächsten Tausende von Generationen zu regeln, ist eine kaum lösbare Aufgabe. Problematisch ist dies vor allem deshalb, weil legal sanktionierte, aber möglicherweise falsche Konzepte oder fehlerhafte Programme kaum mehr zu korrigieren sind, wie die oben erwähnten Beispiele zeigen;
- gesetzgeberische Lücken können fatale Auswirkungen haben, wie dies bereits anhand der Atomgesetzgebung 1959 gezeigt werden kann, die nicht einmal den Umgang mit „Atomaschen“ regelte, obgleich Probleme und Unsicherheiten anlässlich der beiden internationalen Konferenzen der IAEA in Genf 1955 und 1958 ausgiebig debattiert worden waren;
- die Gesetzgebung hinkt immer den tatsächlichen Entwicklungen hinterher; dies ist insbesondere für die Sicherheitsbehörden ein Problem, weil sie sich bei der Ausübung ihrer Entscheide auf teilweise überholtes Wissen abstützen. Es erschwert in solchen Fällen eine proaktive weitsichtige Entscheidungskultur;
- die Kontrolleaufgaben, etwa jene, die eigenen Entscheide retrospektiv zu überprüfen, werden unter solchen Bedingungen vernachlässigt. So stehen wir in der Schweiz vor der absurden Situation, dass beide Entsorgungsnachweise für schwach- und mittelaktive (SMA) wie für hochaktive Abfälle (HAA) eigentlich ausser Kraft gesetzt wurden: der Oberbauenstock als Standort aber auch die Valanginienmergel als Wirtgestein für SMA; bei den HAA wurde das Lagerkonzept einschneidend verändert, so dass die 2002 erbrachten Sicherheitsnachweise überholt sind. In beiden Fällen hat das Ensi keinen neuen oder aufdatierten Entsorgungsnachweis gefordert.
Das Problem von Gesetzgebung mit Langzeitcharakter und hohen Risiken und dem Potential von grossen schädlichen Langzeitfolgen bedarf einer grundsätzlichen Ausleuchtung. Wir werden uns diesen Fragen annehmen.
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