Der Begriff sustainable development ist „so alt wie der Methusalem“. In seiner heutigen Verwendung tauchte er ab 1980 in der Umweltdebatte auf und wurde im Jahr 1987 im sogenannten Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen „Our Common Future“ („Unsere gemeinsame Zukunft“) explizit erklärt. Der deutsche Begriff der „Nachhaltigen Entwicklung“ kann als Übersetzung mit gleicher Bedeutung wie das sustainable development verstanden werden. In gewissen Texten findet sich auch der Begriff „dauerhaft“ anstelle von „nachhaltig“.
Die am häufigsten verwendete Definition der Nachhaltigen Entwicklung stammt aus dem Brundtland-Bericht. Sie bezeichnet die Generationengerechtigkeit und lautet wie folgt: „Dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“ Wikipedia zitiert eine zweite Definition, welche Prozess orientiert ist. Sie wird allerdings seltener verwendet: „Im wesentlichen ist dauerhafte Entwicklung ein Wandlungsprozess, in dem die Nutzung von Ressourcen, das Ziel von Investitionen, die Richtung technologischer Entwicklung und institutioneller Wandel miteinander harmonieren und das derzeitige und künftige Potential vergrössern, menschliche Bedürfnisse und Wünsche zu erfüllen.“ Meist unterscheidet man in der nachhaltigen Entwicklung drei Aspekte: Soziale, wirtschaftliche und Umwelt bezogene Entwicklungen. Dabei meint man nicht Entwicklung im Sinne des Wachstums, sondern der Wandlung, ohne weitere Wertung. Heute herrscht in unserer Gesellschaft weitgehend Einigkeit, dass es in Sachen Entwicklung keinen andern Weg, als jenen der Nachhaltigkeit gibt.
In der Schweiz führte die rasante wirtschaftliche und demographische Entwicklung der „30 Gloriosen“ ab Ende des letzten Weltkrieges zu einer desolaten Umweltbilanz, mit allgemeiner Verschmutzung der Oberflächengewässer, der Luft, der Böden und einem entsprechend negativen Einfluss auf Fauna und Flora. Die politische Antwort folgte in den 80er Jahren und bestand in einer einmaligen Anstrengung zum Schutz dieser Güter. Beispielhaft hierfür sind das Umweltschutzgesetz (USG 1983) und die daraus abgeleiteten Bundesverordnungen: Luftreinhalteverordnung (LRV 1985), Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPV 1988), Störfallverordnung (StfV 1991), Abfallverordnung (TVA 1991, heute VVEA 2015), Bodenschutzverordnung (VBBo 1998), Altlastenverordnung (AltlV 1998). Anzufügen sind auch das Gewässerschutzgesetz (GSchG 1991) und weitere Texte, etwa in den Bereichen Naturschutz und Artenschutz.
Aus heutiger Sicht stellt dieser Umweltschutz einen wichtigen Schritt dar, um unsere Lebensbasis zu erhalten. Allerdings fehlt die zeitliche Vision, jene welche alle künftigen Generationen und ihre Bedürfnisse nachhaltig einschliesst. Das Gesetz ist auch sehr stark auf den Menschen ausgerichtet. Der Mensch ist in dieser Sicht nicht einfach ein mit andern Lebewesen gleichgestellter Erdenbewohner, sondern wird immer noch als Mass aller Dinge betrachtet.
Aber die Szene bewegt sich: “Seit 1997 legt der Bundesrat alle vier Jahre seine politischen Schwerpunkte in der Umsetzung der nachhaltigen Entwicklung fest und beschliesst diese in der Strategie Nachhaltige Entwicklung (SNE)“. So gelesen in der Broschüre „Strategie nachhaltige Entwicklung 2016-2019“ der Schweizerischen Eidgenossenschaft. „In ihrer bereits fünften Strategie, die für die Jahre 2016 bis 2019 gilt, verstärkt die Landesregierung erneut ihr Engagement in diesem Bereich.” Eine gute Nachricht. Aber wie stellt sich dies in der Realität dar?
Die Umsetzung einer Politik drückt sich im Rechtsstaat in entsprechenden Gesetzen aus. Seit 1997 müsste sich also die Politik der Nachhaltigen Entwicklung des Bundesrates beispielsweise im Umweltschutzgesetz erkennen lassen.
Allmählich geschieht dies auch, aber mit viel Mühe. So wandelte sich die „Technische Verordnung für Abfälle“ aus dem Jahr 1991, zur „Verordnung über die Vermeidung und die Entsorgung von Abfällen“ VVEA im Jahr 2015. In deren Artikel 1. C (Zweck der Verordnung) steht: „eine nachhaltige Nutzung der natürlichen Rohstoffe durch die umweltverträgliche Verwertung von Abfällen fördern“. Damit soll der Rohstoff- und Abfallkreislauf geschlossen werden (Figur 1): Einmal gewonnene Rohstoffe sollen nach ihrem Gebrauch nicht als Abfall eliminiert, sondern durch Weiterverwendung oder Recycling im Stoffkreislauf bleiben; ein nachhaltiges Lösungsziel.
Nachhaltigkeit ohne Kernenergie
Die Kernkraft Schweiz unterliegt nicht dem Gesetz für Umweltschutz, sondern dem Kernenergiegesetz (KEG 2003). In diesem sucht man vergeblich nach dem Wort „nachhaltig“. Sicher zu recht.
In der „Botschaft zur Legislaturplanung 2015–2019“ des Schweizerischen Bundesrates (27. Januar 2016) wird die Nachhaltigkeit „mit allerlei Saucen“ präsentiert. Ausgenommen ist die Kernenergie. Hierzu lesen wir (S.24): „Die Schweiz nutzt Energien und Ressourcen nachhaltig . . .“. „Der Energie- und Ressourcenbedarf steigt weltweit. Vor diesem Hintergrund hat der Bundesrat in seiner Botschaft zur Legislaturplanung 2011–2015 hervorgehoben, dass die Versorgung der Schweiz mit Energie und natürlichen Ressourcen langfristig gesichert und der schrittweise Ausstieg aus der Kernenergie in die Wege geleitet werden soll.“ Damit wird die Kernenergie offiziell (aber implizit) als nicht nachhaltig bezeichnet und aus dem Nachhaltigkeitsprogramm des Bundesrates ausgeschlossen.
Bleibt die Frage der radioaktiven Abfälle. Hierzu schlägt die „Botschaft zur Legislaturplanung 2015–2019“ folgende Massnahme vor: „Bundesratsbeschluss zum Abschluss der 2. Etappe im Sachplan «Geologische Tiefenlager»: Die Standortsuche für radioaktive Abfälle erfolgt in drei Etappen. Im Verlauf der 2. Etappe hat die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) zwei Standorte vorgeschlagen, die sie für die voraussichtlich 2018 beginnende 3. Etappe der Standortsuche für geologische Tiefenlager zur Entsorgung der radioaktiven Abfälle vertieft untersuchen will. Die technischen Berichte und Analysen der Nagra werden von den Bundesbehörden überprüft und den Standortkantonen und -regionen zur Stellungnahme unterbreitet. Danach wird eine öffentliche Anhörung durchgeführt. Im Anschluss daran wird der Bundesrat auf Grundlage aller Ergebnisse entscheiden, ob er den von der Nagra vorgeschlagenen Standortgebieten zustimmt.“
Damit wäre aus Sicht der Landesregierung der nächste Schritt auf dem Weg zur nachhaltigen Regelung der Frage der Entsorgung der radioaktiven Abfälle aufgezeigt.
Zur Erinnerung: In der Nuklearindustrie wurde immer wieder auf die Vorzüge des Kernbrennstoffkreislaufes hingewiesen, welcher eine Weiterverwendung der abgebrannten Brennelemente nach ihrer Wiederaufbereitung zu sogenanntem MOX (Mischoxid Brennstoff aus der Wiederaufbereitung) vorsieht. Dabei entstehen allerdings auch Abfälle (fig. 2). Zudem kann MOX nicht weiter verwendet werden und muss entsorgt werden.
Die Schweiz stieg mit der Einführung des Kernenergiegesetzes (KEG 2003) aus der Wiederaufbereitung aus. Allerdings wird in drei Reaktoren, nämlich in Beznau 1 und 2, sowie in Gösgen weiterhin MOX verwendet.
Nachhaltig = erneuerbar und einheimisch
In der Schweiz sind einzig die einheimischen erneuerbaren Energien nachhaltig: Wasserkraft, seichte und tiefe Geothermie, Sonnenenergie, Windenergie, Holz, Biomasse i.a., Abfall. Auch die rationelle Verwendung von Energie ist hausgewachsen und nachhaltig.
Alle andern Energieträger, allen voran Erdöl, Gas und Kohle, aber natürlich auch Uran sind importierte, weder erneuerbare, noch nachhaltige Energieträger. Und so ist es auch mit importierter Elektrizität. Ob wir also Elektrizität aus Kernkraftwerken im Ausland importieren, oder importierten Uranbrennstoff in der Schweiz in importierten Kernreaktoren „verbrennen“ ist bzgl. der Nachhaltigkeit so ungefähr dasselbe.
Der Zusammenhang mit der Ausstiegsinitiative der Grünen
In unserem letzten Blog vom 17. Oktober haben wir einige Schlüsselaspekte der Ausstiegsinitiative erläutert. Aus der Sicht der offiziellen Politik des schweizerischen Bundesrates geht es eigentlich darum, einen Schlussstrich unter eine Politik zu ziehen, welche längst aus dieser politischen Linie gestrichen wurde. Und kurz an die kurze Zeit der Euphorie und die lange Zeit der Agonie erinnern:
- 1959 Atomgesetz
- 1969 Erstes Kernkraftwerk geht ans Netz
- 1969 Unfall im Forschungsreaktor in Lucens, die Maschinenindustrie verzichtet auf die Entwicklung eines schweizerischen Reaktors
- 1972-1975 Vom Beginn der Protestbewegung zur Besetzung des Baugeländes in Kaiseraugst
- 1978: das Parlament beschliesst ein Projekt „Gewähr“, das die „dauernde sichere Entsorgung und Endlagerung“ bis 1985 umsetzen will
- 1984 Leibstadt geht als letztes Kernkraftwerk ans Netz
- 1985: Die„Gewähr“ für die „dauernde sichere Entsorgung und Endlagerung“ ist erwartungsgemäss nicht bereit
- 1988 Parlamentsbeschluss zur Aufgabe des Projektes Kaiseraugst
- 2006 Der Bundesrat akzeptiert den Sicherheitsnachweis des angepassten Projekts „Gewähr“, der Standortnachweis steht noch aus
- 2008: Start des Sachplans geologische Tiefenlager, die den Standortnachweis bis spätestens 2018 erbringen will
- 2011 Bundesratsbeschluss zum Atomausstieg
- 2016 Anpassung des Energiegesetzes, „Strategie Energie 2050“. Ausstiegsinitiative der Grünen: der wirkliche Ausstieg aus einem historischen Fehler?
- 2016 Anpassung der Zeitpläne beim Sachplan: vor 2030 kein Standortnachweis möglich
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