Marcos Buser und Walter Wildi
Geologische Tiefenlagerung hoch radioaktiver Abfälle (HAA) : ein Konzept aus dem 20. Jahrhundert wird abgelöst
Foto (W.Wildi): Millionen Jahre alter Lavatunnel
Am 19. November 2024 gibt die Nagra beim Bundesamt für Energie ihr Rahmenbewilligungsgesuch für ein geologisches Tiefenlager für radioaktive Abfälle ein. Die schwach, mittel und hoch radioaktiven Abfälle der Schweiz sollen demnach in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts in ein Tiefenlager im Gebiet « Nördlich Lägern », nahe der Dreiländerecke von Zürich, Aargau und Deutschland eingelagert werden. Der Inhalt des Gesuchs soll aber nicht sofort publik gemacht, sondern zuerst durch das ENSI auf Vollständigkeit geprüft werden.
Nachdem die Suche nach einem Standort für ein geologisches Tiefenlager nun schon mehr als ein halbes Jahrhundert dauert (die Nagra wurde anno 1972 gegründet), möchten wir eine tiefer greifende Frage stellen: Ist die Standortsuche nach einem Lagerstandort für alle radioaktiven Abfallkategorien überhaupt noch aktuell? Stand im letzten halben Jahrhundert die Wissenschaft beim Kenntnisstand von anno 1972 und dem Konzept der geologischen Tiefenlagerung still? Und: Wohin geht die Reise? Wird man in weiteren 50 Jahren noch verantworten können und wollen, dass v.a. die «heissen», hoch radioaktiven Abfälle auf immer und ewig im tiefen Untergrund begraben werden?
Die geologische Tiefenlagerung wurde international und in der Schweiz im Verlauf der zweiten Hälfte des 20 Jahrhunderts zur Standardmethode im Umgang mit radioaktiven Abfällen erhoben. Entsprechend schlug in der Schweiz die durch Bundesrat Leuenberger ernannte Expertengruppe EKRA im Jahr 2000 ein Lagerkonzept vor, welches die überwachte und bei Bedarf rückholbare geologische Tiefenlagerung vorsah. Dieses Konzept wurde im Kernenergiegesetz 2003 übernommen und bildet bis heute die Basis für die Arbeiten der Nagra, welche den Weg bis zur dereinstigen Einlagerung der Abfälle und deren Verbleib im Untergrund während vielen 100’000 Jahren vorzeichnen soll. So weit, so gut, nur: Im Verlauf der letzten zwei Jahrzehnte haben sich unsere Ansprüche in Umweltfragen und unser Verständnis zu möglichen alternativen Lösungswegen der Abfallfrage weiter entwickelt:
- Im Umgang mit wertvollen Rohstoffen geht die Entwicklung in Richtung Kreislaufwirtschaft. Gebrauchte Rohstoffe sollen nicht in die Umwelt zurückkehren, über kurz oder lang in diese diffundieren und zu Umweltverschmutzungen führen; Rohstoffe sind zu rezyklieren und einer neuen Verwendung zuzuführen.
- Während ein solches Recycling für schwach und mittel radioaktive Abfälle aufgrund der vorliegenden, meist kleinen Konzentrationen in klar separierbaren Stoffklassen in der Regel schwierig ist, erscheint dies für die hohen Konzentrationen etwa von Uran u.a. Schwermetallen in hoch radioaktiven Abfällen eher möglich und interessant.
- Die Umwandlung (Transmutation) hoch radioaktiver, langlebiger Substanzen zu Substanzen geringerer Radioaktivität und geringerer Lebensdauer (kurzer Halbwertszeit), wurde während langer Zeit als zu aufwendig und zu teuer betrachtet. Dies scheint sich nun, dank neuer Methoden zu ändern. Ein entsprechendes wissenschaftlich-technologisches Konzept schlägt etwa das Genfer Unternehmen TRANSMUTEX vor (https://www.transmutex.com/). Dieses Konzept erlaubt die Umwandlung hoch radioaktiver, langlebiger Abfälle in Abfälle kleinerer Aktivität und kürzerer Halbwertszeit. Auch andere in Entwicklung begriffene Thorium-Reaktoren werden als sogenannte «waste-burners» konzipiert mit dem Ziel, dereinst auch hochaktive Abfälle aus den bisherigen Leichtwasserreaktoren als Brennstoff zu verwenden und zu vernichten.
Auch wenn solche Konzepte heute noch nicht auf alle Fragen der nuklearen Entsorgung eine zufriedenstellende Antwort bieten, so scheint doch klar: Die Entwicklung geht in Richtung der Wiederverwertung des Urans und der Transurane und damit in Richtung der Transmutation der hoch radioaktiven Abfälle. Die Idee der geologischen Tiefenlagerung dürfte damit für diese Abfallkategorie über kürzere oder längere Zeit abgelöst werden.
Aus dieser Perspektive betrachtet, wird das Rahmenbewilligungsgesuch der Nagra für die Abfallkategorie der hoch radioaktiven Abfälle obsolet. Man kann den laufenden Prozess zur Rahmenbewilligung als Abschluss des Standortsuchverfahrens der Schweiz durchaus zu Ende führen, allerdings im Wissen, dass die Entsorgung von nuklearen Abfällen andere und neue Wege beschreiten wird und geologische Tiefenlagerung dereinst durch nachhaltigere Lösungen abgelöst werden wird. Der Kompass der technischen Entwicklung zeigt klar in Richtung Kreislaufwirtschaft und Transmutation, bzw. eines deutlich besseren Einschlusses von nicht transmutierbaren Stoffen. Es empfiehlt sich sehr, diese neu sich eröffnenden Alternativen ernst- und gewissenhaft zu prüfen und allenfalls den gesetzlichen Rahmen und das Entsorgungsprogramm anzupassen.
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