Titelbild: Das Sündenregister von KKL und Ensi am Pranger!
(Statue in Martigues)
Die Fakten
„Das KKL informierte am 30. Oktober 2017 über eine mehrtägige Verlängerung der Jahreshauptrevision, weil 16 Brennelemente nicht den Spezifikationen entsprachen und ersetzt werden müssen.
Mittlerweile ergaben Abklärungen beim Lieferanten, dass weitere Brennelemente im 648 Brennelemente umfassenden Reaktorkern von den gleichen Spezifikationsabweichungen betroffen sind. Das Kernkraftwerk Leibstadt hat sich daraufhin entschieden, diese Brennelemente in einem zweiten Schritt ebenfalls vorsorglich noch während der laufenden Jahreshauptrevision zu ersetzen.
Durch den Ersatz der insgesamt 24 Brennelemente wurde eine Überprüfung des Reaktorkerns einschliesslich eines umfassenden Freigabeprozesses durch die Aufsichtsbehörde notwendig. Als Folge verzögert sich die Wiederinbetriebnahme des Kraftwerks bis voraussichtlich gegen Ende Dezember 2017.“ So gelesen auf dem Internet-Site des KKL[1].
Und:“ Sechs dieser Elemente waren jedoch im Einsatz.
Diese sechs Brennelemente seien bereits drei beziehungsweise vier Betriebszyklen im Einsatz gewesen, teilte das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) am Freitagabend mit“; dies die Aargauer Zeitung[2].
Explizit bedeutet dies, dass das KKL nunmehr seit mindestens 9 Jahren in einem Zustand betrieben wurde, welcher nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprach, mit gleichzeitig bis zu 3 grösseren Fehlern![3] Noch wissen wir nicht, ob, und wie das ENSI den letzten Störfall klassieren wird. Eine Klassierung als INES – Störfall wäre angezeigt, aber unsere nukleare „Sicherheits“-Agentur scheint dem KKL alles zu verzeihen: „Das KKL hat sicherheitsgerichtet entschieden, diese auszutauschen. Die Sicherheit von Mensch und Umwelt war zu jeder Zeit gewährleistet.“ Und:“ Unter der Annahme, dass alle betroffenen Brennstäbe im schlimmsten Fall gleichzeitig einen Hüllrohrschaden aufweisen, würde die Aktivität im Kühlwasser ansteigen. Dafür gibt es in jedem Kernkraftwerk betriebliche Grenzwerte für die Aktivität des Kühlmittels, die bei Brennstabschäden eingehalten werden müssen.“
Da die Aktivität im Kühlwasser laufend überwacht wird, würden die Hüllrohrschäden zeitnah entdeckt werden und der Betreiber würde Massnahmen ergreifen, die gegebenenfalls bis hin zum Herunterfahren des Reaktors reichen würden.“ [4]
Also: ohne Spesen nichts gewesen? Und: ist im obigen Text „würden“ das richtige Wort? Das ENSI hätte auch „könnten“ schreiben können. Aber Glauben macht selig. Zudem hätte „könnten“ gezeigt, wie unsicher doch beim KKL selbst Elementares ist.
Die Aussagen des ENSI (lesen Sie doch die Mitteilung auf dem Internet des ENSI zu Ende!) sind geradezu eine Einladung an die Kernkraftwerke, Betriebsreglemente und Richtlinien locker auszulegen.
Im vorliegenden Fall hätte das Kernkraftwerk Leibstadt (KKL) beim Ersatz der Brennstäbe gemäss ENSI-Verordnung „G20 : Reaktorkern, Brennelemente und Steuerelemente: Auslegung und Betrieb“ wie folgt vorgehen müssen. In dieser Verordnung liest man namentlich:
Kapitel 6.3.: „6.3 Herstellung
- Die Beschaffung der Brennelemente hat gemäss den im Managementsystem der Betriebsorganisation[5] festgelegten Abläufen zu erfolgen.
- Die Betriebsorganisation hat sicherzustellen, dass bei der Herstellung der Brennelemente die anwendbaren schweizerischen gesetzlichen Vorschriften, behördlichen Auflagen und technischen Anforderungen eingehalten werden.
- Die Betriebsorganisation hat zu überprüfen, dass das Qualitätsmanagement des Brennelementlieferanten geeignet ist, die Herstellung auslegungsgemässer Brennelemente sicherzustellen.
- Nach abgeschlossener Lieferung ist dem ENSI für jede Nachladung respektive für jeden Satz von Vorläuferbrennelementen ein zusammenfassender Bericht einzureichen mit folgendem Inhalt:
- Auditplan
- Liste der neuen und neu qualifizierten Prozesse
- Konstruktionsänderungen
- Zusammenfassung der Abweichungsberichte inklusive der Begründung der Zulässigkeit der Abweichung
- Befunde und daraus abgeleitete Massnahmen
- Zusammenfassende Beurteilung.“
KKL und ENSI werden unter den gegebenen Umständen nicht drum herum kommen, Rechenschaft darüber abzulegen, ob die Bestimmungen dieser Verordnung zur nuklearen Sicherheit befolgt wurden. Das Ensi wird sich auch fragen müssen, ob die Bestimmungen wirklich geeignet sind, eine sachgemässe Überwachung sicherzustellen. Die erneute Panne bestätigt nämlich einmal mehr das Muster im Zusammenspiel zwischen Wirtschaft und staatlicher Überwachung: die Wirtschaft führt, der Staat lässt dies zu, schaut der Wirtschaft über die Schulter und segnet ab. Devise: „Ja nicht den Heuhaufen durchsuchen, man läuft sonst Gefahr, eine Nadel zu finden!“
Die Schwachstellen in diesem Zusammenspiel sind also im System angelegt, was sich bei den Kontrollfunktionen überdeutlich zeigt. Darum hat das Ensi in diesem neuen Fall zu begründen, wie es seine Kontrollfunktionen nach der eigens verfassten Verordnung G20 wahrgenommen hat, beziehungsweise darlegen, wie es zu dieser neuerlichen jahrelangen Kontrollpanne gekommen ist, nachdem es ebenfalls jahrelang nicht gemerkt hat, dass Befestigungen für Feuerlöscher das Containment des KKL durchlöchert hatten (siehe Fussnote 3), oder Brennstäbe unbemerkt Dryout erlitten. Nun hat das Ensi wiederum jahrelang geschlafen, oder das falsche Auge geöffnet. So kann Kontrolle nie funktionieren!
Die Verantwortungskette
Die bisherigen Rechtfertigungen des ENSI im erwähnten Artikel auf der Web-Seite vom 17. November 2017 tönen hilflos: „Es handelt sich in diesem Fall um keinen Produktionsfehler im engeren Sinne, sondern um einen Fehler bei der Qualitätssicherung der Hüllrohre.“ Damit will das Ensi sagen, diese Aufgabe läge in der Verantwortung der Betreiberorganisation und keineswegs in jener des Ensi. „ Aufgrund der hohen Automatisierung und Komplexität der Anlagensteuerung bei der Herstellerfirma der Brennstab-Hüllrohre, ist ein, wie in diesem Falle, spontan auftretender Fehler nur sehr schwer auffindbar“, begründet das Ensi weiter. Auch dies sind Entschuldigungsfloskeln. Laut dem Bericht, den die Aufsicht von den Betreibern fordert, der aber noch nicht vorliegt, müssten ein Audit und die Liste der qualifizierten Prozesse einen solchen Fehler grundsätzlich erkennbar machen. Was offensichtlich über längere Zeit nicht geschah, wie das Ensi schliesslich selber zugibt: „Da die Qualitätssicherung im weiteren Produktionsablauf (Dichtheitsprüfung), die Inspektionen in den Kraftwerken und der Reaktorbetrieb keine Schäden an Brennelementen aufgrund dieses Qualitätssicherungsproblems zeigten, blieb dieser Fehler eine längere Zeit unentdeckt.“ Konkret heisst dies: der Qualitätssicherungsprozess ist nicht geeignet, Fehler dieser Art vor dem Einsatz der Brennelemente im Reaktor zu erkennen. Und zwar über mehrere Jahre. Doch gibt das Ensi einer falsch beladenen Anlage grünes Licht für den Betrieb, hängt es in der Verantwortung mit. Da helfen keine Ausreden. Seine Aufsicht hat versagt. Daran ändert auch das Massnahmenprogramm des Ensi nichts, das jetzt in Aussicht gestellt wird: „Das ENSI wird diesen Bericht zusammen mit den vorgeschlagenen Massnahmen prüfen. Zudem ist eine Inspektion beim Hüllrohr-Hersteller durch das ENSI geplant.“ Geplant . . . Damit belegt das Ensi nur, dass es seine Kontroll-Aufgabe – einmal mehr – nicht erfüllt hat und wiederum keine Inspektion zum Zeitpunkt erfolgte, als sie gebraucht wurde. Genau wie bei den Feuerlöschern und dem durchbohrten Containment. Und das soll Sicherheits- und Fehlerkultur heissen?
Wir fassen zusammen
Die Kernkraftwerk Leibstadt AG hat gemäss Verordnung G20 also die volle Verantwortung für den irregulären Einsatz von Brennstäben. Wie die Tatsache zu werten ist, dass die Beschaffung der Brennelemente an AXPO delegiert ist, können wir nicht beurteilen. Laut ENSI ist die Axpo „für die Beschaffung der Brennelemente und damit für die Qualitätssicherung bei der Fertigung verantwortlich.“ Dass die Produktion der Brennstäbe durch die französische AREVA erfolgte, ist dabei interessant und bedauerlich, aber bezüglich der Verantwortung irrelevant: Gemäss Richtlinie hätte das KKL den Produktionsprozess und die Qualitätskontrolle bei AREVA korrekt kontrollieren müssen. Und dass diese Kontrolle durch KKL wirklich geschah, dies hätte durch das Ensi im Rahmen seiner Überwachungsfunktion geprüft werden müssen. Hätte . . . Eine Klarstellung ist jedenfalls erforderlich. Vielleicht auch im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens.
KKL: nukleares „Versuchskaninchen“?
Betriebssicherheit, Sicherheitskultur, Qualitätskontrolle, Überwachung, Inspektion sind im KKL-Dossier schöne Begriffe. Werden sie nicht wirklich und kompetent umgesetzt, also gelebt, geht der Inhalt verloren, sie werden leer. Was bleibt, ist die Verpackung, die wortreich gepflegt wird. Dementsprechend etabliert sich eine Betriebspraxis, die man als „experimentellen Betrieb“ bezeichnen könnte: Man fährt das Kernkraftwerk unter Missachtung elementarer Grundregeln der Sicherheit und unter Missachtung von gesetzlichen Bestimmungen. Werden die Unregelmässigkeit schliesslich entdeckt, minimisieren die zuständigen Institutionen den Vorfall und rühmen gar, dass niemand zu Schaden kam! Die Verantwortlichen schalten auf den PR-Modus um.
Der dieser Tage offen gelegte Vorfall ist keine Überraschung. Er war absehbar, fast könnte man sagen „vorprogrammiert“. Bereits in unserem Blog vom 27. Februar 2017 schrieben wir: „Die Schweiz hat Glück gehabt! In den Jahren 2008 bis 2016 ereignete sich im KKL kein grösserer Unfall. Der Reaktorkern von Leibstadt erlitt keinen Geometrieschaden, und das Werk konnte jederzeit herunter gefahren werden. Ob übrigens heute keine weiteren Fehler bestehen, ist unter den bestehenden Voraussetzungen fraglich. Denn es gibt keine Hinweise dafür, dass Kontrolle und Aufsicht in den vergangenen Monaten grundlegend verbessert wurden.“ [6] Heute kann man das Jahr 2016 durch 2017 ersetzen; das Zitat hat noch immer Gültigkeit. Und dass unter diesen Umständen das Ensi ein Interesse daran hat, den Vorfall zu minimisieren, ist verständlich . . .
Zur genannten „Aufsicht“ zitierten wir einmal mehr Ensi-Direktor H. Wanner : „Die Frage ist, welche Arbeitshypothese wir unserer Aufsichtsfunktion zugrunde legen. Zwei Varianten stehen zur Wahl: Entweder „Die Schweizer Kernkraftwerke sind grundsätzlich sicher“ oder „die Schweizer Kernkraftwerke sind grundsätzlich unsicher.“ Wir gehen, wie ich schon verschiedentlich dargelegt habe, von der ersten Arbeitshypothese aus, die wir in einem laufenden internen Prozess fortdauernd mit Daten und Fakten untermauern.“
Vielleich wird nun allmählich jedermann klar, dass Direktor H. Wanner nicht an diesen Posten gehört! Und wie steht es mit dem KKL-Direktor? Wie lange werden Bund, Kantone und das benachbarte Deutschland noch tolerieren, dass Bevölkerung und Umwelt durch solch fahrlässige Betreiber und Aufsichtsbehörden derartigen Risiken ausgesetzt werden?
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