Pilotlager: Beitrag zur nuklearen Sicherheit, sowie zur sozialen und politischen Akzeptanz
Titelbild: J. Uttinger, karikaturale Darstellung des Nagra-Lagers
Im Jahre 1999 erhielt Walter Wildi vom Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) den Auftrag, einer Kommission vorzustehen, welche die Entsorgungskonzepte für radioaktive Abfälle (EKRA) überprüfen und überdenken sollte. Innerhalb von zwei Jahren legte diese EKRA-Kommission genannte Expertengruppe zwei viel beachtete Berichte zu einem Konzept vor, das als EKRA-Konzept in die schweizerische Gesetzgebung floss und grosses internationales Ansehen fand. Eine Schlüsselrolle kommt in diesem Konzept dem Pilotlager zu, das sowohl Überwachungsfunktionen wie auch gesellschaftliche Akzeptanz eines Tiefenlagerprojektes sicherstellen soll. Im Rahmen der nächsten Beiträge wird die Rolle des Pilotlagers beschrieben, die weitergehende „duale Strategie“ vorgestellt und wichtige Elemente einer grundlegenden Struktur- und Prozessreform von Entsorgungsprogrammen erläutert. Dieser erste Beitrag blickt auf die Entstehungsgeschichte des Pilot-Lagers zurück.
Der Rahmen
Im Konzept der geologischen Tiefenlager für radioaktive Abfälle der Schweiz figurieren drei Lagerbereiche mit spezifischen Funktionen und spezifischer Auslegung, nämlich das Hauptlager, das Pilotlager und die Testbereiche (auch „Testlager“). Gegenüber im Ausland geplanten Lagerauslegungen stellt das Pilotlager eine Besonderheit dar[1]. Auf der Basis des Kernenergiegesetzes (KEG 2003[2]) definiert die Kernenergieverordnung (KEV 2004[3]) die Funktionen und die Auslegung dieses Lagers. Diese werden in der ENSI-Verordnung G03 (2009[4]) weiter präzisiert.
Auch in den Projektskizzen der Nagra figuriert ein sogenanntes Pilotlager[5], aber in einer Auslegung, welche die gesetzlich geforderten Anforderungen und den geforderten Beitrag zur nuklearen Langzeitsicherheit nicht einhält. Unverständnis oder Zankapfel?
Zur Geschichte
Um die Einführung des Pilotlagers in das schweizerische Entsorgungskonzept zu verstehen, lohnt sich ein Blick zurück, in die Geschichte der nuklearen Entsorgung.
Der Bundesbeschluss zum Atomgesetz vom 6. Oktober 1978 legte fest, dass die Rahmenbewilligung für ein neues Kernkraftwerke nur erteilt wird, wenn die dauernde und sichere Entsorgung und Endlagerung der aus der Anlage stammenden radioaktiven Abfälle gewährleistet ist (sogenannter „Entsorgungsnachweis“). Die Bestimmungen sollte formal auch auf die bereits bestehenden Kernkraftwerke angewendet werden. Dieses Konzept der „Endlagerung“ sah weder die Möglichkeit der Langzeitüberwachung der Endlager, noch jene einer Rückholung der Abfälle vor.
Bei Umweltorganisationen und Bürgerbewegungen weckte das Konzept der „Endlagerung“ starken Widerstand. Der durch die Nagra im Jahr 1985 beim Bund eingereichte „Entsorgungsnachweis“ wurde durch den Bundesrat nur für schwach und mittel radioaktive Abfälle akzeptiert. Und für eben diese Abfallkategorie wurde im Jahr 1995 das Gesuch für die Erteilung einer Rahmenbewilligung für ein „Endlager“ am Wellenberg durch das Nidwaldner Volk abgelehnt. Der darauf durch den Bundesrat eingeleitete „Energie-Dialog Entsorgung“ blieb ohne Resultat. Die politische Situation war somit für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle blockiert.
Um aus dieser Situation auszubrechen schuf Bundesrat Moritz Leuenberger im Jahr 1999 die „Expertengruppe Entsorgungskonzepte für die Entsorgung radioaktiver Abfälle“ (EKRA) mit folgendem Pflichtenheft[6]:
„Die „Expertengruppe Entsorgungskonzepte für radioaktive Abfälle“ (EKRA) erarbeitet die Grundlagen für einen Vergleich der Entsorgungskonzepte für radioaktive Abfälle. Sie untersucht und vergleicht insbesondere die geologische Endlagerung, die kontrollierte und rückholbare Langzeitlagerung und die Zwischenlagerung unter den Aspekten:
– Aktive und passive Sicherheit
– Überwachung und Kontrolle
– Rückholbarkeit
In einem technische und gesellschaftliche Fragen darstellenden Bericht fasst die EKRA die gewonnenen Resultate sowie ihre Schlussfolgerungen und Empfehlungen zu Handen des UVEK zusammen.“
Der im Januar 2000 vorgestellte erste Bericht der EKRA bildete in Fragen der Entsorgungspolitik einen Durchbruch und die Basis für das neue Kernenergiegesetz (KEG 2003).
EKRA und die Quadratur des Kreises
Um die Jahrhundertwende dominierte in Kreisen von Wissenschaft und Technik die Ansicht, dass die nukleare Langzeitsicherheit für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle am besten durch die Unterbringung der Abfälle im geologischen Untergrund gewährleistet werden kann, unter Anwendung des Multibarrieren-Konzeptes. Nach diesem Konzept soll der Austritt der radioaktiven Substanzen aus den Abfällen in die Biosphäre durch technische (Abfallmatrix, Abfallbehälter, Stollenverfüllung) und natürliche Barrieren (dichtes Wirtsgestein und geologisches Umfeld) verhindert, oder zumindest bis zum weitgehenden Abklingen der Radioaktivität hinauszögert werden. Dabei wurde mit dem Konzept der „Endlagerung“ angestrebt, das Abfalllager nach seiner Verfüllung zu verschliessen und sich selbst zu überlassen.
Dass ein solches Endlager aus Stahl, Glas und Gestein in seiner Funktion versagen könnte, schien damals den meisten Spezialisten, sei es jenen die als Entsorger, oder als Überwachungsbehörde mit der Entsorgung betraut waren, ein Ding der Unmöglichkeit. Und sicher ist dies auch heute oft nicht viel anders. Nur eben: Die Fakten haben uns unterdessen gelernt, dass das Ziel der Langzeitsicherheit mit Hilfe von geologischen Tiefenlagern für toxische Abfälle nicht leicht zu erreichen ist.[7] Die Zweifler von anno dazumal haben recht behalten.
Als sich die EKRA im Jahr 1999 an die Arbeit machte, stand sie vor der Forderung, ein Konzept zu entwickeln, welches die Integrität der technischen und geologischen Barrieren des Endlager-Konzepts garantieren, gleichzeitig die gesellschaftlich geforderte Überwachung des Lagers und seiner Abfälle umfassen und damit bei einem Versagen einer der Lagerfunktionen die Rückholung der Abfälle ermöglichen sollte.
Aus technischer Sicht und bezüglich der Lagerauslegung erreichte dies die Expertengruppe mit ihrem Drei-Lager Konzept für geologische Tiefenlager, bestehend aus einem Testlager (heute „Testbereich“), einem Hauptlager und dem Pilotlager:
- Das Testlager dient zur endgültigen Abklärung der Eignung des gewählten Lagerstandorts. Es wird vor der Einlagerung der Abfälle ins Hauptlager betrieben.
- Das Hauptlager nimmt den Grossteil der Abfälle auf.
- Ein kleiner, aber repräsentativer Anteil der Abfälle wird bis zum Ende einer Beobachtungsphase in das Pilotlager verbracht und dort stellvertretend für die Abfälle im Hauptlager bis zur abschliessenden Verfüllung der Anlage überwacht und kontrolliert.
Die Dauer der Überwachung soll offen sein und dereinst durch die betroffene Generation beschlossen und abgeschlossen werden, falls die praktizierte Lagerung den Erwartungen entspricht. Auch ob die Abfälle des Pilotlagers am Ort belassen oder allenfalls zurück geholt und ins Hauptlager integriert werden sollen, soll erst dannzumal beschlossen werden. Auf diese Weise respektiert das Konzept in bestmöglicher Weise die Grundsätze der Nachhaltigkeit und gibt künftigen Generationen zumindest eine minimale Möglichkeit die Sicherheit der nuklearen Entsorgung mit zu gestalten.
Anforderungen an ein Pilotlager
Damit ein Pilotlager seine Funktion erfüllen kann, müssen einige spezifische Auslegungsgrundsätze erfüllt sein. Dazu gehören folgende Anforderungen:
- Möglichst identische geologische, bzw. hydrogeologische Verhältnisse, sowie technische Auslegung wie im Hauptlager. Das Pilotlager ist also ein wirkliches Modell des Hauptlagers.
- Hydraulische Trennung von Pilot- und Hauptlager, sodass etwa bei einem Wassereinbruch, Bergschlag oder Feuersbrunst nicht beide Lager betroffen sind.
- Möglichkeit, die Überwachungsgeräte (namentlich Sonden) bei Bedarf zu erneuern.
- Leichter langfristiger Unterhalt der Zugänge zum Pilotlager und dessen Infrastrukturen.
Weitere Anforderungen betreffen die Organisation des Betriebes, dessen langfristige Finanzierung und die mit der Planung, dem Bau und dem Betrieb verantwortlichen Institutionen, sowie die behördliche Aufsicht. Auf dieses zweite Paket von Anforderungen werden wir in einem nächsten Beitrag eingehen.
Wenn nicht sein kann, was nicht sein darf . . .
Wie erwähnt wurde das Konzept der EKRA im Rahmen des Kernenergiegesetzes (KEG), der Kernenergieverordnung (KEV) und der Richtlinie G3 der Sicherheitsbehörde ENSI technisch weitgehend übernommen. Nicht aber durch die Nagra, wie die untenstehende Abbildung zeigt. Unter Billigung des ENSI hat die Nagra das Pilotlager als einfaches Anhängsel des Hauptlagers umfunktioniert. Dieses weist weder einen separaten Zugang, noch eine hydraulische Trennung auf. Bei einem Störfall im einen oder andern Teil des Lagers ist automatisch die gesamte Anlage betroffen. Etliche Fragen zur weiteren Ausgestaltung der Lager wurden nicht weiter entwickelt. Dazu gehört z.B. die Umsetzung der Möglichkeit, die Instrumentierung zur Überwachung des Pilotlagers bei Bedarf (z.B. wegen Alterung) zu ersetzen.
Mit ihrem Vorgehen unterlaufen Nagra und ENSI offensichtlich den Willen und gesellschaftlichen Konsens, welcher im Jahr 2003 die Neufassung des Kernenergiegesetzes und dessen politische Akzeptierung ermöglichten. Die Rechnung für diese Vorgehensweise dürfte der Entsorgerorganisation spätestens in dem Augenblick präsentiert werden, wenn sie am Ende des Sachplanverfahrens ihr nächstes Gesuch um eine Rahmenbewilligung für ein geologisches Tiefenlager einreicht. Als hätte es den Wellenberg nicht gegeben!
Die zweite, heute in Kreisen der Nuklearindustrie versuchsweise herumgebotene Variante ist nicht besser: Das Pilotlager wird bereits vor der Eingabe eines Gesuchs um Rahmenbewilligung über Bord geworfen. Denn mit dieser Massnahme sterben sowohl die Langzeitüberwachung, als auch die Möglichkeit der Rückholung der Abfälle: Zurück in die Zeit des Bundesbeschlusses von 1978 und der direkten Endlagerung; ein Rückschritt von 40 Jahren!
Die Diskussion um den Stellenwert des Pilotlagers im schweizerischen Entsorgungskonzept ist also beileibe nicht abgeschlossen, auch wenn gewisse Vorstellungen über die Rolle dieses Lagers im Rahmen von Expertengesprächen („Forschungsprojekt“ Pilotlager des ENSI ab 2011) entwickelt wurden. Das Pilotlager soll ja nicht nur der Überwachung und Kontrolle dienen. Es kann auch für den Nachweis der Machbarkeit aller relevanten Prozessschritte im industriellem Massstab eingesetzt werden. Dies würde bedeuten, dass alle Lager- und Bergungsprozeduren mit hochradioaktiven Lagerkanistern getestet und beherrscht werden müssten, bevor zur Realisierung des Hauptlagers geschritten würde.
Aus dieser Optik wäre eine baldige Demonstration der technischen Umsetzung von Konzeptteilen im Rahmen eines Forschungsprojektes „Pilotlager“ am Mont-Terri wünschenswert (Messinstrumentierung, Demonstration Platzierung und Bergung, Umgang mit radioaktiven Quellen im Untergrund unter Berücksichtigung der Störfallvorsorge, usw.). Seit 2003 intervenierten die beiden Blog-Autoren und andere Experten verschiedentlich und erfolglos bei den hierfür zuständigen Institutionen – mit konkreten Projekteingaben, im Rahmen der früheren Tätigkeit eines der beiden Blogautoren als Vorsitzender der Begleit- und Überwachungskommission des Labors sowie im Rahmen von Vorschlägen an die Bundesbehörden und kantonalen Fachstellen, die im Sachplan eingebunden sind. Bisher wurden alle diese Eingaben oder Vorschläge abgeschmettert, überhört oder auf die lange Bank geschoben.
Die Demonstration von Prozessschritten als Bestandteil eines Genehmigungsprozesses einer Tiefenlagerung hat bei der „dualen Strategie“ höchsten Stellenwert. Einer der Blog-Autoren wird den dualen Ansatz im nächsten Blog-Beitrag erläutern.
Abbildung 3:Symbolbild geologisches Tiefenlager, Bild: ENSI. Der Testbereich wird als „Feldlabor“ bezeichnet; Hauptlager und Pilotlager befinden sich auf demselben Niveau und sind hydraulische nicht getrennt. Damit sind bei einem Störfall automatisch beide Lager betroffen. Damit widerspricht die Auslegung des Pilotlagers den in der ENSI-Richtlinie G03, § 5.1.5 festgelegten Forschriften.
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