
Ein professionelles Bild, ohne Zweifel (Bild oben). Die Brille suggeriert, sie schärfe die Sicht. Der äussere hintere Rahmen verschwimmt. Dem Vordergrund geht es nicht besser. Die Tiefenschärfe ist also gering. Und diese Brille, ja: diese Brille allein, schafft den erforderlichen klaren Blick. In zwei eng begrenzten ovalen Ausschnitten zwar. Nur: ein Röhrenblick auf Wurzelstöcke und Baumstämme macht noch lange keinen Wald aus; und sagt noch weniger über Grosswetterlage und Kontext.
Das Bild ist der Ensi-Web-Seite dieser Woche entnommen und schmückt das Titelblatt eines neuen Berichts zur Regelwerkstrategie der Sicherheitsbehörde, die in wenigen knappen Sätzen in Deutsch, Französisch und Englisch zusammenfasst, welche internationalen Regelwerke angewendet werden sollen und wie diese möglicherweise zu ergänzen sind, wenn zusätzlicher Regulierungsbedarf besteht.
Schärfe – oder Schärfentiefe (oder Tiefenschärfe) – ist eine Frage der technischen wie auch der inneren Einstellung. Man kann Schärfentiefe auch so wählen, dass der Betrachter im Oval des Sichtfelds der Brille ausser Wirrnis nichts, aber auch fast gar nichts erkennt (Bild unten).
Solche Aufnahmen gehören zu Bildern, die sich gut in PR-Broschüren machen, und die – ausser zu bekannten konstruktivistischen Einsichten – zu keinen zusätzlichen Erkenntnissen führen. Bilder dieser Art haben sich institutionell vermehrt eingeschlichen und werden von gewissen Administrationen in ihrer Hörigkeit von PR-Agenturen zunehmend verwendet, um Informationen und Sachverhalte zu verwedeln. Das Fachexperten-Geschwätz und die Vernebelung mit Bildmaterial gehen leider oft Hand in Hand.
Wer nun in die erwähnte Regelwerkstrategie des Ensi steigt[1], findet 5 regulierende Gemeinplätze – gross aufgemacht, in übergrossen Lettern, auf insgesamt 5 von 12 Seiten Gesamtumfang – ohne Rahmen und Erklärung, warum diese just jetzt erscheinen, ohne Einbettung in einen weiteren Kontext der Aufsichtstätigkeit und ohne den kleinsten Hinweis auf das, was bei dieser Aufsichtstätigkeit am meisten fehlt: nämlich Unabhängigkeit sowie strategische und praktische Kompetenz, Eigenschaften, die für die Tätigkeit einer Sicherheitsbehörde zwingend sind, und die seit Jahren eingefordert werden.
Genau das hätte in einen derart fundamentalen Bericht gehört: Warum und wie wird die internationale Regulierung harmonisiert und unter welchen prozeduralen Regeln? Wie wird sichergestellt, dass solche Regulierungen auf nachvollziehbare und transparente Art und Weise formuliert und umgesetzt werden und die geforderten Sicherheitsanforderungen abdecken? Welche Schwachstellen und Widersprüche sind erkennbar und wie geht man damit um, etwa wenn sich nationale und internationale Regelwerke widersprechen, wie das bei der Rolle der KNS der Fall ist ? Wer ist dann entscheidungsbefugt? Wie erfolgt diese Umsetzung der Regelwerke und wer kontrolliert diese? Eigenkontrolle? Warum? Fremdkontrolle? Wie? Sind internationale Körperschaften wie die IAEA im Fall von schweren Unfällen durch falsche Regulierungen haftbar? Wie wird mit Schnittstellenproblemen umgegangen und wo ist der entsprechende Erfahrungshintergrund? usw.usf.
Dass das Ensi fähig ist, gute Analysen zu schreiben, belegt es etwa mit dem Bericht zu „Mensch und Organisation“ in Zusammenhang mit der Reaktorkatastrophe von Fukushima. Man kann es nur ermuntern, diesem löblichen Beispiel auch bei der Ausarbeitung von derart wichtigen Regulierungsgrundlagen und bei der Erarbeitung und Dokumentation solcher Unterlagen zu folgen. Dies kann dem lädierten Image dieser Institution nur gut tun.
Fussnote & Referenz
[1] https://static.ensi.ch/1427877672/ensi_regelwerksstrategie_web_02_scn_01-04-2015.pdf
ENSI-Bericht zu Fukushima II: Analyse (Mensch und Organisation) – Auslandsereignisse,Fukushima, Mensch und Organisation (https://www.ensi.ch/de/dossiers/fukushima-2/ensi-bericht-zu-fukushima-ii-mensch-und-organisation/)
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