Photo: Michel Jaussi
Stellungnahme zur bevorstehenden Tiefenlager-Standortwahl der Nagra
Zu den Leitsätzen des Vereins Pro Bözberg bezüglich der nuklearen Tiefenlager-Problematik gehört im Besonderen die Forderung nach einer gründlichen Abklärung der Standort-Optionen sowie deren bedachte Abwägung, ohne zeitlichen Druck als Basis eines glaubwürdigen verantwortungsbewussten Vorgehens. Und schliesslich erfordert die Standortwahl eine sach- und sicherheitsbezogene, ergebnisoffene sowie nachvollziehbar plausible Begründung.
1972 – 2022: Im 50. Jahr ihres Bestehens beschert sich die Nagra endlich die Standortwahl
Nach einem halben Jahrhundert herber Rückschläge und gescheiterter Endlagerprojekte, mit kumulierten Kosten von bald zwei Milliarden Franken, bestünde für die Nagra wahrlich kein Grund zum Feiern. Doch seit mindestens vier Jahren – also bezeichnenderweise schon bevor die neueste Bohrkampagne überhaupt gestartet war –, verkündete sie auf allen Kanälen die „Bekanntgabe“ der Standortwahl für das Jahr 2022. Dieser Termin stand mithin schon lange fest. Die Vermutung liegt nahe, dass die Terminwahl für diesen Meilenstein weniger auf wissenschaftlich belegbaren Projekterkenntnissen durch besagte Bohrungen gründet, sondern eher mit dem 50. Gründungsjahr der Nagra zusammenhängt. Ungeachtet aller weiterhin ungelösten kritischen Fragen zur Langzeitsicherheit!
Die interne Nagra-Planung war und ist oft auf Kollisionskurs mit der Wirklichkeit. Dazu nur ein Beispiel: Vor 15 Jahren stand für die Rahmenbewilligung als „Meilenstein“ 2018 im Terminkalender; mittlerweile ist er auf 2031 teleportiert.
Nun aber tickt der countdown mit fixiertem Kompass auf den Standort. Denn mit seiner Bekanntgabe fällt die Nagra – gemäss CEO Matthias Braun im Interview mit der AZ – „faktisch“ den Standortentscheid. Unwiderruflich, und zwar Jahre bevor das Gesuch um Rahmenbewilligung ausgearbeitet, eingereicht, behördlich geprüft ist und die Hürde des Referendums nehmen muss.
Erwartungen und Ansprüche von Pro Bözberg
Dieser Standortentscheid ist eine epochale Weichenstellung von unabsehbarer sicherheits- und gesellschaftspolitischer Tragweite. Denn aus dem Blickwinkel einer nüchternen Bewertung des aktuellen Kenntnisstands erstrahlt keines der drei noch zur Auswahl stehenden potenziellen Standortgebiete in besonders vorteilhaftem Licht. Jedes hat bezüglich Gewähr für Langzeitsicherheit auch seine Defizite.
Mit beigefügter Tabelle versuchen wir, diesen Befund – zumindest qualitativ aufgrund der uns zugänglichen Dokumentation – zu illustrieren. Wichtig ist dabei, dass neben der Bewertung der einzelnen Kriterien vor allem auch ihre jeweilige Gewichtung zu berücksichtigen ist.
So kann beispielsweise im Gebiet Nördlich Lägern (NL) der klare Bonus beim Schutz vor eiszeitlicher Erosion durch potenziell negative Auswirkungen der tektonischen Beanspruchung erheblich relativiert werden, je nachdem welches Gewicht diesen Elementen beigemessen wird. Demgegenüber ist es im Gebiet Zürich Nordost (ZNO) gerade umgekehrt.
Also präsentieren sich die drei noch zur Auswahl stehenden Gebiets-Optionen ungefähr ausgeglichen im Mittelmass der potenziellen Eignung. Daher ist eine seriöse, weder pekuniär noch zeitgetriebene und kompromisslos ergebnisoffene Beurteilung der mutmasslichen Eignung absolut unabdingbar. Es geht für die Nagra um nichts weniger als Vertrauen und Glaubwürdigkeit als unverzichtbares Fundament der Akzeptanz.
In diesem Sinne erwartet Pro Bözberg von der Nagra:
- Keine vorgestanzten PR-Floskeln, sondern Verfahrenstransparenz und ungeschminkte Information über die Ergebnisse der Standort-Erkundungen sowie der daraus erarbeiteten Synthesen und projektbezogenen Folgerungen.
- Die Standortwahl muss in der Essenz sachlich nachvollziehbar aufgrund eines Kriterien-gestützt öffentlich dokumentierten, sicherheitstechnisch einleuchtend untermauerten Standortvergleichs erfolgen.
- Die Dokumentation ihres Überlegungspfads mit plausiblem Argumentarium für die Wahl des Standorts. Offenlegung der noch ungelösten Fragen.
- Eine von Respekt getragene Grundhaltung gegenüber ihrer Aufgabe. Statt vorauseilend den „besten“ und „sichersten“ Standort zu preisen, sollte vielmehr von einer Kriterien-gestützten Priorisierung einer Region die Rede sein, die ausgehend vom aktuellen Kenntnisstand, den Anforderungen an die Langzeitsicherheit am nächsten zu kommen verspricht.
Dies wäre kein Zeichen der Schwäche, sondern eines, das Ehrlichkeit, Offenheit sowie den glaubwürdigen Respekt vor real existierender Besorgnis in der Bevölkerung signalisiert.
Erst auf der Basis einer umfassenden Gesamtsynthese des aktualisierten Kenntnisstands und der Bewertung der noch offenen sicherheitskritischen Fragen – einschliesslich des Einlagerungs- und Rückholungskonzepts – wird ein wissenschaftlich konsistenter Vergleich der Langzeitsicherheit in allen drei Standortgebieten belastbaren Bestand wahren können. Je tragfähiger dieses Fundament sein wird, umso stärker wird sich auch die Akzeptanz in der betroffenen Öffentlichkeit manifestieren.
Bözberg, 16. Februar 2022
Der Vorstand
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