Pressetitel vom 29.11.2016: „Die Angst vor «Dreckstrom» dominierte: Die Furcht vor vermehrten Stromimporten war zentral für jene, die gegen die Initiative stimmten. Das zeigt die Tamedia-Nachbefragung.“
Abstimmungs-Kampagnen haben oft so ihren eigenen Reiz. Meist wird mit etwas sachlichen und immer mit sehr viel phantasiereichen, schematischen, halbrichtigen bis falschen Argumenten gefochten. In der Atomausstiegsdebatte ist uns diesbezüglich die Argumentationsweise unserer Energie-Ministerin besonders aufgefallen: Stimme die Schweiz der Atomausstiegsinitiative zu, so werde sie künftig grosse Mengen Strom aus Deutschen Dreckschleudern importieren, d.h. aus Kraftwerken welche an Kohle geringer Qualität laufen, und damit zur Verschlechterung der Luftqualität und der Verschärfung des Klimawechsels beitragen.
Was stand und steht hinter dieser Aussage?
Erst Mal: Strom hat keine Farbe, keinen Geruch. „Pecunia non olet“ – eine Redewendung – die nach dem römischen Autor Sueton auf Kaiser Vespasian zurückgeht, der nach der Einführung der Urinsteuer seinem Sohn eine Handvoll Münzen unter die Nase gerieben und gesagt haben soll: Und doch kommt dieses Geld – die Pecunia – vom Urin. Auch der Strom stinkt nicht – und doch stinkt er, wie wir gleich unten sehen werden.
Übersetzt konnte die Behauptung unserer Bundesrätin nämlich plakativ heissen: Wird die Atominitiative angenommen, stinkt die Kohle bis in die Schweiz. Eine etwas vereinfachende Behauptung. Denn die physikalische Quelle einer kWh lässt sich nicht wirklich bestimmen, sondern nur indirekt aus Bilanzen in etwa errechnen. An dieser Stelle wäre auch zu sagen, dass man von Frau Leuthard keinen Pieps hörte, als die Stromwirtschaft in den guten Jahren vor 2008 billigen Strom aus dem Ausland importierte und ihn zu Spitzenstunden teuer verkaufte. Auch Dreckstrom aus den Kohlekraftwerken war dabei. Und diesem ging es in der Schweiz wie der Urinsteuer des Vespasian – er wurde sogenannt hydraulisch veredelt und zu fetten Preisen abgesetzt. Oh ja: „pecunia non olet“. Dreckstrom stinkt tatsächlich nicht! Doch verlassen wir nun lieber die Geruchswelt und kommen zu den konkreten Zahlen.
Denn: sollte die Schweiz künftig regelmässig mehr Strom importieren (und das wird wohl ohnehin bald eintreffen, trotz Ablehnung der Atomausstiegsinitiative), so kann dieser sehr wohl aus Frankreich (80% Kernenergie) oder aus Deutschland stammen. Deutschland produziert heute einen Stromüberschuss und exportiert diesen zu attraktiven Preisen. Im Deutschen Strommix spielt, wie die aus Wikipedia kopierte Fig. 1 zeigt, Kohlestrom (Braun- und Steinkohle) eine wichtige Rolle. Der Kohleanteil an der Gesamtproduktion ging aber seit 1990 um ca. 14% auf 42,3% zurück. Auch die Kernenergie nahm seit 2005 klar ab und betrug Ende 2015 noch 14.2 %. Diese Rückgänge der Elektrizitätsproduktion aus fossilen, nicht erneuerbaren Energieträgern wurden, ganz im Sinne der Energiestrategie der Schweiz, voll und ganz durch erneuerbare Energieträger ersetzt: Im Jahr 2015 waren es 29.0 % Elektrizität aus Wind, Wasser, Biomasse, Sonne, Hausmüllverbrennung, u.a. Quellen (Geothermie?). Sollte die Schweiz ab 2017 vermehrt diesen Mix importieren, so sind dies also um 30% Strom aus erneuerbaren Energieträgern; Trend: steigend. Nicht schlecht, aber eindeutig noch verbesserbar! Und sicher um einiges besser als der Strommix, den die grossen Stromunternehmen der Schweiz vor 2008 importierten, um damit ihre fetten Gewinne abzuschöpfen.
Von der Kohle zum Gas
Wo liegen nun die Probleme der Produktion aus Braun- und Steinkohle? Drei „Laster“ der Kohle müssen hervorgehoben werden:
- Insbesondere Braunkohleförderung zerstört Landschaften!
- Die Luftverschmutzung durch die in der Kohle enthaltenen Schadstoffe, allen voran Schwefel, aber auch verschiedene Schwermetalle, u.a.m. Allerdings sollte dieses Problem heute nebensächlich sein, denn mit einer modernen Rauchgasreinigung könnten diese Verschmutzungen mit Hilfe von Filtern und Gaswäsche zurückgehalten werde. Ist dies nicht der Fall, so liegt das an der mangelnden politischen Motivation, mangelhafter Gesetzgebung und einer ungenügenden Kontrolle. Vergessen wir auch nicht die akkumulierten Reststoffe aus der Verbrennung, die deponiert werden müssen.
- Der Ausstoss an Kohlendioxid (CO2), dem wohl bekanntesten Treibhaus-Gas welches massiv zur Klima-Erwärmung beiträgt. Der massive Ausstoss von CO2 kann bei Verwendung von Kohle nicht vermieden werden. Die Emissionen eines Energieträgers kann in kg CO2/MWh erzeugter Elektrizität ausgedrückt werden. Bei Verwendung von Steinkohle werden pro MWh erzeugter Elektrizität 338 kg CO2 in die Atmosphäre abgegeben, bei Verwendung von Erdgas sind es 198 kg[1], also 42% weniger, als mit Steinkohleverbrennung. Eine weitere Verminderung des CO2 – Ausstosses könnte durch Untertagelagerung des Treibhausgases erreicht werden. Diese Lösung ist nicht gratis und z.T. auch aus ideellen Gründen nicht beliebt. Und sie bleibt auch in industriellem Ausmass umzusetzen.
Es gäbe aber sehr wohl Möglichkeiten den CO2 – Ausstoss für die Zeit, da noch fossile Energieträger verwendet werden, stark zu senken, nämlich mit Gaskraftwerken. Anstatt Kohlestrom zu importieren, könnte die Schweiz für diese Zeit für ihre inländische Stromproduktion Gaskraftwerke betreiben. Erdgas ist und bleibt natürlich, gleich wie Uran, ein nicht erneuerbarer, importierter Energieträger.
Wie geht es weiter
Am 30. September 2016 erreichte der erste Gastanker mit Schiefergas aus den USA einen europäischen Hafen (Fig. 2). In den USA ersetzt dieses Gas (welches nicht mit einem Grünen Siegel versehen ist!) allmählich die Kohle bei der Stromproduktion. Gas ist leichter zu transportieren als Kohle, der Bau der Kraftwerke ist wenig kapitalintensiv, der Betrieb der Kraftwerke sehr flexibel, die Personalkosten sind tiefer als für Kohlekraftwerke. Allerdings produziert die Förderung von Schiefergas auch CO2 – Emissionen (aber weniger als Kohle, siehe oben). Und ist – was die ökologischen Schäden an den Förderstandorten anbelangt – etwa gleich einzuschätzen, wie der Raubbau-Kohleabbau. Aufgrund der oben zitierten Vorteile ist aber damit zu rechnen, dass auch in Europa in den kommenden Jahren und Jahrzehnten ein Schub in Richtung der Gaskraftwerke kommen dürfte.
Die grössten Wachstumsraten sind erfreulicherweise bei Sonnenenergie und eventuell bei Windenergie zu erwarten. Die Schweizerische Energiestiftung schreibt hierzu, dass bis 2035 in der Schweiz 25% des heutigen Stromverbrauches durch inländischen Sonnenstrom gedeckt werden könnte[2].
Eine wichtige Frage ist jene des Strompreises aus photovoltaïschen Produktionsanlagen. Die Figur 3 stellt die Sicht der Fraunhofer-ISE (aus wikipedia.com) dar. Darin wird der Preis für Sonnenstrom auf 0.08 bis 0.14 Euro pro kWh geschätzt, also etwa auf gleichem Niveau wie Strom aus schweizerischen Wasserkraftwerken. Trend: sinkend.
Unsichere Kernenergie, sicherere Alternativen
In den kommenden Monaten bleibt das Kernkraftwerk Beznau 1 abgestellt, aus Sicherheitsgründen. Ebenfalls abgestellt bleibt Leibstadt. Insgesamt fallen damit 15% der inländischen Kapazität zur Stromproduktion aus.
Bis zu 20 der insgesamt 58 französischen Reaktoren standen diesen Herbst still und etwa ein Dutzend Reaktoren werden den grössten Teil des Winters ausfallen[3], ebenfalls aus Sicherheitsgründen. Dies bedeutet einen Produktionsausfall zwischen 15 und 25% der Produktionskapazität Frankreichs.
In beiden Fällen, d.h. in der Schweiz und in Frankreich, wird fehlender Strom („Weihnachtsstrom“) importiert: in erster Linie aus Deutschland! Solange die Kernkraftwerke in Frankreich und der Schweiz ausfallen, steht der Grosshandelspreis für Strom wieder etwas höher. Dies gibt etwas Luft für die gebeutelten Stromproduzenten in der Schweiz.
Längerfristig wird die Tendenz wohl wieder umschlagen. Deutschland wird weiter fahren mit dem Umbau auf erneuerbare Quellen für die Stromproduktion. Die Kernkraftwerke gehen endgültig vom Netz. Und schlussendlich wird die Netzstabilität so lange dies notwendig erscheint, durch thermische Kraftwerke gesichert. Auch für die Schweiz und Frankreich (wir bedanken uns in Deutschland!).
In Kernkraftwerken entdeckt man öfters systemische Fehler und Mängel: Sind diese in einem Werk entdeckt (wie etwa die Produktionsfehler im Reaktordruckgefäss von Beznau 1), so können gleich alle Reaktoren desselben Typs ausfallen.
Mit Sicherheit und Zuverlässigkeit ist schwer zu mogeln. Und in diesen Bereichen kann man den Kernkraftwerken kein gutes Zeugnis ausstellen!
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