Titelbild: Atomium von Brüssel, ein Symbol (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Atomium_320_by_240_CCBY20_flickr_Mike_Cattell.jpg)
Vorspann
Marcos Buser & Walter Wildi
Die Entsorgungsbestrebungen von europäischen Ländern wie Frankreich, Schweden, Finnland oder der Schweiz dürfen nicht isoliert betrachtet werden, denn sie stehen in direktem Zusammenhang mit einer bereits vor über zehn Jahren angekündigten Renaissance der Atomenergie. An dieser Renaissance zweifelt die Nuklearindustrie auch heute nicht, trotz der entmutigenden Ergebnisse mit dem Europäischen Druckwasserreaktor (EPR). Voraussetzung für die Offenhaltung der nuklearen Option ist allerdings eine erfolgreiche Umsetzung der in Gang gesetzten Entsorgungsprojekte. Daran scheint die Nuklearindustrie auch nicht zu zweifeln. Es ist daher von grossem Interesse, die gegenwärtigen Anstrengungen in der Forschung und Entwicklung neuer Reaktorkonzepte und –linien in Europa zu verfolgen, um auch das Geschehen in Ländern wie der Schweiz besser zu verstehen. Die beiden Blog-Autoren haben sich darum im Ausland umgesehen und mit einer Reihe Wissenschaftler über diese Entwicklungen gesprochen. Anbei der Bericht dieser kleinen Auslandsreise…
Wir danken an dieser Stelle für die fruchtbare Zusammenarbeit bei der Redaktion dieses Beitrags!
Atomforschung in Karlsruhe und international:
´Sicherheitsforschung´ als Trojanisches Pferd
Unter dem vorgeschobenen Argument der sogenannten Sicherheitsforschung wird in Karlsruher Forschungseinrichtungen in engem Schulterschluss mit Frankreich an neuen Atomreaktoren gearbeitet. Im Falle des Europäischen Druckwasserreaktors EPR hat dieser Deckmantel schon zur Marktreife der dritten Reaktorgeneration geführt, bei Reaktorkonzepten der vierten Generation, von denen insbesondere der Thorium-Flüssigsalzreaktor atomwaffenfähiges Uran-233 produzieren kann, wird dies offenbar ebenfalls angestrebt. Die in Belgien bereits konkret geplante Versuchsanlage MYRRHA steht auch als Transmutations-Vorläufer-Projekt in engem Zusammenhang mit der möglichen Gewinnung von Uran-233.
Woher stammt der Begriff ´Sicherheitsforschung´?
Die Idee, die Forschung an neuen Reaktorlinien euphemistisch als ´Sicherheitsforschung´ zu bezeichnen, stammt ursprünglich vom früheren Leiter für Reaktorsicherheit und Atomlobbyisten Gerald Hennenhöfer. In einem Strategiepapier benannte er Anfang der 1990-er Jahre Argumentationslinien, da in Deutschland das Ansehen von Atomkraft und der Neubau von AKW unter gesellschaftlichen Druck geraten waren und Entwicklungsforschung der Bevölkerung nicht mehr vermittelbar war.
Hennenhöfer war an der Spitze der Atomaufsicht zuständig für die Sicherheit deutscher Atomreaktoren und bekannt für seine mehrfachen Seitenwechsel: Atomaufsicht, Atomkonzern, Atomaufsicht. Zwischen 2009 und 2014 überwachte er wieder jene Industrie, die ihn einst bezahlte – der Lobbyist als Kontrolleur.
Die Umdefinierung der Entwicklungsforschung in Sicherheitsforschung durch Hennenhöfer fällt zeitlich zusammen mit dem Startschuss und Hype der deutsch-französischen Zusammenarbeit für den EPR. Die unter diesem Deckmantel weitergeführte deutsche Atomforschung zieht sich als zentraler roter Faden und Rechtfertigung bis heute zu den Hochrisikotechnologien der vierten AKW-Generation, wie z. B. des Flüssigsalzreaktors (MSFR) und MYRRHA, auf die weiter unten noch genauer eingegangen wird.
Drei Haupt-Akteure der Karlsruher Atomforschung
Das Joint Research Centre (JRC) Karlsruhe (vormals Institut für Transurane, ITU) ist ein Forschungsinstitut der Europäischen Kommission und angesiedelt am KIT-Campus Nord. Es beschäftigt sich u.a. mit der Atombrennstoffentwicklung, auch für Reaktoren der vierten Generation. Seine Finanzen bezieht es über die Rahmenprogramme für Forschung und technologische Entwicklung der EU beziehungsweise über die Auftragsforschung (Industrie, öffentliche Geldgeber).
Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), hervorgegangen 2009 aus der Fusion der früheren (Kern-)Forschungszentrum GmbH und der Universität Karlsruhe, umfasst neben anderen mehrere Nuklear-Institute und nuklearrelevante Versuchsanlagen. An diesen wird Material- und Reaktorforschung betrieben, ebenfalls auch für die vierte Generation. Finanziert wird es via öffentliche Hand und Auftragsforschung.
Die AREVA-Nuklearschule ANPS ist am KIT-IKET (Institut für Kern- und Energietechnik) angesiedelt. AREVA ist ein französischer Staatskonzern, der vom Uranbergbau über Brennelementefertigung bis zum Reaktorbau alle Atombereiche abdeckt. Der französische Staat musste Areva im Jahr 2017 mit 2.5 Mrd. Euro refinanzieren, um einen Konkurs zu verhindern. Anfang diesen Jahres erfolgte die Aufspaltung des Konzerns unter den Namen EDF-Framatome und Orano.
Professoren und Wissenschaftler vermitteln in den Spezialkursen der AREVA-Schule kerntechnisches Fachwissen aus verschiedenen Bereichen, v.a. des Atomreaktorbaus, auch zu dem der vierten Generation. Die AREVA GmbH finanziert bereits seit 2009 zahlreiche Doktorarbeiten und eine Honorarprofessur am KIT.
Die Kooperation zwischen KIT und AREVA „kombiniert perfekt Wissenschaft und Industrie“, man „spielt zusammen eine aktive Rolle, um die Zukunft der Atomenergie zu erschaffen“. An KIT-Instituten finden in diesem Rahmen zweijährige Studienprogramme statt u.a. zu Druckwasser-reaktoren (dazu gehört auch der EPR) und „innovativen“ Leichtwasserreaktoren der vierten Generation.[1]
Anfang März 2018 wurde durch die Anfrage eines Bündnisses von Atomgegnern bekannt, dass der Kooperationsvertrag des KIT mit der AREVA-Nuklearschule ANPS, der zum Juli 2018 ausläuft, ungewöhnlich früh und stillschweigend um weitere fünf Jahre verlängert wurde. Anders als in 2013 wurde die Öffentlichkeit über diese neuerliche Verlängerung – bis August 2023 – nicht informiert. Das Datum der Unterzeichnung wurde im Antwortschreiben des KIT nicht genannt.
Sicherheitsforschung ist immer auch Entwicklungsforschung
Von Seiten der Atombefürworter wird gerne der nukleare ´Technologieverlust in Deutschland´ ins Feld geführt und eine Notwendigkeit, von deutscher Seite die ´Sicherheit und den Fortschritt bei seinen Nachbarn bewerten´ zu können, wenn es um den Fortbestand der Atomforschung geht. Die Kehrseite der Medaille sieht allerdings so aus: Der heutige KIT-Bereichsleiter und Atomlobbyist Dr. Knebel[2] beklagte schon 2005 vor der ´Deutschen Physikalischen Gesellschaft´, dass das Know-how des deutschen Thorium-Kugelhaufenreaktors HTR mittlerweile ´in Südafrika und VR China kommerzialisiert´ wird.[3] Das bedeutet, dass Deutschland sehr wohl auf künftige Exportmärkte spekulierte.
Nicht mal für einen Toaster würde eine Vertriebsgenehmigung erteilt, wenn nicht die Herstellerfirma zuvor erfolgreiche Sicherheitstests nachweisen könnte. Erst recht braucht jede Lizensierung eines Reaktorkonzepts den Nachweis umfangreicher Sicherheitsstandards, ohne diese ist eine Markteinführung nicht möglich und Exportaufträge sind nicht ausführbar. Schon allein aus diesem Grund dient jede Sicherheitsforschung an Atomreaktorkonzepten auch der späteren Markteinführung.
Anlässlich der dritten ´Karlsruher Atomtage 2017´ der Bundestagsabgeordneten Sylvia Kotting Uhl (Bündnis 90/Die Grünen) sagte der frühere Leiter der Atomaufsicht, Prof. Wolfgang Renneberg, bei einer Podiumsdiskussion den bedeutsamen Satz: „Sicherheitsforschung ist immer auch Entwicklungsforschung“.
Auch der Atomexperte Dr. Rainer Moormann, bis 2012 als Chemiker und Reaktorexperte am Forschungszentrum Jülich tätig, traf in einem unlängst gehaltenen Vortrag folgende Feststellungen: In Deutschland würden offiziell zwar „nur noch sicherheitsgerichtete Arbeiten zur Kerntechnik gefördert“, dies sei aber eine „wenig hilfreiche Einschränkung, da sie zu weit gefasst“ sei. Wegen des extrem hohen AKW-Risikos könnten „fast alle Arbeiten zu AKWs als sicherheits-gerichtet eingeordnet werden, Entwicklungsarbeiten werden zu Sicherheitsarbeiten umdefiniert“. Als Beispiel nannte er das Forschungszentrum Jülich, das wie das KIT zur Helmholtz-Gemeinschaft gehört: Das FZ Jülich hatte die Entwicklung und Auslegung des Reaktorkerns für den südafrikanischen Thorium-Kugelhaufenreaktor durchgeführt. Dies wurde als ´Sicherheitsarbeiten´ deklariert mit dem Argument, eine fehlerhafte Auslegung könne sicherheitstechnisch schwerste Konsequenzen haben.[4]
EPR, SAMOFAR und MYRRHA unter Karlsruher Beteiligung
Allen drei nachfolgend vorgestellten Reaktorkonzepten ist gemeinsam, dass ein grosser Teil der Forschung dazu offiziell unter „Sicherheitsforschung“ deklariert war und ist. Im Fall des französischen EPR führte dies bereits zum Bau von ersten AKWs. Die angeblich „inhärente“ Sicherheit des EPR dient dabei als starkes Verkaufsargument, auch beim internationalen Kundenfang. So versuchte der französische Präsident Macron erst vor einigen Wochen, sechs EPRs nach Indien zu verkaufen, wohlwissend, dass Indien den Atomwaffensperrvertrag nicht unterschrieben hat.[5] Eine endgültige Entscheidung hierzu wird für den Herbst 2018 erwartet.
Europäischer Druckwasserreaktor (EPR): Deutsch-französische Atomforschung wird zum Exportgut
Deutschland und Frankreich brachten 1992 mit Siemens und AREVA das Design einer sogenannten dritten Generation von Atomreaktoren auf den Weg. Ein neuartiger Typ eines Druckwasserreaktors (EPR, European Pressurized Reactor), der „inhärent sicher“ sein sollte, ging in die Entwicklung. Im Jahre 2006 kündigte der französische Atomreaktorbauer AREVA eine weltweite Atom-Renaissance an, bei der AREVA dann etwa 200 EPR verkaufen wollte.[6]
Zentrales Verkaufsargument des EPR war und ist seine angeblich „inhärente“ Sicherheit. Ein wichtiger Punkt war daher die Beherrschung von Kernschmelzeunfällen, da Generation-2-Kernkraftwerke nicht über Einrichtungen zur Schadensminimierung in diesem Fall verfügen. Um das Verhalten des unfallbedingt geschmolzenen Brennstoffs, des sogenannten Coriums, besser zu verstehen, wurden eine Reihe von Forschungsprogrammen initiiert, um den Einbau so genannter Kernfänger (Core Catcher) vorzubereiten. Die Vorläuferinstitution des KIT, die (Kern-) Forschungszentrum Karlsruhe GmbH, war mit mehreren dieser EPR-Versuche befasst: [7]
So wurden zum Beispiel sogenannte ´QUENCH-Versuche´ zu EPRs durchgeführt. Hierunter versteht man das sehr schnelle Fluten und Abkühlen von überhitzten Reaktorkernen mit Wasser, um eine Kernschmelze zu verhindern.[8] Das KIT-Institut für Angewandte Materialien (IAM) verfügt über eine QUENCH-Versuchsanlage zur experimentellen Simulation des Abschreckens von überhitzten Reaktorkernen. Es finden internationale Workshops dazu statt.
Ebenfalls am IAM wird das Verhalten neuer Brennstoff-Hüllrohrlegierungen für Atombrennstäbe von AREVA und Westinghouse unter Störfallbedingungen untersucht, also bei Temperaturen weit oberhalb der Betriebstemperaturen, die zu nuklearen Unfällen führen können.[9]
Zum EPR fanden ab 2002 Tests mit Thorium- und Plutonium-Brennelementen im deutschen Kernkraftwerk Obrigheim statt. Das Projekt wurde von AREVA und dem Karlsruher Institut für Transurane geleitet (heute JRC Karlsruhe). [10]
Mittlerweile existieren EPR-Baustellen in vier Ländern. Bisher ist aber noch kein EPR im Regelbetrieb, auch nicht in China. Frankreich (Flamanville) und Finnland (Olkiluoto) kämpfen mit immensen Bauzeitverlängerungen und Kostenexplosionen, die sich auf bis zu 10,5 Mrd. Euro mehr als verdreifacht haben. In Grossbritannien steht Hinkley-Point C mit massiven staatlichen Unterstützungen noch ganz am Anfang. Ein weiterer EPR ist in Sizewell / Suffolk geplant.[11] In Flamanville häufen sich mittlerweile die Vorfälle zu Materialfehlern, defekten Schweissnähten und gefälschten Protokollen. Die französische Atomaufsicht agiert äusserst fragwürdig und genehmigte für Flamanville in bisher beispielloser Weise die Inbetriebnahme trotz defizitärer und in höchstem Masse sicherheitsrelevanter Teile. Dies kommt einem Tabubruch gleich. [12]
Die Risk and Safety Working Group (RSWG) des Generation IV International Forums (GIF) kommt zu dem Schluss, dass der Sicherheitsstandard des EPR „exzellent“ sei und als Referenz für zukünftige Reaktoren genommen werden sollte.[13]
Die deutsch-französische Freundschaft in der Atomforschung führt also dazu, dass das Atomausstiegsland Deutschland die nuklearen Exportwünsche Frankreichs – wie beim EPR bereits geschehen – ermöglicht und mit antreibt. Was kommt als Nächstes?
Das EU-Projekt SAMOFAR: Militärische Atomoptionen erwünscht
Mit SAMOFAR untersuchen elf Projekt-Partner aus Wissenschaft und Industrie, darunter KIT, JRC Karlsruhe [14],[15] und die Abteilungen für Reaktorbau der französischen Staatskonzerne EDF und AREVA (mittlerweile umbenannt in Framatome und Orano), sowie das Paul Scherrer Institut (PSI, Schweiz) die Machbarkeit eines schnellen Flüssigsalzreaktors der vierten Generation (MSFR). Offiziell geht es darum, „das innovative Sicherheitskonzept des MSFR unter Beweis zu stellen“, aber gerade hier gilt ganz besonders, dass Sicherheitsforschung nicht von Entwicklungsforschung zu trennen ist.
Der schnelle Flüssigsalzreaktor wird vorwiegend mit Thorium betrieben und erfordert Brüter- und Wiederaufarbeitungstechnologie, um das waffenfähige Uran-233 zu gewinnen. Der Brennstoff zirkuliert in flüssiger Form und über eine integrierte Wiederaufarbeitungsanlage muss im fortlaufenden Betrieb durch Isolation des Zwischenproduktes Protactinium (Pa-233) kontinuierlich Uran-233 abgezogen werden, damit die Kettenreaktion nicht zum Erliegen kommt.[16] Die Methoden wurden bereits im Labormassstab getestet. Mit Uran-233 können Atomreaktoren betrieben werden und es gilt als optimaler Atomwaffenspaltstoff. Atombomben nach dem Gun-Prinzip sind damit relativ einfach herzustellen, was dies auch für Terrororganisationen interessant machen dürfte.[17]
Zwar soll die integrierte Wiederaufarbeitungsanalage im SAMOFAR-MSFR so klein ausgelegt werden, dass die Gewinnung hochreinen Urans-233 lange dauern würde. Aber es müssen in jedem Fall zur Reaktivitätsbeherrschung pro Jahr 150 kg mit strahlendem Uran-232 verunreinigtes und daher nicht mehr optimal waffenfähiges Uran-233 aus dem MSFR entfernt werden – dies ist ausreichend für sieben Gun-Bomben. Ausserdem kann die SAMOFAR-Technologieentwicklung zur Wiederaufarbeitung und Gewinnung hochreinen Urans-233 auch für grössere Anlagen genutzt werden.
Mit Uran-238 kann der Spaltstoff Uran-233 zwar soweit verdünnt werden (Denaturierung), dass seine Waffenfähigkeit nicht mehr gegeben ist, aber im SAMOFAR-Projekt ist genau dies nicht vorgesehen.
Der Atomexperte Dr. Moormann hält die Thoriumnutzung durch die EU für „kurzsichtig, unverantwortlich und langfristig hochgefährlich“. Die Entwicklung der Thoriumnutzung konterkariere die Bemühungen um Nichtverbreitung von Atomwaffen, insbesondere in Kombination mit dem Flüssigsalzreaktor MSR. Er fordert, eine Ächtung des Thoriumkreislaufs anzustreben – ähnlich wie dies schon bei waffenfähigem Uran 235 geschieht – sofern keine Denaturierung (Verdünnung des Uran-233 mit Uran-238) erfolgt.[18]
Zudem bietet die bei Flüssigsalzreaktoren auch realisierbare kompakte Bauform die Möglichkeit, Flüssigsalzreaktoren wie andere Kleine Modulare Reaktoren (SMR) in Fabriken in Serie herzustellen. In Containergrösse dann auf Schienen, LKW oder Schiffen transportiert, ist eine Kontrolle der Uran-233-Gewinnung durch die IAEA praktisch nicht mehr möglich. Das Proliferationsrisiko steigt enorm. Künftige Terroranwendungen werden damit sehr wahrscheinlich.
Eine weitere militärische Option – neben der Atomwaffenmaterialerzeugung – zeigt sich darin, dass einige Forscher daran arbeiten, Flüssigsalzreaktoren als Antriebe für Flugzeugträger und U-Boote zu nutzen.[19] Das bedeutet, dass SAMOFAR in gleich zweifacher Hinsicht Dual-Use-Kriterien[20] erfüllt.
Generell gilt, dass die Quersubventionierung von militärischer durch zivile Atomforschung den Verteidigungshaushalt eines Landes entlastet. Ausserdem wird durch diese Verquickung ein Aufrechterhalten des Kompetenzpools von Fachkräften und der Zulieferketten erleichtert. Die militärische Seite profitiert enorm durch die Skalierungseffekte, welche die zivile Seite mit sich bringt. Gerade diese Effekte werden von der Öffentlichkeit oft unterschätzt.
Wo bleibt die Technikfolgenabschätzung des KIT in eigener Sache?
Offiziell werden bei SAMOFAR natürlich nur ´Sicherheitsaspekte´ untersucht. Allerdings beschäftigt sich die sogenannte Sicherheitsforschung des KIT zu SAMOFAR und anderen Reaktorkonzepten nur mit Technologien, die diese Reaktoren zum Laufen bringen sollen – also Entwicklungsforschung. Sie beschäftigt sich nicht mit den enormen Proliferationsrisiken und -gefahren (u.a. Terror), die solche Reaktorkonzepte überhaupt für Mensch und Umwelt darstellen. Das KIT übernimmt trotz (oder gerade wegen) seiner bundesweit einmaligen Sondersituation und extrem weitreichenden Autonomie keine Verantwortung bei seiner Reaktorforschung. Ein grundlegendes Problem, was die Ethik wissenschaftlicher Forschung angeht.
Es ist bis heute möglich, Militär- und Rüstungsforschung am KIT zu betreiben, da im KIT-Gesetz im Gegensatz zu vielen anderen Universitäten keine Zivilklausel verankert ist. Diese würde einen Verzicht von Forschung und Lehre für militärische Zwecke vorsehen. Für den Großforschungsbereich existierte zwar vor der KIT-Gründung eine Zivilklausel, diese wurde aber bei der Fusion mit der Universität Karlsruhe 2009 nicht für das gesamte KIT übernommen.
Belgien und der europäische Forschungsreaktor MYRRHA
Auch Belgien hat heute ähnlich verfilzte Strukturen in seiner Atomaufsicht wie es in Deutschland zwischen 2009 und 2014 unter dem oben bereits erwähnten Gerald Hennenhöfer der Fall war.
Schon gegen den bisherigen Leiter der belgischen Atomaufsicht (FANC) – Jan Bens – bestanden massive Zweifel an seiner unabhängigen Expertise. Fast sein gesamtes Berufsleben, von 1978 bis 2007, arbeitete er für den belgischen AKW-Betreiber Electrabel. Anschliessend ging er als Vizedirektor zur World Association of Nuclear Operators (WANO), der Dachorganisation der Betreiber von Nuklearanlagen. 2013 wechselte er schliesslich zur FANC, wo er bis April 2018 für die Aufsicht über seinen ehemaligen Arbeitgeber verantwortlich war.[21]
Sein Nachfolger ist seit Mai 2018 ausgerechnet der langjährige Mitarbeiter und ehemalige Vizedirektor des SCK-CEN Kernforschungszentrums im belgischen Mol, Frank Hardeman.[22] Das SCK-CEN ist über die Euratom-Gemeinschaft am ´Generation 4 International Forum´ (GIF) beteiligt, der belgische Reaktor MYRRHA steht auf einer Liste vorrangiger Investitionen für die EU im Rahmen des 315 Mrd. Euro umfassenden Investitionsplans der Europäischen Kommission.[23]
MYRRHA ist der weltweit erste Prototyp eines europäischen Demonstrationsreaktors, der durch einen Teilchenbeschleuniger mit sogenannten ´schnellen Neutronen´ angetrieben sein wird (ADS = Accelerator Driven System). Neben vielen weiteren Forschungseinrichtungen und Industriekonzernen sind auch hier KIT, JRC Karlsruhe, Paul Scherrer Institut (PSI) und AREVA an MYRRHA beteiligt. MYRRHA gehört zur vierten AKW-Generation und dient auch zur Entwicklung von Materialien und Brennstoffen für ebendiese vierte Generation. Ausserdem wird mit MYRRHA an ´Kleinen Modularen Reaktoren´ (SMR) gearbeitet, dabei insbesondere an Konzepten zu bleigekühlten schnellen Reaktoren (LFR).[24] Des Weiteren werden mit MYRRHA auch Technologien zu Thoriumbrennstoffen erprobt. [25] [26]
Gross herausgestellt wird bei MYRRHA der angebliche Nutzen für die Transmutationsforschung (hochradioaktiver, sehr lange strahlender Atommüll soll in weniger lange strahlenden umgewandelt werden), wobei hier wohl vor allem der Abfall der künftig angestrebten Leichtwasserreaktoren behandelt werden soll. Denn bereits vorhandener Atommüll aus bisher aktiven Reaktoren ist meist verglast oder stark verunreinigt, was die Transmutation nahezu unmöglich macht. Die Vision von P&T (Partitioning & Transmutation) soll durch die offensichtlich gewollte Ungenauigkeit bzgl. der Art und Herkunft des dafür vorgesehenen Atommülls beim Publikum verfangen: Entscheidungsträger und Bevölkerung sollen glauben, dass P&T bei bereits vorhandenem Atommüll eine gute Lösung sei und nicht bemerken, dass die Transmutation hauptsächlich bei Atommüll künftiger AKW-Generationen zum Einsatz kommen soll.
P&T verbraucht enorm viel Energie und macht energetisch, sowie vom Forschungs- und Entwicklungsaufwand her nur Sinn, wenn es als Gesamtpaket mit neuen Leichtwasserreaktoren kombiniert wird, da dann die Brennstoffe auch darauf abgestimmt sein können und relativ gereinigt zugeführt werden können. Und dieses Gesamtpaket soll erst funktionsfähig und dann zum weltweiten Exportgut gemacht werden. Das ist offensichtlich die dahinterliegende Strategie.
Ein bisher kaum beachtetes massives Problem der MYRRHA-Technologie ist die Erzeugung von Polonium-210 in grösseren Mengen: Polonium-210 entsteht durch die Verwendung des Blei-Wismut-Targets, ist eine Million mal toxischer als Zyankali und bedeutet daher ein erhebliches zusätzliches Risiko.[27]
Dem JRC Karlsruhe kommt im Rahmen von MYRRHA die Aufgabe zu, die Fähigkeit zur Brennstoffproduktion auf halb-industriellen Niveau zu demonstrieren.[28]
Die Inbetriebnahme von MYRRHA ist für 2030 anvisiert, die Finanzierung für die derzeit weiteren Bauabschnitte ist aber offenbar noch nicht in trockenen Tüchern.
Das KIT beteiligte sich u.a. letztes Jahr an einer mehrtägigen internationalen Konferenz im russischen Jekaterinburg zu „Schnellen Reaktoren und zugehörigen Brennstoffen“ – was gleichbedeutend ist mit der vierten AKW- Generation – mit insgesamt 14 Beiträgen.[29] Darunter befand sich auch ein Vortrag mehrerer KIT-Wissenschaftler, der die „Sicherheitsbeurteilung“ zu „thermo-hydraulischen Experimenten zur Unterstützung der Herstellung von MYRRHA- Brennstoff“ zum Inhalt hatte.
Im Oktober 2016 fand am KIT ein kombiniertes Projekttreffen mit über 25 internationalen Partnern zu MYRRHA statt.[30] Dabei wurden „die neuesten Forschungsergebnisse in den Bereichen Thermohydraulik, Materialforschung und Reaktorsicherheit vorgestellt und diskutiert“.
MYRRHA befindet sich auf der Kandidaten- Liste von EU-Projekten, die über den sogenannten `Juncker Plan´ (European Fund for Strategic Investments, EFSI) finanziert werden sollen.[31]
Die SCK-CEN betreibt massive Propaganda für MYRRHA und sieht die belgischen Investitionen in MYRRHA gar im Einklang mit der Europäischen 2020-Strategie für „Wachstum und Arbeitsplätze“. Angestrebt wird die „maximale Erschliessung aller binnen- und inländischen Marktoptionen”.[32] Das bedeutet, dass daraus resultierende Atomtechnologien bereits als kommende Wirtschaftsfaktoren und Exportgüter eingeplant werden.
MYRRHA als Wegbereiter von Atomwaffenmaterial
Zwischen den EU-Projekten MYRRHA und SAMOFAR gibt es deutliche Zusammenhänge, wie das KIT – Institut IKET beschreibt: Der Flüssigsalzreaktor (Molten Salt Reactor MSR) „kann auch als unterkritisches beschleunigergetriebenes System realisiert werden, das derzeit untersucht wird“ – damit ist MYRRHA gemeint.[33]
Das bedeutet letztendlich, dass mit der Realisierung der Versuchs-ADS-Anlage MYRRHA ein wichtiger Schritt hin zu Flüssigsalzreaktoren erfolgt und damit zur Erzeugung von atomwaffenfähigem Uran 233. Das damit verbundene Proliferationsrisiko in instabile Staaten oder zu Terrororganisationen ist enorm gross.
Für all diese genannten Probleme muss dringend eine Lösung gefunden werden. Ein stillschweigendes und blindes „weiter so“ birgt auf verschiedenen Ebenen hohe Risiken, die nicht hingenommen werden könen. Ein erster Schritt: Die Präzisierung der anzuwendenden Sicherheitsdefinition, wie sie der ehemalige Jülich-Physiker Dr. Moormann auf politischer Ebene für dringend erforderlich hält.[34]
Frankreichs offensive Atomstrategie
Auch wenn die EU-Kommission Frankreich nun nach neun Jahren aus dem Verfahren wegen überhöhter Staatsdefizite entlassen will – der Schuldenstand Frankreichs ist 2017 weiterhin hoch: Er kletterte auf 97 Prozent der Wirtschaftskraft. Nach den EU-Regeln sind bei diesem Wert 60 Prozent angestrebt.[35]
Frankreich deckt, als weltweit zweitgrösster Atomstromproduzent, knapp 75 Prozent seines Elektrizitätsbedarfs durch AKW und wollte nach einem Beschluss des Parlaments von 2015 die Atomkraft bis 2025 auf 50 Prozent reduzieren. Unter Präsident Emmanuel Macron wurde dieser Zeitraum bereits auf 2035 ausgedehnt. Macron zeigte sich bisher als knallharter Vertreter der Nuklearindustrie und vertritt eine offensive Atomstrategie. Was bedeutet es in diesem Zusammenhang, dass alle belgischen Kernkraftwerke letztlich vom französischen Konzern Engie betrieben werden? (Die belgische Engie Electrabel ist die 100-prozentige Tochter der französischen Engie). [36] Kürzlich eröffnete die europäische Kommission sogar ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Belgien, worin Belgien aufgefordert wird, die EU-Vorschriften über nukleare Sicherheit vollständig umzusetzen.[37]
Bei der Verleihung des Karlspreises an Präsident Macron vor wenigen Wochen in Aachen war der an ihn gerichtete Appell „Build a nuclearfree Europe“ zu lesen – dies gilt auch ganz besonders für die Atomforschung und erst recht für Deutschland, das den Atomausstieg beschlossen hat.
Es kann nicht sein, dass Deutschland sich durch Hintertüren, Tricksereien und unter dem intransparenten Schleier der Euratom-Finanzierung an atomaren Renaissance-Versuchen von Frankreich und anderen Staaten beteiligt. Was weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit mit der deutschen Unterstützung von AKW der dritten Generation (EPR) bereits möglich war, darf sich keinesfalls bei Reaktorkonzepten der vierten Generation wiederholen. Das trojanische Pferd der ´Sicherheitsforschung´ dient letztendlich dazu, weltweit atomare Export- und Rüstungsmärkte aufzubauen – sogar in Ländern, die den Atomwaffensperrvertrag nicht unterschrieben haben. Damit untergräbt diese Forschung das Vertrauen in die Politik und in die internationale Ordnung.
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