Im September 2016 reichte die Nagra beim Bundesamt für Energie Sondiergesuche für die Etappe 3 des Sachplans ein. Nun erfolgte die Auflage der Gesuche für den Standort Bözberg in den verschiedenen betroffenen Gemeinden[1].
Warum sondieren? Die Begründung der Nagra
Die Nagra schreibt hierzu:
„Zweck der erdwissenschaftlichen Untersuchungen am Standort der Sondierbohrungen Zeihen ist die Erkundung des Untergrunds im Standortgebiet JO im Hinblick auf ein mögliches Tiefenlager für radioaktive Abfälle. Das Untersuchungsprogramm in Kapitel 3, welches Bestandteil des Sondiergesuchs ist, richtet sich nach dieser Zielsetzung. Vom gleichen Bohrplatz können unter Umständen mehrere Tiefbohrungen in unterschiedliche Tiefen und in unterschiedliche Richtungen abgeteuft werden (vgl. Fig. 7.1).
Die in diesem Gesuch beantragten Untersuchungen dienen sowohl der Eichung der seismischen Messungen als auch der geologisch-hydrogeologischen Erkundung des Opalinustons und der angrenzenden Gesteinsschichten hinsichtlich einer vertieften sicherheits- und bautechnischen Beurteilung eines allfälligen Tiefenlagers.“
Das ewig wiederkehrende Problem mit Positiv-Planungen
Das Problem wiederholt sich seit Jahrzehnten: Die Atomindustrie braucht einen Standort und lässt ihr Ingenieurbüro, die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, ein Wirtgestein und ein Standortgebiet auswählen und sodann den Beweis führen, dass dieser den Anforderungen an eine Langzeitsicherheitsanalyse genügt. Die Langzeit-Sicherheit wird anhand von Annahmen und Modellberechnungen geführt, die Daten aus Felduntersuchungen verwertet. Jedes Modell kann aber so ausgelegt werden, dass ein günstiges Ergebnis resultiert. Mit diesem Vorgehen wurden schon unzählige Projekte in die Wand gefahren, in der Schweiz wie im Ausland. Das trifft sowohl für Endlagerungsprojekte für radioaktive Abfälle wie für Deponieprojekte für gefährlichen Sondermüll zu. Keines der bisher umgesetzten Endlager-Projekte hat auch nur annähernd die Voraussetzung für die sicheren Betrieb der Anlage über mehr als ein paar Jahrzehnte erfüllt – weder die Asse, noch das Endlager ERAM Morsleben noch das seit Jahrzehnten als Vorzeigeobjekt gehandelte Projekt für Transuran haltige Abfälle aus militätischen Anlagen, die „Waste Isolation Pilot Plant WIPP“. Die anderen Projekte scheiterten bereits vor der Umsetzung: erinnert wird etwa an das Endlager-Projekt im Carey-Salzbergwerks bei Lyons, Kansas, dem aufgegebenen Endlager im Tuffgestein in Yucca Mountain, Utah, oder dem gescheiterten Endlager im Savannah-River. In der Schweiz sind die Endlagerprojekte in Anhydritgesteinen, das Kristallin-Projekt oder die Endlagerprojekte in den alpinen Standorten zu nennen, allen voran der Wellenberg.
Eigentlich sollte dies ein Warnsignal für die Planer von Tiefenlagern für radioaktive Abfälle sein, nicht jedes Mal in die gleiche Falle zu tappen.
Ein gutes Standortsuchverfahren kann demnach nur als offenes Verfahren geplant werden. Als Verfahren also, das auch damit enden kann, dass der gewünschte Standortsuchprozess den Realitäten angepasst und nach neuen Wegen und Konzeptionen gesucht werden muss. Offene Verfahren haben den entscheidenden Vorteil gegenüber den erfolglosen Positivplanungen: das Vertrauen in den Suchprozess bleibt bestehen, weil der Ansatz wissenschaftlich redlich ist.
Konsequenzen für das Nagra-Gesuch: ein Aufruf!
Bei ihrem Sondierprojekt hinterfragt die Nagra die x-fach aufgelisteten kritischen Fragen nicht! Darum ist zu befürchten, dass auch dieses Suchverfahren im Rahmen des Sachplans geologische Tiefenlager genauso scheitert, wie alle vorhergegangenen Positivplanungen der Genossenschaft. Die Durchführung der durch die Nagra vorgeschlagenen Sondierbohrungen dürften dem Projekt weitere Jahre Verspätung und hohe Kosten ohne wesentlichen Kenntnisgewinn einfahren. Dies zeigen die Erfahrungen, welche die Nagra, die Sicherheitsbehörde HSK-ENSI, das Bundesamt für Energie BFE, wie auch die Autoren diese Blogs anlässlich der Projekte „Gewähr“ und „Wellenberg“ bereits hautnah erlebt haben. Soll es also gleich wie bisher weitergehen?
Die Antwort ist eindeutig: Nein. Ein weiteres Scheitern eines Projektes kann so nicht hingenommen werden. Offenbar sind die mit der Entsorgung betrauten Organe ihrer Aufgabe nicht gewachsen! Eine tiefgreifende Reform drängt sich auf, besonders in einer Situation, wo die nukleare Stromwirtschaft dramatische Zeiten erlebt. Die Zeit drängt. Als wichtigste Massnahmen sind zu nennen:
- Möglichst rasche Ausgliederung der Nagra aus der Atom- und Elektroindustrie, Aufbau einer neuen Organisation und einer anderen Unternehmens- und Sicherheitskultur;
- Grundlegende Reformen bei der Prozessführung des Sachplans, grundlegende Prüfung der Rolle der Sektion Entsorgung des BFE und der Zweckmässigkeit, dieser Sektion überhaupt eine solche Aufgabe zu übertragen;
- Grundlegende Reform bei den Aufsichtsbehörden, sowohl beim ENSI, was ihre Aufgaben und Kompetenzen betrifft, wie auch was die Aufsicht der Aufsicht angeht: eine Wiedereinführung einer Aufsichtsbehörde über das ENSI ist zwingend.
Diese Umstrukturierung bedingt auch eine Revision des Sachplans zur nuklearen Entsorgung.
Unnütz? Ein Zeitverlust? Wohl kaum! Denn mit dieser neuen Vorgehensweise wird das zur Restrukturierung notwendige Jahr bald wieder eingeholt werden.
Und: Verpassen Sie unsern nächsten Blog-Beitrag nicht!
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