Als wie ein Potemkinsches Dorf
(Bosch, Brueghel, Arcimboldo: Fantastique et merveilleux, Carrières de Lumière, Baux en Provence)
In unserem Blog-Beitrag „für die Füchs“ vom 13. März 2017 zum Standortwahlprozess haben wir das Problem der Positivplanungen dargelegt sowie den Gegensatz zwischen politischer und wissenschaftlicher Vorgehensweise ausgeleuchtet. In einem zweiten Beitrag vom 20. März folgte unsere kurze Analyse eines wissenschaftlichen Standortwahlprozesses: Wir haben darin erläutert, warum Ausschlusskriterien (Killerkriterien) vor Beginn der Untersuchungen erforderlich sind und wie ein Untersuchungsprogramm aufgebaut ist, das auf schrittweisen Erkenntnisgewinn abzielt. Im heutigen Beitrag zeigen wir auf, wie die NAGRA ihre Positivplanung aufgezogen hat und dabei grundlegende wissenschaftlich akzeptierte Vorgehensweisen für einen Standortsuchprozess in grober Art und Weise verletzt hat. Beginnen wir mit einem historischen Rückblick:
Ein kurzer Blick in die Vergangenheit
Dass die NAGRA nach dem 1978 lancierten Kristallin-Programm überhaupt wieder Sedimente untersuchte, geht auf den Druck zurück, den diverse Geologen – unter ihnen auch die beiden Autoren dieses Blogs – und geologische Kommissionen im Laufe der frühen achtziger Jahre aufgebaut hatten. Die Aufsichtsbehörde – die Hauptabteilung für die Sicherheit von Kernanlagen (HSK), in der Person des damals verantwortlichen Abteilungsleiters Ueli Niederer – folgte den mahnenden Geologen und verlangte eine Ausweitung des Standortsuchprogramms auf Sedimente. Gegen ihren Willen musste die NAGRA ihr Standortsuchprogramm anpassen und auch Sedimentgesteine wieder in ihre Planungen aufnehmen. Andernfalls wäre das Projekt „Gewähr“ von der HSK zurückgewiesen worden. 1988 publizierte die Genossenschaft ihren ersten Zwischenbericht, bei dem der Standort „Zürcher Weinland“ im Wirtgestein Opalinuston oben aufschwang. Weitere Reservestandorte für das Wirtgestein Opalinuston waren das Gebiet „Nördlich Lägern“ und „Bözberg“. Dies sollte auch weiterhin so bleiben. 2002 führte die Nagra ihren Nachweis der „Gewähr“ mit 17-jähriger Verspätung am Standort „Zürcher Weinland“ durch und beantragte beim Bund, den Standort „Zürcher Weinland“ als Endlager abzusegnen. Im Herbst 2002 versenkte die Nidwaldener Bevölkerung das Projekt für schwach- und mittelaktive Abfälle am Wellenberg. Der Bund griff ein: an eine direkte Wahl des Standortes „Zürcher Weinland“ war nicht mehr zu denken. Der Bund übernahm nun die politische Führung des Programms, führte die Gesetzesrevision durch (Kernenergiegesetzgebung) und lancierte den ‚Sachplan geologische Tiefenlager‘.
Strukturschwächen rächen sich
Eduard Kiener, Direktor des Bundesamts für Energie (BFE) bis 2000, war eine Schlüsselfigur bei den damaligen Entscheiden im Bereich der nuklearen Entsorgung. „Atom-Edi“, so sein Spitzname, wies im persönlichen Gespräch immer wieder stolz darauf hin, dass der Bund kaum Kosten für Expertisen im Bereich der nuklearen Entsorgung zu tragen hätte. Die Kehrseite dieser Politik war und ist, dass kaum Expertenwissen ausserhalb der Interessen der Atomwirtschaft gefördert und aufgebaut wurde. Der Bund blieb von der Expertise der Atomwirtschaft abhängig und machte sie sich beim Aufbau des Sachplans zu Nutze. Nicht etwa der Bund setzte die Fundamente für das Verfahren, sondern die Atomindustrie über ihre NAGRA. Diese entwarf das Planspiel und speiste es via Bundesamt für Energie (BFE) ein. Das BFE wiederum war dankbar dafür, dass ihm die Arbeit von der NAGRA abgenommen wurde. Denn für eine eigenständige Planung fehlte und fehlt dem BFE jegliche Fachkompetenz, was weit über unsere Landesgrenzen hinaus bekannt ist.
Planspiel „Sachplan“
So entwarf die Atomindustrie ihr Planspiel in drei Etappen:
Etappe 1: „Weisse Karte Schweiz“, die nun „systematisch“ auf geeignete Wirtgesteine und tektonische Konstellationen überprüft wurde mit dem Ergebnis, dass alle Standorte, die schon vor Beginn des Planspiels bekannt waren, wieder oben aufschwangen. Damit waren vor allem die drei grenznahen Gebiete nördlich des Faltenjuras im Opalinuston als Tiefenlager für hochaktive Abfälle gesetzt. Gestützt wurde die Auswahl durch eine sicherheitstechnische Überprüfung, d.h. durch Ergebnisse aus rechnerischen Modellen.
Etappe 2 diente bezüglich Einengung in erster Linie der Validierung der Standorte – mit Hilfe von provisorischen Sicherheitsanalysen – sowie der Reduktion der Standorte. Hier wurde also gerechnet, anstatt den Untergrund zu erkunden. Zudem sollten bereits die Oberflächenanlagen bestimmt und die Anordnung der Untertageanlagen skizziert werden. Im Januar 2015 liess die NAGRA die Katze aus dem Sack: die seit jeher favorisierten Standorte „Weinland“ und „Bözberg“ wurden für die Einengung (2 mal 2 Entscheid) vorgeschlagen. Die desolate finanzielle Situation der Atomindustrie hinterlässt auch hier ihre Spuren. Akzeptiert der Bundesrat diese Standorte- und alles deutet darauf hin- wird die Eignung von Standorten behördlich abgesegnet einzig und allein aufgrund von Modellrechnungen! Die Standorteignung wird also in Etappe 2 definitiv erbracht. Der Rest ist Makulatur.
Wie bereits aufgezeigt (Beitrag vom 20. März) musste die NAGRA aufgrund der Interventionen der Kantone (und anfänglich auch der Kommission für nukleare Sicherheit) mehrfach kräftig über die Bücher (seismische Untersuchungen, Oberflächenanlagen über Grundwasser, überstürzte Einengung usw.) – und dies schon in Etappe 2! Immer wieder ging wertvolle Zeit in völlig überflüssigen Abnützungskämpfen verloren. Doch an der Essenz des Sachplans – dass dieser grundsätzlich falsch aufgestellt war und in erster Linie über ein Rechnungsverfahren führte – rüttelte aber kaum jemand.
In Etappe 3, dem letzten Schritt, gilt es, „die verbleibenden Standorte vertieft zu untersuchen und die standortspezifischen geologischen Kenntnisse falls nötig“ (sic!) „mittels erdwissenschaftlichen Untersuchungen (Seismik, Bohrungen) auf einen Stand zu bringen, der im Hinblick auf die Vorbereitung der Rahmenbewilligung einen vertieften Vergleich aus sicherheitstechnischer Sicht ermöglicht.“[1] „Falls nötig“ könnten auch geologische Untersuchungen durchgeführt werden, sie sollten einen „vertieften Vergleich aus sicherheitstechnischer Sicht“ ermöglichen. An dieser Stelle bestätigt das Sachplan-Konzept, dass es nur und ausschliesslich um Rechenmodelle geht.
Rechnen und Sicherheitsanalytik statt Felduntersuchungen
So beruht das ganze Sachplanverfahren schwerpunktmässig auf dem Einsatz von Sicherheitsanalysen. Man kann auf diese Weise Standorte „gesund“ rechnen. Erdwissenschaftliche Untersuchungen dienen dann nur noch der Unterlegung dieser Modellberechnungen, weshalb auch keine Ausschluss- oder Killerkriterien benötigt werden, sondern eben nur Rechnungen, Deshalb hielt es die NAGRA bisher auch nicht für nötig,solche Ausschlussprozeduren zu definieren. Die gegenwärtig aufgelegten Gesuche um Sondierbohrungen dienen nur dem Ziel, Bohrungen ausführen zu können, deren Parameter wieder in die bereits bestehenden Modelle eingegeben werden können. Die Standorte aber sind längstens schon gesund gerechnet, das heisst der „Beweis“ für die Eignung der Standorte ist mit diesen Rechenmodellen längstens erbracht. Dazu braucht es nicht einmal mehr die Bestätigung durch die Aktennotiz AN11-711 der NAGRA, was das gesamte Planspiel ebenfalls demaskiert.
Das ABC des Scheiterns
Dass der Sachplan zunehmend Züge einer potemkinschen Maskerade trägt, hängt auch damit zusammen, dass die Planspiel-Schwindeleien im Laufe der Jahre durch Ritzen und Fugen des Konzepts und seiner Umsetzung durchscheinen. Dass das Bundesamt für Energie als Regisseurin dieses Spiels nie kenntlich machte, dass die NAGRA das eigentliche Hirn und die Autorin hinter den technisch-wissenschaftlichen Teilen des Sachplans darstellte, schadet sowohl dem Konzept wie auch der Glaubwürdigkeit des Prozesses.
Inzwischen mehren sich die Unzulänglichkeiten auch im Ablauf des Verfahrens: Der selbstgemachte Zeitdruck, der eng mit den bisherigen Planungen für neue Ersatzkernkraftwerke zusammenhing oder auf Erwartungen künftiger Nuklearentwicklungen fusst, führt zu Fehlern- nicht allein in den Planungsabläufen und den Umsetzungszeitplänen. Mit der knapper werdenden Zeit beginnen die NAGRA und die im System involvierten Administrationen Etappen zu überspringen – brûler les étapes, wie dies in der französischen Sprache heisst. Die Planungen werden dadurch chaotisch und unglaubwürdig: Bohrstandorte werden festgelegt, bevor die Seismik ausgewertet ist; die 2D-Seismik-Linien müssen unter Hauruck-Bedingungen ergänzt werden, weil die NAGRA mit einem Minimalprogramm über die Runden kommen wollte; Abstriche am Programm, wie das vorgesehene Fallenlassen des Standorts „Nördlich Lägern“ müssen auf Druck der Kantone und sekundiert durch das ENSI rückgängig gemacht werden; und und und … Aber alle versuchten Abstriche, jede beabsichtigte Zeitstauchung, alle Tricks mit „stufengerechten“ Einteilungen und dem Abschieben von Aufgaben in die Zukunft, wie etwa bei der Lagerplanung oder den Risikoanalysen über alle Betriebsphasen des Tiefenlagers, haben dazu geführt, dass sich die Schwierigkeiten mehrten und so das Sachplanprojekt dem Scheitern näher bringen. Dies sollte auch Frau Bundesrätin Leuthard und Herr Bundeskanzler Thurnherr als oberste Sachverwalter dieses Programms zu denken geben: Das Sachplanverfahren ist nicht nur vom Gleis gekommen (Rücktritts-Schreiben M. Buser aus der Kommission nukleare Sicherheit KNS und Antwort UVEK-Chef), dem ganzem Atomprogramm geht die Luft aus.
Wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung hat eine Bundesadministration mit ihren Behörden und Expertengruppen, die sich brav und fügsam den Interessen der Atomindustrie untergeordnet haben und dem vorgezeichneten Weg des Planspiels folgen, statt zu tun, was die Aufgabe jeder Sicherheitsbehörde und jeder Expertenkommission sein sollte: das eigenständige Denken zu pflegen, das Überprüfen von Fakten sicherzustellen, die strukturierte Analyse des Vorgehens vorzunehmen und falls nötig die Zurückweisung von Projekten zu garantieren. Dass niemand in diesen Administrationen auf die Idee kam oder sie zu äussern wagte, dass Atomindustrie und NAGRA die Fäden in dieser Angelegenheit zogen und ziehen, ist ein schlechter Qualitätsausweis für die Aufsicht. Dasselbe gilt auch für die internationale Atomenergie-Agentur (IAEA), welche das Vieraugenprinzip der Aufsicht in der Schweiz durchlöcherte und es abzuschaffen half („Ensi ohne wirkliche Aufsicht“, Beitrag vom 30. Januar 2017, https://www.nuclearwaste.info/ensi-ohne-wirkliche-aufsicht-teil-3/).
Damit sind wir dort angelangt, wo schon alle Projekte landeten, die gesundgerechnet und –gebetet wurden und scheiterten aufgrund der realen Entwicklungen : Asse (SMA-Vorzeige-Endlager Niedersachsen) Bonfol (ehemals Vorzeige-Sondermülldeponie Kanton Jura) Carey-Mine in Lyons Kansas (ehemals Vorzeige-Projekt HAA-Endlager der amerikanischen Atomenergie-Kommission AEC) … das ABC der Misserfolge ist lang. Dass sich dieses Scheitern immer wiederholt, hat seine Logik. Wir zeigen im nächsten Beitrag auf, wie diese funktioniert.
Kommentar verfassen