Foto: Regierungsgebäude Aarau (https://www.sehenswertes.ch/sehenswertes/Schweiz/staedte/Aarau/Regierungsgebaeude/Regierungsgeb%C3%A4ude.html)
Stellungnahme zur Etappe 2 des Sachplans geologische Tiefenlager: Eine unglaubwürdige Abwehr der Aargauer Regierung
„Der Aargauer Regierungsrat hat seine Ablehnung eines Atommüll-Tiefenlagers auf dem Kantonsgebiet bekräftigt“ titelte die Aargauer Zeitung am 5. April 2018. [1] „Er will jedoch beim weiteren Verfahren konstruktiv mitarbeiten“, namentlich in Zusammenhang mit dem Standort „Bözberg“. „Man trage schon heute hohe Lasten für die ganze Schweiz, wie die Stromproduktion aus Kernkraftwerken oder die sehr hohe Verkehrsbelastung auf Strasse und Schiene“, wird der Regierungsrat im Artikel weiter zitiert, dem Kanton könne darum eine weitere Belastung „nicht zugemutet werden“. Haben wir diese Argumente in der Vergangenheit nicht auch schon gehört?
Früher war noch alles anders
Noch vor wenigen Jahrzehnten tönte es aus dem offiziellen Aargau noch ganz anders. Landammann Bruno Hunziker, der markante FDP-Politiker und Förderer der Kernenergie, und sein Regierungsrats-Kollege Jörg Ursprung protestierten in der Mitte der siebziger Jahre lautstark gegen den Beschluss des Bundesrats, die Flusswasserkühlung für Kernkraftwerke „bis auf weiteres nicht mehr“ zu gestatten.[2] Der Aargau wollte nämlich damals zur nuklearen Hochburg der Schweiz aufsteigen, mit den Kernkraftwerken Beznau (2 Reaktoren), Leibstadt und Kaiseraugst (je ein Reaktor) sowie den Forschungseinrichtungen am Eidgenössischen Institut für Reaktorforschung (EIR) und dem Schweizerischen Institut für Nuklearforschung, welche 1988 zum Paul-Scherrer-Institut fusionieren sollten.[3] In den 1990er Jahren kam dann noch das zentrale Zwischenlager ZWILAG in Würenlingen dazu.[4]
Kanton und Stromwirtschaft setzten sich zur damaligen Zeit aber nicht nur für den raschen nuklearen Ausbau ein, sondern auch konsequenterweise für die Beseitigung der produzierten atomaren Abfälle, in erster Linie der schwach- und mittelaktiven Abfälle. 1976, noch kurz vor seinem Abgang als Regierungsrat, liess Hunziker den aargauischen Grossen Rat etwa wissen, im Aargau „für alle bestehenden und künftigen Reaktoranlagen eine zentrale Atommülldeponie zu errichten“.[5] Hunziker, der den Aargau ab 1977 im Nationalrat und später im Ständerat vertrat, im Verwaltungsrat der Kernkraftwerk Kaiseraugst AG sass und als Direktor der Motor-Columbus wirkte[6], setzte sich an allen Fronten konsequent für die Nuklearisierung seines Kantons ein.
Der Widerstand gegen atomare Endlager
Der Widerstand gegen atomare Endlager im Aargau begann in den frühen siebziger Jahren an den verschiedenen Standorten mit Anhydritgesteinen.[7] Nach 1978 und den veränderten vertraglichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen[8] war der Aargau wiederum Mittelpunkt der Debatte um das Standortsuchprogramm für Endlager im kristallinen Grundgebirge. [9] Widerstand gab es aber auch diesmal im Wesentlichen nur seitens der betroffenen Standortgemeinden. Die offiziellen Kreise standen konsequent hinter allen nuklearen Projekten. Selbst aus der sozialdemokratischen Ecke gab es Unterstützung, stand man in gewissen Regionen des Kantons doch „mit der Kernenergie auf Du und Du.“ [10] Nur an den konkreten Standorten für Probebohrungen „bockte“ die Bevölkerung. [11] Die Stromwirtschaft und ihre Nagra, wie auch die offiziellen Vertreter in der Politik und Verwaltung beklagten die Haltung der Atomgegner an den Standorten und hielten ihnen St-Florianspolitik vor. Und die Aargauer Regierung brachte am 10. November 1980 in einem Brief an den Solothurner Regierungsrat ihr „Befremden“ über die solothurnische Vernehmlassung zu den Nagra-Probebohrungen zum Ausdruck: „Der Aargauische Regierungsrat erwartet, dass die Solothurner Kollegen seine Auffassung teilen, wonach insbesondere die sachgerechte Lösung schwieriger Probleme allseits der Bereitschaft zu freundeidgenössischer Solidarität bedarf.“[12]
Sankt Florian ist beim Regierungsrat Aargau angekommen
Inzwischen scheint allerdings Sankt Florian auch beim Aargauer Regierungsrat angekommen zu sein. Mit denselben Argumenten, wie sie seinerzeit den Gegnern vorgehalten wurden, stellt sich nun der Regierungsrat des Kantons Aargau radikal gegen ein Tiefenlager für radioaktive Abfälle auf Kantonsgebiet auf. Der Kanton sei schon genug vorbelastet. Als ob das nicht auch andere Kantone von sich behaupten könnten. Es ist auch eigenartig, dass gerade ein Atomkanton wie der Aargau mit seiner kernenergiefreundlichen Regierung und Administration sich nun so radikal gegen ein Tiefenlager positioniert. Jahrzehntelang hat er von den Kernkraftwerken, seiner Energie und vor allem von den jährlichen Gewinnen der Stromwirtschaft profitiert. Nun, da es den Kanton mit einem Tiefenlager tatsächlich treffen könnte, baut seine oberste Exekutive ein eigenartiges und sachlich kaum nachvollziehbares Abwehrkonstrukt auf, das darauf beruht, die „höchstmögliche Sicherheit“ zu verlangen, dieser „oberste und absolute Priorität“ einzuräumen, eine konstruktive Mitarbeit im Standortwahlverfahren anzubieten, aber gleichzeitig ein geologisches Tiefenlager grundsätzlich abzulehnen.[13]
Schweigen zu Ausschlusskriterien und neuen AKW’s
Diese Haltung ist aus verschiedenen Gründen kaum nachvollziehbar. Man wundert sich, wie eine kernenergiefreundliche Regierung nun ebenfalls mit dem gleichen Nimby-Argumentarium (Not In My own BackYard) das Endlager seinem zürcherischen Nachbarn zuschiebt. Und dies, obschon es in den Sternen steht, ob sich überhaupt einer der drei verbleibenden Standortgebiete des Sachplans eignen wird. Aber diese grundlegende Frage zu stellen, wagt der Regierungsrat des Kantons Aargau nicht. Dabei wäre es aus der sicherheitstechnischen Betrachtungsweise ein Muss, diese Frage zu stellen, für Etappe 3 verbindliche Ausschlusskriterien für die Eignung der Standortgebiete zu fordern und den politischen Prozess so lange zu blockieren, bis die verantwortlichen Institutionen beim Bund dieser Forderung entsprechen. Der Regierungsrat des Kantons Aargau wäre gut beraten, dies zu tun, denn die Verhältnisse im Untergrund – mit Störzonen, Jurafalten, Thermalwässer, Abscherungshorizonten im Opalinuston im Bözberg, Permokarbontrog im Untergrund und weiteren Unsicherheiten – sehen sowohl für den „Bözberg“ wie auch dem aargauischen Teil des Gebiets „Nördlich Lägern“ alles andere als erfolgsversprechend aus. Dies ist der Ansatz, sich konstruktiv ins Geschehen einzubringen, und nicht mit faulen Argumenten der „Lastenbürde und -verteilung“ auf Stimmenfang zu gehen. Eine glaubwürdige konstruktive Teilnahme an einem Standortsuchverfahren sieht anders aus.
Noch irritierender ist, dass die Aargauer Regierung die Wiederinbetriebnahme des Reaktors Beznau I unter diesen Voraussetzungen zulässt. Wer sich derart radikal gegen geologische Tiefenlager ausspricht, sollte à priori konsequent sein, und seine Kernkraftwerke stilllegen! Und nicht nur dies: dasselbe hätte ja auch für atomaren Ersatzkraftwerke der Zukunft gelten müssen, etwa dem Projekt des Europäischen Druckwasserreaktors EPR, der auch am Standort Beznau noch vor einem Jahrzehnt vorgesehen war. Aber auch in diesem Fall sprach sich die Aargauer Regierung nicht gegen diese Projekte aus. Wenn also etwas von einer politischen Behörde gefordert werden darf, dann ist es eine glaubwürdige Haltung in einem Hochrisikoprojekt wie jenem der nuklearen Entsorgung. Politiker, Parteien und Bevölkerung des Kantons täten darum gut daran, von ihrer Regierung eine kohärente und glaubwürdige Entsorgungspolitik einzufordern.
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