Blicken wir auf die Vergangenheit zurück, offenbart sich – wie schon in den letzten Beiträgen kurz aufgezeigt – ein erschreckendes Mass an planerischen Schwachstellen, strategischen Fehlleistungen und Fehlbeurteilungen bei der konkreten Bewertung von Risiken durch das Einbringen hochtoxischer Stoffe in die Umwelt. Weltweit haben die Abfall verursachenden Industrien und Behörden dabei versagt, als es darum ging, nachhaltige Strategien für den Umgang mit diesen gefährlichen Produkten und Stoffen zu entwickeln und umzusetzen. In der Konsequenz hat sich in den letzten über 100 Jahren ein weltweit umspannender Flickenteppich von toxischen „Dépôts“ kumuliert, sowohl auf dem Festland wie unter Wasser, der nun über die nächsten Generationen der „Sanierung“ harrt. Dass es überhaupt soweit kommen konnte, dass ein paar Generationen wie in einem Schweinestall gewirtschaftet haben und ihren Nachfahren den ganzen Dreck hinterlassen, muss als unverständlich und hochgradig unethisch bezeichnet werden.

Nicht besser war der Umgang der industrialisierten Gesellschaften mit den Rückständen aus der Kernenergie oder kerntechnischer Applikationen. Seit bald 75 Jahren fallen namhafte Mengen an radioaktiven Stoffen an, ohne dass sich auch nur eine der anvisierten oder umgesetzten Lösungen als nachhaltig erwiesen hätte. An allen diesen Zwischenlager-, Lager-, Endlager- oder Deponieprojekten für radioaktive Abfälle haben unzählige Fachleute offizieller Institutionen und Organisationen teilgenommen. Geologen, Chemiker, Physiker, Ingenieure und viele andere wissenschaftlichen Disziplinen waren daran beteiligt. Oft wurde von aussen Kritik in diese Projekte hinein getragen, meistens von universitären Fachleuten, welche im Schutz ihrer Institutionen und unter dem Siegel der Wissenschaftlichkeit Korrekturen an den Programmen anbringen konnten. Die Wirkung dieser Kritik verpuffte leider meistens schnell und die offiziell mit den Projekten betrauten Institutionen verfolgten den einmal vorgezeichneten Weg unbeirrt weiter. Bis zum vorhersehbaren und oft vorhergesagten Bruch, der einem jeden Umdenken und Lernen bei den zuständigen Industrien und Behörden vorherging.
Nach jedem abgestürzten Projekt schworen die Verantwortlichen in den Chefetagen oder in den Direktionen der Administrationen Besserung und die Organisationen wurden in der Folge umgekrempelt, restrukturiert oder ausgebaut. Meistens nur mit geringfügigem Erfolg. Denn die Verantwortlichen in diesen Institutionen konnten oder wollten die Zielsetzung und Inhalte der Programme meistens nicht wirklich hinterfragen.
Eine tiefgreifende Analyse der Schwachstellen mit den entsprechenden Korrekturprogrammen und Konsequenzen – das, was man früher mit Fehler- und heute mit Sicherheitskultur umschreibt – blieb in der Regel aus. Nur in seltenen Fällen haben staatliche Instanzen die Verantwortlichen für die Fehlbeurteilungen zur Rechenschaft gezogen. Denn für solche Fälle sind systemisch keine Sanktionen vorgesehen. Ganz im Gegenteil: Fehlleistungen wurden durch die staatlichen Auftraggeber gedeckt und die Handlungen rechtfertigt, ob diese nun im Namen der Industrie oder von staatlichen Behörden erfolgten. Obschon die zuständigen Institutionen ihren gefallenen „Engeln“ keinen goldenen Fallschirm ausbreiteten, wie in der Finanzbranche üblich, sorgten sie zumindest dafür, dass diese unbehelligt blieben und dass das System weiterkutschieren konnte wie bisher. Fehler- und Sicherheitskultur wurden nicht gelebt. Die Information wurde zunehmend Informationsabteilungen und der PR-Branche überlassen, welche den Erfolg der Programme laufend schönte. Auf eine Kurzformel gebracht: Die schwatzen die Probleme mit viel Blabla schon schön. Eine bequeme Arbeitsteilung.
Wer dies nicht glauben will, nehme zur Kenntnis, dass es bisher weltweit kein einziges Projekt für die End- oder Tiefenlagerung von radioaktiven Abfällen gibt, das erfolgreich umgesetzt werden konnte. Letztes in der langen Liste der Projektmisserfolge: das über anderthalb Jahrzehnte als „Leuchtturmprojekt“ gehandelte Projekt „Waste Isolation Pilot Plant WIPP“ bei Carlsbad in der Wüste von New Mexico gelegen, von dem sich heute auch schon die ersten „Lobsänger“ der Vergangenheit distanzieren. Der gesamte in 70 Jahren Kernenergienutzung angehäufte Abfall lagert entweder in Zwischenlagern oder wurde in unkontrollierter Art und Weise auf Kosten der Zukunft gekippt, vergraben oder versenkt. Man stelle sich vor: einer Industrie gelingt es, ihre Pflicht zur nachhaltigen Entsorgung über Jahrzehnte vor sich herzuschieben und die Sicherheit in erster Linie in Berichts- und Papierbergen zu hinterlegen. Mit Billigung der für Sicherheit und Kontrolle zuständigen Behörden. Und nur dem Zweck verpflichtet, der Zukunft die Kernenergie zu erhalten. Mit Sachzwängen, die es unmöglich machen sollten, aus dem atomaren System herauszufinden. Atomare Sachzwänge, die mehrheitlich unter freiem Himmel lagern und der auf diese Weise künftigen Generationen übergeben werden.
Die politischen Systeme und ihre Verantwortlichen haben sich mit dieser Realität arrangiert. Der nukleare Produktionskomplex steht. Kaum jemand in den Institutionen traut sich, trotz der horrenden Risiken und Kosten, das Ende des atomaren Abenteuers anzusprechen. Man schweigt und schiebt die Sachzwänge weiter in die Zukunft. Auch die Wissenschaft schweigt mehrheitlich zu dieser skandalösen Entwicklung, obschon sie an vorderster Front an der Schaffung der Probleme beteiligt war. Die heute für diese Erblast Verantwortlichen schieben die Probleme einfach ungelöst weiter in die Zukunft und träumen von einer nuklearen Zukunft, derweil die erneuerbaren Energien weltweit ihren Siegeszug fortsetzen, wie ein Blick auf die weltweit getätigten Investitionen für Erneuerbare zeigt. Zur Verantwortung für dieses Debakel wird niemand gezogen, obschon sich die Folgen nicht mehr weg diskutieren lassen. Der Ausbau der Produktionsanlagen? Die Kosten von Rückbau und Entsorgung? Die Zeitpläne für die Realisierung der Endlager? Der Erfolg von Endlagerprojekten? Wo auch nur hingesehen wird: die Schwierigkeiten mehren sich. Und die von der Kernenergieindustrie und ihren Vertretern vielfach ankündigten „Wenden“ und „Renaissancen“ lassen alle auf sich warten. Technisch hochkomplex und mit weiteren Problemen behaftet. Unrealistisch. Zu teuer. Mangelhaft geplant und ausgeführt.
Eine Konsequenz drängt sich bei diesem System der Unverantwortlichkeit allerdings unweigerlich schon heute auf. Es besteht ein offensichtlicher Mangel an der Umsetzung ethischer Prinzipien im Alltag von Wissenschaftlern, Behördenmitgliedern oder Managern von Unternehmen. So weitermachen kann man nicht. Die betrifft nicht nur die Institutionen und die darin wirkenden Handlungsträger. Angesprochen sind auch die Wissenschaft und die Wissenschaftler, die in einer Institution arbeiten und wirken. Hier ist Verantwortung und damit persönliches Engagement gefragt, und nicht ein Abschieben derselben auf die heutigen Entscheidungsträger innerhalb der bestehenden Institutionen. Mehr Mut tut not. Bequemlichkeit gehört auf Sofa und Divan und auf den Feierabend verbannt. Wissenschaft und Wissenschaftler haben in der heutigen Welt eine politische Verantwortung, der sie sich nicht entziehen können. Diese Verantwortung wahrzunehmen und den Schwätzern in den Public-Relations-Agenturen und erfolgshungrigen Managern in Institutionen zu entziehen gehört zu den dringendsten Aufgaben, welche Wissenschaft und Wissenschaftler zu leisten haben.
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