Ausgangslage
Am 30. Januar 2015 gab die Nagra die Einengung von den sechs in Etappe 1 des Sachplans Geologische Tiefenlager definierten möglichen Standorten auf die beiden seit der Publikation der Aktennotiz 11-711 in der Sonntagszeitung vom 7. Oktober 2012 im Vordergrund stehenden Standorte Bözberg und Weinland in Etappe 2 bekannt. Im September 2015 verlangte das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) dann eine ergänzende Dokumentation[1], namentlich zur Erklärung des Ausscheidens des Standorts Lägern Nord, bzw. der Einschränkung der maximalen Lagertiefe auf 800 m. Auch die betroffenen Kantone stellten in ihrem Bericht vom 8. Februar 2008[2] fest, dass der Einengungsentscheid der Nagra nicht genügend belastbar und die Auswahl der beiden Standorte zu früh erfolgt sei. Im August 2016 stellte die Nagra die ergänzende Dokumentation in einem Bericht dar[3] (Nagra Arbeitsbericht NAB 16-41).
Schon im Technischen Bericht NTB 14-01 hatte die Nagra (2014) vorgeschlagen, in welcher Weise in der abschliessenden Etappe 3 des Sachplanverfahrens die Standorte weiter zu untersuchen seien. Wir haben diesen Sachverhalt in unserem Blog vom 2. Mai 2016[4] bereits dargestellt. Mit dem vorliegenden Beitrag möchten wir nochmals darauf zurückkommen, und namentlich auf die Funktion derjenigen Wissenschaftler in diesem Auswahlprozess eingehen, welche wohl die grösste Verantwortung bei der Festlegung der Lagerstandorte tragen: die Geologen.
Geologie der Nordostschweiz in 3 Stockwerken
Im Vergleich zu andern, v.a. zu alpinen Regionen der Schweiz, wurde die Geologie der Nordostschweiz, östlich des Querschnitts Basel-Olten und bis an den Bodensee immer als einfach beschrieben. Das war einmal! In den letzten Jahrzehnten hat sich dieses Weltbild grundlegend geändert Nur haben das noch nicht alle Geologen in ihre Vorstellungen des Aufbaus des Tiefuntergrundes integriert. Hier eine Kurzbeschreibung des aufdatierten Sachverhalts:
Die geologischen Elemente der Nordostschweiz entstanden im Verlauf der Erdgeschichte während den zwei letzten Zyklen von Gebirgsbildungen (Orogenesen): während dem sogenannten „herzynischen Zyklus“, vor etwa 420 bis 300 Millionen Jahren (und einer Auslaufzeit bis 250 Millionen Jahren) und dem „alpinen Zyklus“, ab 250 Millionen Jahren, der auch heute noch nicht abgeschlossen ist. Ihre hügelige Morphologie und der Verlauf der Flusstäler wurden in den letzten 2 Millionen Jahren durch die Wirkung der Gletscher bestimmt.
Die Hauptelemente der Geologie der Nordostschweiz können entsprechend in zwei Stockwerke unterteilt werden. Dazu gesellt sich während Eiszeiten ein drittes Stockwerk: die Gletscher.
Das „Untere Stockwerk“ (Figur 1) wurde früher als „Grundgebirge“ bezeichnet, ein etwas unglücklicher, aber aus der Zeit gesehen durchaus verständlicher Begriff. Das Stockwerk besteht aus den nach der Erosion verbliebenen Resten der erwähnten herzynischen Gebirge. Die dominierenden Gesteinsformationen sind kristalliner Art, v.a. Granite, Gneise, und Schiefer. Die Gebirgszüge verliefen in Ost-West Richtung. Am Ende der Gebirgsbildung waren die Bergzüge und Täler mit Equiseten- („Katzenschwänze“) und Farnwäldern überwachsen. Die Gebirge wuchsen nicht mehr weiter, sondern wurden durch grosse Scherbewegungen auseinander gerissen. Dabei senkten sich einige wenige Kilometer breite und mehrere Zehner von Kilometern lange Becken in der Erdkruste ein. Darin lagerten sich die laufend durch Erosion abgetragenen tonigen, sandigen Sedimenten mit Geröllen ab. Auch Baumstämme, Zweige, Baumwedel und andere Pflanzenreste wurden in den absinkenden Senken in Totflussarmen und Teichen abgelagert und wandelten sich allmählich zu Kohle um. Am Ende dieses Auffüllungsprozesses, als das Gelände wieder weitgehend eingeebnet war, überschütteten Flüsse bei unterdessen wüstenartigem Klima die Szene mit Sand und Kies.
Die in die Gneise und Granite eingetieften Becken mit ihrer Sedimentfüllung, die Kohleflöze und unterdessen vermutlich auch andere nutzbare Rohstoffe wie Gasvorkommen enthalten, werden als „Permokarbon-Becken“ bezeichnet. Ein solches Becken, der sogenannte „Permokarbon- Trog“ im Untersuchungsgebiet der Nagra verläuft in der Nordostschweiz unter dem Faltenjura und dem südlichen Teil des Tafeljuras (Figur 2). Nahe Schaffhausen verzweigt es sich in einen südlichen und vermutlich einen nördlichen Ast; dazwischen liegt der aus Granit bestehende Horst von Benken (Figur 3). Der Trog war in den 1960-er Jahren anlässlich der Erdölprospektion entdeckt worden (zur Geschichte der Entdeckung siehe auch Buser & Wildi, 1984). Erstmals angebohrt wurden die Kohlenschichten aber erst im Jahr 1983 in Weiach (Nagra 1986) und die jüngeren Sedimente der Permzeit in Riniken. Zu einer gründlicheren Untersuchung dieser Schichten kam es nicht. Einzig in Weiach wurde in den Jahren 2000 und 2004 wieder gebohrt. Allerdings wurden die Gesteine wegen technischer Schwierigkeiten nicht auf ihre Ergiebigkeit an Gas getestet. Ein NZZ-Artikel vom 2. April 2004 erzählt hierzu aber sehr Interessantes[5]:
„hhö. Im Herbst 2000 wurde die Erdgasbohrung in der Kiesgrube von Weiach wegen technischer Probleme überraschend abgebrochen. Das aus der Seag (Aktiengesellschaft für schweizerisches Erdöl) und der Forest Oil Corporation (USA) bestehende Konsortium stiess bei der Bohrung nicht auf das erhoffte Erdgas, sondern traf nur auf stark salzhaltiges Heisswasser. Damals war eine Bohrtiefe von 2014 Metern im Kristallin erreicht. Nun ist die Explorationsbohrung mit Hilfe eines 30 Meter hohen Turms wieder aufgenommen worden. . . . . Bei der Bohrung vor dreieinhalb Jahren stiess man in 1200 Metern Tiefe auf eine rund 40 Meter starke, abbaubare Kohleschicht, ein sogenanntes Flöz. Laut den Fachleuten ist die Kohle von guter Qualität. Wo Kohle ist, werde oft auch Erdgas oder Erdöl gefunden. Es wird vermutet, dass sich das gesuchte Erdgas nicht in sehr grosser Tiefe befindet . . .“.
Dazu ist zu ergänzen, dass in den Kohleminen des Ruhrgebietes im 20. Jahrhundert meist Kohleflöze von 1 bis 3 m Mächtigkeit bis in eine Tiefe von 3’000 m abgebaut wurden. Im Permokarbon-Trog von Weiach liegt also sehr wohl ein interessantes und abbauwürdiges, bzw. zur Ausgasung nutzbares Kohleflöz vor.
Die Kenntnisse des Permokarbon-Troges wurden durch die Nagra anhand geophysikalischer Daten, namentlich seismischer Profilen und Schweremessungen ergänzt. Diese Daten zeigen (z.B. Nagra 2014 b, fig. 6.2) ein langgestrecktes, Ost-West orientiertes Becken mit zwei besonders tief eingesenkten Bereichen, wo die Sedimentmächtigkeit bis zu etwa 2’600 m erreichen kann: Füglich Platz und Gelegenheiten für weitere Kohle- und Gasvorkommen. Solche Vorkommen können aber durch geophysikalische Methoden nicht schlüssig nachgewiesen werden. Hierzu sind Sondierbohrungen notwendig. Früher oder später, in Jahren oder Jahrzehnten, wird diese Erkundung sicher auch geschehen und werden dabei entdeckte interessante Vorkommen sicher auch genutzt werden.
Die Beckenränder sind durch zahlreiche tektonische Brüche gekennzeichnet und Karten der Erdwärme weisen auf interessante geothermische Prospekte hin, wie die das heisse Wasser aus der Bohrung im Jahr 2000 zeigt. Während der späteren Auffaltung der Juraketten wurden die tektonischen Brüche zumindest am Nordrand des Troges wieder aktiv und pausen sich heute bis an die Oberfläche durch (Nagra 2014 a; siehe auch Erdbeben vom 27.3.2014[6]).
Fügt man zu diesen Erkenntnissen all die geologische Information hinzu, welche man im Schwarzwald in diesem „Grundgebirge“ beobachten kann, so ergibt sich für das „Untere Stockwerk“ eine ebenso komplexe Geologie wie für viele Gebiete in den Alpen. Ausserdem weist dieses Stockwerk ein grosses Potential für Georessourcen auf.
Das „Obere Stockwerk“ besteht aus den im Juragebirge sichtbaren Sedimentschichten des Erdmittelalters (Trias- und Jurazeit) und der Tertiärzeit. Es handelt sich v.a. um Meeresablagerungen, mit Salz-, Ton-, Mergel- und Kalkgesteinen des Erdmittelalters, sowie aus kontinentalen Fluss- und Schwemmebenen-Ablagerungen aus der Zeit des späten Miozäns (um 12 bis 10 Millionen Jahre). Gewisse Gesteinsformationen sind über dem Permokarbon-Trog mächtiger, als weiter südlich oder nördlich, was auf ein weiteres Absinken des Troges während dem Erdmittelalter hinweist.
Am Ende der Alpenfaltung, in der Zeit vor 10 bis 5 Millionen Jahren, schoben die Alpen den Sedimentstapel von Süden nach Norden in Richtung Europa zusammen; die Gesteinsschichten zerbrachen und wurden übereinander geschoben. So entstand der Falten- oder Kettenjura. Einzig die Gesteine im Norden dieser Bergketten, im sogenannten Tafeljura, und insbesondere jene östlich der Lägernkette, dem Endpunkt oder Scharnier der Jurafalten, blieben von dieser Auffaltung weitgehend verschont. Diese Erkenntnis entspricht der sogenannten „Fernschubhypothese“, publiziert im Jahr 1961 durch den Basler Geologie Professor H.P. Laubscher (Laubscher 1961, 1962).
Das geologisch eher einfach gebaute „Obere Stockwerk“ prägt auch heute noch das geologische Bild der Nordschweiz vieler Geologen. Sie haben wohl die Fernschubhypothese aus dem Jahr 1961, nicht aber die viel komplexere Geschichte des „Unteren Stockwerks“, aus den Jahren ab 1983 in ihre Denkensweise integriert.
Das durch die Nagra untersuchte Wirtsgestein Opalinustons befindet sich in diesem „Oberen „Stockwerk“.
Das oberste Stockwerk, das„Gletscher-Stockwerk“, ist nur sporadisch vorhanden, nämlich durch die während Kaltzeiten eingetieften Talungen in den darunter liegenden Gesteinen und durch Gletscher und Flüsse abgelagerten quartären Gesteinen. Im Verlauf der vergangenen 2 Millionen Jahre ereigneten sich mehrere Kaltperioden. Die vier grossen Stadien der alpinen Vereisungen, Günz, Mindel, Riss und Würm genannt, werden heute den letzten ca. 800’000 Jahren zugeschrieben. Wie wir bereits in unseren Blog Beiträgen vom 20.3. 2015, 27.3.2015, 3.4. und 10.4.2015 ausgeführt haben[7], sind Gletscher die wichtigsten Akteure, wenn es um die Abtragung grosser Gesteinsmächtigkeiten in den Alpen und im Alpenvorland, oder um die Ausgrabung eines geologischen Tiefenlagers geht (Figur 4). Heute leben wir in einer Zwischeneiszeit, aber die nächste Eiszeit kommt sicher.
Fortsetzung folgt!
Referenzen
BFE 2008: Sachplan geologische Tiefenlager, Konzeptteil. Bundesamt für Energie, Bern.
Buser, M. & Wildi, W. 1984: Das „Gewähr“-Fiasko. Schweiz. Energiestiftung, Zürich, 46 S.
Buser, M. 2014: „Hüten“ versus „Endlagern“: Eine Standortbestimmung 2014 zuhanden Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorat, 10.08.2016, siehe https://www.ensi.ch/de/wp-content/uploads/sites/2/2014/09/hueten_vs_endlagern_2014-ensi_marcos_buser.pdf
ENSI (2015a): Nachforderung zum Indikator „Tiefenlage im Hinblick auf bautechnische Machbarkeit“ in Etappe 2 SGT. Aktennotiz 33/476. Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI, Brugg.
Laubscher, H.P. 1961: Die Ferschubhypothese der Jurafaltung. Eclog. Geol. Helv., 54, 221-281.
Laubscher, H.P. 1962: Die Zweiphasenhypothese der Jurafaltung. Eclog. Geol. Helv., 55, 221-281.
Nagra 1986: Sondierbohrung Weiach, Geologie. Technischer Bericht NTB 86-01, Nagra, Wettingen.
Nagra 2014 a: Sicherheitstechnischer Vergleich und Vorschlag der in Etappe 3 weiter zu untersuchenden geologischen Standortgebiete SGT Etappe 2: Vorschlag weiter zu untersuchender geologischer Standortgebiete mit zugehörigen Standortarealen für die Oberflächenanlage. Sicherheitstechnischer Bericht zu SGT Etappe 2. Technischer Bericht 14-01. Nagra, Wettingen, 420 S.
Nagra 2014 b (H. Naef, H. Madritsch): Tektonische Karte des Nordschweizer Permokarbontrogs: Aktualisierung basierend auf 2D-Seismik und Schweredaten. Arbeitsbericht NAB 14-17, 64 S.
Nagra 2016: ENSI-Nachforderung zum Indikator „Tiefenlage im Hinblick auf bautechnische Machbarkeit“ in SGT Etappe 2. Zusammenfassende Darstellung der Zusatzdokumentation (Hauptbericht). NAB 16-41, Nagra, Wettingen, 262 S.
Kommentar verfassen