Fortsetzung des Beitrags vom 5. September 2016
Lesen Sie auch den Südkurier: https://www.suedkurier.de/region/hochrhein/kreis-waldshut/Atommuellendlagersuche-Geologe-Marcos-Buser-zweifelt-an-der-Sicherheit-der-Standorte;art372586,8900043
. . . und die letzten News aus dem ENSI-Gate: www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Edelberater…/25345283
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Lagerstandorte und Bedrohungsszenarien
Tiefenlager können sowohl von oben, als auch von unten bedroht sein. Sie können den Menschen bedrohen; der Mensch kann aber auch Tiefenlager bedrohen. Oder anders gesagt: man muss nicht nur den Menschen vor dem Tiefenlager schützen sondern auch die Tiefenlager vor dem Menschen, wie dies auch die Figur 5 zeigt.
Aus heutiger Sicht ist die wichtigste Bedrohung eines Tiefenlagers von oben jene durch Tiefbohrungen, sei es zur Erschliessung von Wasser- und Wärmeressourcen, oder von Kohlewasserstoffen (v.a. Kohle und Gas). Das Lager kann aber auch durch den Abbau von Gesteinen, namentlich durch die Zementindustrie zumindest teilweise abgedeckt werden oder durch Tunnelsysteme (wie z.B. das inzwischen nicht mehr weiter verfolgte Transportsystem Swissmetro). Nutzungsverbote oder Verbotstafeln gegen die Nutzung dieser sogenannten Georessourcen können kurzfristig, während einigen Jahren, Jahrzehnten und vielleicht Jahrhunderten helfen. Längerfristig sind regulatorische Massnahmen und Verbotstafeln aber wirkungslos, wie viele auf Stelen oder Säulen angebrachte Verbote eindrücklich zeigen, etwa der sogenannte Stein von Chagnon im Trassee des römischen Aquädukts von Gier (Figur 6).
Die Entwicklung der Technik, etwa der Bohr- und Tunneltechnik, lässt erwarten, dass der Untergrund in den heute vorgesehenen Lagertiefen von einigen hundert bis 1000 m Tiefe demnächst ohne grössere Probleme erbohrt werden kann. Dies betrifft nicht nur untiefe Geothermiebohrungen für die Beheizung von Gebäuden, die bereits heute wirtschaftlich auf einige hundert Meter Tiefe abgeteuft werden können. Auch grössere Schachtanlagen bis 12 m Durchmesser sind dank heutiger Technik auch für Tiefen von über 80 m möglich.[1] Und schliesslich ist in der Schweiz nicht zu vergessen, dass im Zuge des kalten Krieges militärische Grossanlagen im Tiefuntergrund eingerichtet wurden, die Projekten wie der Tiefenlagerung ebenfalls im Weg stehen können. Die oft sich überlappende Nutzung des Tiefuntergrundes ist also heute schon eine konfliktbeladene Tatsache. Hinzu kommt, dass technische Entwicklungen in Gang gekommen sind, mit unabsehbaren Folgen für die Tiefen- und Endlagerung von radioaktiven Abfällen. Aber auch Gebiete wie der Homberg im oberen Fricktal, mit seinen mächtigen Kalk- und Mergelschichten welche für die Zementfabrikation von Interesse sein können, sind flächige Bedrohungen für ein Tiefenlager in wenigen hundert Metern Tiefe.[2] Diese wenigen Beispiele zeigen, an welch dünnem Faden die Projekte der Tiefenlagerung hängen, wenn diese von der Seite der anthropogenen Nutzung betrachtet werden.
Gebiete mit Ressourcen müssten darum so weit wie möglich gemieden werden. Und zugleich ist diese Entwicklung auch entsprechend den in Figur 5 erwähnten Stichworten umfassend zu analysieren. Das Konzept der Tiefenlagerung in wenigen hundert Metern Tiefe, könnte in der Schweiz tatsächlich in Frage gestellt sein.
Die langfristig grösste Bedrohung eines Tiefenlagers durch von oben einwirkende natürliche Prozesse ist die mögliche Gletschererosion während Eiszeiten. In Gebieten welche durch Eismassen bedeckt werden können, muss ein Tiefenlager daher hinreichend tief unter der Erdoberfläche angelegt werden, sodass das Lager und eine hinreichende Deckschicht bei einer Vereisung erhalten bleiben. Vergletscherungen kann man auch ausweichen. In der Schweiz ist dies allerdings insofern schwierig, als die Gletscher in der sogenannten „grossen Eiszeit“ (der Risseiszeit) bis vor die Tore von Basel vorstiessen. Derartige Probleme sind bespielsweise beim Standort Bure in Frankreich unbekannt.
Standortuntersuchungen in Sachplan Etappe 3 nach dem Motto „was ich nicht weiss, macht mir nicht heiss“
Wie wir bereits in unsern ersten Blogs im Frühjahr 2015 dargestellt haben, liegen zwei der drei verbleibenden eventuellen Lagerstandorte für hochradioaktive Abfälle über dem Nordostschweizerischen Permokarbon-Trog, nämlich Bözberg (Jura Nord-Ost) und Lägern Nord. Das Zürcher Weinland (dritter Standort) liegt über einem Granitstock, grenzt aber sowohl im Süden als vermutlich auch im Norden an die beiden auf der Höhe von Schaffhausen vorliegenden Äste des Permokarbon-Troges. Dieser Standort „leidet“ unter der Gefährdung durch Gletscher Erosion.
Die Nagra stellt in ihrem Bericht NTB 14-01 dar, wie sie ihre 2 oder 3 Standorte weiter untersuchen und einengen will, um zu einem Rahmenbewilligungsgesuch für ein Tiefenlager für die verschiedenen Abfallkategorien zu gelangen (unser Blog vom 13.06.2016): Die geplanten Untersuchungen umfassen seismische Feldaufnahmen und Analysen, „Tiefbohrungen“, „untiefe Bohrungen“ und in beschränktem Rahmen sogenannte „sonstige Untersuchungen“ (Oberflächenuntersuchungen, Monitoring). Ein mögliches detailliertes Vorgehen bei der Abwicklung dieser Untersuchungen ist bekanntlich auch aus der Folie 13 der Aktennotiz AN11-711 der Nagra ersichtlich, welche ja die offizielle Wahl der von der Nagra schliesslich vorgeschlagenen Standorte Zürcher Weinland und Bözberg vorwegnahm (Figur 7). Aber Untersuchungen in den Permokarbon-Trog sind auch in diesen Vorschlägen nicht zu finden.
Konkret bedeutet dies, dass der Permokarbon-Trog, also die „Bodenplatte“ des darüber liegenden Bauwerks „Tiefenlager Opalinuston“ im Rahmen des Sachplans offenbar nicht durchbohrt werden soll. Man stelle sich einen Bauherrn vor, der die geologisch-geotechnischen Untersuchungen unter seinem Bauwerk nicht vornehmen würde!
Die Genossenschaft ist hingegen bereit, ein geologisches Tiefenlager über einem Reservoir von Erdgas, einer Formation mit Tightgas oder Kohleflözen zu bauen und dieses Lager auch über Störzonen anzusiedeln, die in der Zukunft wieder aktiv werden können. Ohne weitere Abklärungen und mit dem Ziel, dass am Ende Etappe 3 des Sachplanverfahrens die ersehnte Rahmenbewilligung endlich erlangt und die Option Kernenergie am Leben erhalten werden kann. Die Nagra will hingegen nicht wissen, ob Georessourcen unter dem Lagergebiet existieren, die das Gesamtprojekt unter Umständen in Frage stellen könnten. Oder, ob die tektonischen Strukturen im Untergrund bei ihrer Reaktivierung die darüber liegenden Schichten mit einbeziehen könnten und das Projekt auf diese Weise scheitern könnte. Die Weigerung oder das Desinteresse solche Grundfragen der Sicherheit aufzunehmen und abzuklären, widerspricht dem Prinzip der wissenschaftlichen Sorgfalt.
Sollte je jemand in 100, 200 Jahren oder später auf die Idee kommen, Bodenschätze zu erkunden und eventuell auszubeuten oder andere Projekte, welcher Art auch immer, im Tiefuntergrund in diesem Raum auszuführen, so besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er dies auch tun wird. Bekanntlich erscheinen Risiken kleiner, je grösser der Glaube am eigenen Projekt ist. Treten dann Probleme auf, setzt sich etwa das Gelände und tritt Radioaktivität aus dem Tiefenlager an die Erdoberfläche, dann hat die betroffene Bevölkerung halt Pech gehabt . . .
Ein solches Vorgehen spottet dem allseitig beteuerten Bekenntnis, dass das oberste Gebot allen planerischen und konzeptionellen Handelns die Sicherheit sei. Genau dieses Bekenntnis steht bei allen bereits gescheiterten Projekten der letzten gut 50 Jahre im In- und Ausland im Vordergrund. Die Liste der „Projektleichen“ ist lang. In der Schweiz reicht sie vom Anhydrit-Programm über das Kristallin-Projekt bis hin zum Programm für schwach- und mittelaktive Abfälle und dem Wellenberg. Kein einziges dieser Projekte erhielt den benötigten wissenschaftlich-technischen Qualitätssiegel. Von der industriellen Reife ganz zu schweigen. Die Gründe für das Scheitern dieser Programme sind in erster Linie auf strukturelle Defizite zurückzuführen und offenbaren auch auf die schweren Mängel bei der Sicherheitskultur. Es ist bis heute nicht gelungen, unabhängig denkende Behörden aufzubauen, welche die Rolle eines eigenständigen, kompetenten wissenschaftlichen Aufsehers spielen könnten. Die von den zuständigen Institutionen umgesetzte Praxis versteht Kritik und Fragen als Kränkung und Anfeindung, und reagiert mit Sich-Einigeln und der Ausgrenzung der Fragestellungen kritisch eingestellter Organisationen oder Experten. Die in unzähligen Berichten der Internationalen Atomenergie-Agentur beschworene „Offenheit“ oder die „hinterfragende Grundhaltung“, die jeder wissenschaftlichen Unternehmung zugrunde liegen sollte, wird von den leitenden Institutionen als Störfaktor betrachtet, den es zu eliminieren gilt.
Fortsetzung folgt!
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