Frankreich konnte und kann sich als letztes Europäisches Land bezeichnen, welches über das ganze Know-How, die Technik und die Industrie zur Planung, dem Bau und dem Betrieb von Kernkraftwerken verfügt. Das Land ist auch in allen Bereichen des Uranzyklus, von der Mine bis zur Herstellung des Kernbrennstoffs tätig. Seine 59 kommerzielle Reaktoren werden mit selbst produziertem Brennstoff versorgt. Frankreich ist auch eine militärische Atommacht.
Nun wollte also die staatlich dominierte Elektrizitätsgesellschaft EDF den Bau neuer Kernkraftwerke der 3. Generation starten, mit dem Europäischen Druckwasser-Reaktor EPR. Der Prototyp ist seit 2007 in Flamanville im Bau und war ursprünglich auf 3.3 Milliarden veranschlagt. Heute wird mit 9 Milliarden Euro gerechnet. Von Anfang an traten in diesem Projekt Schwierigkeiten auf. Und heute, 10 Jahre nach Baubeginn ist noch immer nicht sicher, wann (vielleicht sogar: ob?) das Werk ans Netz gehen kann. Hier die letzte Episode, frisch aus der Presse.
FranceInfo: „EPR Flamanville: gab es Fahrlässigkeiten?“ (1)
(Übersetzung durch die Blog-Autoren)
“EDF, sodann Areva wurden darauf aufmerksam gemacht, dass die Schmiede “Creusot Forge”, welche das Druckgefäss des EPR-Reaktors von Flamanville herstellt, ernsthafte Probleme zur Einhaltung der Qualität kennt.”
„Der Deckel und der Boden des Reaktorgefässes des EPR von Flamanville wurden zwischen September 2006 und Dezember 2007 durch die Schmiede „Creusot-Forge“ (im Burgund gelegen) hergestellt. Im August 2006 zeigte sich die Sicherheitsbehörde ASN besorgt und verlangte von AREVA brieflich, zu belegen, dass der Stahl der beiden genannten Reaktorteile homogen ist. Während 7 Jahren folgten sich die Briefwechsel, in denen sich der Hersteller und die Kontrollbehörde über technische Fragen stritten; es wurde aber keine Metallanalyse durchgeführt. Am 24. Januar (2014) traf das Druckgefäss in Flamanville ein und wurde ins Reaktorgebäude eingebaut. Neun Monate später fiel das Verdikt. AREVA hatte endlich Analysen durchgeführt. Das Resultat ist negativ: Deckel und Boden des Gefässes zeigen Anomalien. „Im Jargon der Stahlhersteller werden diese „Karbon-Segregationen“ genannt“. „Der Stahl des Druckgefässes muss normalerweise 0.2% Karbon enthalten“ erklärt Yves Marignac Materialspezialist im nuklearen Bereich. „Im vorliegenden Fall sind es eher 0.3%; dies genügt um die mechanischen Eigenschaften des Stahls zu verändern und namentlich um die Temperatur zu beeinflussen, bei welcher der Stahl weniger elastisch, also brüchiger wird.“ Dies ist insbesondere deshalb störend, weil man weiss, dass es in den Szenarien für Atomunfälle keinen Bruch des Druckgefässes geben darf. Hierzu gibt es keinen Plan B.
Areva und EDF hatten also im EPR Flamanville den zentralen Teil des Reaktors eingebaut, ohne sich der Konformität des Gefässes zu versichern. Die Situation ist unverständlich, selbst für nicht als nuklear kritische Mitglieder der Behörden bekannte Figuren, wie etwa Jean Claude Delalonde. Als Präsident des „Vereins lokaler Komitees zur Information über Kernanlagen“ (Association nationale des comités et commissions locales d’information des centrales nucléaires) versteht das Szenario noch immer nicht: „Wie ist es möglich dass ein Reaktorgefäss fabriziert wurde und man es nicht vor dem Einbau prüfte? Das ist doch fundamental!“ erklärt er. „Man hätte sich dies in der französischen Kernindustrie wirklich nicht vorstellen können, von der man uns seit 50 Jahren erklärt, dass es die beste Nuklearindustrie der Welt ist! Sie mokieren sich über uns“.
Die Industrie gab allen Grund zu Misstrauen. Mit Schreiben vom 16. Dezember 2005 warnten die nuklearen Sicherheitsbehörden (ASN) vor möglichen Qualitätsproblemen bei der Schmiede „Creusot Forge“, noch bevor das Reaktorgefäss produziert wurde. Dem Schreiben folgte sodann im April 2006 eine Inspektion, anlässlich derer 16 Abweichungen und Irregularitäten festgestellt wurden.“
“So what”? Na und?
Ob (aus technischer Sicht) und eventuell in welcher Weise die oben durch Franceinfo dokumentierten Probleme in der Qualitätsproduktion und –kontrolle mit jenen aus den in unsern Blogs vom 16. und 17. Januar 2017 behandelten Problemen in Beznau 1 und andern älteren europäischen Kernkraftwerken verglichen werden können, wissen wir nicht. Das Reaktorgefäss von Beznau 1 lag am Anfang einer ausgedehnten industriellen Produktion, welche während etwa 20 Jahren anhielt. Als Letztes gingen in Frankreich die Kernkraftwerke von Civaux 1 und 2 im Jahr 2002 in Dauerbetrieb. Seither gab es bis zum Projekt Flamanville keine einheimischen Neubauten mehr. Der Erfolg des Projekts Flamanville ist als Demonstration der Machbarkeit der neuen Kernkraftwerkgeneration mit EPR Reaktoren entscheidend. Und siehe da: Das Know-How ist weg. Und damit sinkt die Aussicht auf eine Renaissance der zivilen Atomindustrie auf der Basis der heute vorherrschenden, mit Uran betriebenen Reaktoren. Darüber können auch Neubauten von Reaktoren alter Konzeption in China, Russland u.a.m. nicht hinwegtäuschen.
In der Schweiz wurde die Entwicklung eines eigenen Reaktors nach dem Unfall in Lucens im Jahr 1969 eingestellt (unser Blog vom 4. Juni 2015). Die Maschinenindustrie beschränkte sich fürderhin weitgehend auf die konventionellen Ausrüstungen von Kraftwerken. Dies hatte auch Konsequenzen auf Ausbildung und Forschung im Bereich der Kernenergie, zwei Sektoren deren Aussterben vorhersehbar ist.
Und weiter geht die Geschichte im nächsten Blog: Westinghause deponiert die Bilanz!
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